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Kapitel 3: Blumentopf mit Ventilator
ОглавлениеWenn ich nur besser schlafen könnte. Auch in dieser Nacht hatte ich wieder geschrien, zweimal hintereinander ein langgezogenes „nein“. Von den eigenen Schreien hochgerissen saß ich verwirrt und nass geschwitzt in meinem Bett. Ein paar Sekunden später, als ich begriff, worum es in meinem Traum gegangen war, schüttelte ich mich und sagte: „Du schon wieder.“ Es war kein wirrer Traum, keiner von der Sorte, den ich mit den Worten „das Gehirn ist ein Chaot“ hätte abtun können. Nein, ich hatte wieder von einer Ohrfeige mit fatalen Folgen geträumt.
Der Mond, der in seinem monatlichen Wechsel vier Tage vor Vollmond stand, leuchtete schief grinsend in mein Schlafzimmer. Ich schob mich aus dem Bett, tastete mit den Füßen nach meinen Schlappen, fand einen sofort, den anderen erst nachdem ich die Nachttischlampe anknipste. Aus dem Wäschefach meines Kleiderschranks nahm ich einen frischen Schlafanzug und schlurfte ins Badezimmer. Dort streifte ich die nassen, an meinem Körper klebenden Pyjamateile ab. Nackt vor dem Waschbecken stehend drehte ich den Kaltwasserhahn auf, klatschte mir Wasser ins Gesicht und wusch mit einem Waschlappen den Schweiß von Armen, Brust und Schultern. Ein trauriges Gesicht blickte mich im Spiegel an. Ich sah, wie meine Lippen sich zum Sprechen formten und mir das Wort „verdammt“ entgegen schleuderten; mehr gab es nicht zu sagen. Vom Spiegel abgewandt trocknete ich mich mit einem Frottiertuch ab. Danach schlüpfte ich in den frischen Schlafanzug. Die nassen Pyjamateile hob ich vom Boden auf und hängte sie zum Trocknen an eine Wäschestange außen an der Duschkabine.
Auf dem Weg zurück zum Bett fühlte ich eine nervöse Unruhe in meinen Kopf steigen, spürte mein Herz hämmern und meine Hände zittern. In diesem Zustand würde ich keinen Schlaf finden, das war mir klar. „Ruhig, ruhig, ruhig“, sagte ich vor mich hin, ging zu meinem Arzneischränkchen im Schlafzimmer und verordnete mir fünf Milligramm eines Beruhigungsmittels, das mein Psychiater mir verschrieben hatte; das sei gut gegen Angst, Spannung und Erregung, sagte er. Ich brauchte dringend noch ein paar Stunden Schlaf, denn am Morgen musste ich fit sein für das Gespräch mit Herrn Winterkraut, dem Inhaber eines Gartenbaubetriebs in Nürnberg, der mir am Telefon die Ohren voll geschwärmt hatte von einem neuartigen Luftreinigungsgerät mit Pflanzen, das er erfunden habe.
Als Wirtschaftsingenieur hatte ich ein breit gefächertes Wissen, das zwar nirgends in die Tiefe ging, mich aber befähigte technische Probleme und wirtschaftliche Chancen zu erkennen. Man kann sagen, ich war im guten Sinne ein Universaldilettant. Vornehmlich kleine und mittelgroße Unternehmen suchten meine Hilfe, die im Wesentlichen darin bestand, die Geschäftsführer über die Geldtöpfe des Freistaats Bayern, der Bundesrepublik Deutschland und der Europäischen Union zu informieren, das passende Programm zu wählen und den Antrag zu schreiben.
Antrag schreiben klingt einfach, ist aber in Wahrheit ein zeitraubender Prozess. Trotz der Routine, die ich erworben hatte, arbeitete ich nicht selten zweihundert Stunden, um ein Vorhaben in allen Einzelheiten zu beschreiben. Da es um viel Geld geht, um einen Zuschuss von fünfzigtausend Euro und mehr, wollen die Geldgeber genau wissen, wofür ihr Geld ausgegeben wird. Fragen über Fragen sind zu beantworten: Was ist neuartig an diesem Produkt? Welchen Mehrwert bringt es dem Käufer? Wie groß ist der Markt für diese Innovation? Welcher Umsatz lässt sich damit erzielen? Wie viel neue Arbeitsplätze werden entstehen?
Herr Winterkraut läutete pünktlich um zehn Uhr. Bislang hatte ich mit ihm nur telefoniert, ihn aber noch nicht getroffen. Neugierig öffnete ich die Eingangstür und lächelte. Mein erster Blick fiel auf eine braune Hornbrille, die ein freundliches Gesicht dominierte. Mit „hallo“ und „guten Tag“ streckte ich ihm meine Hand entgegen und bat ihn herein. Das schüttere, grau melierte Haar und die Falten im Gesicht ließen vermuten, dass dieser schlanke, mit einer schwarzen Hose und einer anthrazitfarbenen Lodenjacke gekleidete Mann nicht mehr der Jüngste war; sechzig schätzte ich. Er trug eine Aktentasche in der einen Hand und in der anderen einen Karton, in dem er, wie sich später herausstellte, ein Modell seiner Erfindung verbarg.
Ob er eine gute Fahrt gehabt habe, fragte ich.
Ja, er sei früh in Nürnberg los gefahren und ganz gut durchgekommen.
Eine Thermokanne mit Kaffee und zwei Fläschchen Mineralwasser lockten uns an den Besuchertisch. Ich hatte gelernt, dass ich die kühle Distanz, die zwischen zwei fremden Menschen bestand, mit der Frage, ob ich ihm (oder ihr) einen Kaffee oder ein Mineralwasser anbieten dürfe, überwinden konnte.
Bei Kaffee müsse er passen, antwortete er, aber ein Mineralwasser nehme er gerne.
Als weitere vertrauensbildende Maßnahme tauschten wir unsere Visitenkarten aus.
In diesem Raum sei es recht warm, stellte Herr Winterkraut fest und fragte, ob ich etwas dagegen hätte, wenn er seine Jacke auszöge.
Nein, natürlich nicht, antwortete ich.
Nun saß er vor mir in einem weißen Hemd mit einer grünen Krawatte und erzählte mir von seiner Arbeit. Ich erfuhr, dass Herr Winterkraut ein erfahrener Gartenbauingenieur war, der sich mit seiner Firma Greenway auf die Begrünung von Großraumbüros und Empfangshallen spezialisiert hatte. Er überreichte mir einen Prospekt mit schönen Bildern, die offenbarten, wozu Greenway fähig war.
Auf meine Frage, wie viele Mitarbeiter er habe, antwortete er, neun, mit ihm seien sie zehn. Sie lieferten Pflanzen in Büroräume, weil Menschen sich wohler fühlten und effizienter arbeiteten, wenn grüne Pflanzen sie umgaben; das hätten mehrere Studien gezeigt. Selbst in Krankenhäusern würden Patienten schneller genesen, wenn sie durch ein Fenster auf grüne Bäume blickten. Unsere Liebe zu Grün hänge mit unserer Evolution zusammen, die ja in der freien Natur stattgefunden habe.
Ah ja, sagte ich. Die heilende Rolle von Grün war mir neu. Ich freute mich, dass ich etwas dazu lernte.
In vielen Büros, fuhr Herr Winterkraut fort, er meine Büros, die Greenway begrüne, rieche die Luft nicht frisch, sondern nach Schweiß und Atem und chemischen Stoffen, die von Teppichböden, Möbeln und Bürogeräten ausgasten. Zwar werde die Raumluft ständig mit frischer Luft von außen vermischt, aber um Kosten zu sparen, beschränken Betriebe die Luftzufuhr am Tag auf das gesetzlich vorgeschriebene Minimum und stellen sie in der Nacht ganz ab.
Ich nickte, dieses Problem kannte ich.
Herr Winterkraut redete weiter: Die schlechte Luft in Büroräumen habe ihn zu einem Luftreinigungsgerät mit Pflanzen inspiriert. Er öffnete seinen Karton und nahm sein neuartiges Gerät heraus. Salopp gesagt, handele es sich um einen ‚Pflanzentopf mit Ventilator‘. Selbstzufrieden über seine Formulierung lächelnd blickte er zu mir.
Ich lächelte ebenfalls.
Aber etwas komplizierter sei es schon, sagte er: Ein kräftiger Ventilator drücke die Raumluft durch einen Schacht unten in den Pflanzentopf, in dem eine oder mehrere Pflanzen in einem Gemisch aus Bimssteintuff und Aktivkohle wurzelten. Die Luft breite sich unten im Pflanzentopf aus und ströme nach oben. Weil muffelnde Substanzen an der Aktivkohle hängen blieben, rieche die aus dem Topf kommende Luft frisch. Seine Erfindung sei an keine Geometrie gebunden; die Luft könne in runden Töpfen gereinigt werden und in großen länglichen, dann mit mehr als einem Ventilator.
Das sei interessant, sagte ich, und drückte mit dem in Bayern gerne verwendeten Wort Respekt meine Anerkennung aus. Wie lange sein Geruchsfilter funktioniere, fragte ich; irgendwann müsse die Aktivkohle mit stinkenden Stoffen gesättigt sein.
Diese Frage hätten sie sich auch gestellt, erwiderte Herr Winterkraut. Offenbar gebe es im Wurzelbereich der Pflanzen Mikroben, harmlose Bodenbakterien, die sich von den übel riechenden Substanzen ernährten. Die Mikroben fräßen die Stinkstoffe ständig von der Aktivkohle herunter und verhinderten so, dass die Aktivkohle voll beladen wird.
Sehr gut, sagte ich. Nach einem Schluck Kaffee fragte ich, ob er eine Werkstatt besitze und geeignetes Personal, um aus dem Modell ein marktreifes Produkt zu entwickeln.
Ja, sie hätten eine Werkhalle, in der ein Ingenieur, der Maschinenbau und Umwelttechnik studiert habe, und ein Schlosser arbeiteten. Seine Firma würde nicht nur Büros begrünen, sondern auch Geräte herstellen, um die Pflanzen zu bewässern, vollautomatisch. Diese Geräte seien absolut notwendig, denn in Büros würde sich selten jemand finden, der sich um die Pflanzen kümmere. Alle wollten Pflanzen, aber keiner wolle sie gießen.
Einen Moment lang dachte ich an meinen allzu früh verwelkten Drachenbaum, kam aber schnell zurück auf Herrn Winterkrauts Vorhaben und sagte: Gut, was ich hörte, klang originell. Ich stand auf und holte aus einer Schublade meines Schreibtischs die Richtlinie für das Innovationsprogramm des Freistaats Bayern. Da seine Firma ihren Sitz in Bayern habe, sollte er in dem bayerischen Förderprogramm den Antrag stellen, empfahl ich. Zusammen gingen wir die einzelnen Abschnitte durch. Am Ende fragte Herr Winterkraut, ob er das richtig gelesen habe; der Zuschuss betrage dreißig Prozent.
Ja, dreißig Prozent der Gesamtkosten, sagte ich. Nach meiner Erfahrung koste die Entwicklung eines relativ einfachen Produkts, wie das des Luftreinigers mit Pflanzen, einhunderttausend bis zweihunderttausend Euro.
Herr Winterkraut riss die Augen auf und fragte: So viel?
Ja, antwortete ich mit Nachdruck. Die Kosten für die Entwicklung eines marktreifen Produkts dürfe er nicht unterschätzen. Es lohne sich im ersten Schritt mehrere Varianten zu konstruieren, die Vor- und Nachteile durchzuspielen und dann ein leistungsfähiges und einfach zu produzierendes Modell auszuwählen. Danach müssten sie einen funktionierenden Prototyp bauen, mit dem sie Versuche durchführen könnten, Versuche in einem kleinen, abgegrenzten Raum. Wenn in seinem Firmengebäude kein kleiner Raum vorhanden sei, solle er einen Container mieten; einen Bürocontainer, wie er auf Baustellen verwendet werde. In den Versuchen müssten sie eine geruchsaktive Substanz, zum Beispiel eine kleine Menge Parfüm, mit der Luft im Versuchsraum vermischen und dann prüfen, wie schnell der Luftreiniger den Geruch eliminiere. Die Prüfung erfolge natürlich nicht nur subjektiv mit der eigenen Nase sondern exakt durch chemische Analyse von Proben, die sie der Luft entnähmen.
Er dürfe nicht glauben, dass der Prototyp auf Anhieb bestens funktioniere. Er werde ihn verbessern müssen, optimieren, dann mehrere Exemplare herstellen und deren Wirkung in Büros untersuchen; eine Langzeitstudie über einen Zeitraum von drei Monaten.
Er verstehe, sagte Herr Winterkraut.
Bei Gesamtkosten von zweihunderttausend Euro betrage der Zuschuss sechzigtausend, sagte ich. Die fehlenden hundertvierzigtausend Euro müsse Greenway selbst stemmen. Ob seine Firma dazu in der Lage sei.
Er dachte kurz nach, sagte dann, verteilt auf zwei Jahre sei das kein Problem. Ein paar Sekunden später fragte er mich, wie hoch mein Honorar sei.
Zehn Prozent des Zuschusses, antwortete ich.
Damit war er einverstanden. Er benötige ein schriftliches Angebot.
Das Angebot werde ich ihm noch heute oder spätestens morgen per Telefax schicken.