Читать книгу Das Gesicht Deutschlands - Bernd-Jürgen Seitz - Страница 11
Fluss, Land, Stadt – was liegt wo in Deutschland
ОглавлениеWenn man jemanden bittet, den Umriss Deutschlands und die Lage Berlins aus dem Gedächtnis zu zeichnen, erhält man höchst unterschiedliche Ergebnisse. Je nachdem in welcher Region derjenige lebt, wird er aber unter Umständen ganz bestimmte typische Fehler machen, da man die nähere Umgebung naturgemäß besser kennt als weiter entfernt liegende Regionen.
Für Süddeutsche beginnt Norddeutschland meist ungefähr bei Frankfurt am Main, und die „neuen“ Bundesländer vermuten sie viel weiter im Nordosten, als es tatsächlich der Fall ist. In Wirklichkeit liegt der östlichste Zipfel Bayerns weniger als 100 km westlicher als der östlichste Zipfel Sachsens und somit Deutschlands.
Zunächst wollen wir aber den Umriss Deutschlands betrachten, der mit etwas Fantasie an einen nach links gedrehten Kopf mit offenem Mund erinnert. Wenn man Berlin als „Auge“ sieht, kann man tatsächlich vom „Gesicht Deutschlands“ sprechen. Die Südgrenze verläuft als Basis ziemlich genau von West nach Ost, im Südosten ist ein Kinn angedeutet. Darüber kommt der Mund mit dem Unterkiefer in Bayern und dem Oberkiefer in Sachsen, das zusammen mit Brandenburg auch die Nase bildet. Oberhalb des „Berliner Auges“ beginnt die Stirn, die von Brandenburg nach Mecklenburg-Vorpommern führt. Von der Ostseeküste zieht sich die ziemlich strubbelige Frisur über die Nordseeküste und einen Großteil der Westgrenze Deutschlands, bis schließlich am Übergang von Rheinland-Pfalz zu Baden-Württemberg der Hals beginnt.
Begeben wir uns auf die Reise, um das Gesicht Deutschlands näher zu erkunden. Als erste „Leitlinien“ zeichnen wir nun die wichtigsten Flüsse ein (Abb. 5). Der insgesamt rund 1300 km lange Rhein entspringt als Vorder- und Hinterrhein in den Schweizer Alpen und fließt in Österreich in den Bodensee. Erst in Konstanz tritt er wieder als Seerhein in Erscheinung, der den Obersee mit dem Untersee verbindet. Er verlässt den Bodensee beim schweizerischen Stein am Rhein und fließt als Hochrhein in westliche Richtung bis zum Rheinknie in Basel. Auf dieser Strecke fließt er teilweise innerhalb der Schweiz, wie zum Beispiel in Schaffhausen mit dem spektakulären Rheinfall, oder er bildet die Grenze zwischen der Schweiz und Deutschland. Danach fließt er als Oberrhein in nördliche Richtung und markiert bis kurz vor Karlsruhe die Grenze zu Frankreich, dann die zwischen Baden-Württemberg bzw. Hessen und Rheinland-Pfalz. Bei Mainz, der Landeshauptstadt von Rheinland-Pfalz, deren rechtsrheinische Stadtteile kurioserweise zu Hessen gehören, biegt der Oberrhein nach Westen und geht bei Bingen in den Mittelrhein über. Der Mittelrhein zwischen Bingen und Koblenz mit seinen Burgen und der Loreley hat den Rhein in Verbindung mit der im 18. Jahrhundert aufgekommenen „Rheinromantik“ zum „deutschesten aller Flüsse“ gemacht. Bei Bonn fließt der Rhein aus der Mittelgebirgsregion in das Norddeutsche Tiefland und wird zum Niederrhein, der vollständig in Nordrhein-Westfalen liegt. An der niederländisch-deutschen Staatsgrenze teilt sich der Rhein und bildet das Rhein-Maas-Delta, oft nur kurz als Rheindelta bezeichnet. Der Rhein hat zahlreiche Nebenflüsse, von denen die beiden längsten die Mosel und der Main über 500 km lang sind – der Main legt diese Strecke vollständig innerhalb Deutschlands zurück, die Mosel entspringt in den Vogesen und bildet später die Grenze zu Frankreich und Luxemburg.
Der längste Fluss, der in Deutschland seinen Ursprung hat, ist die Donau. Wie der Rhein hat die Donau keine „eindeutige“ Quelle, sondern zwei im Schwarzwald entspringende Quellflüsse, die sich gut mit dem Merksatz „Brigach und Breg bringen die Donau zu Weg“ einprägen lassen. Die Donau ist mit annähernd 2900 km über doppelt so lang wie der Rhein, bezüglich der Wassermenge (als Abflussmenge bezeichnet) wird sie jedoch von ihm übertroffen. Von der Bregquelle bis zur österreichischen Grenze legt die Donau 618 km zurück; sie bildet damit die viertlängste Flussstrecke in Deutschland. Etwa 75 km unterhalb des Ursprungs verliert sie den größten Teil ihres Wassers in der Donauversinkung, während der überwiegenden Zeit des Jahres sogar vollständig. Die größten Städte des deutschen Abschnitts sind nacheinander Tuttlingen, Ulm, Neu-Ulm, Neuburg an der Donau, Ingolstadt, Regensburg, Straubing und Passau. Nachdem die Donau Deutschland bei Passau verlassen hat, fließt sie durch Österreich, die Slowakei, Ungarn, Serbien und in Rumänien im 5000 km2 großen Donaudelta ins Schwarze Meer, vorher ist sie noch Grenzfluss zu Kroatien, Bulgarien, Moldawien und der Ukraine. Die Donau hat mit annähernd 800.000 km2 ein Einzugsgebiet, das über doppelt so groß ist wie Deutschland. Der größte deutsche Nebenfluss der Donau ist der Inn, der in seinem Unterlauf die Grenze zu Österreich bildet und bei Passau in die Donau mündet. Bezüglich der Abflussmenge ist der Inn nach der Donau der drittgrößte deutsche Fluss.
Abb. 5 Die wichtigsten Flüsse Deutschlands.
Der drittlängste deutsche Fluss ist mit knapp 1100 km die Elbe, die auf 727 km durch Deutschland fließt. Sie entspringt im tschechischen Riesengebirge. Zunächst durchquert sie das nördliche Tschechien (Böhmen) in einem weiten Bogen. Der Oberlauf der Elbe erreicht Deutschland am südwestlichen Rand der Sächsischen Schweiz und fließt in nordwestliche Richtung nach Dresden, auch als „Elbflorenz“ bekannt. Kurz hinter Dresden geht der Oberlauf in die Mittelelbe über, die bei Magdeburg einen stärkeren Knick macht und nach Norden, teilweise nach Nordosten weiter fließt. Nach der Mündung der Havel, ihrem längsten rechten Nebenfluss, wendet sich die Elbe wieder in nordwestliche Richtung und erreicht kurz vor Hamburg das Ende ihres Mittellaufs. Die Unterelbe wird von den Gezeiten der Nordsee beeinflusst, am Übergang von Mittel- und Unterelbe hat sich ein Binnendelta gebildet, in dem heute der weitverzweigte Hamburger Hafen liegt. In einem sich bis auf etwa 15 km aufweitenden Trichter mündet die Elbe bei Cuxhaven in die Nordsee. Der größte Nebenfluss der Elbe ist die Moldau (Tschechien), in Deutschland die Saale, die in Bayern im Fichtelgebirge entspringt, Thüringen durchquert und in Sachsen-Anhalt (bei Barby) in die Elbe mündet.
Noch länger als die Saale ist die Havel zusammen mit ihrem größten Nebenfluss, der Spree, die durch Berlin fließt und in Spandau in die Havel mündet. Die Havel entspringt im Bereich der Müritz in Mecklenburg-Vorpommern und mündet ganz im Norden von Sachsen-Anhalt bei Havelberg in die Elbe. Da die Spree länger und wasserreicher ist als der Oberlauf der Havel, bilden hydrologisch gesehen die Spree und die untere Havel einen Flusslauf, und die obere Havel ist dessen Nebenfluss. Die Spree entspringt im Lausitzer Bergland (Sachsen), fließt durch Bautzen und Cottbus (Brandenburg) und fächert sich dann im Spreewald (S. 197) in zahlreiche Wasserläufe auf.
Die Oder ist knapp 900 km lang, entspringt wie die Elbe in Tschechien (im mährischen Odergebirge), erreicht Polen hinter Ostrau und fließt in Schlesien durch dessen Hauptstadt Breslau. Nördlich von Guben (Brandenburg) fließt die (Lausitzer) Neiße in die Oder, die ebenfalls in Tschechien entspringt und bei Zittau (Sachsen) auf 1 km Länge die deutsch-tschechische und dann die deutsch-polnische Grenze bilde – die Stadt Görlitz wird durch sie in einen deutschen und polnischen Teil (Zgorzelec) getrennt. Ab der Neißemündung bildet die Oder die Grenze zwischen Deutschland und Polen, nördlich von Frankfurt (Oder) verzweigt sie sich im Oderbruch zu einem Binnendelta. Nördlich von Schwedt teilt sie sich in einen westlichen und östlichen Arm und mündet im Stettiner Haff (Polen) in die Ostsee.
Auch über die beiden Quellflüsse der westlich der Elbe verlaufenden Weser gibt es (wie bei der Donau) einen schönen Merkspruch: „Wo Werra sich und Fulda küssen, sie ihren Namen büßen müssen.“ Das steht auf dem alten Weserstein in Hann. Münden (Niedersachsen) nordöstlich von Kassel (Abb. 6). Die Werra kommt aus dem Thüringer Wald, die Fulda aus der Rhön. Die Weser selbst fließt überwiegend durch Niedersachsen, berührt aber auch Hessen und Nordrhein-Westfalen, durchquert den Stadtstaat Bremen und mündet bei dessen Exklave Bremerhaven in die Nordsee.
Um die „Top 12“ der deutschen Flüsse voll zu machen, fehlt nur noch ein Fluss: Es ist die 370 km lange Ems, die in Westfalen entspringt, weiter durch Niedersachsen fließt und in einem Mündungstrichter (Ästuar) bei Emden in die Nordsee mündet. Ihr Mündungsbereich bildet die Grenze zu den Niederlanden.
Nach den Flüssen fügen wir unserer Deutschlandkarte nun die großen und zumindest vom Namen her allgemein bekannten Landschaften hinzu (Abb. 7). Fast jeder weiß, dass Deutschland von Norden nach Süden ansteigt, auch wenn die Süddeutschen wegen der Ausrichtung der Landkarten meist von „oben in Norddeutschland“ sprechen.
Um eine Vorstellung vom deutschen Süd-Nord-Gefälle zu vermitteln, ist bei den einzelnen im Folgenden beschriebenen Landschaften jeweils die höchste Höhe in Metern über dem Meeresspiegel angegeben.
Deutschland wird in drei naturräumliche Großregionen eingeteilt: das Norddeutsche Tiefland (auch Norddeutsche Tiefebene), die Mittelgebirge (mitteleuropäische Mittelgebirgsschwelle) und die Alpen mit dem Alpenvorland (teilweise als vierte Großregion geführt).
Abb. 6 Wo Werra sich und Fulda küssen … (alter Weserstein von 1899, Hann. Münden).
Beginnen wir in dem Norddeutschen Tiefland, das von den Küsten von Nord- und Ostsee bis zur Mittelgebirgsregion reicht. Die Nordsee wird von Ost- und Nordfriesland eingerahmt, an (und in) der Ostsee liegen Schleswig-Holstein mit der Insel Fehmarn und – ganz im Nordosten – Vorpommern mit Rügen. Die eiszeitlichen Gletscher (S. 69 ff.) haben im Nordosten eine Seenlandschaft hinterlassen, am bekanntesten sind die Mecklenburgische Seenplatte mit der Müritz, dem größten deutschen Binnensee, und die östlich angrenzende Uckermark. Zwischen Hamburg und Hannover erstreckt sich in Niedersachsen die Lüneburger Heide mit dem Wilseder Berg (169 m) als höchste Erhebung.
Ebenfalls zum Norddeutschen Tiefland gehören das Emsland, das Münsterland (Westfälische Bucht) und das Niederrheinische Tiefland, in dem der westliche Teil des Ruhrgebiets liegt, im Nordwesten. Im Osten gehören der Fläming östlich von Magdeburg und die (bis nach Polen reichende) Lausitz im südlichen Brandenburg und östlichen Sachsen (an der „Nase“) zu dieser Großlandschaft. Die Oberlausitz leitet mit Bergen von bis zu 793 m bereits zu den Mittelgebirgen über.
Als Deutsche Mittelgebirgsschwelle bezeichnet man die von Mittelgebirgen geprägte Landschaft südlich der Norddeutschen Tiefebene. Der Harz ist das unmittelbar an das norddeutsche Tiefland angrenzende höchsten Gebirge Norddeutschlands. Hier wird deutlich, dass es mit dem „Süd-Nord-Gefälle“ nicht durchgehend stimmt – solch „einen Brocken“, den höchsten Berg des Harzes mit einer Höhe von 1142 m würde man so weit im Norden nicht erwarten. Man muss auch recht weit fahren, um in das nächste über 1000 m hohe Mittelgebirge zu gelangen: Das Erzgebirge (1243 m), das zusammen mit dem Vogtland und dem in Deutschland auch als Sächsische Schweiz bekannten Elbsandsteingebirge (722 m) die sächsische „Oberlippe“ unseres Gesichts bildet. Der nach Tschechien geöffnete „Mund“ wird von weiteren Mittelgebirgen begrenzt: dem Fichtelgebirge (1053 m) im Mundwinkel, dem Oberpfälzer Wald (938 m) und dem Bayerischen Wald (1456 m) auf der „Unterlippe“. Nordwestlich des Fichtelgebirges erstreckt sich der Thüringer Wald (983 m).
Abb. 7 Die wichtigsten Landschaften, Flüsse und Bundesländer mit Hauptstädten.
Richtung Westen folgt zunächst das Niedersächsisch-Hessische Bergland mit dem Weserbergland (528 m) und weiter südlich, ziemlich genau im Zentrum Deutschlands, die Rhön (950 m). Westlich an die Rhön schließt sich mit dem Vogelsberg (773 m) ein Mittelgebirge vulkanischen Ursprungs an. Im Nordwesten dringt der Teutoburger Wald wie ein Stachel in das Norddeutsche Tiefland vor.
Westlich des Hessischen Berglands liegt das Rheinische Schiefergebirge, ein großräumiges Gebirgsmassiv mit zahlreichen Teillandschaften. Es gliedert sich in einen linksrheinischen und einen rechtsrheinischen Teil. Zum linksrheinischen Schiefergebirge gehören der Hunsrück (816 m) und die Eifel (746 m) südlich und nördlich der Mosel, aber auch das Hohe Venn und die Ardennen in Belgien. Zum rechtsrheinischen Schiefergebirge zählen Taunus – der Große Feldberg ist mit 879 m die höchste Erhebung im Schiefergebirge –, Westerwald (656 m), Sauerland mit Rothaargebirge (843 m) und auch das westlich des Sauerlands gelegene Bergische Land (519 m).
Südlich des Hunsrücks befinden sich linksrheinisch das Saar-Nahe-Bergland (687 m) und der Pfälzerwald (673 m). Rechtsrheinisch liegt der große Komplex des Süddeutschen Schichtstufenlands (S. 26), das im Westen bis zur Rheinebene und im Süden bis zur Donau reicht. Ganz im Norden liegen südwestlich der Rhön die Waldgebirge Spessart (586 m) und Odenwald (626 m). Im Südwesten Deutschlands erhebt sich der Schwarzwald, das mit dem 1493 m hohen Feldberg höchste deutsche Mittelgebirge. Östlich davon ziehen sich die Jura-Höhenzüge Schwäbische Alb (1015 m) und Fränkische Alb (689 m) diagonal durch Süddeutschland, getrennt durch den Meteoritenkrater Nördlinger Ries.
Südlich der Donau beginnt das Alpenvorland, das in Deutschland einen größeren Raum einnimmt als die Alpen, die nur einen schmalen Saum im Südosten bilden – mit der Zugspitze (2962 m) als höchstem Berg Deutschlands. Fast die gesamten deutschen Alpen gehören zu Bayern, lediglich ein kleiner Zipfel der Allgäuer Alpen, die Adelegg (1129 m), ragt nach Baden-Württemberg hinein.
Als Letztes tragen wir in unsere Deutschlandkarte noch die Grenzen und die Hauptstädte der Bundesländer ein. Die Karte ist nun ziemlich voll und unübersichtlich, obwohl sie deutlich weniger Informationen enthält als die meisten Landkarten, die wir zur Verfügung haben. Die Bundesländer kommen deshalb als Letztes an die Reihe, weil sie künstliche Gebilde sind, die der Landschaft erst in jüngerer Zeit „übergestülpt“ wurden. Trotzdem orientieren sich die Ländergrenzen häufig an der Natur: Sie verlaufen oft entlang von Gebirgskämmen oder Flüssen. Wie wir gesehen haben, wird Deutschland im Südwesten vom Rhein und im Nordosten von der Oder begrenzt. Im Süden bilden die Alpen, im Norden das Meer und im Osten die Hochlagen von Bayerischem Wald und Erzgebirge die Staatsgrenze. Auch die Grenzen der Bundesländer verhalten sich ähnlich, fast alle großen Flüsse bilden streckenweise Ländergrenzen, und auch die Mittelgebirge sind aufgrund ihrer allmählichen Besiedlung von den Tälern her häufig Grenzland. Die Rhön liegt etwa im Dreiländereck Bayern-Hessen-Thüringen, der Harz befindet sich teilweise in Niedersachsen, teilweise in Sachsen-Anhalt, und in der Eifel verläuft die Grenze zwischen Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen.
Abb. 8 Auf diesem Bild aus dem Darßer Wald im Nationalpark Vorpommersche Boddenlandschaft sieht man, wie die Buche die Kiefer regelrecht wegdrückt; die Kiefer weist noch die von der Nutzung des Harzes zu DDR-Zeiten herrührenden Muster auf.