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Die Hütte im Wald

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Zumeist sitzen Daniel Katz* – der Angeklagte mit dem angedeuteten Irokesenschnitt – und Sandro Penn* – der Schmächtige, dem man nichts Schlechtes zutraut – mit gesenkten Köpfen neben ihren Anwälten. Nur wenn sie auf Fragen antworten, blicken sie im Saal 218 des Stendaler Landgerichts nach oben.

Beide gestehen am ersten Prozesstag Mord und Vergewaltigung an der 14-jährigen Stefanie Dom* aus Güsen im Jerichower Land. Sie versuchen am 16. Juni 2000 erst gar nicht zu leugnen. Passagenweise entspricht ihr Geständnis sogar wörtlich der Anklage, die Oberstaatsanwältin Ramona Schlüter kurz zuvor verlesen hat.

Zuerst spricht der 19-jährige Daniel. Zwei Stunden lang schildert er die Tat. Begonnen habe alles, als Sandro ihm um den 15. Dezember 1999 herum über Handy die Nachricht geschickt hat, dass er Steffi, seiner Ex-Freundin, „etwas antun“ will. „Aus Hass und Rache für die Verarschung“, weil sie einen neuen Freund hat, der zudem noch sein Cousin ist. „Eine Entführung oder so“, sollte es sein. Nächtelang hätten sie dann darüber gesprochen und „Ideen zusammengetragen“. „Was man dazu braucht, um Steffi zwischen Güsen und Parey wegzufangen, hatte Sandro im Nachtschrank“, sagt Daniel. Stricke, Handschellen, Klebeband, zählt er auf. Alles andere, was noch gebraucht wurde, schrieben sie auf eine Liste.

Was der 19-Jährige dann berichtet, lässt alle aufhorchen: Sandros Tante, Corinna Vasal*, habe von Anfang an alles gewusst. Sie sei „Kontaktperson“ gewesen, habe ihnen sogar „Viel Glück!“ gewünscht und nach der Tat Sachen aufbewahrt. „Die Tante hat uns das Gefühl gegeben, dass uns nichts passieren kann.“

Der 18 Jahre alte Sandro bestätigt das später. Auf Nachfragen des Vorsitzenden Richters Hilmar Rettkowski sagt Sandro, dass seine Tante und er so etwas wie die schwarzen Schafe der Familie waren und deshalb zusammengehalten haben. „Außerdem konnte Tante Corinna die Steffi nicht leiden.“ Gegen Corinna Vasal läuft inzwischen ein Ermittlungsverfahren wegen Beihilfe. Sie wird in einer psychiatrischen Klinik behandelt.

Am 19. Dezember sollte die Sache dann über die Bühne gehen, nachdem sie das Fesseln und Knebeln bereits an einer Bekannten geübt und die Zeit gestoppt hatten. Weil sie sich vorgenommen hatten, nach der Tat alle „Spuren zu beseitigen“, kauften sie an der Tankstelle in Parey einen Fünf-Liter-Kanister und füllten ihn mit Super-Benzin.

Doch Steffi kam an diesem Abend in Begleitung ihres Freundes. „Wir mussten verschieben“, sagt Daniel. Über Tante Corinna brachten sie in Erfahrung, wann Stefanie wieder ihren Freund in Parey besucht: am 21. Dezember.

Der zweite Versuch. Wieder warteten die beiden an derselben Stelle, nahe dem Umspannwerk Parey. Über Handy stand Sandro mit seiner Tante in Fünf-Minuten-Kontakt. Dann sahen sie ein Fahrrad kommen.

„Wir haben unsere Wollmützen mit den Sehschlitzen über die Köpfe gezogen und Steffi an Beinen und Armen vom Rad gezerrt. Dann haben wir ihre Hände mit Handschellen auf den Rücken gefesselt. Ich habe sie festgehalten, sie hat sich gewehrt. Wir haben sie beruhigt, dass ihr nichts passieren wird, wenn sie still ist“, sagt Daniel. Sandro habe das Fahrrad in ein Gebüsch gerollt.

Sie führten das Mädchen zu einer Hütte im Zerbener Wald. Dort war alles vorbereitet. Die Täter hatten am Vortag den Holztisch, der draußen stand, ins Haus getragen, Tischbeine und Hüttenwand so präpariert, dass Haken für die Fesseln schnell eingedreht werden konnten.

„Wir haben Steffi mit dem Rücken auf den Holztisch gelegt und ihre gefesselten Hände über ihrem Kopf festgebunden“, redet Daniel weiter. „Die Füße waren ebenfalls gefesselt.“

Die Wollmützen hatten die Täter inzwischen abgesetzt, denn ihr Opfer hatte sie erkannt. „Wir haben ihr eine Serviette in den Mund gesteckt und Klebeband darüber. Danach haben wir die weiteren Schritte abgesprochen Wir haben diskutiert, wer anfängt …“

Der 19-Jährige meint die Vergewaltigung. Sandro sollte der Erste sein. „Ich habe ihm nicht getraut“, so Daniel. „Wenn ich angefangen hätte, hätte er es vielleicht nicht gemacht, und ich hätte alle Schuld gekriegt“. Später sagt auch Sandro, dass er Daniel ebenso misstraut hatte.

Nach zwanzig, fünfundzwanzig Minuten sei Sandro aus der Hütte gekommen und habe zu Daniel, der draußen wartete gesagt: „Du kannst jetzt reingehen.“ Stefanie habe bei der Vergewaltigung „geweint und geschluchzt“. Nach fünfzehn Minuten ließ Daniel von Steffi ab.

Nach der Tat befahlen sie Steffi, sich wieder anzuziehen. Das anschließende Gespräch mit dem Mädchen geben beide Täter unterschiedlich wider. Daniel: „Sie wollte gleich zu ihrem Freund und zu den Eltern laufen und uns verraten.“ Sandro: „Sie wollte alles in ihr Tagebuch schreiben. ,Das liest meine Mutter sowieso und weiß dann Bescheid‘, hat sie gesagt.“ Sie glaubten, dass nur Steffis Tod sie vor der Entdeckung schützen konnte. Ein Tod, der allerdings lange eingeplant war.

Auch die Darstellung des Mordes variiert. Daniel: „Wir haben gemeinsam an den Enden des FC-Bayern-Schals gezogen bis ihre Lippen blau waren, das Gesicht blass und Blut aus der Nase tropfte.“ Sandro: „Daniel hat erst allein gezogen. Weil der Kopf aus dem Schal rutschte, hat er einen Knoten gemacht und dann haben wir beide gezogen.“

An den Schalenden zerrten sie die Tote dann aus der Hütte, und Sandro übergoss sie mit dem mitgebrachten Benzin. „Sandro gab mir eine brennende Zigarette, die habe ich auf Steffis Rücken geworfen, doch es brannte nicht.“ Erst als sie einen Zettel aus Steffis Gesäßtasche zogen, ihn ansteckten, und auf den Körper warfen, hüllten „hohe Flammen“ den Körper ein.

Blankes Entsetzen auf den Gesichtern der Klassenkameradinnen Steffis aus der 8b der Sekundarschule Parey, bei der Schilderung des Geschehens. Kopfschütteln beim Tatmotiv Sandros: „Steffi hat mit meinen Gefühlen gespielt. Erst hat sie mir Hoffnung gemacht und mich dann wie eine heiße Kartoffel fallen gelassen.“

Dann eine Einsicht, die zu spät kommt: „Vielleicht habe ich mich reingesteigert. Sie wollte vielleicht nur Freundschaft.“ Mitleid habe er gehabt, „als sie so da lag“.

Martina Dom, Mutter des Opfers, die wie ihr Ehemann als Nebenkläger das Verfahren verfolgt, sagte während einer Verhandlungspause: „Eine gerechte Strafe für die Täter kann es doch nicht geben.“

Steffis Eltern denken während der Verhandlung oft an den Tag zurück, da ihre Angst schreckliche Gewissheit wurde.

Ein Blick zurück: Martina und Werner Dom saßen in der Küche ihres Hauses. Freunde aus der Nachbarschaft versuchten, ihnen Mut zuzusprechen. Doch ihr Schmerz war unendlich stärker. Wenige Minuten zuvor hatten sie erfahren, dass ihre einzige Tochter ermordet wurde.

„Befürchtet hatte ich es schon die ganze Nacht“, sagt Martina Dom unter Tränen. „Aber ein Rest Hoffnung bleibt ja immer.“ – „Wenn ich den Burschen in die Finger kriege“, droht Werner Dom. Dabei macht er eine bezeichnende Handbewegung.

Am Dienstagabend gegen 21.30 Uhr hatte Familie Dom Stefanie als vermisst gemeldet. Um 20 Uhr sollte das Mädchen wieder zu Hause sein. „Wir sind erst zur Polizeistation. Aber da war keiner. Dann zum Revier Genthin“, sagte der Vater.

Die 14-Jährige war nachmittags mit dem Fahrrad nach Parey gefahren. Dort wohnt ihr Freund Sven, seitdem er von Güsen weggezogen war. Um 19 Uhr, so die Ermittlungen, hatte sich die Schülerin wieder auf den Heimweg nach Güsen gemacht. „Normalerweise“, erzählt Werner Dom, „nimmt sie den direkten Weg über die Landstraße. Warum sie Dienstagabend in den schlecht beleuchteten Weg am Umspannwerk einbog …?“

Nach 22 Uhr begann die Suche. Das Fahrrad wurde in einem Gebüsch am Umspannwerk gefunden. Ein Fährtenhund nahm von dort die Spur auf. Sie endete jedes Mal vor Stefanies Haustür in Güsen. Ein Hubschrauber mit Wärmebildkamera suchte die Gegend zwischen dem Dreieck Güsen-Zerben-Parey ab. Erfolglos.

Mittwochmorgen ging die Suche weiter. Bewohner der umliegenden Orte halfen mit. Einer von ihnen macht im Zerbener Wald – knapp 1 000 Meter vom Fundort des Fahrrades entfernt – einen grausigen Fund. Das Waldgebiet nahe dem neuen Klärwerk wurde weiträumig gesperrt. Kriminalisten aus Genthin, die Mordkommission aus Stendal und die Tatortgruppe des Landeskriminalamts nahmen ihre Arbeit auf.

Die spärlichen Angaben zur Tat ließen vermuten, dass die Ermittler eine heiße Spur hatten. Am späten Vormittag traf Rechtsmediziner Rüdiger Schöning von der Uniklinik Magdeburg ein, um die Leichenschau vorzunehmen.

Kurze Zeit später wurde bestätigt, dass es sich bei dem Opfer um Stefanie Dom handelt. Außerdem räumte die Polizei zu diesem Zeitpunkt ein, dass Unfall und Selbstmord auszuschließen sind. „Die Ermittlungen gehen in Richtung Verbrechen“, sagte der Stendaler Polizeisprecher. Wenig später bestätigte der Stendaler Oberstaatsanwalt Gerhard Freise: „Verbrechen.“

Gegen 14 Uhr wurde der Leichnam der Ermordeten von einem Bestattungsunternehmen ins Rechtsmedizinische Institut der Uniklinik Magdeburg gebracht. Die Obduktion sollte näheren Aufschluss über die Todesursache bringen.

Die Kripo hatte im Genthiner Polizeirevier ihr Quartier bezogen. Von dort aus führte das Team um den Chef der Stendaler Mordkommission, Lutz Hirning, seinen Kampf gegen die Zeit. Die Spur, die sich bereits Stunden zuvor abgezeichnet hatte, wurde immer heißer. Kurz vorm Dunkelwerden begaben sich Kriminalisten und Staatsanwältin zum Lokaltermin an den Fundort. Dabei war auch ein Tatverdächtiger. Rund 300 Meter jenseits der weiß-roten Polizeiabsperrung redete er.

„Ich weiß gar nicht, wie ich das Weihnachtsfest überstehen soll“, schluchzte Martina Dom „Ach was – Fest“, winkte ihr Ehemann sarkastisch ab. „Was soll denn nun werden?“, fragte Stefanies Mutter, „ob der Kleine (Stefanies jüngerer Bruder, B. K.) überhaupt schon versteht, dass Stefanie nicht wieder kommt?“

„Es ist einfach unfassbar“, sagte auch Stefanies Direktorin an der Sekundarschule Parey. „Der letzte Schultag vor den Weihnachtsferien wird wohl der schwerste werden, den ich je hatte“, so Anita Krüger. Die Weihnachtsfeier, die geplant war, wurde abgesagt. Stattdessen sprachen die Lehrer mit ihren Schülern über den grauenhaften Vorfall.

Am 29. Dezember wurde Stefanie Dom beigesetzt. Eltern, die beiden Brüder, Mitschüler, Lehrer und viele Bekannte der 14-Jährigen gaben dem Mädchen im Sarg mit den cremefarbenen Rosen das letzte Geleit. Ein Meer von Blumen und Kränzen drückte die Anteilnahme der Trauernden aus.

Stefanies Leben sei „auf erschreckende Weise beendet worden“, sagte Pastor Hartmut Gentzsch in der Friedhofskapelle. „Wie lässt sich ein solches Schicksal ertragen?“ Neben der Trauer herrsche Wut und Verzweiflung. Es gebe „Fragen über Fragen“, die keiner beantworten könne.

Der Vorsitzende Richter Hilmar Rettkowski legt zu Beginn des nächsten Verhandlungstages am 20. Juni 2000 ein fachärztliches Attest vor. Darin wird bescheinigt, dass sich Corinna Vasal, die von den Angeklagten der Beihilfe beschuldigt wird, in einer neurologisch-psychiatrischen Klinik in stationärer Behandlung befindet.

Für Oberstaatsanwältin Ramona Schlüter ist die Bescheinigung jedoch kein Grund dafür, die Tante Sandros nicht zu laden. Das Gericht hat für die Aussage nun den 28. Juni vorgesehen. Dass sie dann etwas über die Tat enthüllen werde, damit sei jedoch kaum zu rechnen. Denn gegen Corinna Vasal läuft inzwischen in selber Sache ein Verfahren. und sie kann deshalb die Aussage verweigern.

Die ersten Zeugen, die zu Wort kommen, sind Kriminalisten des Landeskriminalamts Sachsen-Anhalt und der Stendaler Polizeidirektion. Anhand von Tatortfotos schildern sie, wie die teilweise verbrannte Stefanie am 22. Dezember 1999 im Wald zwischen Parey und Güsen entdeckt wurde, wie sie den Tatort vorfanden und wie die Ermittlungen verliefen.

Bestätigt wird die Aussage des Angeklagten Daniel, dass die mutmaßliche Mitwisserin Corinna Vasal nach der Vergewaltigung und Ermordung Stefanies Bekleidungsstücke der beiden Täter in ihrer Wohnung versteckt habe. Ein Kriminalist sagt, dass er bei der Durchsuchung der Wohnung von Corinna Vasal unter einem Tisch versteckt einen Beutel sichergestellt hat. Darin befanden sich die zwei Wollmützen mit Sehschlitz und ein paar Handschuhe, die bei der Tat getragen wurden.

Einen völlig gebrochenen Eindruck macht Sandros Großvater. Mit brüchiger Stimme nennt er seinen Enkel einen „guten Kerl“ und einen „hilfsbereiten jungen Menschen, der alles getan hat“. Der 63-Jährige hatte sich am Morgen des 22. Dezembers mit dem Fahrrad auf die Suche nach der vermissten Stefanie gemacht und von weitem hinter der Holzhütte „so etwas wie eine dicke Astgabel“ gesehen. „Ich habe vermutet, dass es das Mädchen war.“ Dem Kameramann eines TV-Senders in der Nähe teilte der entsetzte Mann seinen Fund mit. Der rief die Polizei.

Eine Rolle spielt erneut der rote Benzinkanister, den die Täter an der Pareyer Tankstelle kauften, um mit dem Inhalt die tote Stefanie „zu beseitigen“. Die Tankstellenangestellte erkennt beide Angeklagte im Gerichtssaal 218 wieder.

Ungläubiges Kopfschütteln rufen Passagen der Aussage der 13-jährigen Jessica hervor. Sie war „Probeperson“ für die Angeklagten gewesen.

Richter: „Wann war das?“

Jessica: „Ein, zwei Wochen vor der Tat, nachmittags.“ Richter: „Wo passierte das mit dir?

Jessica: In Parey, in der Wohnung von Sandro Penn.“ Richter: „Wie lief das ab?“

Jessica: „Die haben Handschellen rausgeholt und mich gefesselt.“ Richter: „Haben sie gesagt, warum?“

Jessica: „Die wollten jemanden in Berlin entführen. Das wollten sie an mir ausprobieren.“

Richter: „Was genau haben die Angeklagten getan?“ Jessica: „Erst meine Hände auf den Rücken gebunden, dann die Beine gefesselt – mit Handschellen. Dann ein Seil genommen und damit meine Hände und Füße gebunden. Dann haben sie mir einen blau karierten Lappen in den Mund gesteckt und einen Bayernschal drüber. Dann haben sie mir breites, braunes Paketklebeband ein paar Mal über die Augen um den Kopf gewickelt. Die beiden haben die Zeit gestoppt.“

Noch zweimal wiederholten Sandro Penn und Daniel Katz. an jenem Tag die „Übung“ mit Jessica. Aus Angst habe sie nicht darüber gesprochen, sagt das Mädchen aus.

Anwesend ist wiederum ein Psychiater. Der Sachverständige soll dem Gericht in einem Gutachten Aufschluss darüber geben, ob die Angeklagten nach Jugend- oder Erwachsenenstrafrecht zu verurteilen sind. Im Jugendstrafrecht beträgt die Höchststrafe zehn Jahre, andernfalls droht beiden eine lebenslängliche Haftstrafe.

Mit unsicheren Schritten betritt Zeugin Corinna Vasal am 28. Juni den Saal 218 des Stendaler Landgerichts. Obwohl sich die 38-Jährige mit Kapuze und Kopftuch verhüllt, sieht man ihr an, dass sie nicht gesund ist. Sie leide unter Magersucht, so ihre Mutter.

Richter Rettkowski belehrt die Zeugin, dass sie auf Grund der nahen Verwandtschaft zu einem der Angeklagten nicht auszusagen braucht. Auch weil gegen sie inzwischen ein Strafverfahren wegen Beihilfe eingeleitet wurde, habe sie das Recht zur Aussageverweigerung.

Der Auftritt der Invalidenrentnerin dauert dann auch nur vier Minuten. Nachdem sie sich lediglich zur Person geäußert hat, verlässt sie das Gericht.

Den Prozessbeteiligten werden dann Gegenstände vorgelegt, die bei der Straftat eine Rolle gespielt haben. Darunter sind die Wollmützen mit Sehschlitz ebenso wie der rote Fünf-Liter-Kanister, den die Angeklagten nach der Tat mit Wasser gefüllt haben und im Kanal versenken wollten, was ihnen jedoch nicht gelang. Ein Bayern-Fan-Schal, wie der, der zum Mord genutzt wurde, die Handschellen, Seilreste, Klebeband und die Haken, an denen Steffi gefesselt wurde, liegen ebenfalls auf dem Richtertisch.

Besonders schwere Minuten durchleben die Eltern des Opfers als Dr. Werner Kuchheuser das rechtsmedizinische Gutachten verliest. Die horizontale Drosselmarke am Hals der Toten decke sich mit den Aussagen der Angeklagten, ihr Opfer mit einem Schal stranguliert zu haben. „Durch die Unterbrechung der Blutzufuhr zum Gehirn ist der Tod nach etwa vier Minuten eingetreten“, sagt der Oberarzt von der Magdeburger Uniklinik.

Durch das Feuer seien Verbrennungen bis zum 4. Grad (Verkohlung) aufgetreten. Da Stefanie aber weder Rußpartikel in den Luftwegen noch Kohlenmonoxid im Blut gehabt hat, sei sicher, dass das Mädchen bereits tot war, als es mit Benzin übergossen und angesteckt wurde.

Richter Rettkowski verliest danach Auszüge aus dem Bundeszentralregister. Daniels Akte ist leer. Die von Sandro hat hingegen drei Vermerke.

1996 hat er ein Fahrrad gestohlen, 1999 ist er beim vorsätzlichen Fahren ohne Führerschein erwischt worden. Dazwischen liegt eine Tat, die Parallelen zum Mord an Stefanie aufweist.

Am 30. September 1996 hatte Sandro Penn einen Freund im Keller der elterlichen Wohnung in Parey mit Handschellen gefesselt und Paketband über Mund und Augen geklebt. Um dem Kumpel diesen „Scherz“ schmackhaft zu machen, hatte er ihm 25 Mark gegeben. Der Freund sollte versuchen, sich selbst zu befreien.

Doch als dieser noch mit den Fesseln kämpfte, fiel Sandro ein, dass ihn sein Kumpel vor Tagen beleidigt hatte. Sandro nahm einen Drei-Kilo-Vorschlaghammer und schlug ihm auf den Kopf. Der Freund erlitt ein Schädelhirntrauma 1. Grades.

Das Amtsgericht Genthin hielt Sandro damals eine „Ausnahmesituation“ durch „schulische und familiäre Schwierigkeiten“ zugute. Auf Grund der „Bewusstseinseinengung“ und weil er umgehend „Rettungsmaßnahmen“ eingeleitet hatte, kam er mit vier Wochen Dauerarrest davon.

Am 4. Juli stehen die persönlichen Verhältnisse der Angeklagten und ihre Beziehungen zu Eltern, Angehörigen und Freunden im Mittelpunkt des Prozesses.

Daniel hat seinen leiblichen Vater nie kennen gelernt. Er weiß weder wo er wohnt noch wie er heißt. Als er acht Jahre alt war, hatte seine Mutter den Mann geheiratet. „Mein Stiefvater hat ständig versucht, sich in mein Leben einzumischen. Mit 15, 16 Jahren habe ich überlegt, ihn wegen Körperverletzung anzuzeigen“, erzählt Daniel. Der Stiefvater habe ihn geohrfeigt und sogar mit der Faust geschlagen.

Im Dezember 1999 brach Daniel seine Lehre als Maler und Lackierer ab. Sein ehemaliger Arbeitgeber bezeichnet ihn als einen verschlossenen Menschen. Erst habe er seine Arbeit zuverlässig erledigt, sich jedoch später kaum noch darum gekümmert, und sie einfach liegen gelassen. Für Kritik sei er taub gewesen, so der Ex-Chef.

Im Dezember zog Daniel Zuhause aus und schlüpfte bei Sandros Bruder unter. Im Januar 2000 wollte er eine neue Arbeit aufnehmen. Doch dazu kam es nicht mehr.

Daniels Kumpel Sandro hat die Schule ohne Abschluss verlassen. Er habe zumeist im Unterricht nicht aufgepasst oder geschwänzt, erklärte er dem Gericht.

Sandros Kontakt zu den Eltern ist seit der Haft abgebrochen. „Auf meine Briefe bekam ich keine Antwort. Man sagte mir, meine Eltern wünschen keinen Kontakt mehr“, sagt Sandro und fügt an: „Das kann ich verstehen.“

Sandros Eltern, die als Zeugen geladen sind, würdigen ihren Sohn keines Blickes. Auch Sandro vermeidet den Blickkontakt. Er starrt auf den Boden, als Vater und Mutter von ihrem Recht, die Aussage zu verweigern, Gebrauch machen.

Daniels Eltern erscheinen aus „nervlichen und gesundheitlichen Gründen“ nicht. Staatsanwaltschaft, Nebenklage und Vertreter der Anklage verzichten darauf hin auf ihre Befragung.

Zur Sprache kommt an diesem Verhandlungstag auch ein Brief, den Daniel im Mai dem Vorsitzenden Richter der Strafkammer geschrieben hat. Er komme mit sich selbst und der Tat, die er begangen hat, nicht mehr klar. Deshalb wolle er sich in Freiheit einer Therapie unterziehen. Im Gefängnis hätte er Angst um sein Leben. Daniel räumte ein, im Dezember „widerrechtlich gehandelt“ zu haben. Ein Verbrecher sei er aber nicht, betont der Gefangene.

Ein Psychologe charakterisiert Daniel als einen Gefangenen, der in Haft sehr zurückgezogen lebt. Nachdem er von jugendlichen Gefangenen wegen seiner Tat angegriffen wurde, habe man ihn sicherheitshalber verlegt.

Als den Kernpunkt des Verfahrens bezeichnet Richter Hilmar Rettkowski die Frage, ob die Angeklagten nach Jugend- oder Erwachsenenstrafrecht verurteilt werden sollen. Nach Abwägung der verschiedenen Gesichtspunkte, spricht sich der Psychologe beim 19-jährigen Daniel für das Jugendstrafrecht aus.

Die Frage nach Jugend- oder Erwachsenenstrafrecht steht am 7. Juli im Mittelpunkt des Prozesstages. Die Vertreterin der Jugendgerichtshilfe, die Psychologin und der Psychiater sind sich einig: Beide Angeklagte haben noch nicht die Reife eines Erwachsenen erreicht. Die Gutachter sprechen sich für die Anwendung des Jugendstrafrechtes aus. Denn weder im beruflichen noch im privaten Bereich verfügten die Angeklagten über eine realistische Lebensplanung, heißt es unter anderem.

Psychiater Mohammad Hasan vom Landeskrankenhaus Königslutter beschreibt Sandro als unreif, verschlossenen und ängstlich. Nachdem Stefanie mit ihm Schluss gemacht habe, sei Kränkung in Wut und Zorn umgeschlagen. „Rache- und Bestrafungsgedanken haben sich mit nicht erfüllten sexuellen Wünschen und eigenen Unzulänglichkeiten gepaart“, so der Nervenarzt. Irgendwann habe sich der Vergewaltigungsgedanke im Kopf des jungen Mannes festgesetzt. „Er war zugleich das Motiv für die Tat“, analysiert Hasan.

Nächtelang hätten Sandro und Daniel diskutiert. Das habe dazu geführt, dass Daniel Sandros Wut auf Stefanie „mitempfunden“ habe.

Am 18. Juli 2000 werden Sandro Penn und Daniel Katz wegen Vergewaltigung und Mordes zu je neun Jahren Jugendhaft verurteilt. Beide nehmen das Urteil regungslos zur Kenntnis. Die Zuschauer quittieren den Richterspruch mit verhaltenem Protest.

„Es ist verständlich, dass bei einer Tat mit solchen furchtbaren Folgen die Gedanken von Trauer, Wut und Hass bestimmt werden und Angehörige und Freunde fordern, die Angeklagten so hart wie möglich zu bestrafen“, leitet der Vorsitzende Richter Hilmar Rettkowski seine Urteilsbegründung ein.

Er lässt jedoch keinen Zweifel an der besonderen Gesetzeslage, die für Heranwachsende im Alter zwischen 18 und 21 Jahren gilt. Und hier sehe der Gesetzgeber vor, das Jugendstrafrecht anzuwenden, wenn zum Beispiel schwerwiegende Entwicklungsrückstände bei den Angeklagten vorhanden sind. „Und das ist bei Sandro Penn und Daniel Katz der Fall.“

Gutachten hätten bei beiden Angeklagten eine „erheblich emotionale Labilität“ festgestellt. Für die Einordnung in das jeweilige Strafrecht sei es im Übrigen unerheblich, ob es bei der Tat um Mord oder Diebstahl gehe, ergänzt Rettkowski.

Auch eine härtere Strafandrohung hätte die Angeklagten nicht von der Tat abgehalten, fügt Rettkowski in seiner Schlussbemerkung hinzu. Dies hätten die Angeklagten beide bestätigt. Die Tat habe einen „nichtigen Anlass mit enormen Konsequenzen“ gehabt.

Die Schlussfolgerung aus dem Fall sei für ihn daher, „sich Gedanken um die Prävention zu machen: Wie kann verhindert werden, dass so etwas wieder passiert?“ Daran müssten Eltern, Schulen und auch die Medien arbeiten.

Mit einem erstickten Aufschrei reagiert Stefanies Mutter Martina auf die Feststellung des Vorsitzenden Richters, dass man die Angeklagten „ohne Zweifel zu lebenslanger Haft“ verurteilt hätte, wenn sie bereits 21 Jahre alt gewesen wären.

„Das Urteil ist eine Veralberung des Opfers“, sagt Martina Dom nach Prozessende. „Die Mehrheit der Bevölkerung bei uns in Güsen ist für lebenslange Haft gewesen. Ich hätte wenigstens eine Sicherungsverwahrung erwartet, damit so etwas nie wieder passieren kann.“ (Sicherungsverwahrung ist allerdings im Jugendstrafrecht nicht vorgesehen.) Die gezeigte Reue der Verurteilten nennt sie „eine reife schauspielerische Leistung“.

Drei Jahre später spricht das Landgericht Stendal das letzte Urteil im Mordfall Stefanie. Die Tante des Mörders Sandro Penn, Corinna Vasal, wird der Beihilfe zum Mord und zur Vergewaltigung schuldig gesprochen. Die Freiheitsstrafe von einem Jahr und zehn Monate wird zur Bewährung ausgesetzt.

Der Todesengel mit den roten Haaren

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