Читать книгу Moorkur - Bernd-Peter Liegener - Страница 6
ОглавлениеProlog
Ende!
Tief atmete Martina die kühle Winterluft bis in die letzten Alveolen ihrer traurigen Lungen. Die Tür von Al Capone´s hatte sich hinter ihr geschossen, die Tür zu ihrer Vergangenheit ebenso.
Karls Sohn hatte die noble Pizzeria in der Nähe des Friedhofes für einen passenden Ort gehalten, um den letzten Abschied von seinem Vater zu begehen. `Ciao, Commissario´, dachte sie. In ihrer kurzen Ansprache hatte sie nichts von seiner Freude an Fremdsprachen erwähnt. Auch nichts von seiner Freude an ihr und ihrer Freundschaft. Sie war die distanzierte Polizeidirektorin gewesen, die dem ehemaligen Kollegen die letzte Ehre erwiesen hatte. Genauso distanziert wie die fünfzehn in Gala uniformierten Polizisten, die wie ein Mann stramm salutiert hatten, um dem berühmten Kommissar König von der Mordkommission postumen Respekt zu bezeugen. Ein Anblick, der ihn eher amüsiert als gerührt hätte. Nach einem kurzen Kaffee hatten sie sich alle davon gemacht. Zurück an die Arbeit oder zu früh in die Freizeit. Das war ihr als Vorgesetzter heute egal.
Sie war die Einzige, die auf den Kaffee verzichtet und eine Cola getrunken hatte. Wenigstens etwas, was Karl auf seiner Beerdigung gefallen hätte. Er hatte nie Kaffee getrunken, auch nicht, wenn er müde war. Soweit ihr bekannt war als einziger Kriminalbeamter Deutschlands. Schließlich hatte auch sie sich von seiner Familie verabschiedet, und nun stand sie hier im sanft herniederwehenden Schnee, dessen Flocken jede in der Luft liegende Erinnerung an sich zogen und in dem dicken, weißen Teppich zu ihren Füßen begruben. Es war zu Ende.
Langsam knirschten sich ihre Sohlen auf der jüngsten Lage frisch gefallenen Schnees heimwärts. Immer dicker wurden die fluffigen Flocken, immer weißer wurde die Welt. Warum fühlte sie sich so jung und lebendig, als sei sie in ihre Kindheit versetzt worden? Schneite es Erinnerungen? Wie ein junger Hund begann die höchste Polizeibeamtin von Karmensbrück nach den Flocken zu schnappen. Ja, da schmolzen sie auf ihrer Zunge, die Gerüche der Kindheit, die Gefühle der Jugend und die Gedanken der jungen Kommissarin, die ihren Chef, den berühmten König, schon damals, Anfang der achtziger Jahre, als sie auf ihren zweiten Fall wartete, vertrauensvoll mit Karl anredete.