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Оглавление3. Kapitel
Der Stationsarzt
Es war nicht einfach gewesen, den Stationsarzt zu finden. Er hatte mit einer der Klinikpsychologinnen über einen gemeinsamen Patienten diskutiert, und für solche informellen Besprechungen gab es keine festgelegten Zeiten oder Orte. Die Ärzte trugen aber während ihrer Dienstzeit einen Pieper bei sich – Karl mit seinem Faible für Anglismen hätte bestimmt den Ausdruck Pager bevorzugt – und der Arzt hatte sich zügig telefonisch auf der Station gemeldet, nachdem Schwester Annegret ihn angepiepst hatte. Sie hatte ihm nur mitgeteilt, dass die Polizei ihn wegen Frau Salach sprechen wollte und ihm die Akte in die Hand gedrückt, als er auf dem Flur erschienen war. Mit einem »Das sind die Herrschaften« und einem Kopfnicken hatte sie sich verabschiedet und jetzt standen sie zu dritt vor dem Schwesternzimmer.
Doktor Deinberg schaute sie aus leicht zusammengekniffenen Augen durch eine starke Brille intensiv an, als sie sich vorstellten. Er war etwas kleiner als Martina, deutlich schmalbrüstiger, und ein kleines Bäuchlein brachte den sonst gutsitzenden weißen Kittel leicht zum Spannen.
»Ja, dann kommen Sie mal herein«, lud er sie mit näselnder Stimme ein, während er auf merkwürdig auswärts gedrehten Füßen die paar Schritte zu seinem Dienstzimmer zurücklegte.
»Kommen Sie mit dem Schlüssel auch in die Badeabteilung?« fragte König, als der Arzt seine Tür aufschloss.
»Ja, ein kleiner General.« Er hob die Hand kurz an die Stirn, als ginge es um einen militärischen Dienstgrad, dem er salutieren müsste. »Den großen haben nur die großen Tiere. Wir dürfen nicht in die Verwaltung, aber die kaufmännische Leitung könnte jederzeit hier hereinspazieren und schauen, was ich in meiner Schublade habe. Tut natürlich niemand.«
»Natürlich nicht.«
»Trotzdem nicht ganz korrekt. Wir sind hier auf einer vorwiegend psychosomatischen Station. Was ich mir in einem Gespräch notiere, geht niemanden etwas an, außer die Patienten und mich. Übrigens auch keinen Kollegen. Das ist schon mehr als ärztliche Schweigepflicht. Beichtgeheimnis würde es eher treffen.« Er bot ihnen mit einer Geste die beiden Stühle vor seinem Schreibtisch an, setzte sich selbst dahinter und legte die Akte geschlossen vor sich hin. »Also, was kann ich Ihnen über Frau Salach sagen, was ich Ihnen sagen darf?« Er kratzte sich an der linken Hand und schob dabei den Kittelärmel etwas nach oben. Die Schrammen am Unterarm ließen darauf schließen, dass er das öfter tat. Handelte es sich um eine Hautkrankheit oder ein psychisches Problem?
Der Kommissar übernahm wie selbstverständlich das Gespräch: »Vielleicht können Sie uns etwas mehr mitteilen, als Ihnen das sonst erlaubt wäre. Frau Salach ist tot. Sie wurde heute Nacht ermordet und wir nehmen an, dass es in ihrem Interesse läge, wenn wir möglichst viele Informationen bekämen, um den Täter zu ermitteln.«
Deinbergs schmaler Unterkiefer sackte ein paar Millimeter nach unten. Die Lippen blieben geschlossen, aber dafür weiteten sich seine Augen zu fast normaler Größe. Er senkte sie für ein paar Sekunden auf die vor ihm liegende Akte. Nachdem er lange genug durch den Schreibtisch in tiefe Fernen gestiert hatte, schaute er sie wieder mit kneistendem Blick an. Er schien gar nicht zu bemerken, dass er schon wieder mit den Nägeln an seiner wunden Haut herumschabte. »Ja, ich denke, das ändert einiges.« Er schlug die Akte auf. »Also, sie war hier wegen einer Suchtproblematik. Kein Alkohol, Drogen oder so. Schlafmittel und Abführmittel. Sie kam mit ihrem Leben nicht wirklich zurecht. Aber dass man es ihr jetzt geraubt hat…« Er machte eine kopfschüttelnde Pause. »Sie hatte eine labile narzisstische Persönlichkeit. Sie brauchte ständig Bestätigung, verstehen Sie?«
»War sie eine Nymphomanin?«
»Den Begriff verwenden wir grundsätzlich nicht. Er klingt abwertend. Aber er würde bei ihr auch nicht zutreffen. Es ging ihr nicht um das Körperliche. Sie wollte einfach nur bewundert werden, weil sie es nicht schaffte, sich selbst zu lieben, wie sie war. Dabei war sie ein wundervoller Mensch.«
»Aber sie hatte Verhältnisse zu mehreren Männern während ihres Aufenthalts hier. Stimmt das?«
»Ja, das stimmt. Ich glaube aber nicht, dass einer von ihnen etwas mit ihrem Tod zu tun hat. Also jedenfalls nicht als ihr Mörder. Soweit ich weiß, hatte sie hier drei Liebschaften. Diese drei Männer sind mir gut bekannt, und Sie können sich auf meine Menschenkenntnis verlassen: Sie sind definitiv keine Mörder.« Drei Männer. Die Buschtrommeln schienen gut zu funktionieren in dieser Rehaklinik.
»Das ist zwar schon fast so gut, wie ein Alibi, aber ich muss Sie trotzdem um die Namen bitten. Schließlich könnten sie auch indirekt etwas mit der Sache zu tun haben. Der Mörder könnte eine eifersüchtige Ehefrau, oder Ex-Geliebte sein, jemand, der seinen besten Freund vor einer Enttäuschung bewahren möchte, jemand, der es nicht ertragen konnte, dass Frau Salach gerade diesen Mann ihm vorgezogen hat. Es gibt viele Möglichkeiten, zum Motiv für den Mord an einem geliebten Menschen zu werden.«
Der Arzt atmete tief ein und aus. »Also gut. Der erste war ein Herr Torwege, auch Patient auf unserer Station. Er ist aber schon vorletzte Woche entlassen worden. Die Adresse können Sie sich vorne im Stationszimmer besorgen. Nein. Die Akte ist wahrscheinlich im Schreibbüro oder schon im Archiv. Den Abschlussbericht habe ich jedenfalls schon diktiert. Wie auch immer: Das war der Erste. Dann wird es etwas schwieriger. Ich weiß nicht, ob es richtig ist, Ihnen davon zu erzählen.«
»Weil es sich um Kollegen handelt?«
»Sie haben sich schon informiert, ja?«
»Es sind nur Gerüchte, die uns zu Ohren gekommen sind.«
»Gerüchte sind schlimm genug. Wissen Sie, was es bedeutet, sich mit einer Patientin einzulassen? Das kann bis zum Verlust der Zulassung führen, wenn es herauskommt.«
»Das verstehe ich, aber hier geht es um Mord! Wir versprechen Ihnen auch, so diskret wie möglich mit Ihren Informationen umzugehen.«
»Ich bin kein Denunziant. Frau Salach konnte sehr verführerisch sein, da ist es schon verständlich, dass man ihr nicht widerstehen kann. So eine menschliche Schwäche darf doch nicht eine vielversprechende Karriere zerstören. Wir reden von Menschen, die noch viel Gutes tun werden, wenn man sie jetzt nicht aus der Bahn schmeißt.«
»Reden Sie auch von sich selbst? Hatten Sie ein Verhältnis mit Ihrer Patientin?«
Jetzt klappte der Unterkiefer doch nach unten und ein ungläubiger Ausdruck legte sich auf das Gesicht des Arztes. »Schauen Sie mich einmal an, Herr Kommissar! Glauben Sie im Ernst, eine Frau wie Frau Salach würde etwas mit mir anfangen? Natürlich hat sie mit mir geflirtet, sie wollte ja meine Bestätigung, aber ein Verhältnis? Machen Sie sich nicht lächerlich!«
»Gut, Sie waren es also nicht. Wer sonst hat seine Karriere aufs Spiel gesetzt? Noch einmal: Wir sind hier, um einen Mord aufzuklären. Ob sich ihre Kollegen nicht korrekt verhalten haben, interessiert uns nur im Rahmen unserer Ermittlung. Ich will es Ihnen etwas einfacher machen: Kennen Sie Herrn Hufner?«
»Ja, natürlich. Sie wissen es also schon. Ich denke er hatte einfach keine Chance, sich ihr zu entziehen. Als Krankengymnast kommt er natürlich notwendigerweise in engen Körperkontakt mit seinen Patienten. Wenn es dann eine hübsche und verführerische Frau auf ihn abgesehen hat… Er ist gerade erst zwanzig, da kann man seine Sexualität noch schlecht kontrollieren. Für Frau Salach war es natürlich ein gutes Gefühl, von so einem jungen Mann begehrt zu werden.«
»Hat der junge Mann eine feste Freundin?«
»Ich weiß nicht. Ich kenne ihn nicht privat, sondern nur von den Teamsitzungen. Da macht er einen intelligenten und offenen Eindruck. Ganz sicher kein Verbrecher, wenn Sie mich fragen. Er hat gute Augen.«
»Gut. Und der dritte Mann?«
»Das wissen Sie vermutlich auch schon. Ich hätte nicht gedacht, dass alles, was mir Frau Salach im Geheimen erzählt hat, überall in der Klinik als Gerücht herumgeht. Also gut. Der dritte Mann ist Doktor Göllner, unser psychosomatischer Oberarzt. Er ist übrigens verheiratet. Das heißt, es wäre doppelt schlimm, wenn sein Verhältnis zu einer Patientin ans Tageslicht käme.«
»Nun am Tageslicht ist es schon, das Verhältnis. Die Frage ist nur, ob die falschen Personen den Nebel des Gerüchts durchschauen, bevor er sich verzogen hat.«
»Oder die richtigen«, ergänzte Martina, die den möglichen Missbrauch einer therapeutischen Beziehung nicht so auf die leichte Schulter genommen sehen wollte. »Das kommt auf die Perspektive an.«
Karl ging nicht auf ihren Einwand ein. »Und gab es irgendjemanden, den sie abgewiesen hat, oder den sie sich sonst irgendwie zum Feind gemacht haben könnte?«
»Davon hat sie zumindest nichts erzählt. Ich hatte auch nicht den Eindruck, dass sie Feinde hätte. Ich denke eher, sie war ein allgemein beliebter Mensch.«
»Gut. Ach, Herr Doktor, könnten Sie uns noch sagen, wo Sie die letzte Nacht verbracht haben? Sie wissen, wir müssen das fragen. Nur der Form halber.«
»Schon gut. Ich weiß, dass Sie das müssen. Ich war hier. Das heißt unten im Bereitschaftszimmer. Ich hatte Nachtdienst, da kann man meistens durchschlafen. Wir sind ja kein Akutkrankenhaus. Heute Nacht musste ich aber einmal raus. In der Orthopädie hatte ein Patient Angst, seine künstliche Hüfte sei luxiert. Also aus der Pfanne gesprungen. War sie aber nicht. Ich habe ihm ein Schmerzmittel gegeben und etwas zum Schlafen.«
»Wann war das ungefähr?«
»Das weiß ich nicht mehr so genau. Jedenfalls nach Mitternacht. Ist aber in der Akte dokumentiert. Station eins. Welche Zeit interessiert Sie denn?« Es war schon lästig, dass sie noch gar nichts über den Todeszeitpunkt wussten. Ob Kurt sich die Leiche schon angesehen hatte? Doktor Kurt van Berg war der Gerichtsmediziner, der ihr schon bei ihrer zweiten Begegnung das `Du´ angeboten hatte, und mit dem sie sich gut verstand, obwohl sein freudloses Erscheinungsbild sie das zunächst nicht hatte ahnen lassen. Vielleicht sollten sie noch mal in die Badeabteilung hinuntergehen.
»Wir kennen den Todeszeitpunkt noch nicht, wenn es das ist, was Sie meinen. Wenn Sie nachts gerufen werden – geschieht das über das Telefon im Bereitschaftszimmer?«
»Genau. Und wenn ich dort nicht erreicht werde, werde ich angepiept.« Er tippte auf den Pieper in der Brusttasche seines Kittels.
»Und wo könnten Sie sein, wenn Sie nachts angepiept werden?«
»Na bis um neun in der Kantine zum Essen, beim Rundgang über die Stationen, vielleicht auch bei einem Patienten, oder oben in meinem Dienstzimmer beim Papierkrieg. Manchmal schafft man es nicht, im Tagesbetrieb mit den Berichten fertig zu werden. Der Pieper reicht auch bis in den Park, aber ich bin Nichtraucher, und für einen Abendspaziergang ist es mir zu ungemütlich bei dem Wetter.«
»Und in der Badeabteilung? Wären Sie da auch erreichbar?«
»Ja, im gesamten Klinikgebäude. Wir haben keine Funklöcher.«
»Gut. Vielen Dank! Können Sie uns noch sagen, wo wir Ihren Oberarzt erreichen?«