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Studiermaschine

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Savigny steht nun im Zentrum eines echten romantischen Kreises. Der Philologe Friedrich Creuzer gehört dazu, mit dem Karoline von Günderrode bald eine neuerlich schmerzhafte Affäre beginnt, die Brüder Grimm, Achim von Arnim, Clemens und Christian Brentano, und natürlich deren Schwestern, allen voran die umtriebige Bettina, die sich von Savignys stillem Wesen ebenfalls angezogen fühlt. Clemens versucht hartnäckig, Savigny mit Bettina zu verkuppeln – »es ist ein Mädchen von Gott gesandt, schüzzen sie die heilige Pflanze«, schreibt er dem gelehrten Freund im Herbst 1800,19 und auch Bettina arbeitet offen und unbekümmert für eine gemeinsame Zukunft. »Denken Sie an mich«, fordert sie von Savigny und moniert mit gespielter Entrüstung sein Desinteresse: »Ihr könnt das Posthorn von meinem Reiswagen hören und wüßtet nicht, daß ich es bin«,20 und weiter: »Ich will wetten, Sie wissen nicht mehr, wie ich aussehe, ob ich braune oder blaue Augen habe«, während sie ihn umgekehrt ausführlich studiert habe: »Sie haben große Blaulichte Augen und einen sehr frommen Mund übrigens haben Sie einen sehr wunderbaren Kopf und um diesen sind Sie großer als viele andre und um 3 großer als ich.«21

Aber alles Werben und Beten hilft nichts. 1804 heiratet Savigny die ältere Brentano-Schwester Kunigunde, die, deutlich spröder als Bettina und vermutlich die Bodenständigste unter den Geschwistern, Savignys Sehnsucht nach Ruhe und Maß am ehesten stillen kann. Der Freundeskreis verbringt viel Zeit bei Savignys auf Trages, man verreist gemeinsam, und Savigny unterstützt manchen seiner nicht immer lebenstüchtigen Freunde finanziell. Vor allem Clemens profitiert davon. Er dankt es auf seine Weise: In den Romanzen vom Rosenkranz, die er wohl 1803 in Savignys Haus in Marburg beginnt, taucht Savigny als »der stolze Jacopone« auf, der »helle Stern am Himmel der Juristen«, wie Clemens erläuternd hinzufügt, gelehrter, belesener, weiser, angesehener, eloquenter als alle übrigen Rechtsgelehrten des Planeten: »Wüßten das, was er vergessen, / Manche andre Professoren, / Wäre ziehenden Studenten / Öfters aus der Not geholfen.«22 Die Kollegen werden es mit Freuden vernommen haben. Brosamen von Savignys Tisch sind für sie noch immer ein Festmahl.

Ganz ungetrübt bleibt das Verhältnis der Freunde untereinander jedoch nicht. Die Günderrode ist tief enttäuscht über Savignys Eheschließung mit Kunigunde, Bettina nennt ihn nun »Habihnnie«23 und Clemens, bei aller Bewunderung für Ausgeglichenheit und Pflichtbewusstsein des Schwagers, zeigt sich doch »angeekelt« von dem »unendlichen Gleichmut«, mit dem dieser »von Morgens bis abends seine Folianten durchbuchstabiert«.24 Obwohl Clemens bekennt, Savigny zu ehren »wie keinen Menschen auf der Erde«, beklagt er sich wehmütig, »die Einsamkeit mit Savigny zerdrückt mich oft«.25 Tatsächlich ist schwer zu sagen, mit wie viel innerer Anteilnahme Savigny seine Freundschaften pflegt. Geselligkeit schätzt er durchaus; doch die Träume und Phantasien der Romantiker bleiben ihm merkwürdig fremd. Das Zauberwort trifft ihn nicht.26 Savigny bleibt in seinem »Schnecken Palast«,27 widmet sich den Büchern, den Studien, seiner Wissenschaft. Clemens empört sich immer wieder darüber, der inniglich geliebte Freund höre ihm nur aus Höflichkeit zu, rede »mit dem Buch in der Hand, ja arbeitet während der ganzen Unterredung fort, und kaum bin ich vor der Thüre, so bewegt sich die ganze Studiermaschine« wieder im alten Gleis.28 Was sich im Innern der Maschine abspielt, bleibt selbst den engsten Freunden verborgen.

Aber das Gleis gibt unbeirrbar die Richtung vor. Savigny fehlt das Material für die weitere Arbeit, er braucht neue Quellen. Mit Kunigunde reist er nach Heidelberg, Stuttgart, Tübingen, Straßburg, Metz; schließlich kommen die beiden nach Paris. Bei der Einreise fällt unbemerkt ein Koffer vom Wagen; die Pläne und Übersichten über Bibliotheken, Quellen, Ausgaben, Manuskripte sind verloren, dazu »tausend Notizen, zufällig gefunden oder componirt«, an die sich »eine Menge unaufgelöster Fragen […] knüpften«, insgesamt ein empfindlicher Verlust für den »Sammlerfleiß«, den Savigny sich selbst attestiert.29 Jacob Grimm kommt nach und hilft, den Rückschlag wieder wettzumachen. Unter widrigen Bedingungen exzerpieren Lehrer und Schüler ein knappes Jahr lang Unmengen mittelalterlicher Handschriften. Über Trier und Koblenz reisen sie Ende 1805 zurück nach Trages. Hier wird die unterwegs geborene Tochter Betine getauft, das erste von insgesamt sechs Kindern der Savignys.

Die Lehrtätigkeit in Marburg nimmt Savigny nicht mehr auf. Im Sommer 1806 bricht die junge Familie zu weiteren ausgedehnten Bibliotheksreisen auf, diesmal nach Süddeutschland. In Nürnberg bringt Kunigunde einen Sohn zur Welt, der nach nur vier Tagen stirbt. »Der Schmerz ist kalt und lähmt alle Kraft«, schreibt Savigny an Bettina.30 Aber damit nicht genug: Zur selben Zeit trifft die Nachricht von Günderrodes Tod ein, die sich wegen der unglücklichen Liebe zu Savignys Freund Creuzer das Leben genommen hat. In der für ihn typischen Nüchternheit gibt Savigny zu Protokoll, er sei »sehr erschüttert« über dieses Schicksal.31 Die Arbeit schützt ihn vor der Trauer; die Studiermaschine läuft bald wieder auf Hochtouren. Er reist nach Erlangen und Altdorf, anschließend nach Landshut, Augsburg, München, bis nach Salzburg und Wien. Überall stöbert er in den Hinterlassenschaften der Geschichte, sucht nach bewahrenswerten und verlässlichen Nachrichten von der alten Welt und schwärmt von einer »Bibliothek, voll von höchst merkwürdigen Sachen«, der er in Wien verfällt.32 Vermutlich dank Bettinas Charme, die in dieser Zeit fast immer mit den Savignys reist, zeigt sich auch Beethoven bei einer Veranstaltung im Hause Savigny und improvisiert »dort unaufgefordert in seiner hinreißenden Weise«.33 Die Rückreise führt über Weimar, wo Savigny mit seiner Familie einige Tage bei Goethe unterkommt. Man nimmt die Mahlzeiten gemeinsam ein, trifft sich zum Tee und geht zusammen ins Theater; der berühmte Gastgeber vermerkt in seinem Tagebuch dazu: »Komische Geschichten aus der Unglücksepoche des Preuß. Staates.«34 Auf besonderen Wunsch Savignys besucht die Gruppe außerdem die herzogliche Bibliothek, in der Goethe selbst die Führung der Gäste übernimmt.35 Ende 1807 kehren die Savignys nach Trages zurück. Nach gut vier Jahren ist die Wanderschaft damit beendet.

Savigny sehnt sich »nach einer ruhigen Stätte für mich und die Meinigen und für meine Studien«.36 Das Verlangen ist so groß, dass er im Herbst 1808 überraschend einen Ruf nach Landshut annimmt, zu dieser Zeit Sitz der bayerischen Landesuniversität und nach Savignys erst kurz zuvor abgegebener Einschätzung »die widerlichste Universität, nichts als Haß und Partey, ein sehr unliterarischer Geist, und entschiedener Widerwille aller Professoren gegen das Leben an diesem Orte«,37 niemand sei dort, »der nicht lieber heute als morgen wo anders seyn möchte«.38 Savigny selbst ist insoweit keine Ausnahme. Die Kleinstadt ist provinziell, die Kollegen bieder, die Studenten rührend, aber nicht besonders anregend. Bleibenden Eindruck hinterlässt wohl nur die Schlacht zwischen Österreichern und Franzosen mit heftigen Feuergefechten im Umland und dem anschließenden Einmarsch der napoleonischen Truppen. Savigny reagiert wie gehabt: »Ich war lange Zeit ganz gelähmt«, schreibt er an Jacob Grimm, »und es wurde mir denn erst wieder wohl, als ich mich in vieler Arbeit ganz verlieren konnte, was aber auch wieder gelernt seyn wollte.«39 Ansonsten gibt es nichts, was ihn in Bayern hält. Zuletzt wird noch die häusliche Ruhe gestört, weil Clemens mit seiner neuen Frau Auguste nach Landshut kommt, wo die wahnwitzigen Eheprobleme der beiden öffentlich und ohne jede Zurückhaltung ausgetragen werden.

Die Gründung der Berliner Universität erweist sich als Segen. 1810 preist Wilhelm von Humboldt Savigny beim König als einen der »vorzüglichsten jetzt lebenden deutschen Juristen«40 und nimmt über Achim von Arnim Kontakt zu seinem Wunschkandidaten für die neue Hochschule auf. Nach Humboldts Wunsch soll Savigny noch vor Eröffnung der Universität in Berlin sein, um auf deren Einrichtung selbst Einfluss nehmen zu können. Savigny sagt sofort zu. Angenehme Erinnerungen hinterlässt Landshut erst am Ende der kurzen Episode, als die untröstlichen Studenten Savignys Hausstand einpacken und ihn auf den ersten Stationen der Reise begleiten. Bettina berichtet Goethe darüber ausführlich; als letzter Mitreisender hält sich ein junger Schwabe, der Bettina in seiner tränenreichen Verzweiflung als »die personifizierte Volksromanze« erscheint: Er winkt dem Wagen vom Wegesrand ein letztes Mal, lässt tapfer »sein kleines Schnupftüchelchen im Winde wehen«, ist aber nicht mehr imstande aufzusehen, weil »die Tränen ihn hinderten […]; die Schwaben hab’ ich lieb«.41

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