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3. April, 15:00 Uhr

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Die Pensionierung ihres Chefs war für Doris Lenhart überraschend gekommen. In den vielen Gesprächen, die sie mit ihm in den letzten eineinhalb Jahren gehabt hatte, war davon nie die Rede gewesen. Zugegeben, er war jetzt fast vierundsechzig, aber sie hätte nie gedacht, dass er mehr als ein ganzes Jahr vor dem Erreichen seines regulären Pensionsantrittsalters aufhören würde. Dazu hatte ihm seine Arbeit noch immer zu viel Spaß gemacht. Sie hatte es allerdings als Auszeichnung befunden, dass sie die Erste gewesen war, die er ins Vertrauen gezogen hatte. Das war bereits Ende Februar der Fall gewesen.

Natürlich war die Pensionierung des langjährigen Landespolizeidirektors seit der offiziellen Bekanntmachung vor zwei Wochen Gesprächsthema Nummer eins im Landeskriminalamt. Einigkeit herrschte darüber, dass der Abschied nicht ganz freiwillig erfolgt sein konnte.

Uneinig waren sich alle in der Frage, ob der Innenminister oder der Landeshauptmann dahinter steckte. Die einen tippten auf den Innenminister, weil sein Nachfolger, der vor vierzehn Tagen ernannt worden war, aus dem Büro des Ministers kam. Die anderen hielten den Landeshauptmann für den Drahtzieher hinter der Neubesetzung. Johann Kainz hatte nämlich in kleinstem Kreis nie einen Hehl daraus gemacht, dass er mit dem Ehrgeiz seines obersten Polizeibeamten, die Parteipolitik aus der Beamtenschaft herauszuhalten, alles andere als glücklich war. Offiziell hatte er ihn natürlich dabei unterstützt.

Jedenfalls hatten es sich weder der Innenminister noch der Landeshauptmann nehmen lassen, bei der Präsentation des neuen Landespolizeidirektors dabei zu sein. Beide hatten sich bei ihren Begrüßungsansprachen mit Lob für den neuen Chef überboten. Zumindest am Anfang ihrer Rede. Wie Doris, als Leiterin der Mordkommission natürlich aufmerksame Zuhörerin, bemerkte, sprachen die beiden Herren in erster Linie über sich selbst. Ihr Mann hatte ihr noch beim Frühstück gesagt, dass er viel darum geben würde, zwei Alphatiere dieses Kalibers auf engstem Raum beobachten zu können. Er würde sich bestimmt königlich amüsieren.

Der Neue, Dr. Wolfgang Marbolt, hatte gleich bei seiner Einführung angekündigt, dem Besuch aller seiner Dienststellen oberste Priorität einzuräumen. Heute war das Landeskriminalamt an der Reihe. Doris Lenhart begleitete ihn selbstverständlich bei seinem Gang durch ihre Abteilung.

Bei der Vorstellung ihrer Mitarbeiter erwies er sich als gut informiert, interessiert und sogar ab und zu leutselig. Er hatte fast für jede oder jeden von ihnen ein freundliches Wort, und seine Fragen trafen immer einen guten Punkt, wie es der Chefinspektorin schien. Ihr war er dennoch unsympathisch. Er trug zu viel Gel im schwarzen Haar, und der in einem fahlen Grau gehaltene Anzug war viel zu eng geschnitten. Am meisten störte sie allerdings sein permanentes lautes Lachen, das so gar nicht zu seinen kleinen, tief liegenden Augen, die wenig Vertrauen erweckten, passte. Musste er sich von jemandem, der ihm wichtig vorkam, abgeschaut haben. Zu guter Letzt war in ihrem Arbeitszimmer ein abschließendes Gespräch vorgesehen. Es fand unter vier Augen statt. Ihren Vorschlag, auch ihren Stellvertreter hinzuzuziehen, hatte er höflich, aber bestimmt abgelehnt.

Nachdem ihre Sekretärin für sie beide Kaffee gebracht hatte, den er ohne Zucker trank, eröffnete er das Gespräch und fixierte dabei seine Kaffeetasse.

»Man sieht gleich, dass du da eine recht gute Truppe beisammen hast.«

Doris zuckte bei der Beschreibung »recht gute Truppe« innerlich zusammen. Sie blickte ihr Gegenüber mit einem irritierten Gesichtsausdruck an. Ihre Blicke trafen sich.

»Eines will ich gleich klarstellen. Mein Team leistet nicht recht gute, sondern hervorragende Arbeit. Da stelle ich dir gern die Zeitungen der letzten Monate zur Verfügung.«

»Ich bitte dich, sei nicht gleich so empfindlich. Also, ich bin bereit, mit mir verhandeln zu lassen und nehme das ›recht‹ zurück, aber wie du weißt, ist der Bessere immer der Feind des Guten. Soweit ich informiert bin – und ich bin sehr gut informiert, weil ich von Wien aus eure Arbeit immer sehr genau verfolgt habe –, sind es auch nicht so sehr eure, sondern deine Erfolge gewesen. Deinem Stellvertreter sieht man doch zehn Meter gegen den Wind an, dass er schon bessere Zeiten gesehen hat.«

Darum wollte Marbolt Gerhard Malzacher also nicht bei ihrem Gespräch dabeihaben. Doris zog mit beiden Händen den Rock über die Beine und lehnte ihren Oberkörper abrupt nach vorne.

»Seine Zeiten sind meiner Meinung nach noch nie so gut gewesen. Ich wüsste nicht, was ich ohne ihn täte. Ja, es stimmt schon, er kommt ein bisschen abgeschmuddelt daher, aber sein Äußeres täuscht. Ich bin überzeugt, dass er auch dich bald von seinen Qualitäten überzeugen wird. Jeder im Haus wird dir bestätigen, dass er einen sagenhaften Riecher hat.«

Marbolt führte seine Tasse ganz langsam zum Mund. Nachdem er sie ebenso langsam wieder abgestellt hatte, blickte er die Chefinspektorin an.

»Das soll mir recht sein. Da ich aber aus seiner Personalakte weiß, dass er schon knapp neunundfünfzig ist, halte ich es im Sinn einer mittelfristigen Personalplanung für richtig, dass ich mich schon jetzt um einen Nachfolger umsehe. Ich gehe davon aus, dass es dir recht ist, wenn ich dafür keine Frau in Betracht ziehe. Gleich zwei Frauen an der Spitze der Mordkommission wären doch etwas zu viel des Guten.«

Was für ein falsches Lächeln, dachte Doris, als sie ihr neuer Chef mit kühlen Augen und etwas schiefem Mund angrinste.

»Im Übrigen darf ich dir ganz im Vertrauen sagen, dass der Herr Minister sein Auge wohlgefällig auf dich gerichtet hat. Im Bundeskriminalamt wird in spätestens zwei Jahren eine interessante Stelle frei. Da würdest du perfekt hineinpassen. Das ist der Hauptgrund, warum ich mich jetzt schon um einen Nachfolger für deinen Stellvertreter umsehe. Damit wir in der Führung der Abteilung Kontinuität haben.«

Doris hoffte, dass ihr Chef nicht merkte, wie sie die Luft einsog. Ihr war jetzt klar, dass Marbolt ohne lange Umschweife und ohne viel Federlesens seine eigenen Leute an Bord bringen wollte. Schon beim ersten Gespräch mit seinen Absichten rauszurücken, dazu gehörte schon einiges. Ihr würden unruhige Zeiten bevorstehen.

»Ich gehe davon aus, dass ich da selbst auch ein Wörtchen mitzureden habe.«

»Selbstverständlich.«

Was für eine gönnerhafte Selbstverliebtheit, dachte Doris. »Ich will ja nur, dass du es dir beizeiten durch den Kopf gehen lässt. Ich habe dem Herrn Minister versprechen müssen, dass ich ihm innerhalb von sechs Monaten wegen dir Bescheid gebe. Er möchte auch Planungssicherheit haben. Und nimm bitte das Ganze nicht zu tragisch. Es weht eben ein neuer Wind.«

Dürnsteiner Würfelspiel

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