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f) Gleichklang von Sozialversicherungsrecht und Strafrecht

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Als Ausgangspunkt ist festzuhalten, dass jedenfalls gegenwärtig kein Spannungsverhältnis zwischen den gesetzlichen Vorgaben des Sozialrechts (SGB V), dem medizinischen (Mindest-)Standard sowie dem an diesen Mindeststandard anknüpfenden (strafrechtlichen) Haftungsrecht besteht, da sich der Versorgungsauftrag der gesetzlichen Krankenversicherung ungeachtet der erforderlichen Kostendämpfungsmaßnahmen dem medizinisch Notwendigen und Ausreichenden nach wie vor verpflichtet sieht,[309] vgl. § 12 SGB V: Nach dem dort statuierten Wirtschaftlichkeitsgebot müssen ärztliche Leistungen ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein; sie dürfen das Maß des Notwendigen nicht überschreiten. Für die Krankenbehandlung bestimmt § 27 SGB V, dass Versicherte einen Anspruch auf Krankenbehandlung haben, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern.

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Durch die sozialversicherungsrechtlichen Vorgaben für eine wirtschaftliche Krankenbehandlung werden strafrechtsrelevante ärztliche Sorgfaltspflichten nicht verschoben.[310] Da der Kassenarzt gemäß § 76 Abs. 4 SGB V bei seiner Krankenbehandlung zur Einhaltung der Sorgfalt nach den Vorschriften des bürgerlichen Vertragsrechts verpflichtet ist, zusätzlich auch gemäß § 2 Abs. 1 S. 3 SGB V die Qualität kassenärztlicher Leistungen dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Kenntnisse zu entsprechen und den medizinischen Fortschritt zu berücksichtigen hat, und nicht zuletzt gemäß § 70 Abs. 1 S. 1 SGB V die Leistungserbringer (Ärzte) eine dem allgemeinen Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechende Versorgung der Versicherten zu gewährleisten haben, besteht gar kein – ggf. zu Lasten des Arztes zu lösendes – Spannungsverhältnis zwischen dem Sozial- und dem Haftungsrecht:[311] Der aus dem medizinischen Standard abgeleitete Sorgfaltsmaßstab der Fahrlässigkeit bildet die Grenze des Wirtschaftlichkeitsgebotes, nicht umgekehrt.[312] Da der an die medizinische Wissenschaft und Praxis anknüpfende, aber eben juristisch zu fixierende Sorgfaltsmaßstab dem Rechtsgüterschutz des Patienten verpflichtet ist, verbietet sich ein Unterschreiten des jeweils anzuwendenden („Behandlungskorridor“) medizinischen Behandlungsstandards aus Kostengründen.[313] Ob der Rechtsanwender zukünftig dem ärztlichen Standard die Gefolgschaft zu versagen hätte, sofern Behandlungseinschränkungen aus Kostengründen in die ärztliche Selbstdefinition dieses Standards Eingang fänden (etwa in Form sog. kostensensibler Leitlinien[314]), erscheint nur für den Fall vorgezeichnet,[315] dass bestimmte Behandlungen ausschließlich aus wirtschaftlichen Gründen – ggf. noch unter Heranziehung verfassungsrechtlich höchst zweifelhafter Kriterien wie etwa dem des Lebensalters[316] – abgelehnt werden sollten. Da aber die Ärzte „der Gesundheit des einzelnen Menschen und der Bevölkerung (dienen)“ – so der in die, die Ausübung des Arztberufs regelnden, Berufsordnungen der Länder übernommene § 1 Abs. 1 der ärztlichen Muster-Berufsordnung 2006[317] – wird weiter zu ergründen sein, ob – ähnlich der nur eingeschränkt überprüfbaren ärztlichen Indikation – entsprechende, von der medizinischen Profession entwickelte Vorgaben einer Berücksichtigung wirtschaftlicher Belange jedenfalls dann vom Recht zu akzeptieren sind, wenn sie die Behandlungsentscheidung letztlich einer primär am Wohle des Patienten ausgerichteten ärztlichen Gesamtabwägung überlassen.[318]

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