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4. April, 11:05 Uhr

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Gerhard Malzacher hatte beschlossen, das gefundene Skelett nicht mit besonderer Eile zu behandeln. Die Spurensicherung würde ohnehin mit ihrer gewohnten Mischung aus Schnelligkeit und Genauigkeit arbeiten, ohne dass er ihr im Nacken sitzen musste. Die Herrschaften würden nur bockig werden. Was den Arbeitseifer des Gerichtsmediziners anging, der von Wien nach Krems beordert worden war, und den er nicht persönlich kannte, war er da nicht so sicher. Aber auch das war für Spencer kein Problem. Wenn der sich Zeit lassen wollte, bitte sehr.

Er telefonierte gerade mit dem Chef der Schiedsrichterbesetzungskommission der niederösterreichischen Fußballlandesliga. Bei dem wollte er seinen Wunsch deponieren, nicht gleich wieder als Spielebeobachter bei einem Match hoch im Norden an der tschechischen Grenze eingesetzt zu werden. Als er gerade seine Gründe erklären wollte, steckte einer seiner Mitarbeiter den Kopf zur Tür herein. Spencer, der sich bei dieser Art von Telefonaten besonders ungern unterbrechen ließ, bedeutete dem Mitarbeiter mit einer unmissverständlichen Geste, die Tür gefälligst wieder von außen zu schließen. Das lag nicht daran, dass er vor seinen Mitarbeitern den Inhalt dieser Gespräche geheim halten wollte. Im Gegenteil, die ganze Mordkommission wusste über das Wochenendhobby ihres stellvertretenden Chefs Bescheid. Sie wussten auch, dass er zur Vorbereitung seines Freizeitvergnügens die Dienstzeit und das Diensttelefon benützte. Aber der Chef der Schiedsrichterbesetzungskommission war ein vielbeschäftigter Mann, den man schwer ans Telefon bekam.

Der Mann, der zu einem blitzartigen Rückzug aufgefordert wurde, schien dieses Zeichen entweder nicht bemerkt zu haben oder zu ignorieren. Er blieb nicht nur stehen, sondern bedeutete seinem Chef mit einer Auf- und Abwärtsbewegung der geschlossenen linken Hand, den Hörer aufzulegen. Diese Geste war ebenfalls unmissverständlich.

Spencer entschuldigte sich bei seinem Gesprächspartner mit einem Notfall und versprach, später noch einmal anzurufen. Dann wandte er sich dem Störenfried zu. »Ich kann für dich nur hoffen, dass es wirklich wichtig ist. Sonst kannst du in deinem Heimatkaff wieder Streife schieben.«

Malzacher grinste. »Dann wäre ich dich endlich als Chef los. Aber leider ist es wirklich dringend. Ich habe den Gerichtsmediziner am Apparat. Und er muss in spätestens drei Minuten weg.«

»Warum sagst du mir das nicht gleich? Worauf wartest du noch? Dalli, Dalli. Aber wie der Blitz, wenn ich bitten darf.«

Keine zehn Sekunden später hatte er den Mediziner am Apparat. Mit einer Lautstärke, die vielleicht einem Telefonat von der niederösterreichischen Metropole in die Hauptstadt von Burkina Faso angemessen gewesen wäre, begrüßte er seinen Gesprächspartner in Wien.

»Jetzt sagen Sie bloß, Sie können mir schon etwas über das Skelett erzählen. Dann arbeiten Sie ja schneller, als die Polizei erlaubt.«

»In Wien gibt es bei der Arbeit keine Geschwindigkeitsbeschränkung. Ich habe nicht gewusst, dass das in St. Pölten anders ist.«

Dem Chefinspektor war der ironische Ton natürlich nicht entgangen. »Den Rüffel habe ich verdient. Gefällt mir. Dann schießen Sie bitte los!«

»Sehr viel, das Sie weiterbringen wird, kann ich Ihnen leider nicht bieten. Der Verwesungsprozess der Knochen ist schon stark fortgeschritten. Ich bin allerdings sicher, dass das Skelett von einer Frau über sechzig stammt. Wahrscheinlich deutlich über sechzig. Circa ein Meter sechzig groß und wahrscheinlich eher von der dünnen Sorte. Und sie hatte eine künstliche rechte Hüfte. Gut erkannt. Nur leider wurde sie teilweise zertrümmert. Das kann aber erst vor Kurzem geschehen sein.«

»An der Zertrümmerung ist der Finder des Skeletts schuld. Unfreiwillig. Stimmt es übrigens, dass künstliche Gelenke alle eine Kontrollnummer haben müssen?«

»Prinzipiell schon, die Hüfte hat aber nur mehr Spuren davon. Ich bezweifle, ob Ihnen die Reste weiterhelfen werden.«

»Habe ich mir schon gedacht.« Spencer, der sich Notizen machte, konnte seine Ungeduld nur schwer zügeln. »Haben Sie schon eine Einschätzung, wie lange die Frau unter der Erde gelegen sein könnte?«

»Nachdem es keine Spur von Haaren mehr gibt und von den Zähnen auch nicht mehr viel übrig ist, würde ich sagen mindestens fünfzehn und maximal fünfundzwanzig Jahre. Bei einem reinen Lehmboden könnten es sogar ein bisschen mehr sein.«

»Anzeichen von Gewaltanwendung?«

»Sicher keine Schussverletzung und auch kein Schlag durch einen schweren Gegenstand. Der linke Ringfinger fehlt. Die Knochenfragmente sind an der Stelle sehr ausgefranst. Könnte sein, dass der Finger unsachgemäß entfernt worden ist. Aber viel Geld würde ich darauf nicht setzen. Tut mir leid.«

»Wie heißt es so schön in der Bibel, oder wo immer das steht: Ich bin so klug als wie zuvor. Ich habe nichts anderes erwartet. Die Frau könnte aber erwürgt oder vergiftet worden sein?«

»Die Frage, ob die Frau stranguliert worden ist, wird Ihnen kein Gerichtsmediziner der Welt beantworten können. Beim Gift sieht es anders aus. Ihnen brauche ich ja nicht zu erklären, dass sich einige Gifte in den Knochen eine Ewigkeit lang nachweisen lassen. Ganz nebenbei bemerkt: Das Zitat steht nicht in der Bibel, sondern im ›Faust‹.«

»Danke für den Hinweis. Aber dafür wissen Sie sicher nicht, wie letzten Sonntag der SV Würmla gegen den SC Retz gespielt hat. Man kann eben nicht auf allen Gebieten beschlagen sein.«

»Vielleicht auf mehr, als sie glauben, Herr Chefinspektor.« Malzacher merkte, dass dem Pathologen das Gespräch Spaß machte.

»Also, ob die Frau an Gift gestorben ist, kann ich auf die Schnelle nicht feststellen. Da müsste ich das Skelett nach Wien in die Gerichtsmedizin bringen lassen.«

»Könnte nicht schaden. Nachdem für eine solche Fahrt nach Wien der Amtsschimmel gesattelt werden muss, werde ich das von hier aus übernehmen. Ich werde mit dem Staatsanwalt reden. Eine letzte Frage habe ich noch. Halten Sie es für möglich, dass die Frau über das Hüftgelenk identifizierbar ist?«

»Wenn die Kontrollnummer nichts hergibt, eher chancenlos. Ich kann keinen Kunstfehler erkennen, an den sich ein Operateur erinnern würde. Abgesehen davon, dass er das sowieso nie täte, auch wenn er es könnte. Es sind auch vor fünfundzwanzig Jahren schon viele Hüftgelenke operiert worden. Selbst wenn sie alle Krankenakten über einen Zeitraum von zehn Jahren studieren, werden Sie da nichts finden, was Ihnen weiterhelfen wird. Abgesehen davon, dass die Frau ja nicht nur in Krems, St. Pölten oder Amstetten operiert worden sein könnte. Wien oder Linz wäre genauso denkbar.«

»Herr Doktor, Sie sind mir sehr sympathisch, aber das hilft mir nicht wirklich weiter. Haben Sie nicht wenigstens zumindest eine Kleinigkeit auf Lager, die Balsam für meine Seele sein könnte?«

»Ich glaube, die habe ich.«

Malzacher spürte, dass er den Hörer fast zerdrückte, so angespannt war er plötzlich. Gleichzeitig hörte er sich in einem überraschend sanften Tonfall sagen: »Ich habe doch noch das Gefühl, Sie in mein Abendgebet einschließen zu müssen.«

»Sie haben mich nach dem Resultat SV Würmla gegen SC Retz gefragt. Vier zu zwei. Und wenn Sie sich fragen, woher ich das weiß: Ich war bei der Partie zufällig Schiedsrichter.«

Dürnsteiner Würfelspiel

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