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7 ES GEHT MIR JEDEN TAG IMMER BESSER

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Am Sonntag fuhr Stefan zur Heibachstraße. Die Gegend war viel vornehmer, und vor allem das Jugendstil-Haus - fast eine kleine Villa - gefiel ihm viel besser als das "Haus der Kirche". Wie er später erfuhr, traf man sich abwechselnd in den Privatwohnungen der Gruppenmitglieder. Mit einem guten Gefühl klingelte Stefan - und doch wartete schon die erste Enttäuschung auf ihn. Ein kleines Männchen mit viel zu großer Nickelbrille und Fliege öffnete die Tür. "Schmidt-Schmitz", stellte es sich vor. Ja, das war diese kräftige Stimme, aber das Übrige stimmte so gar nicht mit Stefans Erwartungen überein. Doch sagte er sich: Wenn dieser kleine Kerl mit Positivem Denken ein solches Selbstbewusstsein erreicht hat, dann beweist das doch viel klarer die Wirkung der Methode, als wenn er ein breitschultriger Modellathlet wäre. Also ausgezeichnet!

Nach und nach trudelten insgesamt zwölf Gruppenmitglieder bzw. -mitgliederinnen ein. Hier waren die Frauen in der Überzahl, 7 : 5. Dennoch führte ein Mann das - positive - Wort, und zwar kein anderer als Schmidt-Schmitz ("bitte mit dt und tz"). "Beginnen wir wie immer mit unserem Grund-Motto." Alle fassten sich bei den Händen und sagten: "Es geht mir mit jedem Tag in jeder Beziehung immer besser und besser." Alle außer Stefan. Denn der war verunsichert. "In jeder Beziehung?" Wieviele Beziehungen hatten diese Leute denn? War er etwa doch in einer Gruppensex-Runde gelandet? Ihm würde es durchaus genügen, eine Beziehung, am liebsten zu Nicole, zu haben, in der es ihm immer besser ginge. Aber diesmal würde er sofort nachfragen, um Missverständnisse gleich auszuräumen:

"Was heißt denn das, in jeder Beziehung? Sind Sie alle polygam?"

"Aha", trumpfte einer der Männer auf. "Ich habe es ja immer gesagt: Das Wort 'Beziehung' ist ungünstig, nämlich missverständlich. Man sollte besser von 'Hinsicht' sprechen, 'in jeder Hinsicht'." Er nickte Stefan dankbar zu.

"Nein", ereiferte sich eine Frau. 'Hinsicht' ist von dem Wort 'Sicht' bzw. von 'sehen' abgeleitet und damit als Begriff viel zu eng. Wir formulieren am besten: Es geht mir in jeder Weise besser und besser." Sie sah Stefan Unterstützung suchend an.

"Unmöglich", zeterte Schmidt-Schmitz, dessen Stimme auf einmal gar nicht mehr sonor klang, sondern sich an das piepsige Äußere ihres Besitzers angepasst hatte. "Der Meister, der - wie wir alle wissen - französisch sprach, verwendete die Wortfolge 'à tous points de vue'. Und das übersetzt man am genauesten mittels 'Gesichtspunkt', die ganze Wortfolge bedeutet 'unter jedem Gesichtspunkt'. Aber das fanden die Herrschaften ja zu lang und umständlich."

Stefan stöhnte. Hier hatte er offensichtlich ungewollt einen neuralgischen (Gesichts-)Punkt angesprochen, der die positiven Gemüter schon seit langem entzweite. Um das spitzfindige Streitgespräch zu stoppen, fragte er schnell nach:

"Von welchem Meister reden Sie denn?"

Schmidt-Schmitz übernahm das Antworten.

- Wie berufen uns auf Emile Coué, den Begründer der Lehre von den Suggestionen.

- Suggestion? Es geht doch um Positives Denken!

- "Suggestion" meint im Grunde das gleiche. Das Wort bezeichnet die Beeinflussung unserer Seele, entweder durch einen anderen oder uns selbst; die Selbstbeeinflussung nennt man "Autosuggestion". "Positives Denken" ist nur ein neumodischer Begriff. Sie haben wohl schon Erfahrungen damit gemacht. Erfolgreiche?

- Ähh, recht erfolgreiche ... nein, ehrlich gesagt wenig erfolgreiche. Und deswegen bin ich auch hier.

- Nehmen Sie sich das nicht zu Herzen. Es ist nicht Ihre Schuld, Sie sind nur auf den falschen Weg geraten. Wahrscheinlich haben Sie Bücher von Leuten wie Pill und Montag gelesen.

- Ja, genau.

- Nun, dabei geht es um die amerikanische Richtung der Positiv-Bewegung bzw. ihre deutschen Nachäffer. Ich sage dazu nur: oberflächlich, unseriös, unausgegoren, schmalbrüstig - eben typisch amerikanisch. Wir wurzeln dagegen in der ehrwürdigen, altbewährten europäischen Tradition, die wie gesagt auf Couézurückgeht. Ausgezeichnet.

Stefan fühlte sich durch die Selbstbeweihräucherungen von Schmidt-Schmitz irritiert. Daher sagte er mit einer gewissen Schärfe: "Ich dachte, Coué sei Mitglied der Schreckensherrschaft nach der französischen Revolution gewesen und habe Menschen einen Kopf kürzer machen lassen, aber nicht ihren Kopf mit positiven Gedanken gefüllt."

Schmidt-Schmitz war ehrlich entsetzt. Die Nickelbrille rutschte ihm von der Nase, der Mund öffnete sich vor Schreck und wollte sich gar nicht mehr schließen. "Mein lieber Freund", brachte er schließlich hervor, mit streng erhobenem Zeigefinger. "Sie verwechseln Coué mit Fouché. Coué übte den ehrenvollen Beruf des Apothekers aus."

Stefan wollte "Schmidtchen-Schleicher" (wie er ihn für sich umbenannt hatte) nicht weiter erzürnen und fragte ganz sachlich:

- Was ist denn der genaue Unterschied zwischen den Ami-Positivlern und Ihnen? (Der Begriff "Ami-Positivler" schien Schmidtchen-Schleicher zu gefallen, er murmelte leise sein "Ausgezeichnet".)

- Um nur zwei Hauptunterschiede zu nennen: Sie haben doch sicher bei den ... äh Ami-Positivlern gelesen, man müsse sich das gewünschte Ziel in aller Anschaulichkeit vorstellen.

- Stimmt.

- Das ist falsch. Solche inneren Vorstellungen sind überflüssig, sie können sogar schädlich sein. Es genügt, positive Worte auszusprechen, ohne dabei gezielt positiv zu denken. Die Gedanken folgen den Worten von alleine. Und intensive emotionale Vorstellungen können sogar die Wirkungskräfte von Worten und Gedanken stören. Man soll sogar am besten ganz monoton sprechen, gebetsmühlenartig. Um auch mal einen neumodischen Ausdruck zu verwenden: Es ist eine "sich selbst erfüllende Prophezeiung". Indem Sie eine Prophezeiung, also eine Aussage über die Zukunft aussprechen, erfüllt sie sich von selbst. Wenn Sie z.B. sagen "Ich werde dünn", werden Sie automatisch dünn (warum nimmt er gerade dieses Beispiel? fragte sich Stefan leicht gekränkt). Aber wichtig ist die Wiederholung. Es genügt nicht, Ihr Ziel einmal auszusprechen, Sie müssen es immer und immer wieder tun.

- Und ich habe mich so angestrengt, mir alles in den kleinsten Einzelheiten innerlich vorzustellen.

- "Angestrengt" sagen Sie. Damit sind wir schon bei dem zweiten Problem. Wahrscheinlich haben Sie auch öfters gelesen, Sie müssten Ihre Willenskraft voll einsetzen.

- Ja, ich habe sogar versucht, meinen Willen zu stählen, um so das Positive herbeizuzwingen. So ähnlich wie es in der Werbung heißt: "Zwingt weiß rein, zwingt grau raus."

- Auch falsch. Völlig falsch.

- Wieso denn das?

- Hier muss ich ein wenig ausholen. Keine Angst, nicht zu lang (er hatte wohl Stefans Gesichtsausdruck richtig gedeutet). Coué hat zwei Gesetze der Suggestion aufgestellt. Das erste heißt "Gesetz der Gedankenverwirklichung". Es lautet vereinfacht: "Jeder Gedanke, der uns erfüllt, drängt mit aller Macht auf seine Verwirklichung." Und zwar von ganz alleine. Unser Meister sagt: "Wie das Wasser den Weg zum Meere findet, so finden die Gedanken, die uns erfüllen, den Weg zu ihrer Verwirklichung." Das zweite Gesetz heißt "Gesetz der das Gegenteil bewirkenden Anstrengung". Wie schon der Name verrät, besagt es: Eine verkrampfte Willensanstrengung führt gerade zum Misserfolg. Wenn Sie zum Beispiel mit aller Willensanspannung versuchen, ein Erröten zu verhindern, werden Sie gerade rot. (Stefan faßte automatisch an sein Gesicht, aber es fühlte sich noch kühl an.) Vor allem, wenn Sie etwas wollen, aber an das Gegenteil denken und glauben, ist Ihr Wollen aussichtslos. Denn die Gedankenkraft übersteigt die Willenskraft bei weitem.

- Ist denn das auch ganz sicher?

Natürlich. Die Gesetze von Coué gelten ebenso sicher wie Naturgesetze.

- Ich glaube, jetzt verstehe ich, warum ich bisher so wenig Erfolg mit dem Positiven Denken hatte.

- Ausgezeichnet. Aber genug der Theorie für heute. Jetzt wollen wir zum praktischen Üben kommen. Zunächst sprechen wir zusammen 10mal die Grundformel. Dann spricht jeder 10mal die Suggestion, die für ihn heute am wichtigsten ist. Die anderen unterstützen ihn und verstärken seine Gedankenkräfte durch Ermutigungen.

Wieder fassten sich alle an der Hand und sprachen zusammen: "Es geht mir mit jedem Tag in jeder Beziehung immer besser und besser. - Es geht mir mit jedem Tag in jeder Beziehung immer besser und besser. - Es geht mir mit jedem Tag in jeder Beziehung immer besser und besser ... Diesmal sprach Stefan eifrig mit. Und er hatte wirklich das Gefühl, dass die Gemeinsamkeit der Gruppe die Wirksamkeit der positiven Gedanken steigerte. Die Harmonie wurde nur einige Male gestört, als jemand nicht "Beziehung" sagte, sondern "Hinsicht" oder "Weise".

Jetzt ging es los mit den Einzelsuggestionen. Als erster begann - natürlich - Schmidt-Schmitz: "Ich werde mit jedem Tag immer größer und größer. Ich werde mit jedem Tag immer größer und größer ... Die Gruppenteilnehmer nickten und lächelten ihm dabei aufmunternd zu. Nur Stefan guckte ungläubig. Und als der Kleine mit seinen Größen-Suggestionen fertig war, fragte er ihn ganz direkt: "Kann man denn wirklich auch das Körperwachstum durch Gedanken beeinflussen?" "Mit Autosuggestion ist alles möglich", lautete die Antwort. "Und wie lange üben Sie schon?" "Das steht hier nicht zur Debatte", ließ ihn Schmidt-Schmitz abfahren. Aber sein Nachbar flüsterte Stefan zu: "Der war früher noch winziger - ehrlich."

Als nächstes war eine Frau unbestimmbaren Alters dran, die so eine Art Prototyp für ein Mauerblümchen abgab. Ihre Formel lautete: "Ich werde mit jedem Tag immer begehrter und umschwärmter." Daran zu glauben, fiel Stefan noch schwerer, als dass der Schmidt-Schmitzsche ordentlich an Körpergröße zulegte. Aber er nickte ihr bestätigend zu, denn als nächster war er an der Reihe, und er brauchte auch Zustimmung. Er holte tief Luft. Am liebsten

hätte er etwas Harmloses gesagt wie z.B. "Ich werde mit jedem Tag immer zufriedener", aber tapfer sprach er: "Ich werde mit jedem Tag in jeder Beziehung immer dünner und dünner." Schmidt-Schmitz korrigierte ihn: "Lassen Sie das 'in jeder Beziehung' weg." Stimmt, Stefan wollte ja nicht, dass auch sein Haar oder seine Brieftasche dünner würden. Also setzte er noch einmal an: "Ich werde mit jedem Tag immer dünner und dünner." Und das 10mal!

Die anderen halfen ihm mit Kopfnicken und Blicken, sonst hätte er diese positive Feuertaufe kaum durchgehalten. Jedenfalls war er danach völlig fertig und erleichtert, als sich die Runde endlich für heute auflöste. "Üben Sie zu Hause fleißig!" rief ihm der stimmgewaltige "Mr. Ausgezeichnet" noch nach.

Am nächsten Tag stand Stefan eine halbe Stunde früher auf. Denn inzwischen war sein positives Morgenprogramm schon ganz schön umfangreich geworden. Dabei hatte er sich einen Cocktail zusammengemischt aus all dem, was er bisher gelernt hatte. Zwar widersprachen sich manche Aussagen über das richtige Positive Denken, insofern drohte sein Cocktail ein ungenießbares Gebräu zu werden. Aber Stefan vertraute darauf, dass wenn er von allem ein bisschen hinzutat, ein köstlicher und heilsamer Trank entstehen müsste.

1) Zunächst entwarf er vor seinem inneren Auge ein Idealbild von sich: Ich bin vollkommen glücklich, gesund und vital, rank und schlank, reich und erfolgreich, charmant, beliebt und begehrt, selbstbewusst, selbstsicher, selbstentfaltet und selbstverwirklicht.

2) Dann ging er zum "Kosmos-Melken" über: Ich lasse die kosmische Kraft in mich hinein und durch mich hindurch fließen, bis ich gänzlich von ihr ausgefüllt und erfüllt bin.

3) Nun vollzog er eine Lächel-Übung. Angesichts der schlimmen Erfahrungen, als er sich mit seinem ''Tiger-Lächeln'' lächerlich gemacht hatte, ging er hier äußerst behutsam zu Werke. Nur ein homöopathisch dosiertes Lächeln, da konnten sicher keine Nebenwirkungen auftreten.

4) Jetzt war "think thin", "denk (dich) dünn" angesagt. Aber auch hierbei verfuhr er nach dem Suppenkaspar-Fiasko äußerst vorsichtig. Er stellte sich nicht direkt vor, wie er mehr und mehr abnahm, sondern nur indirekt, wie seine Waage immer weniger anzeigte.

5) Zeit für seine neuesten Errungenschaften, Suggestionen nach Coué: "Es geht mir mit jedem Tag in jeder Beziehung immer besser und besser." Eigentlich sollte er das 20mal wiederholen und dabei die Knoten eines Bindfadens durch die Hand gleiten lassen. Aber er schummelte ein bisschen. Er machte nur 10 Wiederholungen, sagte es dafür aber einmal in Französisch, Coués Muttersprache; das galt bestimmt wie 10: "Tous les jours, à tous points de vue, je vais mieux en mieux."

Zu guter letzt die spezielle Suggestionsformel: "Ich werde mit jedem Tag immer dünner und dünner." Als er den Satz gerade das siebte Mal wiederholte, merkte er, dass er sagte: "Ich werde mit jedem Tag immer dümmer und dümmer." Stefan erschrak. Hoffentlich verwirklichte sich dieser Gedanke nicht. Man musste mit den Suggestionen äußerst vorsichtig umgehen, denn negative erfüllten sich genau so wie positive. Aber wie konnten seine Gedanken

bzw. seine Worte nur so entgleisen? War das Zufall?

- Nein, kein Zufall. Ich hab' das gemacht.

- Wer ich?

- Deine innere Stimme.

- Was immer du sagen wirst, ich halte es für falsch.

- Stefan, hör erst mal zu! Ich muss dich warnen. Du wirst wirklich immer dümmer und dümmer. Glaubst du denn die Mär, du könntest allein durch Positives Denken alle Probleme lösen?

- Ja, allerdings, das glaube ich.

- Und mit welchem Erfolg?

- Wie meinen?

- Ich meine, du hast doch bisher gar keinen Erfolg mit deinen Denkereien.

- Aber nur, weil ich noch nicht lange und intensiv genug positiv gedacht habe. Außerdem sind mir Fehler unterlaufen.

- Stefan, so geht es nicht. Du verdrängst die wahre Ursache deiner Schwierigkeiten. Du lügst dir selbst in die Tasche.

- Ich lüge nie, außer wenn ich lüge. Ich will sagen, außer wenn ich in seltenen Fällen eine Notlüge gebrauche. Aber mich selbst belüge ich nie. Das wäre ja wohl auch dumm, sich selbst zu belügen. Und jetzt entschuldige, ich habe zu tun.

Stefan setzte seine Übung fort, passte jetzt aber genau auf, die richtigen Worte zu nehmen: "Ich werde mit jedem Tag immer dünner und dünner ... " Und vorsichtshalber fügte er noch hinzu: "Ich werde mit jedem Tag immer klüger und klüger." Und dann fügte er noch an: "Ich werde mit jedem Tag für Nicole immer und immer unwiderstehlicher."

GENAU INS GLÜCK - Oder knapp daneben

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