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Vorwort

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Nichts lag Martin Luther, dem Mönch und grübelnden Theologen, ferner, als „Politik zu machen“. Und doch wurde er „ein Umstürzler, wie ihn die Welt kaum je gesehen hatte“ (Richard Friedenthal). Sein Erfolg war so gewaltig und vor allem so dauerhaft, dass er den Begriff des „Ketzers“, in dem Verdammung und Ausgrenzung mitschwingen, schon fast ad absurdum führte. Ketzer, das waren im Mittelalter heterodoxe Randgruppen, deren sich die Kirche, teilweise mit rabiaten Mitteln, immer wieder entledigt hatte (mit Ausnahme der Hussiten). Doch die Lutheraner, Reformierten, Anglikaner etc. konnten von Rom weder vernichtet noch zurückgeholt werden, ihre Heterodoxie gewann vielmehr das Gewicht einer neuen Orthodoxie eigenen Rechts. Ignaz von Döllinger hat als skrupulöser katholischer Theologe behauptet, Luther habe einen neuen Glauben schaffen können, aber keine neue Kirche. Genau das hat Luther aber geschafft! War er auch selbst zu leidenschaftlich und zu spontan, um feste organisatorische Strukturen so zu gründen, dass sie im Sturm der Zeiten Bestand haben konnten, hat er doch die entscheidenden Stichworte vorgegeben, die zur Legitimierung solcher Strukturen von den weltlichen Machthabern eingesetzt wurden.

Es lässt sich kaum ein weltgeschichtliches Ereignis nennen, das an Bedeutsamkeit der von Deutschland ausgegangenen Reformation gleichkäme. Deren bis heute reichende Fortwirkung hat auch den Schub an Säkularisierung überdauert, dem unsere westliche Welt ab dem 17. Jahrhundert verstärkt unterliegt. Denn Gedanken, die ursprünglich aus der geistlichen Sphäre herrühren, haben in gut nachvollziehbarer Transformation während der Neuzeit unser Staats- und Gesellschaftsverständnis zutiefst beeinflusst, wobei die Ideen der Reformation einen prominenten Platz einnehmen. Das gilt gerade auch für den Geist der Verfassung (Grundgesetz) der Bundesrepublik Deutschland.

Aber, bei allem Jubiläums-Jubel über Luthers so genannten Thesenanschlag an der Schlosskirche zu Wittenberg: Die katholische Seite mag sich lange schwer getan haben, dem zu Wittenberg initiierten Freiheits-Pathos ihrerseits zu folgen. Doch in unserer Zeit öffnet sie sich diesem ebenfalls, und das mit einer theologischen Grundierung, wie sie spätestens seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil vorliegt. So sind die Kirchen immer weniger eine abgeschlossene Gesellschaft, die der Moderne halbwegs ratlos gegenüber steht, sondern gleichberechtigte Akteure in unserem aktuellen Pluralismus und, wenn sie ihre Rolle wohl verstehen, unverzichtbare Stimmen darin.

Im deutschsprachigen Bereich blicken die beiden großen Kirchen mittlerweile auf ein halbes Jahrtausend der Symbiose zurück, die als ebenso spannungsgeladen wie fruchtbar bezeichnet werden darf, von den anfänglichen Glaubenskriegen über die mühsame Schule der gegenseitigen Toleranz bis hin zu den heutigen ökumenischen Feiern und Gottesdiensten. Deshalb soll diese Darstellung in handlicher und geraffter Form darüber informieren, „was Luther angerichtet hat“ und wie die christliche Welt in Deutschland dadurch nachhaltig geprägt worden ist. Das Jubiläumsjahr 2017 wird am besten dann begriffen, wenn man sich die zugrunde liegende Geschichte, über die da gefeiert wird, noch einmal zusammenfassend vergegenwärtigt.

Dass dabei in abgewogener Weise berichtet werden muss, weder Wittenberg- noch Rom-lastig und ohne Polemik, versteht sich von selbst. Zu der Thematik gibt es eine Menge dickleibiger Schmöker, und vollends die wissenschaftliche Fachliteratur ist schon lange nicht mehr überschaubar. So hat der Autor versucht, die wesentlichen Punkte der Entwicklung in übergreifender Schau zusammenzufassen, um ein generelles Profil aufzuzeigen, von dem aus dem an speziellen Gegenständen interessierten Leser der Weg zur Vertiefung offensteht.

Geistesgeschichtliche Zusammenhänge, die auch uns noch etwas angehen, müssen erwähnt werden, denn Geschichte ist niemals nur Vergangenheit. Aber wohlfeile Aktualisierungen brauchen wir nicht. Große Jahrestage verfallen beim Gedenken an sie leicht der Tendenz des als borniert gezeichneten Famulus Wagner aus Goethes „Faust I“:

„Zu schauen, wie vor uns ein weiser Mann gedacht,

Und wie wir’s dann zuletzt so herrlich weit gebracht“.

Da ist der Glaube an den linear aufsteigenden Fortschritt artikuliert. Doch wenn die Reformation auch den ersten Anstoß zu einem politisch-gesellschaftlichen Zustand gegeben hat, den wir als den Fortschritt in der abendländischen Neuzeit begreifen dürfen, müssen wir dennoch vorsichtig darin sein, den Optimismus des Famulus Wagner ungebrochen zu teilen.

München, am Reformationstag 2016

Was Luther angerichtet hat

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