Читать книгу Die schöne Anna von Hake auf Scheventorf - Bernhard Köster - Страница 7

3.

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Pater von Kneheim schüttelte den Kopf: „Nein, was für Dinge geschehen doch auf Erden! Wie traurig für die armen Kinder! Das muß ich ihnen doch einmal auf der Krankenburg erzählen!“ Der gute Pater mußte sich immer aussprechen, wenn’s nicht anders war mit dem Klosterbruder, denn mehr waren sie nicht im Hause. Aber er hatte ja die Krankenburg ganz nahe, keine dreihundert Schritte entfernt. Und da waren immer einige vom Kloster, besonders kränkliche Patres, manchmal auch Gäste. Was der eine nicht wußte, wußte der andere. Also gleich am Vormittag noch stapfte der alte Pater zur Krankenburg. Die lag da auch wie eine Wasserburg, rings herum Gräben, doch nicht so breit wie um Scheventorf, und die Zugbrücke wurde gar nicht aufgezogen. – Er traf es gut; da war Pater Heribert von Langen und auch Pater Jodokus, der Beichtvater von den Oeseder Nonnen. Gerade war auch der Mühlmeier aus der Krankenburger Mühle gekommen, und weil er ein ganz manierlicher Mensch war, auch bisweilen einen herzhaften Witz aufzubringen wußte, so hatte ihn der Pater Heribert mit ins Refektorium genommmen.

„Hoh, Diedrich“, schallte es dem guten Glaner Pfarrvikar laut entgegen, als sein Gesicht sich in der Tür zeigte, „geschwind heran, du fehltest uns hier gerade noch. Was erzählte der Mühlmeier da von deinen Pfarrkindern? Eins liegt tot im Bett, das andere davor? Und deine allervornehmsten sind es obendrein? Ritterliches Geschlecht?“

„Kinder, so laßt mich doch mal zu Atem kommen!“ sagte Pater Diedrich von Kneheim und tat einen tiefen Zug aus dem zinnernen Bierkrug, den der Bruder ihm ohne viel Fragen hingestellt hatte. Nahm auch ein Stück Weißbrot aus dem Korb. Denn Brot stand immer beim Bier auf dem Tisch. „Ja, ist es nicht schrecklich? Die armen Waislein; die können einen wirklich dauern! Und alles so rasch!“

„Also, beide sind tot? Heilwig und die Schwester, die schöne Anna?“

„Gott behüte! Das Freifräulein lebt und ist auch soweit gesund; aber die edle Frau Heilwig, ja, die ist allerdings im Herrn entschlafen. Gott habe sie selig! War eine gute Seele, habe ihre Mutter noch gut gekannt, Orkradis von der Hoya!“

„Vorbeigeschossen, Diedrich!“ sagte Pater Heribert, „es war Orkradis von Dalewigk!“

„So? Irre ich mich da? War das –“

„Sicher irrst du; ich bin ja mit Dalewigks verwandt, also weitläufig auch mit Haken. Aber nun, was ist das? Nec poenituit, nec confituit nec communitatus et etiam non oleastus, schrieb der Pastor an seinen Bischof, ergo sepultatus sine lux, sine crux, sine aqua benedictus? So geht’s meiner adeligen Base? Mühlmeier“, erklärte er nebenher dem Bauern, „das ist Latein, das versteht Ihr nicht.“

„Doch“, sagte der Mühlmeier, „ich kann soviel Latein, dies heißt, er ist nicht ‚versehen‘ und wird also ohne Kreuz, ohne Kerzen, ohne Weihwasser unter die Erde getan.“

„Nun schau diesen klugen Mehlwurm an“, staunte der Pater Jodokus.

Aber Pater Diedrich sagte: „Nicht doch, Frau Heilwig war mit allem berichtet, nur ohne die heilige Ölung gestorben, ja, das konnte man auch so rasch unmöglich vermuten.“

„Was ist denn nun mit der schönen Anna?“

„Ganz einfach, die ist ohnmächtig geworden und hat sich im Fallen ihr Gesicht etwas gestreift. Liegt zwar noch zu Bett, aber ihr fehlt weiter gar nichts.“

„Ach so, das ist alles. Da wird dann gleich solch groß Geschrei gemacht in Glane!“

„Das ist in Glane wohl nicht schlimmer als anderwärts auch“, verteidigt Pater Diedrich seine Pfarrkinder; „es lautete auch gefährlich genug. Da ist gestern morgen die neue Kindesmagd, die der Ritter Harbort angeschafft hat, ins Vorzimmer gegangen, hört drinnen nichts, klopft und klopft, macht endlich leise auf und sieht da durch den Türspalt die beiden liegen, die Frau im Bett, das Fräulein davor, beide natürlich marmorblaß, die Kerze schwelt noch; wird ja auch grauslich ausgeschaut haben. Und nun dies dumme Ding, statt vernünftig den Ritter Harbort zu rufen, damit der ganz ruhig, wie immer, das Nötige anordnet, was tut dies einfältige Geschöpf? Läuft im Schloß herum, in der einen Hand einen Kandelaber, in der andern eine Handeule, und schreit wie eine Irrsinnige, bis sie richtig die ganze Burg, vom Turmwart bis Gänsejungen, und vor allem die sämtlichen fünf kleinen Würmer da im Schlafzimmer, vor den beiden Leichen stehen hat. Natürlich, das Kindervolk schreit greulich – ach Gott ja, es war ja doch auch ihre eigene liebe Mutter, und dann dazu die beinahe noch liebere Tante Anna, die die Kinder so gern hatte. Aber die gerade macht nun von all dem Getue endlich die Augen auf, ist erst, versteht sich, völlig kopflos, schon mehr ganz außer sich, und als sie die Leiche sieht, fällt sie wieder vor dem Bett hin und weint herzzerbrechend. Aber dann faßt sie doch noch am ersten Verstand, schickt die Völker weg, führt die Kinder in ein anderes Zimmer und schafft Ordnung, so gut es geht. Inzwischen weiß der eine, den es doch am allernächsten angeht, ganz allein auf der Burg noch nichts. Der Ritter schläft nämlich noch, und niemand weckt ihn oder ruft ihn.“

„Verstehe ich nicht“, sagte Pater von Langen, „so viel hätte die Anna doch wissen können!“

„Das ist doch nichts Auffälliges“, wirft Pater Jodokus ein, „in solchen schrecklichen Augenblicken kann ein junges Mädchen schon etwas übersehen!“

Der Mühlmeier sagt: „Immerhin, dies ist morgens sechs Uhr gewesen, und um zehn Uhr soll der Ritter noch immer geschlafen haben. So was passiert in einem Bauernhaus nicht! Und am Abend vorher soll viel Besuch und Gasterei in der Burg gewesen sein. Und den dicken Herrn von der Schleppenburg hat man beinahe in Visbeck singen und schimpfen hören.“

„Mühlmeier“, sagte etwas schärfer als sonst Pater Heribert, „man muß nicht alles herumposaunen, was der große Haufen sich zusammenschwätzt. Wenn die Herren zusammengewesen sind, dann war das wegen unserer jetzigen bösen Zeit. Habt Ihr schon von der blauen und roten Fahne gehört? Und von dem spanischen Feldobristen Verdugo? Oder von Alfonsus Mendo? Oder von Major Kurtzbach? Nein, Mühlmeier, das habt Ihr nicht! So was werdet Ihr Bauern nicht eher gewahr, als bis es zu spät ist. Das aber ist eben die Sorge und die Beratung der Herren Ritter. Denn die tragen für euch die Last und die Verantwortung! Daran denket gefälligst! Und das mit dem Singen und Schimpfen? Was kann das anders gewesen sein als ein paar betrunkene Bauern? Herr Kerstapel von der Schleppenburg ist über solche Roheiten hoch erhaben, Mühlmeier, dafür kenne ich ihn besser.“

Der Mühlmeier schwieg und tat einen Schluck aus seinem Bierkrug. Vielleicht hatte die Belehrung ihn überzeugt, vielleicht auch nicht. Jedenfalls fragte Pater Jodokus: „Ja, aber als der Ritter um zehn Uhr ausgeschlafen hatte, da ist man gekommen, hat ihm alles gesagt, und er ist sehr traurig an der Leiche gekniet, nicht wahr, oder wie ist es gewesen?“

„Sicher, natürlich“, antwortete Pater Diedrich, „wie soll es sonst wohl gewesen sein? Der Ritter hat lange an der Leiche gebetet, und bitter geweint hat er, man hat ihn schluchzen hören, die Burgleute alle haben sich sehr gewundert.“

„Worüber gewundert?“

„Nun, gewundert, daß der Ritter weinte. Werden ihn wohl sonst noch nie im Leben haben weinen sehen, schätze ich. Ist eben ein ganzer Mann, unser tapferer Herr Harbort, und hatte sein Gemahl, die edle Heilwig, rechtschaffen lieb. Wenn er auch als Burgherr streng ist, so muß er es doch sein in diesen entsetzlichen Zeiten, wo jeden Augenblick wilde Geusen oder noch wildere Spanier oder richtige Räuberbanden einem alles nehmen, das Haus in Brand stecken, die Leute elend massakrieren können. Ich sage, streng ist der Ritter Hake, aber das muß so sein, und ein gutes, edles Herz hat er doch, das wissen wir alle.“

Der Mühlmeier schmunzelte ob dieser langen Lobrede von Pater Diedrich.

„Was lacht Ihr, Mühlmeier?“ fragte Pater Heribert, der auch auf Ritter Harbort nichts kommen ließ.

„Ich?“ fragte der Mühlmeier unschuldig, „habe ich gelacht? Weiß ich doch gar nicht. Könnte höchstens sein, fielen meine Gedanken eben auf die schöne Predigt – habe ich neulich gelesen die der Fuchs den Gänsen hält.“

„Sprecht uns nicht solch ungereimtes Zeug dazwischen, das nicht zur vorhandenen Sache gehört, Mühlmeier; bedenket, mit wem Ihr hier redet.“

„Nun, Heribert“, sagte der Jodokus, „nicht gar zu ernst! Der Mühlmeier ist ein guter Kerl. Freuen uns immer, wenn er kommt; hat immer treffende Vergleiche und Anmerkungen in petto und meint’s ehrlich. Was wollten wir auf der Krankenburg auch machen, wenn der Mühlmeier uns nicht die Forellen und Hechte lieferte! Der Nagelteich, der Ruwenteich und die vielen anderen schönen Teiche, ja, die sind nicht für uns Krankenburger. Da halten wir uns eben an unsere treue Mühle.“

„Das tue ich nicht mehr als gerne“, versetzte der biedere Mühlmeier.

„Aber nun, Diedrich, erzähle weiter von Scheventorf“, bat Pater Heribert.

„Da ist nicht viel mehr zu erzählen. Wann die Leiche sein wird, weiß ich noch nicht. Wird wohl noch acht Tage dauern. Die verlassenen armen fünf Waislein können einen dauern. Gut nur, daß Muhme Anna da ist. Das Gescheiteste wäre, die nähme der Ritter als Frau.“

„Das wird Fräulein Anna nicht tun; ist auch ja ein strenges Ehehindernis“, meinte der Mühlmeier.

Heribert sagte: „Von der Schwägerschaft dispensiert der Fürst in diesem dringenden Falle sofort. Aber die Anna wird’s nicht tun, meint Ihr? Warum denn wohl nicht? Ist an dem Ritter auch nur etwas zu monieren? Ein stattlicher, hübscher Mann ist er, mit altem Adelsblut, nobel und rechtlich gesinnt, ein liebevoller Gatte seiner verewigten Frau Heilwigis, ein Feind der Bösen, ein Freund der Guten, ein Wohltäter unseres Klosters! Wird Anna nicht tun, sagt Ihr? Was soll sie denn besseres tun? Wo bekommt ein Jüngferlein heute kräftigeren Schutz als von einem solchen Mann?“

„Oh“, sagte der Mühlmeier, „daß Herr Harbort so brav ist, habe ich noch gar nicht gewußt. Wenn Fräulein Anna Hake das alles hört, nimmt sie ihn gleich morgen.“

Pater Heribert sah den Müller etwas zweifelnd an. War das nun ehrlich gemeint, oder war es blanker Hohn? Was hatte der Mühlmeier denn gegen den edlen Ritter? Aber nun, es war ja eigentlich auch noch etwas früh, vom Wiederheiraten zu beratschlagen, wo Frau Heilwigis kaum erkaltet, geschweige denn zur Erde bestattet war in der Erbgruft der Scheventorfer Burg, dem Turm der Glaner Pfarrkirche.

Da mußte das Grab noch erst ausgemauert, das Pflaster mit Sorfalt aufgebrochen werden und was alles sonst dazu gehörte; vor allem mußte die ganze weitläufige Verwandtschaft der Haken, der Dallwigks, der Bevern, Langen und dann auch die Nachbarburgen bis zur Ravensburg und noch weit bis ins Ravensbergische hinein, und das Tecklenburgische natürlich ganz, geladen werden. – Das forderte Zeit. Also vor acht Tagen konnte die Leiche unmöglich sein. Das machte ja auch weiter nichts. Es war ein schwerer Steinsarg – die Steine kamen von der Herrenrest –, und nach zwei oder drei Tagen wurde der einfach geschlossen, dann konnte er stehen und störte niemand.

Ritter von Hake hatte sehr viel zu tun, besonders dafür zu sorgen, daß die Boten die richtigen Wege nahmen, und auch daß sie hinreichend gewappnet oder begleitet waren, um nicht sofort vor jedem statischen oder spanischen Schnapphahn beidrehen zu müssen. Er wußte auch in der Haken-Verwandtschaft noch nicht so ganz sicher Bescheid. Dann mußte Anna Auskunft geben, sie wußte das alles. Aber sie lag noch immer krank zu Bett. Erst wollte der Ritter schon selbst zu ihr hinaufsteigen, aber dann besann er sich und ließ durch das neue Mädchen fragen, ob er um eine Auskunft kommen dürfte. – „Nein, bitte lieber nicht; Fräulein Anna würde ihm jede Auskunft durch das Mädchen geben oder, wenn er lieber wollte, auf ein Täfelchen schreiben.“ Ritter Harbort bedauerte herzlich, daß das Fräulein noch so leidend sei, freute sich sehr, daß die Kinder bei ihr wären, und ließ recht baldige und gänzliche Genesung wünschen. Also ging er nicht nach oben. – Was er wissen wollte und mußte, ließ sie ihm mitteilen. Ja, lieber Himmel, wo saßen nicht überall die Haken. In Lonne bei Fürstenau, in Heeke bei Alfhausen, in Lengerich auf der Wallage, im Bentheimschen, auf der Devensburg bei Rheine, sogar in Hildesheim und Hameln, in Homburg und Schaumburg. Es ging wirklich nicht an, allen Nachricht zu geben, obwohl Herr Harbort sich alle Mühe gab. Es war ihm durchaus nicht gleichgültig. Sein Schloßverwalter staunte über diesen Eifer, den sein Herr bei den Einladungen an den Tag legte; wenn die alle kamen, mußten sie für fünf bis zehn Tage untergebracht werden. Scheventorf war eine mächtig weitläufige Burg, aber für soviel Gäste bot sie doch nicht Platz. Da kam es nun sehr zustatten, daß die Haken von Junker Schmising auf Tatenhausen dessen großen Burgmannshof in Iburg nahe am Haskenteichstor gekauft hatten. Im übrigen mußten das Kloster und das Bischofsschloß in Iburg, auch die Krankenburg in Glane und die Schleppenburg in Visbeck für solch einen Fall Gäste aufnehmen. Das war alter Brauch, darum brauchte Scheventorf nicht einmal erst zu bitten.

„Peter“, sagte der Ritter zum Verwalter, „es muß überhaupt alles nachgesehen werden, besonders auch Wagen, Geschirre, Sättel, und dann vergiß nicht Küche und Keller. Unsere Eigenbehörigen müssen frühzeitig ihre Leute schicken, besonders der Brinkmann und der Averbeck und auch Winkelmann. Gib mal die Liste der Einladungen. Da fehlt ja Korff von Sutthausen und Böselager von der Honeburg. Sofort nachtragen! Weißt über die Nesselrodes im Herzogtum Berg ganz genau Bescheid?“

Nein, ganz genau wußte Peter Brockhagen doch nicht alle Burgen und Plätze, wo ein Nesselrode saß. Aber hier half wieder einmal Anna Hake aus.

„Wir müssen auch noch um einige Reisige erbitten, vielleicht von der Holterburg oder einfach von Ravensberg? In der Nähe sind keine mehr, die nicht schon mit unsern Boten unterwegs wären.“

„Gut, aber überschlage erst, wieviel Boten wir noch schicken müssen, damit wir nicht zu wenige Gewappnete erbitten.“

„Gnädiger Herr, die Feier kann unmöglich eher als in vierzehn Tagen sein, es ist wohl so viel nachzusehen, auch anzuschaffen, daß –“

„Soll sie auch nicht. Alle Boten haben die Nachricht schon mitbekommen. Wenn wir nur wenigstens in vierzehn Tagen soweit sind. Mir schwebt übrigens vor, sowohl mit Ledeburs wie mit Bars stimmt noch nicht alles. Da sitzt noch irgendwo ein Ledebur und mindestens auch noch ein Ursus, die noch nicht geladen sind.“

„Herr Ritter, wegen der Bars ist alles in Ordnung; Fräulein Anna Hake vergißt sicher keinen Bar“, lächelte der Brockhagen bedeutsam; „denn Herr Gysebert von Bar –“

„Ach so“, sagte Ritter Harbort, und das Blut stieg ihm dabei zu Kopfe; „ja, der junge Herr Gysebert!“ Er sprach das so etwas höhnisch aus, sieht den Peter Brockhagen an und lächelt wieder, wie eben.

Brockhagen scheint mit den Gedanken seines Herrn gut bekannt zu sein.

„Aber wegen Ledebur kannst du doch noch fragen. Es darf eben diesmal niemand übersehen und nichts vergessen werden, Peter!“

„Nein, gnädiger Herr!“ sagte der Peter devot.

Vom zehnten Tage ab nach dem Tode der Frau Heilwig kamen schon die weitläufigen Verwandten, und an den folgenden Tagen strömte es in immer dichteren Haufen. Aber Ritter von Hake, Peter Brockhagen und, soweit die Küche in Frage kam, auch Anna Hake hatten mit großer Umsicht derartig vorgesorgt, daß nach keiner Seite hin Störungen oder Verlegenheit durch all die Gäste entstehen konnten.

Auf den fünfzehnten Tag war die Beisetzung der Leiche anberaumt. Der riesige Burghof war schwarz von Menschen, und noch immer kamen auf allen Wegen schwarzgekleidete Leute heran, auch noch einzelne gewappnete Ritter. Einige hundert Harnische waren schon im Schloßhof. Als der mächtige Steinsarg von den vielen Dienstleuten langsam aus der Halle auf den Wagen getragen wurde, weinten alle Leute auf dem Schloßhof. Dann begannen die Glocken von Glane zu läuten, man hörte sie ganz klar, und als die zwölf Pferde anzogen, donnerten Kartaunen ihre letzten Grüße der Burgherrin nach. Vierundzwanzig Gewappnete trugen die Zipfel der schwarzen Decken der Pferde und des Sarges. Hinter dem Wagen ritten alle die Harnischmannen, ganz vorne Ritter Harbort und viele Haken und Langen. Die Harnische blitzten in der Sonne, die vielen Kinder an den Wegen konnten sich nicht satt daran sehen und auch an den bunten Federn auf den Helmen. Manche Farben wußten die Knaben zu benennen; natürlich Scheventorper, Schleppenburger kannten alle, die von Palsterkamp, Harkotten viele auch noch und die vom Iburger Kloster und vom Iburger Bischofsschloß, aber mehr wußten sie nicht. Nach den vielen, vielen nickenden Federbüschen kamen die Karossen in endloser Reihe. Vorn die erste gleich war für die Kinder sehr bemerkenswert; denn sie saß ganz voll von Kindern.

„Das sind die Scheventorfer“, sagt ein Junge laut, denn die in den Kutschen hörten ja doch nichts, „und die schöne Anna sitzt bei ihnen drin. Guck bloß, sie weint; du, das ist dem dicken Kerstapel seine Frau; ist auch so dick wie er, sitzt ganz allein drin, kann auch niemand zu ihr hinein.“ Einige sonderbare Gefährte waren dazwischen, auch geflochtene Korbwagen, ein paar zweirädrige, auch eine ganze Menge Sänften, einige gleich hinter den Rittern. Jede Sänfte wurde von zwei, manche auch von vier Bedienten in schöner Livree getragen.

Der Weg ging geradeaus von der Burg auf den niedrigen Kirchturm mit seinen breiten, tief herabhängenden Ziegeldächern zu. Er war nicht sehr lang, keine halbe Stunde. Die erste Wegeshälfte stieg an. Da konnte man ganz klar das Iburger Kloster und das Schloß mit dem Bennoturm und den anderen Türmen vor dem breiten Rücken des Dörenberges liegen sehen. Wo die Steigung aufhört und der Weg nach Glane zu abfällt, war ein Wäldchen und mitten drin eine Jakobusklause. Hier hielt der Leichenwagen still. Das taten alle Leichenwagen, die da vorbei mußten. Denn da wurde erst hingekniet und sieben Vaterunser, manchmal auch zwölf Sei gegrüßt Maria für die Leiche gebetet. Steil stand der spitze Bergkegel des Vreden vor dem Wege, als wollte er die altersgraue Kirche zu seinen Füßen betreuen und schirmen, genau wie der Dörenberg an der andern Seite des Passes das Iburger Schloß beschützt. Aber als der Wagen da oben hielt, waren die letzten im Zuge noch keinen Schritt gegangen, sondern standen noch am Burgtor und warteten. Dann fuhr der Wagen weiter bis zum Kirchhofstor. Dort waren die Geistlichkeit, die Küster und zahlreiche Sänger und Ministrantenknaben aufgestellt, sogar der Abt selbst stand da in vollem Ornat, mit dem schönen Brustkreuz und der schweren goldenen Kette. Früher hatten die Glaner Geistlichen schon mal die Scheventorfer Leichen von der Jakobusklause eingeholt, ja, einzelne Male ganz von der Burg. Aber Abt Patroklus Meierinck meinte: Aus so etwas würde leicht ein Recht. Es war alles sehr feierlich, sehr würdig, sehr ernst. Pater Diedrich von Kneheim hielt die Leichenrede und der Abt das Requiem. Viele Leute weinten, als die Leiche in das Grab herabgelassen wurde. Von den ausgemauerten Wänden sah man nichts, die waren ganz mit Tannenzweigen behangen. Noch mehr weinten sie bei der Predigt, auch viele Ritterfrauen.

Anna sah nicht auf während der ganzen Feier. Drei von den Kindern hatte sie bei sich, die sahen immer nur nach der lieben Muhme Anna und waren auch schrecklich traurig und schluchzten laut. Ganz nahe Verwandte hatte Anna unter den Frauen nicht. Aber die Edelfrau von Harkotten, das war Korff-Schmising, hielt sich immer an ihrer Seite und stand ihr und den lieben Kleinen bei, so viel sie konnte. Nicht einmal ordentlich beten konnte Anna, so zerrissen war ihr Herz. Selbst die Ritter erbarmte es, und sie sprachen auf dem Rückwege viel von Anna. Die von Langen sagten, sie hätten sich das Fräulein schöner vorgestellt, weil sie doch überall die schöne Anna genannt werde, und sie müsse nur bald Ritter Harbort heiraten. Aber andere meinten, solch schönes Fäulein habe die Wahl unter all ihren vielen Freiern und brauche sicher keinen Witmann mit fünf kleinen Kindern zu nehmen. Dem stimmte auch Gysebert von Bar sehr lebhaft zu. Ob auch Ritter Harbort, der gerade an ihnen vorbeitrabte zur Spitze des Zuges, das Gespräch gehört hatte? Jedenfalls war er gegen alle, auch gegen den jungen Bar, sehr artig.

„Habt Ihr Euren ehrwürdigen Ohm Domküster schon begrüßt, Herr Gysebert?“ fragte er ihn nachher in der Burg. „Hat mich herzlich erfreut, daß das ehrwürdige Thumb-Kapitel in Herrn Klaus von Bar und Herrn Dorgelo uns die hohe Ehre erweisen!“

Saßen auch nachher oben an der Tafel beim Leichenschmaus, die beiden ehrenfesten Thumbherren und der Herr Abt; gleich neben ihnen saß Anna Hake, bleich und stumm wie ein Marmorbild. Neben ihr der Ritter Harbort. Vergebens bemühten sich die Herren, das arme unglückliche Kind in ihrem verzweifelten Schmerz aufzurichten. Anna sagte nichts, aß nichts. Hielt’s auch nicht lange aus in dem großen Saal bei den vielen Menschen, sondern suchte sich unbemerkt zu entfernen. Aber ihre mütterliche Freundin, die mitfühlende Frau Korff-Schmising, hatte es doch gesehen und kam ihr nach. Sie traf sie noch in der Halle vor dem Saal, wo einige bekannte Ritter ihr eben teilnehmend zusprachen. Die beiden Frauen gingen die Treppe hinauf.

Oben allein in Annas Gemach sprach die Edelfrau ihr freundlich tröstend zu. Anna sagte nichts. Schluchzend umarmten sich die Frauen.

„Sag, Anna, ist Ritter Harbort nicht gut zu dir?“ Erneutes qualvolles Schluchzen. „Anna, so sprich dich doch offen aus. Ich helfe dir gern, das weißt du doch!“

„Mir kann niemand helfen; ach, die armen, armen Kinder!“ Von Ritter Harbort sagte die Trauernde nicht ein Wort. Den wiederholten Fragen der Frau von Harkotten wich sie stets aus. Aber soviel schien der gewiß: Anna trauerte nicht nur um die liebe Heilwig. War es Angst vor Harbort? Aber warum denn nur? Ihr Mann lobte doch immer den ruhigen, tatkräftigen Ritter von Hake.

Noch jemand hatte Annas Abwesenheit bemerkt. Es klopfte, erst leise, dann kräftiger. Die Edelfrau horchte auf und ging hinaus. Da stand Ritter Gysebert von Bar und fragte mit sanfter Teilnahme nach dem Edelfräulein. Frau Korff kam wieder herein und meldete es ihr.

„Laßt ihn nur hereinkommen, er ist ein guter, treuer Mann!“ erwiderte Anna aufatmend.

Der junge Bar sprach mit zartestem Mitleid: „Oh, Fräulein, wie leid ist mir Euer bitterer Schmerz. Könnte ich Euch doch helfen, wie herzlich gerne täte ich es!“

Frau Korff-Schmising horchte auf. Das war mehr als gewöhnliche Teilnahme eines wohlwollenden Nachbarn. Sofort kam ihr ein Gedanke: Bei dem wäre die Verlassene geborgen!

Laut fragte sie darum: „Wie geht es Euren Eltern, lieber Herr von Bar?“

„Meine alte Mutter ist mit mir auf der Burg und ist wohlauf! Aber unser Vater ist jetzt Drost auf Fürstenau und hat viel Sorge und Ungemach wegen der Spanier und wegen dem Grothaus!“

„Ach, das ist der unbändige Cord auf Spiek bei Bramsche; ich habe davon gehört. Grüßt mir Eure Mutter, ich habe sie lange nicht gesehen!“

Herr Gysebert wandte sich wieder Anna zu. Aber da klopfte es an der Tür, etwas weniger zart, als vorher Herr Bar getan, und herein trat – Ritter Harbort von Hake.

Anna fuhr auf: „Ritter!“ – Aber sogleich sank sie wieder zurück und wurde leichenblaß.

Ritter Harbort sagte freundlich, aber seine Stimme bebte doch: „Verzeiht, edle Frauen, ich suchte nur Ritter von Bar! In der Halle sagte man mir, er wäre hier. Herr Ritter, darf ich Euch bitten, in den Saal zu kommen, es ist Nachricht von Eurem Vater gekommen, darob die Ritter im Saal gern Eure Ansicht hören wollen. Ach, edle Frauen, unsere harte Kriegszeit macht selbst vor dem herben Gram dieses schwarzen Tages nicht Halt. Aber ich hoffe, Euch Herrn Gysebert bald wieder zuzuführen!“

Eine höfliche Verbeugung und die beiden Ritter verschwanden.

Peinlich überrascht sah Frau Korff auf Anna. War Ritter Gysebert wirklich unten so nötig?

„Ach, edle Frau, er gönnt mir meinen treuen Gysebert nicht!“

Wieder eine Überraschung für die Edelfrau. Also so stand Anna mit dem jungen Bar? Nun, um so besser, dann hätte sie doch wenigstens einen zuverlässigen Beschützer in dieser schweren Zeit.

Gegen Abend wurde es ruhiger in der Burg. Viele Gäste waren schon aufgebrochen. Anna sah sich nach den Kindern um, die recht als verlorene Waislein zwischen all den vielen Leuten umherirrten. Sie hatten wohl niemand, der sich ihrer annahm. Anna flüsterte dem ältesten Mädchen schnell ins Ohr: „Geht nach oben auf mein Gemach, ich komme gleich! Dann spielen wir schön zusammen, oder ich erzähle Euch eine feine Geschichte!“

Die kleinen Gesichter hellten sich augenblicklich auf. Ja, nach oben, die liebe Muhme Anna. Lutgard, die Älteste, sagte zu Juttilde: „Komm, faß die Duda an der Hand, wir gehen hinauf!“ Aber der Älteste war ein Junge, der schon seine eigenen Wege ging. Er sah ganz gut, wie Lutgard mit ihren zwei kleinen Trabanten hinaufzog, sie sah ihn noch an und winkte ihm, er solle doch mitkommen. Aber er blieb; es war auch hier unten jetzt zuviel zu sehen, besonders wenn die Ritter mit ihren Knappen und auch die Frauen Abschied nahmen; die einen auf stolzen Rossen – manche Pferde waren noch gepanzert, alle hatten bunte Decken –, die anderen in Kutschwagen oder Sänften, die zusammengelegt werden konnten, und wenn die Frauen lieber fahren wollten, oben auf die Kutschen kamen. Nein, jetzt konnte doch der Johann unmöglich Weggehen. Da kam auch gerade der Vater mit dem Abt und den Patres, die kannte der Johann alle ganz gut, und mit den Osnabrücker Domherren, und Muhme Anna war auch dabei. Der Vater winkte ihm und schnell flog er herbei, reichte dem Herrn Abt die Hand und küßte seinen Ring. Der Abt wunderte sich sehr, daß der Johann schon so groß wäre, und der Vater antwortete, der Herr Abt wäre auch so lange nicht mehr auf der Burg gewesen, das letzte Mal wohl, als der Herr Guardian von Bielefeld auf dem Wege von Iburg nach Scheventorf leider so plötzlich vom Schlagfluß ereilt, für tot in die Burg getragen und ja auch allda verstorben sei.

„Herr Ritter“, entschuldigte sich der Abt, „glaubt mir, ich weiß oft nicht, wo mir der Kopf steht. Da fehlt einem die Zeit und vergeht einem die Lust zu einem friedlichen Nachmittagsspaziergang. Aber Ihr, Herr Ritter, macht Euch gar selten im Kloster; schickt mir die Kleinen, vorab den Ältesten, doch einmal nach oben. Die Anna kann sie ja führen. Werde ihr dann auch“, fügte er leiser, nur für Herrn Harborts Ohr bestimmt, hinzu, „ins Gewissen reden, daß sie sich zu Euch nicht so kalt und schroff abseits stellt auf der Burg.“

Der Ritter hatte offenbar mit dem Abt über die Anna gesprochen, auch wohl erwähnt, daß sie sich gar nicht freundlich und offen, wie es nahen Verwandten gebühre und eigne, zu ihm stelle.

„Wollen wir vielleicht zu Fuß die kurze Strecke nach Iburg heraufgehen? Die Wagen sind doch noch nicht angespannt.“

Das taten die Osnabrücker Domherren gerne, denn es war stilles, angenehmes Wetter. Als sie allein waren, sagte der Abt: „Ich begreife das Mädchen nicht. Die Anna sollte sich freuen, wenn ihr Schwager sich ihrer annähme, besonders in unseren dunklen Zeiten, und Gott auf den Knien danken, wenn er sie zur Frau nähme. Was meint Ihr, Herr Domküster, von den vielen Kriegsgerüchten?“

„Das sind leider Gottes“, antwortete Herr Klaus von Bar, „nicht bloß Gerüchte, sondern nackte, häßliche Wahrheiten. Habt Ihr gehört? Lienen, Glandorf und Laer sind schon wieder ausgeplündert worden. Es ist entsetzlich! Die armen Menschen müssen ja verzweifeln und davonlaufen: Es muß doch mal auf dem Landtag unter der Oeseder hohen Linde auf Abhilfe gesonnen werden. Aber, was Ihr da eben sagtet von der guten Anna Hake –“

„Die schöne Anna Hake heißt sie weit und breit“, warf Pater Diedrich dazwischen.

„Ja, schön ist sie wirklich; da haben die Leute recht, wenn auch heute etwas verweint, aber es geht ein Liebreiz von ihr aus und von ihrer stillen, ernsten Art, der alt und jung unwiderstehlich lockt und fesselt. Alles schaute bei der Tafel nach ihr, die einen mehr verstohlen, die andern offener. Also, Ihr meint, sie soll ihren Schwager heiraten? Ich weiß nicht, ob das der rechte Mann für sie ist. Und schon gleich fünf Kinder annehmen müssen? Und dann das kanonische Hindernis! Ich weiß nicht recht; mir schien auch nicht, als wenn sie sehr große Stücke auf ihn hält. Angesehen wenigstens hat sie ihn nicht!“

Der Abt dachte das Seinige und schwieg. Er hatte auch wohl davon gehört, daß Herr Gysebert von Bar, ein Neffe des hochwürdigen Domküsters, oft und gerne auf Scheventorf war, auch bei Anna gut angeschrieben stand, und hütete sich also, dem hohen Herrn zu widersprechen. Er brachte das Gespräch auf den Fürsten, der auf Iburg wohnte, und auf dessen Gesundheitszustand.

„Stirbt er“, meinte Herr Johann von Beverförde, und Herr Dorgelo stimmte ihm eifrig bei, „dann wird’s für uns erst recht nicht besser. Unsere Zahl im Thumbkapitel ist, Gott sei es geklagt, recht gering geworden. Die Neuerer haben die Oberhand, und der Bischof Bernhard ist allmählich auch zu ihnen übergeschwenkt.“

„Auf die Waldecker ist kein Verlaß!“ brummte Klaus Bar in seinen Knebelbart. „Aber ich habe Hoffnung auf den jungen Kaspar Schade. Wenn der erst Kapitular ist, ich glaube, der steht fest. Jedenfalls besser wie der Nagel von Wallenbrück, der uns in St. Annen mehr schadet als nützt!“

Gerade stiegen sie langsam den Schloßberg herauf. Rechts lag das lange Klostergebäude, links hatte man einen freien Ausblick auf die weite Ebene bis nach Füchtorf und zu den Klöstern Vinnenberg und Rengering. Herr von Bar sagte: „Ein richtiger Aufgang zur Burg; von links her steigt man herauf, rechts ist die Burg, damit nicht die geschützte Schildseite, sondern die freie Schwertseite den Angriffen von der Burg exponiert ist. So sind die alten Burgen alle. Ob Iburg wirklich schon eine Widekindsburg war?“

Niemand antwortete; ihnen ging der Atem aus bei dem steilen Aufstieg. In der nicht sehr großen und einfachen Abtswohnung sahen sich die reichen altadligen Domherren etwas enttäuscht und beinahe geringschätzig um. Da wohnten sie in Osnabrück doch etwas behaglicher. Aber dafür wußte der alte, erfahrene Abt Patroklus seine Gäste sehr angeregt zu unterhalten. „Denket euch, was der Bischof vor zwei Sonntagen in unserer Klosterkirche aufstellte. Er hatte seinen neugläubigen Prädikanten mit in seinen Kirchenstuhl genommen; und eben sind wir im Gesang bis zur Epistel gekommen, da stößt er heftig mit dem Stock auf den Fußboden; immer heftiger, bis schließlich unser Gesang verstummt. Dann tritt sein Prädikant herfür, will uns die Schriften erklären. Macht’s einmal gar zu arg, so daß die Unsrigen ihm laut Widerreden. Flugs stößt und klopft wieder des Fürsten Stock. Die Predigt wird nicht mehr gestört. Dann geht der Fürst mit seinem Prediger aus der Kirche, und wir setzen traurig die Messe fort. Ist das denn nun ein katholischer Bischof? Wie oft haben wir ihn früher eingeladen und sind mit ihm zu unserm Helfernhof gefahren und haben ihm da ein artig Gastmahl bereitet, oder auf der Insel im Ruventeich bei dem Lohmeier.“

„Kommt nicht viel heraus bei solchen Klostergastereien“, meinte Herr Klaus Bar anzüglich.

„Glaubt gewiß nicht, daß wir so etwas anstiften, wenn wir es irgend vermeiden können. Ich weiß genau, das Kloster hat nur Nackenschläge davon. Ich predige meinen Brüdern immer wieder: Demut und Sparsamkeit sind die zwei Schwestern, die unser Kloster aufrecht halten müssen. Aber eins wollte ich noch fragen: Was ist mit Cord Grothaus? Man hört soviel von ihm. Haben wir hier von ihm etwas Übles zu erwarten?“

Die Osnabrücker Domherren entgegneten: „Wenn er hierhin kommt, geht’s Euch böse. Er ist ein aufgeregter und stürmischer Ritter und meint, mit Gewalt könne man die Welt stürmen. Sein Vater war lange in Livland, und als er wiederkam, wollte ihm Osnabrück nicht erlauben, seine Mühle zu Heringen wieder aufzubauen, weil sich inzwischen da andere Mühlen aufgetan hatten. Da fing der alte Grothaus offene Fehde an, und jetzt, wo Spanier und Holländer im Osnabrückschen herum katzbalgen, meint sein Sohn Cord, müßte er schleunigst da anfangen, wo sein Vater aufgehört hat, und raubt, mordet, brennt. Es ist zum Erbarmen! Aber ich denke“, setzte Klaus Bar hinzu, „mein Bruder, der Drost von Fürstenau, wird ihm schon den Pelz ausklopfen; sein Sohn, der Gysebert, erzählte mir eben auf Scheventorf davon. Mehr kann ich noch nicht sagen. Doch wenn der Plan gelingt, bekommt diese ganze Gegend Ruhe nicht nur vor diesem Strauchritter, sondern auch vor den feindlichen Kriegsvölkern.“

Das Gespräch zog sich tief in die Nacht hinein. Es waren auch zu große und schwere Sorgen, die ihnen im Herzen saßen. Alle waren streng katholisch, alle vom festen Willen beseelt, zu retten, was zu retten war. Aber die Neuerer gewannen täglich mehr Boden. Wohin man schaute, bei geistlich und weltlich, in den Klöstern wie in den Pfarrhäusern und in den Domherrenkurien bis zum Bischofsstuhl hinaus, wo war noch vollständige Festigkeit, unbeschränkte Zuverlässigkeit? Der Abt erzählte auch, daß der Scheventorfer und der Schleppenburger neulich auf einen neugläubigen Prädikanten für Glane bei ihm angehalten hätten. Das hätte er nie erwartet.

„Warum denn nicht?“ fragte Herr von Bar.

„Nun, hochwürdigster Thumb-Herr“, warf Abt Jodokus ein, „Ritter Harbort hat immer mit unserem Kloster wenigstens gute Nachbarschaft gehalten, auch uns und seine Glaner Pfarrkirche viel Guts getan.“

Bar sagte: „Die beiden wackeln zwischen dem neuen und dem alten Glauben hin und her, wissen wohl selber nicht, was sie glauben. Geht heute mehr Leuten so. Was sagt denn Anna Hake dazu?“

„Die hat schon unserm Glaner Diedrich erklärt, sie bliebe beim alten Glauben und würde auch die Kinder so aufziehen.“

„Ei, Herr Klaus“, sagte Beverförde bedenklich zu Bar, „da sollte sie doch den Schwager heiraten, dann würde auch der wohl gut katholisch bleiben.“

„Meinetwegen mag sie ihn nehmen; aber ob sie je auf den Harbort Hake Einfluß gewinnt, das steht auf einem andern Blatt.“

Spät wurde es so im Abtzimmer, viel später, als die Benediktinerregel es vorsah.

Spät wurde es auch auf Scheventorf, sogar noch viel später, als da oben im Iburger Kloster. Bis allmählich die letzten Gäste, die auf der Burg übernachteten, ihr Lager aufgesucht hatten, war es über Mitternacht geworden. Endlich war Ritter Harbort allein im Saal; ganz wie neulich, als oben die zwei armen Frauen in grenzenloser Verlassenheit sich umschlungen hielten, als wollten sie sich in Ewigkeit nicht trennen. Aber der Ritter war heute ruhiger als damals; beinahe heiter und zufrieden erschien sein herrisches, doch nicht häßliches Gesicht. Er saß behaglich auf seinem Wandpolster, zog ein paar Kerzen näher zu sich heran und langte ein Schreiben hervor, das er tief versteckt unter Koller und Wams bei sich trug. Das hatte ihm während des Leichenschmauses der junge Eghard von Ledebur heimlich zugesteckt. Vorsichtig schnitt er um das schwarze Siegel herum und entfaltete den großen Bogen.

Das Entziffern dauerte geraume Weile. Ritter Harbort zog die Stirne kraus, aber allmählich erhellte sich sein Gesicht und schließlich lächelte er sogar hämisch. – Das Schreiben war von Cord Grothaus, und nicht das erste, das der nach Scheventorf schickte. Was wollte denn dieser gewalttätige Freibeuter, dieser ränkesüchtige Galgenvogel von dem ehrbaren Ritter Harbort? Ja, was wollte er? Das erzählte der Ritter keinem Menschen, nicht einmal seinem vertrauten Verwalter Peter Brockhagen, und der war doch sonst so ziemlich in alles eingeweiht. Jedenfalls war es etwas, das unserm Ritter in seine Pläne paßte. Das sah man ihm an. Jetzt stand er auf, ging auf einen Wandschrank unter der tiefen Fensternische zu, schloß ihn auf und zog eine Lade ganz heraus. Dahinter zeigte sich ein eisernes Türchen, das die Lade für gewöhnlich nicht bloß ganz verdeckte, sondern auch recht gut versteckte. Das Türchen war mit zierlich geschmiedetem Rankenwerk von Messing verziert. Irgend ein Schloß, Schlüsselloch oder Griff war nicht zu sehen. Aber der Burgherr nestelte unter seinem Koller einen kleinen Schlüssel hervor, mit fein gearbeitetem Bart; wenn man die Fläche, die ins Schlüsselloch kam, vors Auge hielt, sah sie so regelmäßig strahlenförmig aus wie ein versteinerter Seeigel –, und dann hob er mit dem Finger eines der vielen Schräubchen, die das Rankenwerk auf der Platte befestigten. – Klirr, da sprang eine Messingblume hervor, ließ sich leicht zur Seite schieben, und da war dann das Schlüsselloch. Der feine Strahlenschlüssel wurde einmal links herum gedreht und dann herausgezogen. Jetzt ließ sich der eiserne Längsstreifen mitten vor dem Türchen verschieben, und man sah wieder ein Schlüsselloch. Ein zweiter zierlicher Schlüssel, einmal rechts herum, und dann konnte man das schwere, eisengefütterte Türchen ohne Mühe aufziehen. Harbort lachte bei dieser Prozedur und murmelte: „Die Nürnberger sind doch kluge Leute, Meister Ehmann, deine Schlösser mit ihren „Besatzungen“ und „Eingerichten“ – sagtest du nicht so in deinem Rotwelsch? – öffnet so leicht keine unberufene Hand.“ Dahinein legte der Ritter das Schreiben von dem Raubgesellen auf Gut Spiek, Cord Grothaus. – Was war sonst noch in der Nische versteckt? Gold und Edelsteine? Dehnte sie sich weiter aus, hinter die anderen Schubläden? Nichts konnte man so geschwind entdecken. Der Ritter wollte sofort wieder absperren. Halt, da fühlte seine Hand in dem Geheimfach ein anderes zusammengerolltes Papier; das war ein Pergamentstreifen. Einen Augenblick stand er still, starr geradeaus sahen seine Augen; wieder dieser halb scheue, halb wilde Blick nach den Türen. Dann zog er den Streifen hervor und las. Sein Gesicht verzerrte sich, und er hatte wieder den entsetzten Ausdruck in seinen Zügen wie neulich.

Das war allerdings eine etwas sonderbare Geschichte mit dem Pergamentstreifen. – Neulich war der Hake, ungefähr zwei Monate mochten es her sein, auf einen Abend allein beim Nesselrode zu Palsterkamp gewesen. Nicht weit vor Mitternacht war er mit einem Knappen nach Haus geritten; geradeaus über den Blumenberg an Laer vorbei durch Remsede nach Glane. Eben hatte er das lustige Palsterkamp verlassen, als ein tosendes Unwetter losbrach, ein entsetzlicher Orkan, ein Blitzen und Donnern. Plötzlich stand bei einer Wegbiegung, der Knappe war gerade einige Schritte voraus, in einem fürchterlichen fahlen Blitz wie aus der Erde hervorgezaubert, ein Weib, größer als ein Mann, vor ihm und faßte sein Pferd am Zaum. Das Pferd stieg zitternd und schnaubend, der Ritter griff schon zum Schwert, um den Spuk zu bannen, da sagte das Weib – schwarz, alt, zerlumpt, eine richtige Hexe – mit einer schweren Männerstimme: „Stolzer Burgherr! Tief in Sinnen? Möcht’st die Schönst’ im Land gewinnen?“ Das Weib neigte den Kopf – schwarze Haarsträhnen hingen ihr wild ums Gesicht – und sah von unten herauf den Ritter tückisch lächelnd an. Der fuhr auf: „Weib, wenn du kannst, sag’ mir die Zukunft! Wie wird’s werden?“ Das Weib blinzelte mit gesenktem Kopf boshaft zu ihm auf; dann kam es tropfenweise heraus: „Obstakul – steh’n – auf deinen Wegen? Bald werden sie – kein Glied – mehr regen!“ Damals in der rabenschwarzen Waldfinsternis unter Blitzen und Donnerkrachen, hatte er dem Weib in atemberaubender Spannung zugeherrscht: „Und dann? Was wird dann?“ Aber erst mußte er in die ausgestreckte Raubvogelhand ein Goldstück opfern, und darauf krächzte es weiter ihm entgegen. „Und dann und dann? nun! Die du begehrt hast stets vor allen, dann hältst du sie in deinen Krallen!“ – Und als es da wie stolzes triumphierendes Leuchten aus seinen Augen schoß, lachte das Teufelsweib, lachte ein entsetzliches Hohnlachen, o das klang Ritter Harbort noch heute in den Ohren, dies Satansschnarren, und plötzlich hatte das Weib laut gerufen, fast geschrien: „Ja, ja, in falschen Haken-Krallen! Weiß nicht, ob’s will euch zwei gefallen!“ Dann war sie verschwunden. Der Ritter sprang ab, rief seinen Knappen, sie suchten und suchten. Nicht die leiseste Spur war zu entdecken. Zu Hause schrieb er die Worte sofort auf den Pergamentstreifen.

Und den eben las er jetzt. Obstakul stehen? Also nicht nur ein Obstakul, nein zwei oder mehr. Auch gut! Hindernisse sind dafür da, weggeräumt zu werden. Der Ritter lachte schon wieder vor sich hin, ein kaltes, boshaftes und grausames Lachen.

Dann faßte er sich mit der Hand ans Kinn. Sein Gesicht bekam einen gespannten, lauernden Zug: Ja – vielleicht ginge es so? – Wie schrieb doch der Cort Grothaus? Er nahm noch mal das Schreiben und las es aufmerksam durch! Natürlich, es mußte gehen! Der alte von Bar war Drost von Fürstenau! Ritter Hake stürmte in großen erregten Schritten durch den Saal, bis er schließlich in Hast und Wut die Kerzen auslöschte. Nur die letzte mit dem schweren Kupferarm nahm er mit sich durch die Seitentür, wie neulich.

Die schöne Anna von Hake auf Scheventorf

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