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Dichterliebe Erlöser

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Ein ganzes Leben als Gedicht. In feinen fünfhebigen Jamben formulierte Karl Esmarch 1879 ein Festepos, das von nahezu religiöser Verehrung für den Jubilar getragen zu sein schien. Ein König sei es, dessen man gedenken wolle, ein Kronenträger und Prophet: »Der als Erobrer kam und als Befreier, / Der von des Rechts erlauchtem Götterbild / Mit kühner Rechte riß des Wahnes Schleier – / Der Heros ist es, dem die hohe Feier / In dieses Tempels Hallen gilt.« Aus tiefem Dunkel habe er seine Zeitgenossen ans Licht der Erkenntnis geführt, wo »Eintracht herrscht und Frieden und Versöhnung«. Alle Welt hätte sich dem neuen Helden angeschlossen; die wenigen Ausnahmen – »Buben« mit »Pfeilen giftdurchquollen« –, die gemeint hatten, es besser zu wissen, seien längst »versunken und verschollen«, vergessen hinter dem strahlenden Glanz des Siegers. Kein Wort war zu groß für dessen Taten; der Lobpreis steigerte sich im Fortgang der Ode zu einer Begeisterung, deren Maßlosigkeit selbst dem Schriftbild einige ehrerbietige Anpassungen abnötigte. »Das ist es was die Jubelklänge sagen – / Das braust in der Gesänge Melodie: /S e i th u n d e r t m a ld e rS o n n eg o l d n e rW a g e n/Z uu n s e r mS t e r n ed i e s e nT a gg e t r a g e n/E r s c h i e na u fE r d e nSavigny.« Der gewöhnliche Sperrdruck, üblicherweise zur Heraushebung des Besonderen eingesetzt, genügte nicht mehr, um die Geburt des »Genius« und »Lichtverkünders« angemessen zu würdigen. Erst der Fettdruck wurde der Einzigartigkeit des Heilsbringers gerecht.1

Dabei ist bereits die Existenz des Gedichts an sich Beleg für eine Sonderstellung des Geehrten. Friedrich Carl von Savigny, dessen 100. Geburtstag von Esmarch in Versform verewigt wurde, war Jurist. Und was immer sich über Juristen sagen lässt – der Gegenstand lyrischer Gesänge sind sie nur selten. Savigny aber war anders. Fast 200 Verse widmete ihm allein Esmarch; gut 20 Jahre nach dem Tod des großen Vorbildes entzog er dessen Leben und Werk irdischen Maßstäben und erhob sie ganz in mystisch-märchenhafte Sphären: Mit »Heldenarmen« und »ewalt’gem Schwerte« habe Savigny »das Geschlecht der Drachen« besiegt, den »Lindwurm« zerschmettert; jahrhundertealte Legenden hätten seiner »diamantenklaren« Geisteskraft weichen müssen und endlich überall der wahren Wissenschaft Platz gemacht, »von West und Ost und Süd und Nord«. Alle Himmelsrichtungen folgen einem Juristen. Wie gesagt: Savigny war anders.

In gewisser Hinsicht war aber auch Esmarch anders. Die Hymne galt nämlich nicht nur einem Juristen, sie stammte auch von einem Juristen. Esmarch wurde 1824 auf der Ostseeinsel Alsen geboren, verbrachte die Kindheit in Lübeck, studierte später Rechtswissenschaften in Bonn, Heidelberg und Berlin, begleitete seinen Vater zum Paulskirchenparlament nach Frankfurt, kehrte anschließend nach Kiel zurück, um gegen die Dänen zu kämpfen, wurde nach der Niederlage 1851 Privatdozent in Göttingen und 1854 Professor für römisches Recht in Krakau. Drei Jahre später berief man ihn nach Prag, und dort blieb er bis an sein Lebensende. Die Allgemeine Deutsche Biographie beschreibt ihn als konservativen Gelehrten mit ausgeprägtem Sinn für poetische Formen.2 Neben einer Monografie zur römischen Rechtsgeschichte und einem Lehrbuch zum römischen Zivilrecht schrieb er einige epische Werke und übersetzte Teile der Edda. Dass er mit Savigny jemals zusammengekommen wäre oder auch nur eine einzige Vorlesung bei ihm gehört hätte, ist nicht überliefert. Dem Dichterjuristen Esmarch genügte bereits eine ferne Ahnung, um aus Savignys Großtaten Inspiration für eigene literarische Höhenflüge zu ziehen. Ein Jurist hört von einem anderen Juristen – und dichtet. In der langen Geschichte von Recht und Rechtswissenschaft gibt es außer Savigny wohl niemanden, der ähnlich überschwängliche Reaktionen bei seinen Kollegen hervorgerufen hätte.

Und mehr noch: Savigny fand diese Anerkennung nicht nur bei den Vertretern der eigenen Zunft. Esmarch war lediglich einer von vielen, denen Savignys Schaffen Anlass für eine literarische Auseinandersetzung bot. Nicht alle waren von derselben Anbetung getragen. Aber bereits in jungen Jahren entwickelte Savigny eine Anziehungskraft, der sich seine Zeitgenossen nur selten entziehen konnten. Und da er seit ebenso jungen Jahren in enger Verbindung mit den verschiedensten Dichtern, Schriftstellern, Künstlern, und Gelehrten seiner Zeit lebte, tauchte seine Person mehr als nur einmal in literarischen Verarbeitungen auf. Man sprach von ihm, ob Johann Wolfgang von Goethe oder Heinrich Heine, ob Karoline von Günderrode oder Wilhelm von Humboldt. Ein Jurist inmitten von Denkern. Wer war diese Ausnahmegestalt?

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