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Kapitel 4: Von Tag zu Tag

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An Werktagen stand ich zwischen sechs und sieben Uhr auf, rasierte mich, sprang unter die Dusche, zog bequeme Businesskleidung an und frühstückte ein kräftiges Morgenessen mit Vollkornbrot, Butter, Camembert und Salami, an manchen Tagen ein weichgekochtes Ei. Dazu trank ich frisch gebrühten Kaffee und milden Orangensaft. Eine Flasche Mineralwasser nahm ich mit ins Büro zu meinem Laptop.

„Was den Leuten alles einfällt“, murmelte ich vor mich hin. In diesem Monat beantragte ich Fördermittel für die Firma Kohler Shave GmbH, die ein ‚Reinigungsgerät für Nassrasierer‘ erfunden hatte. Das werde ein Massenprodukt sagte Herr Kohler und fügte hinzu, ohne eine Finanzspritze könnten sie das nicht zur Marktreife bringen.

Dass die modernen mehrteiligen Rasierklingen nicht leicht zu reinigen sind, wusste jeder, der sich damit rasierte und sie nach der Rasur zu säubern versuchte. Nach meiner Erfahrung gelang dies am besten unter einem starken Wasserstrahl mit einer kleinen Bürste. Wieviel Trinkwasser ich dabei verschwendete, machte mir das Gespräch mit Herrn Kohler deutlich. Das Gerät, das er in seiner Firma entwickeln wolle, würde einen Mehrklingen-Rasierer mit einhundert Milliliter Wasser reinigen, sagte er stolz.

Weil das Thema Wassersparen ein erklärtes Ziel in einigen Förder-programmen war, lag Herr Kohler mit seiner Erfindung voll im Trend. In den technischen Zeichnungen, die er mir gab, sah das Gerät wie ein kleiner Mixer aus: Ein Becher mit einem elektrisch angetriebenen Flügelrad am Boden und einer Öffnung im Deckel, durch die ein Nassrasierer passte. Das Flügelrad durchpflügte das Wasser und erzeugte starke Wirbel, kräftig genug, um den Schmutz aus den Klingen zu schleudern.

Wenn ich mich gut fühlte, arbeitete ich ohne Pause, bis mich am Nachmittag die Lust auf einen Cappuccino und ein Stück Obstkuchen aus dem Büro trieb und meine Schritte in das Café beim Domplatz oder das am Donaukai lenkte. In beiden wurde ich als Stammgast mit freundlichen Worten begrüßt und, bestimmt auch weil ich mit Trinkgeld nicht knauserte, bevorzugt bedient.

Meine Wohnung zu verlassen und hinaus in die Stadt zu treten, fühlte sich jedes Mal wie eine Befreiung an. Bei schönem Wetter, wie heute, wählte ich das Café am Donaukai, wo Rosi kellnerte. Dort setzte ich mich an einen Tisch auf der Terrasse und rückte meinen Stuhl so zurecht, dass ich freie Sicht hatte auf die Donau und die hoch über dem nördlichen Ufer gelegene Passauer Burg Veste Oberhaus.

Lächelnd kam Rosi an meinen Tisch, grüßte und empfahl mir die Himbeertorte, die sei ganz frisch und passe gut zu einem Cappuccino.

Ja bitte, sagte ich. Da könne ich nicht nein sagen.

Während ich auf Kaffee und Kuchen wartete, schaute ich auf das Wasser, sah private Motorboote hin und her flitzen. Es sah so aus, als wüssten sie nicht, wohin sie wollten, nur schnell musste es gehen. Wenn sie Ausflugsschiffen, die Rundfahrten veranstalteten, zu nahe kamen, erklang manch lauter Signalton. Ab und zu fuhr ein Lastkahn vorbei, tief im Wasser, schwer beladen. Am Kai lagen luxuriöse Kreuzfahrtschiffe, die vom Rhein über den Main und den Main-Donau-Kanal nach Passau gekommen waren und weiter über Wien und Budapest bis zum Schwarzen Meer wollten.

Rosi brachte mehr als ich bestellt hatte, den Himbeerkuchen mit einem Häubchen Schlagsahne und den Cappuccino zusammen mit einem Glas Wasser.

Meine Bemerkung, sie würde mich verwöhnen, beantwortete sie mit einem Lächeln.

Ich trank einen Schluck Wasser, kostete den Cappuccino und dann den Kuchen. Speichel lief in meinem Mund zusammen. Der dreischichtige Kuchen mit Rührteig, Sahnequark und Himbeeren sah nicht nur lecker aus, er schmeckte auch so. Am liebsten hätte ich ihn in großen Bissen verschlungen, bremste jedoch meine Gier durch die mahnenden Worte: Langsam essen, kleine Bissen nehmen und diese genießen.

Von den Ausflugsschiffen winkten fröhlich lachende Passagiere den Gästen im Café zu; einige erwiderten den Gruß. Ich fand es sonderbar, dass wildfremde Menschen sich zuwinkten, wenn die einen auf dem Wasser und die anderen an Land waren. Wenn sie alle an Land wären, würden sie nicht winken. Die unüberbrückbare Distanz zwischen dem Schiff und dem Ufer ließ Menschen ihre natürliche Scheu verlieren.

Meine Gedanken flogen an den Bodensee. Auch dort winkten Menschen von den Schiffen. Ich fragte mich, was Heidi und Julia gerade machten. Bei schönem Wetter, so wie heute, schwammen wir früher im See, am späten Nachmittag, wenn die meisten Touristen den Strand verlassen hatten. Oder wir segelten mit unserem Boot hinaus auf den See, angetrieben von dem Wind, der gegen Abend von den Bergen herunter strich.

Ich würde traurig aussehen, stellte Rosi fest, als sie bei mir kassierte.

Das passiere, wenn ich an Frau und Tochter denke, sagte ich.

Ob ich geschieden sei, fragte sie.

Ich nickte.

Seit ich in Passau lebte, konnte meine Stimmung innerhalb von wenigen Minuten umschlagen. Solange ich den Himbeerkuchen aß, fühlte ich mich heiter und ruhig. Dann tauchten Gedanken an Heidi und Julia auf und stimmten mich traurig.

Lang genug gesessen, sagte mein Verstand. Ich stand auf und ging den Donaukai entlang in östlicher Richtung zur Landspitze, wo der Inn in die Donau mündete. Ich liebte den Inn, der kraftvoll herbei floss und sein Wasser in die lahm strömende Donau drückte. Wie wenn sie sich nicht mögen würden, vermischten die beiden Flüsse ihr Wasser nur allmählich; noch einige hundert Meter weit sah man am rechten Ufer graues Wasser vom Inn deutlich getrennt vom olivfarbenen der Donau. Ich folgte ein gutes Stück weit dem Inn, bevor ich nach rechts abbog, hoch in die Stadt ging und weiter bis zu einem Supermarkt, in dem ich einkaufte, was ich zum Leben brauchte; heute für das Abendessen ein Lachssteak, Sahnemeerrettich, tiefgefrorenen Blattspinat und Basmati Reis, und Kirschen für den Nachtisch.

Während der Lachs im Backofen garte, der Spinat auftaute und der Reis in Salzwasser kochte, klingelte mein Telefon. Meine Schwester rief an und erkundigte sich, wie es mir geht. Das tat sie alle zwei Wochen. Weil meine Antwort, „es geht so“, melancholisch rüber kam, versuchte sie mich mit einer skurrilen Geschichte aufzuheitern:

„In Tübingen befreite die Feuerwehr einen jungen Mann aus einer Vulva.“ An dieser Stelle wartete sie ein paar Sekunden, bevor sie fortfuhr: „Aus einer in Stein gehauenen Vulva, die als Kunstwerk vor dem Mikrobiologischen Institut steht. Der Typ ist darauf herum geklettert, dabei mit den Beinen in den Schlitz gerutscht und darin stecken geblieben.“

Ich lachte, und sie lachte mit mir.

„Woher weißt du das?“, fragte ich, „du bist doch schon lange weg von Tübingen.“

„Von Diddi, einer Studienfreundin, die als Chemielehrerin in Tübingen Wurzeln schlug. Von ihr erfahre ich Jahr für Jahr, was es Neues in Tübingen gibt.“

„Das ist schön“, sagte ich.

„Bist du in den nächsten Tagen zuhause?“, fragte sie.

„Ja, warum?“

„Ich fahre zur Erholung nach Bad Füssing und will….“

Mit dem Wort „super“ unterbrach ich sie. „Von dort ist es nicht weit nach Passau. Weißt du schon, wann du kommst?“

„Am Samstag, ich werde dich von Bad Füssing aus noch einmal anrufen.“

„Ich freue mich“, sagte ich. „Bis bald.“

„Ja, bis bald“, hörte ich von ihr; dann noch den Nachsatz: „Pass auf dich auf.“

Ein bisschen aufgekratzt von dem Gespräch gab ich meinem Abendessen den letzten Schliff, siebte den Reis ab, würzte den Spinat mit Kräutersalz, strich Sahnemeerrettich auf das Lachssteak und wusch die Kirschen in warmem Salzwasser. Mit einem vollen Teller und einem Glas Spätburgunder setzte ich mich an meinen Esstisch. Als Tischmusik wählte ich ein Violinkonzert von Mozart. Ein leckeres Essen und göttliche Musik, mehr konnte ich nicht wollen.

Abschied mit schwarzer Rose

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