Читать книгу Wer nie vom Weg abkommt, bleibt auf der Strecke! - Bernard Le Cordonnier - Страница 6

„Fritz, rauch nicht schon wieder!“

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Opa Fritz hat gar nicht geraucht. Doch im brandneuen Schwarz-Weiß-Fernsehgerät hat sich gerade Ludwig Erhard, der Chef des neuen Wirtschaftswunders eine dicke Zigarre angesteckt.

Oma Ottilie verfügt offensichtlich über die seltene Gabe der übersinnlichen Wahrnehmung. Andi genießt die Urlaube in Memmingen. Es wird »Schafkopf« gegen Bares gespielt und Oma Ottilie hat eine ganze Menge Münzen für ihren Enkel gesammelt. Nur Bares ist Wahres! Der Bahnhof ist sein Abenteuer-Spielplatz. Gerne lässt er sich auf dem Metallgerüst-Steg des Bahnübergangs von den fauchenden 01er-Schnellzug-Dampflokomotiven beim Beschleunigen ordentlich räuchern. Nicht gerade zur großen Freude seiner Mutter. In der Wohnung riecht es anschließend wie in einer Räucherkammer. Dank Opas Beziehungen geht`s im Führerhaus einer 01er-Lok einmal sogar bis nach Oberstdorf.

1961 bringt die Sowjetunion ihren ersten Kosmonauten ins All und damit die USA unter Erfolgsdruck.

Am 24. Oktober 1962 gerät der Weltfriede massiv in Gefahr. Die Welt steht unmittelbar vor einem Nuklearkrieg.

US-Militärexperten haben mithilfe von Luftaufnahmen auf Kuba sowjetische, atomar bestückte Raketenstellungen entdeckt. Der Konflikt zwischen den USA und der Sowjetunion droht zu eskalieren. Einen Atomkrieg hätte in Europa an der Nahtstelle der Weltmächte kaum jemand überlebt!

Mutter lagert trotzdem im tiefen Keller Konserven ein. Paul hält Ausschau nach einem, vor atomarer Strahlung möglichst sicheren Ort, um der Apokalypse vielleicht doch noch zu entgehen. München ist von Rosenheim nur ca. 50 km Luftlinie entfernt. Es steht auf Messers Schneide. Der 3. Weltkrieg steht damit unmittelbar bevor. Nikita Sergejewitsch Chruschtschow prügelt mit einem ausgezogenen Schuh das Rednerpult, zieht dann aber doch vor Kennedy den Schwanz ein und seine Atomraketen in letzter Minute aus Kuba zurück. Es hätte auch anders kommen können! Dann wäre das Leben von Andreas sehr übersichtlich verlaufen und dieses Büchlein wäre damit schon zu Ende!

Nachdem es aber weitergeht, unterrichtet Vater an einem Gymnasium im Stil der »Feuerzangenbowle« Latein, Altgriechisch und Germanistik. Zudem hat er noch eine Lizenz für Geschichte und Französisch. Er spricht auch fließend Italienisch und Neugriechisch. Er liebt es, Mutter beim Abwasch zuzusehen und rezitiert dabei griechische und lateinische Verse. Sie versteht diese zwar nicht, doch sie tut so als ob, was auch schon reicht. Wahrscheinlich wäre es ihr lieber gewesen, wenn Vater das Geschirr abgetrocknet hätte.

Papa ist der Chef im Ring, Mutter die Geisha. Dafür ernährt er die Familie als Beamter mit unkündbarer Pensionsberechtigung. Mutter bewacht den häuslichen Frieden. Absolute Unbestechlichkeit und Integrität sind elementare Wesenszüge von Papa. Versuche von Schülereltern, ihm zu Weihnachten eine Flasche Wein zu schenken, wertet er als Beamtenbestechungsversuch und schickt sie postwendend zurück. Zur Vorspeise werden täglich lateinische, unregelmäßige Verben abgefragt, bevor der Schweinebraten auf den Tisch kommt. Dies verschafft Andreas den ordentlichen Grundstock, der ihn später Abitur-technisch in den Zustand der Reife versetzen wird.

Das mangelnde Gespür seines leider oft erkrankten großen Bruders Wolfgang für Mathematik und seine negativen Schwingungen gegenüber Vater geben oft Anlass für heftige Debatten. Beim gemeinsamen Mittagsmahl besteht die Möglichkeit, eine Stecknadel fallen zu hören. Jedes Kratzen des Suppenlöffels schmerzt das Ohr und passt zum gegenseitigen Minenspiel. Andreas freut sich schon jetzt darauf, das Elternhaus bei der ersten finanziell tragfähigen Konstellation rasch verlassen zu können.

Familiäre Höhepunkte sind zahlreiche Campingurlaube, die mit einem silbergrauen VW Standard mit 34 PS und ovalem Heckfenster durchgeführt werden. Sie führen stets an Orte, die nicht weit von archäologischen Ausgrabungen entfernt sind. Bereits im Kindesalter weiß Andreas somit bald über die Unterschiede dorischer, korinthischer und ionischer Säulen Bescheid. Es finden auch zahlreiche Museumsbesichtigungen statt, die er nur wenig spannend findet. Zwischendurch gibt es allerdings auch viel Campinggefühl und Strandvergnügen.

Früh lernt er Orte wie Jesolo, Rimini, Rom und Castiglione della Pescaia kennen. Es gibt in der Nähe meist Etruskergräber und byzantinische Fresken in alten Kirchen zu besichtigen.

1964 fährt die Familie sogar bis nach Griechenland, allerdings schon mit einem pastellgrünen Käfer mit rechteckigem, großen Fenster und 40 PS. Mit 12 Jahren steht unser Held auf der Akropolis von Athen. Zelt und Campingutensilien sind auf dem Aufbau des VW-Käfers verstaut. Damals ein echtes Abenteuer und eine logistische Meisterleistung von Mutter Luise. Sie ist außer dem Fahren für alles verantwortlich und trägt generell an allem die Schuld. Dies führt bei ihr im Laufe der Jahre zu psychischem Asthma.

An erholsamen Schlaf auf den Luftmatratzen ist nicht zu denken. Vater beherrscht sämtliche Varianten nächtlicher Lautverschiebungen, welche bis zur Apnoe reichen.

Bei Aufenthalten an Campingplätzen, die länger als eine Nacht dauern, brechen nahe stehende Zeltnachbarn nach dieser Nacht generell mit bösen Gesichtern ihre Zelte ab.

Andreas und Wolfgang schmieden gelegentlich Mordpläne. Mutter nimmt die Tatsache demütig und devot hin. Professor Paul erwartet in seinem Hauszelt gleich einem orientalischen Scheich denselben Service und Komfort wie zu Hause, inklusive aller Mahlzeiten. Das mitgeführte Dosenarsenal ist beträchtlich, dazu kommen noch eine große Propangasflasche nebst 2-Flammen-Klappkocher.

»Pater Familiae« thront mächtig in großvolumigen Badeshorts, Netz-Unterhemd und weißen Ringelsocken in Sandalen im großen Campingsessel. Mutter steht die wesentlich kleinere Variante zu. Andreas und Wolfgang teilen sich die kleinen Hocker ohne Rückenlehnen. Es ist unglaublich, was in einen solchen VW-Käfer mit Aufbau alles hineinpasst!

Vorausgesetzt, die Pack-Logistik stimmt! Nach den Urlauben werden andere bekannte Gymnasiallehrer mit deren Familien eingeladen und es gibt stundenlange Lichtbildvorträge. Überwiegend handelt es sich bei den Motiven um 2000 Jahre alte Skulpturen oder Säulenreste, die Vater aus allen Richtungen fotografiert hat. Andi überfällt bei dem mega-spannenden Thema bleierne Müdigkeit.

Am 22. November 1963 wird John F. Kennedy in Dallas erschossen. Andi heult die Kopfkissen voll Rotz und Wasser. Der jugendlich wirkende, smarte John F. Kennedy, besonders aber seine fesche Jacky haben ihm gut gefallen.

Wenn nicht verreist oder auf die Alm gefahren wird, geht es in einer 3-stündigen Fahrt zu Mutters Eltern nach Memmingen. Opa arbeitet dort bei der Deutschen Bahn und leitet das elektrische Stellwerk. Der sehr gute Skiläufer, Bergsteiger und Kletterer bastelt für seine Enkel die ersten Alpin-Skier mit Stahlkanten und bringt ihnen schon früh das Skifahren bei. Diese Skier der Marke »Esche brutal« verfügen über einen aufgepinselten roten Belag und derb eingeschraubte Stahlkanten. Der Fahrspaß hält sich in engen Grenzen!

Vater gibt zur Gehalts-Aufbesserung Nachhilfestunden in Latein. Es entsteht dabei der Eindruck, dass lateinische Verben die absolute Quintessenz des Lebens sind. Ohne diese scheint das Leben absolut sinn- und aussichtslos zu sein. Die verheulten Augen der Nachhilfeschülerinnen und der rachitisch nach vorne gebeugte Gang der Schüler nach dem Nachhilfeunterricht sprechen eine beredte Sprache.

Nur der freundlichen und mütterlichen Art von Mutter Luise und den, nach dem Unterricht gereichten Honigbroten mit schwarzem Tee ist es zu verdanken, dass sich etliche Schüler nicht gleich vor einen, hinter unserem Haus vorbeifahrenden Schnellzug werfen. Sie haben bereits erkannt, dass ein Leben ohne Latein ohne jeglichen Sinn ist.

Im Gymnasium doziert Professor Himberger, ein Mathematiklehrer, der intern Leuchtturm genannt wird. Er misst stolze 2.02 Meter, ist klapperdürr und stark nach vorne gebeugt. Seine Brille scheint aus dickem Panzerglas zu bestehen. Böse Zungen behaupten, dass er für den Deutschen Wetterdienst arbeitet. Er durchstößt möglicherweise den herbstlichen Hochnebel. Es gibt für ihn 2 Arten von Schülern: den intelligenten und den dummen Schüler.

Es sind somit in einer durchschnittlichen Klasse 28 dumme und 2-3 intelligente Schüler. Leuchtturm orientiert sich an den intelligenten Schülern, da ein dummer Mathematikschüler untauglich für das weitere Leben ist.

Bruder Wolfgang gehört in Sachen Mathematik zum Volk und nicht zur Elite. Er hat mit einer 6 den Vogel abgeschossen und ist damit der Klassenprimus von hinten. Vater läuft zuhause Amok.

Das gemeinsame Mittagessen gerät zum absoluten Albtraum. Manche Lehrkräfte, die nicht besonders nervenstark sind, haben es in der Klasse von Andreas nicht gerade leicht. Eine junge Biologie-Studienrätin wirft das Handtuch und übersiedelt vorübergehend nach Stimmverlust im Klassenzimmer und folgendem Nervenzusammenbruch in das Bezirkskrankenhaus nach Gabersee. Es handelt sich um ein bekanntes Kompetenz-Zentrum für Psychiatrie und Ähnliches. Trotzdem wird sie Jahre später als Schuldirektorin in Pension gehen!

Mobbing und Burnout im Stil von »Fukk You Goethe« gibt es in den 60er Jahren auch schon, es heißt damals nur noch nicht so. Auch Andreas sinkt im Fach »Deutsch« bei einem neuen Junglehrer auf die Note 4 ab. Der familiäre Hausfriede ist dadurch empfindlich gestört. Andreas bittet seinen Erzeuger, den nächsten Hausaufsatz ausnahmsweise einmal für ihn zu schreiben. Vater Paul erhält von seinem jungen Kollegen, der laut Originalton Paul Müller »noch feucht hinter den Ohren« ist, ebenfalls eine Note 4.

Nicht einmal eine gerade, sondern eine 4 minus. Ein kleines Fest für die Seele des geplagten Schülers! Selten hat er über eine 4, die »2 des kleinen Mannes« so gelacht und sich darüber gefreut.

»Kugelblitz«-Paul, wie er von vielen völlig verängstigten Schülern genannt wird, eilt wutschnaubend ins benachbarte Gymnasium. Es gibt damals in Rosenheim immerhin schon 3 höhere Lehranstalten. Schon damals wird klar, dass zwar grundsätzlich alle Menschen gleich sind, aber dennoch manche etwas gleicher.

Nach Vaters Rodeo-tauglichem Auftritt ist Andi´s für alle Zeiten festgeschriebene Deutschnote mindestens eine 2. Es ist dabei ziemlich egal, was er künftig schreibt! Vitamin B hat noch nie geschadet, was sich im späteren Leben noch öfter herausstellen wird. Der sehr gute Sportler und Leichtathlet erreicht bei den sogenannten Bundesjugendspielen unter den Teilnehmern aller Gymnasien Bayerns die höchste Punktzahl.

Diese Spiele gibt es heute noch, obwohl diverse Eltern wegen des darin enthaltenen Leistungsgedankens dagegen juristisch geklagt haben!

11,8 Sekunden für 100 Meter und 6,30 Meter im Weitsprung sind noch heute für einen 16-jährigen stolze Leistungen.

Diese Ergebnisse bringen ihn vorübergehend in die Talentförderung des »DLV« für Olympia 1972.

Daraus ergibt sich eine weitere Tatsache. Erfolg zieht ähnlich wie Geld Frauen an. Sie sehen in einem guten Sportler, der zudem eine relativ angenehme Erscheinung ist, eine spannende Angelegenheit in Sachen potenzieller Vervielfältigung. Auch in der Tierwelt hat der stärkste Bock die meisten Gämsen. Andreas wird im Schulhof von vielen verschiedenartigen Gämsen umstellt und fühlt sich gerne als Bock. Er wird dreimal in Folge hintereinander zum Klassensprecher gewählt. Damit ist es allerdings vorbei, als sich die Lobby der Abgestürzten und mehrmals Durchgefallenen gegen ihn formiert und in ihm einen lehrertreuen Musterschüler sieht.

Am 21. Juli 1969 landet Apollo 11 auf dem Mond. Astronaut Neil Armstrong spricht dabei den unvergänglichen Satz:

»Es ist ein kleiner Schritt für einen Menschen, aber ein großer Sprung für die Menschheit.«

1970 wird ein Vertrag zwischen der BRD und Moskau unterschrieben, was etwas Entspannung des Kalten Krieges bedeutet. Ein Gehalt für begabte Schüler, das je nach Einkommen der Eltern zwischen 150 und 300 DM liegen soll, wird eingeführt. Es soll gleiche Bildungschancen für ärmere Familien bieten.

Andreas bekommt kein Schülergehalt, obwohl er gerade einen Notendurchschnitt von 1,6 geschafft hat. Vater verdient angeblich zu viel. Man merkt allerdings wenig davon, da seine Mutter aus Gründen des standesgemäßen Ansehens kein Zubrot als Raumkosmetikerin verdienen darf.

Bruder Wolfgang studiert in München Jura, was viel Geld kostet. Der Beamtensold des allein verdienenden Familienoberhauptes ist nicht allzu üppig, wenngleich sicher. Zum Ausgleich für die ihm entgangene Kohle lernt Andreas eine biegsame und bildhübsche Blondine aus dem benachbarten Mädchenrealgymnasium hautnah kennen. Sie ist schon über 21 Jahre alt und hat das Abitur noch nicht geschafft. Zweimal ist sie schon sitzen geblieben, besitzt jedoch dank ihrer betuchten Eltern ein weißes VW-Cabriolet mit roten Ledersitzen.

Dadurch werden ausgedehnte Spritztouren aller Art besonders im Sommer stark erleichtert. Das schmucke Cabriolet bietet dafür besonders im geöffneten Zustand allerbeste und variantenreiche Voraussetzungen. Andi ist dadurch zum Gegenstand des allgegenwärtigen Neides seiner Mitschüler geworden. Zwangsläufig wird der Notendurchschnitt durch die Wechseltherapie aus Sport und anderen Leibesübungen nicht gerade besser. Uschi´s Vater ist Textil-Unternehmer und Sportpilot. Er besitzt eine Cessna 152, die in Vogthareut bei Rosenheim im Hangar steht. Nun hat er einen begabten Flugschüler. Ernst zeigt diesem bei gemeinsamen Flügen, wie man die Maschine fliegt, startet und landet. Andi macht zwar keinen Flugschein, käme notfalls aber möglicherweise mit der Cessna einigermaßen heil runter.

»Kugelblitz« ist über diese Hobbies seines Sprösslings und die damit verbundenen schlechteren Noten nur wenig erfreut.

Doch der Vaterstolz siegt, wenn nach einem gewonnenen Skirennen oder einer Bestzeit im 100-Meter Lauf in der Lokalpresse gelegentlich über seinen Sohnemann berichtet wird. Eines Morgens trifft Kugelblitz im längs gestreiften, schlank machenden Schlafanzug gegen 4 Uhr morgens im heimischen Badezimmer auf die sehr erotische Uschi. Sie ist splitternackt und wunderschön!

„Guten Morgen, Herr Professor!“

Papa ist beeindruckt: „Das musst Du von mir haben! Du hast einen guten Geschmack, das Mädchen gefällt mir!“

Wunder gibt es immer wieder und man lernt nie aus. Uschi ist aber auch Spitzenklasse. Sie sieht mit ihren schlanken 173 Zentimetern und ihrem Schmollmund süß und verrucht zugleich aus. Stark fühlbare Sinnlichkeit in Parität mit Uschi Obermeier, dem legendären Kommunardengroupie der 68er Bewegung und auch Ähnlichkeit mit Brigitte Bardot in deren jungen Jahren, als sie mit Gunter Sachs Saint Tropez zur Jetset-Metropole machte. Leider kann Uschi auch bei anderen manchmal nicht »Nein« sagen. Diese Tatsache fügt ihrem jungen Don Juan heftigen Seelenschmerz zu, welcher auch körperlich fühlbar ist. Die sonst meist gute Laune ist zum Teufel, dauernd muss er an die schöne Versuchung denken.

Wenn man das unter Liebe versteht, kann er darauf gern verzichten. Nichts interessiert ihn mehr, er fühlt sich krank und ohne Antrieb. Kurz danach ist er wieder im 7. Himmel!

Jeden, der das Objekt seiner Begierde und Sehnsucht anspricht, könnte er glatt erwürgen. Theoretisch liegen bereits viele ermordet auf dem Friedhof! Meist uralte Veteranen und Opas über 30 mit schnellen Sportwägen und dicker Brieftasche.

Andreas darf nun gleich mit 18 mit Mutters Geld den Führerschein machen. Diese hat Glück in der Fernsehlotterie gehabt und eine Flugreise für 2 Personen nach Jamaika gewonnen. Das bringt ihren »Platz an der Sonne« und ihren Durchbruch zur persönlichen Freiheit. Die Zeit der Knechtschaft unter »Kugelblitz« geht zu Ende. Das Asthma hört damit schlagartig auf, zudem schaltet Papa einen Gang zurück und nimmt den Despoten-Druck raus!

Ihm wird beim Fliegen mit seinem Augenhochdruck vom Typ »Glaukom« schwindlig. Mutter düst somit nicht in die Sonne zu den Palmen, sondern lässt sich anstelle der Reise lieber 20.000 steuerfreie Deutsche Mark auszahlen. Mutters reicher Onkel aus Detroit, der die Geschichte vom Schuhputzer zum Millionär nachvollzogen hat, überweist dazu den Rest für ein kleines Fertighaus im Grünen. Er selbst wird zwar fast 100 Jahre alt, hat aber sein ganzes Leben nur geschuftet und sich nichts gegönnt. Er wird somit zu einem der reichsten Männer auf dem Friedhof von Detroit.

Die Familie gedenkt des edlen Gönners, den sie nie kennengelernt hat und freut sich, dass dieser nicht sich, sondern anderen etwas gegönnt hat! Das Paradies soll es ihm mit 100 schönen Jungfrauen danken! Andreas selbst wird es aber sicher anders machen. Er wird seine Jungfrauen lieber auf diesem Planeten und nicht erst im islamischen Paradies der IS kennenlernen! Er ist nun knapp 19 Jahre jung und befindet sich in der Abiturklasse. Was soll aus ihm werden? Er hat ehrlich gesagt keine Ahnung. Mutter meint, eine Beamtenlaufbahn sei das Goldrichtige, mit Sicherheit und Pension im Alter, so wie bei Papa. Vielleicht auch ein Medizinstudium, damit aus ihm ein neuer Albert Schweizer, ein Helfer der Menschheit wird. Wenn er sich die Junglehrer mit ihren klapprigen VW-Käfern und den verbeulten Anzügen und Schultaschen so ansieht, schaut das nicht nach dicker Kohle aus. Von der Pension in 45 Jahren kann er sich heute nichts kaufen. Wer weiß, ob er überhaupt so alt werden wird! Man hört, dass Lufthansa Nachwuchs-Flugzeugführer sucht. Das ist sicher das Richtige für ihn!

Eine schicke Uniform, fremde Länder, Geld ohne Ende und immer hübsche Stewardessen im Cockpit. Wofür gibt es den Autopiloten? Er meldet sich zur Prüfung in Hamburg-Fuhlsbüttel an und übersteht die Gesundheitsprüfung. Im März 1971 ist es soweit! Er wird zum Eignungstest nach Hamburg eingeladen. Ein Flugticket ‒ das erste seines Lebens ‒ liegt bei. Seinen Freunden und Bekannten erzählt er, dass er demnächst als Captain eine Boeing fliegen wird.

In Hamburg mit einer Boeing 737 gelandet, geht es mit dem Bus in den Stadtteil Fuhlsbüttel. Lufthansa hat Andi einen Laufzettel zugesandt und als Quartier die Frühstückspension Erika angegeben. Ulrich aus Baden-Baden ist schon da. Er wird das Doppelzimmer mit ihm teilen. Es ist noch früh am Abend. Die Erwartungen sind hoch und Adrenalin pocht in den Adern. An Schlaf ist nicht zu denken! Ulrich ist 26 Jahre alt und fliegt bei der Bundeswehr schon als Pilot eine Herkules-Transportmaschine. In Sankt Pauli, im sogenannten Kiez soll der wilde Bär steppen! Mit der Hochbahn gondeln die beiden erwartungsvoll dorthin.

Der Welthafen und die riesigen Werftanlagen von Bloom & Voss beeindrucken gewaltig. Sie essen an den Landungsbrücken Matjesheringe mit Salzkartoffeln und trinken ein Glas helles Bier dazu. St. Pauli macht teilweise einen recht heruntergekommenen Eindruck. Überall gibt es Kneipen mit viel rotem Licht und abgerissene Gestalten, die versuchen, die beiden Piloten-Anwärter in eine der vielen Bars zu zerren. Die Herbertstraße ist verbarrikadiert und nur für männliche Wesen passierbar. Hinter den rot erleuchteten Fensterscheiben sitzen viele recht gut aussehende junge Damen mit sehr wenig Stoff am Leib. Man kann diese gegen eine milde Gebühr mieten. Die Neugier siegt! An der Bar wird Andreas sofort von einer Blondine, die ihn im schummrigen Rot-Licht in rauchiger Luft irgendwie an seine Uschi erinnert, in Beschlag genommen.

„Hallo Süßer, ich bin Chantal, lädst Du mich auf einen Piccolo ein?“

Sie öffnet ihre schwarze Spitzenbluse noch ein Stückchen mehr. Den Piccolo kann ihr Andreas nicht abschlagen. Andi erlebt hier Generalangriffe auf Sitte und Moral. Chantals sanfte Zugriffe sind recht unverschämt. Für gewisse Dinge ist es ja vielleicht ganz gut, sich in die Hände von Profis zu begeben!

Chantal öffnet frivol und unkompliziert seinen Gürtel. Sie greift unter den Rollkragenpullover. Andi ist kitzlig und es wird ihm leicht schwindlig. Möglicherweise auch vom mittlerweile schon 2. Piccolo. Das Portemonnaie ist noch da!

Die frivole Muse erhebt sich auf hohen Stöckelschuhen und singt mit rauchiger Stimme das Lied von »Lilly Marleen«. Dabei verliert sie alle restlichen der ohnehin spärlichen Textilien und setzt sie sich wieder neben Andreas auf den Barhocker. Es verbleiben megahohe Pumps und zwei glitzernde Aufkleber auf den Warzen ihrer mädchenhaft strammen und vom Auftritt leicht feuchten Apfelbrüste. Chantals parfümierter Schweiß riecht in der Nase von Andi sehr ansprechend und führt zu zunehmender Enge seiner Jeans. Sie zieht ganz tief an ihrer Marlboro und teilt mit ihm den Rauch in Form eines sehr feuchten und aromatischen Zungenkusses. Bisher war Andi Nichtraucher. Heute scheint sich eine durchaus aparte Vorhut des Hades darauf spezialisiert zu haben, ihn in die Tiefen der lasziven Unterwelt zu ziehen und von wichtigen Dingen abzuhalten.

Höchste Zeit zum Abflug, Lufthansa wartet! Ulrich hat sich schon lange vom Acker gemacht. Andreas vergisst gerade die Prüfung. Es wird spät und die Brieftasche leert sich. Am nächsten Morgen brummt der Schädel, doch der Einführungskurs in die Schule der Erotik war ganz objektiv betrachtet weitaus besser als zu Hause und durchaus ein positives Highlight!

Eine knappe Begrüßung bei Lufthansa, dann geht es auch schon los mit den Eignungstests. Es geht um mathematisches Verständnis, Reaktion, Psychologie und um multitaskfähiges richtiges Handeln unter simuliertem Stress. Am Anfang sind es noch 40 Bewerber. Es wird nach dem K.O. System ausgesiebt. Nach 5 Tagen sind es nur noch 4. Andreas ist immer noch dabei und macht sich schon Hoffnung. Er wird vom Prüfungsgremium nach seinem Leitbild in der Fliegerei gefragt.

„Ernst Udet“, antwortet er spontan. Udet war einst einer der Besten des »Größten Führers aller Zeiten« und tätigte auch schon im WK I zahlreiche Feindabschüsse. Wahrscheinlich stellte sich die Prüfungskommission einen späteren Linienpiloten etwas weniger martialisch vor. Es sind am nächsten Tag nur noch 2 übrig, die dann später auch Piloten werden. Einer davon lebt in Andi´s Heimatstadt Rosenheim und ist heute als Flugkapitän schon in Pension. Andreas ist nicht mehr dabei! Woran es genau gelegen hat, sagt ihm niemand. Es sei aber keine Schande, durchgefallen zu sein. Das Leben ginge weiter. Wiederholungsmöglichkeiten gibt es bei Lufthansa nicht. Amen!

Er muss sich nun dringend eine plausible Entschuldigung einfallen lassen, um zuhause nicht wie ein begossener Pudel dazustehen und sein Gesicht zu verlieren. Er erzählt seinen Freunden, dass er es sich anders überlegt habe und doch kein Busfahrer der Lüfte werden will. Er wolle auch nicht in die Lufthansa-Schublade eingesperrt werden, sondern lieber Individualist bleiben. Ernst Udet eben!

Uschi kommt zu ihm zurück. Andreas zeigt ihr gleich, was er in Hamburg so alles dazugelernt hat. Wenigstens war nicht alles umsonst. Uschi ist beeindruckt! Da können die Opis noch was lernen!

Victor kommt aus reichem Hause. Vater ist Unternehmer und besitzt eine Holz- und Kunststoff-Fabrik mit fast 1000 Mitarbeitern. Auch Andis andere Kumpel, die er vom Skiclub her kennt, leben nicht in Armut, sondern kommen oft aus betuchten Kreisen. Im Sommer spielen sie Tennis, was damals noch recht teuer und elitär ist. Andis Eltern können sich das nicht leisten. So läuft er eben weiter als Leichtathlet auf der Aschenbahn. In den Fußballverein darf er nicht, da Vater diesen als Proletentreff bezeichnet.

Andreas ist ein recht vernünftiger Jüngling, der neuerdings bei Skirennen meist schneller als seine Freunde durch die Slalomstangen fährt. Wegen des Ausfalls eines Teilnehmers kommt er auf Empfehlung in einen Nachwuchs-Rennläuferkurs des BSV auf das Sudelfeld bei Bayrischzell in Oberbayern.

Er hat Talent, wenn auch nicht das ganz große! Mehrmals steht er bei regionalen Meisterschaften im Slalom und im Riesenslalom auf dem Stockerl, wie die Österreicher so schön sagen. In allen alpinen Disziplinen gehört er der damaligen DSV-Rennläuferklasse 1 an. Im Sommer liegt er nun auch öfter an den Swimmingpools schöner Villen mit altem Baumbestand. Diese sind weder von einer Bausparkasse noch mit Wohngeld finanziert. Wenn die Eltern seiner Freunde außer Haus sind, werden gelegentlich Partys mit fröhlichen Girls aus dem Mädchen Realgymnasium gefeiert. Als zuverlässiger Freund der Familie ist Andi als 4.Sohn der Familie willkommen. Er wird zum zuverlässigen Chauffeur der noch führerscheinlosen Sprösslinge. In der großen Garage stehen ein Mercedes-Benz der S-Klasse und ein Fiat fürs Grobe.

Das Abitur verschläft er mangels Motivation. Zum Französisch-Test kommt er eine halbe Stunde zu spät, was sonst nicht seine Art ist. Er erhält auf das »Dictée« eine 6, was dann insgesamt eine 4 bedeutet. Sein Gesamtdurchschnitt beträgt weit unter seinen Möglichkeiten durchschnittliche 2,7. Nicht gerade schlecht, aber auch nicht gut. Die innere Einstellung war eher suboptimal!


Wer nie vom Weg abkommt, bleibt auf der Strecke!

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