Читать книгу Die schöne Anna von Hake auf Scheventorf - Bernhard Köster - Страница 8

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Der Herr Korff-Schmising hatte den jungen Gysebert Bar mit sich nach Harkotten genommen. Er und seine Frau hatten den jungen Ritter so dringend eingeladen, daß er kaum widerstehen konnte. Wenn er dann nach zwei oder drei Tagen zurückkehrte auf Barenaue, dann wollte er wieder über Scheventorf und dort noch einige Tage verweilen. So hatte die gute Frau Korff es mit der Anna überlegt, denn sie wußte ja, wie es um die beiden jungen Leute stand, und auch, daß die Anna, weiß Gott, wohl etwas Trost nach diesen schwarzen Kummertagen gebrauchen konnte.

Auf Harkotten war natürlich viel von Anna Hake die Rede. Das war ein Gedanke, der allen, Gysebert Bar nicht zuletzt, nahe lag. Der junge Bar sagte, er sehe doch jetzt ein, daß Anna so nicht weiterleben könne, und er wolle sofort mit seiner Mutter sprechen, auch seinem Vater in der Fürstenauer Burg von seinem Plan berichten. Irgend ein Hindernis sei von beiden nicht zu erwarten; seine Mutter sei schon in seinen Plan eingeweiht und habe die liebe Anna sehr, sehr gerne, werde sie also auch als Schwiegertochter auf Barenaue willkommen heißen. Bliebe nur noch die Sorge für die Kinder ihrer seligen Schwester. Aber das ließe sich auch wohl machen: Anna könne die drei kleinsten, oder auch alle fünf – jedoch das werde Ritter Harbort wohl nicht zugeben – gerne mitbringen nach Barenaue; seine Mutter freue sich darüber, denn sie habe Kinder, vorab kleinere Kinder immer sehr gerne gehabt.

„Oh, wie freut mich das“, sagte Frau von Korff. „Jetzt hoffe ich wirklich bestimmt, daß auch noch für die gute Anna bessere Tage anbrechen; es wird auch hohe Zeit, denn sie hat in den letzten Jahren viel mitmachen müssen. Wie war sie früher munter und harmlos lustig, und jetzt so ernst, beinahe schwermütig. Seit Jahren schon habe ich das ängstliche Gefühl, so oft wir beiden allein sind: Gib acht, sagst du noch ein paar Worte, bricht sie in Schluchzen und Weinen aus. Was ist das bloß da auf Scheventorf? Ritter Harbort mag ja wohl nicht der allerfreundlichste sein; gegen die Burgleute ist er strenge, dafür ist er und der Schleppenburger bekannt, aber gegen seine selige Frau war er doch gut. Gegen seine Kinder ist er gut, er wird auch gegen die Anna gut sein. Also was will sie mehr? Warum läßt sie ihr Köpfchen hängen? Freilich, ihre Schönheit, ihr auffälliger Liebreiz wird durch dieses Schwermütige beinahe noch gehoben. Ich wenigstens habe sie jetzt in ihrer Traurigkeit doppelt so gern wie früher, als sie noch vergnügt und aufgeräumt war.“

„Sicher“, sagte Gysebert Bar, „gerade im Schmerz entfaltet sich das Feine und Liebliche an ihr. Ich möchte am liebsten morgen zu ihr und alles festmachen. Dann kann ja auch bald die Heirat sein.“

„Nein, Herr Gysebert“, widersprach die Edelfrau, „mit der Heirat müßt Ihr ein Jahr warten, weil doch eben erst die gute Frau Heilwig beigesetzt ist.“

„Ja, daran dachte ich nicht, das muß wohl so sein. Aber das Fräulein Anna kann doch inzwischen meine Mutter so oft und so lange besuchen wie sie will.“

„Sicher, Herr Ritter, und das wird sie, je näher der Hochzeitstag kommt, desto lieber tun. Aber Ihr, wollt Ihr nicht doch noch einige Tage auf Harkotten bleiben? Ihr kennt ja unsere großen Wälder noch gar nicht.“

„Ich komme wieder, edle Frau, für jetzt entschuldigt mich; Ihr wißt, was mich jetzt weiter drängt.“

Gysebert von Bar brach schon am andern Morgen auf und war bereits vormittags an der stolzen Scheventorfer Wasserburg. Großartig! dachte er im Anreiten, Barenaue kann sich nicht damit messen. Der Teich ging ganz bis an den Hauptweg, der Münster mit Osnabrück verband und noch heute verbindet. Links die große Wassermühle und mitten im Mühlenteich ein kleiner Garten mit einem schönen Lusthaus. Dann geradeaus die Vorburg mit dem Pforthaus und den weitläufigen Ställen. Über einen nochmaligen Teichgraben führte die Zugbrücke zur Hauptburg mit dem Gefangenenturm, dem „Bergfried“, der die Zugbrücke deckte. Vorburg und Hauptburg waren durch starke Zwischenwerke verbunden. Man sah nichts als Wasser und trutziges Mauerwerk mit Schießscharten. Hinter der Burg der große Garten war umgürtet von der hohen Burgmauer mit dem Wehrgang. Wahrlich, ein wohlbewahrter starker Horst! Da konnten sich Niederländer wie Spanier die härtesten Schädel einrennen, da konnten auch Kartaunen und Feldschlangen lange donnern, ehe man den zwanzig Fuß dicken Mauern etwas ansah. Gysebert Bar, aufgewachsen und erzogen nach ritterlichen Gedankengängen und Wünschen, und besonders in der jetzigen stürmischen Zeit tagtäglich mit der Verteidigung gegen die Landzwinger beschäftigt, sah mit Interesse und Verständnis herüber, und als er in der Halle Ritter Harbort begrüßte, sagte er ihm warme, anerkennende Worte über die gediegene, starke Anlage der Burg. Der Ritter antwortete höflich, aber ohne innere Wärme und begann ein Gespräch über den Unterschied der Waffenführung bei Belagerungen und bei offenen Feldschlachten. Bar erwiderte, für Feldschlachten sei unser Volk wenig brauchbar. Die Landsknechte seien ihnen durch die tägliche Waffenübung zu sehr überlegen; aber bei Belagerungen seien die Bauern als Verteidiger sehr brauchbar.

„Das stimmt sicher“, sagte Hake, „aber was Ihr da sagt von offener Feldschlacht, ist nicht richtig. Gewiß, die Landsknechte sind geübter, aber dafür greifen die Bauern auch nur an, das heißt, ihre vernünftigen Führer, die Ritter, gestatten die Schlacht nur, wenn sie in drei- oder vierfacher Zahl überlegen sind. Wird aber ein Landsknecht von vier wütenden Bauern zu gleicher Zeit angefallen, dann nützt ihm auch seine größte Waffenübung nichts, die Bauern schlagen ihm mit ihren Dreschflegeln den Schädel ein oder mähen ihm mit ihren Sensen den Kopf weg, bevor er sie alle vier wie Hämmel abstechen kann.“

Gysebert Bar hatte nicht recht Lust, in der Halle und stehend mit dem Ritter gleich eine lange kriegerische Erörterung anzufangen. Aber es blieb ihm wohl nichts anderes übrig, denn Ritter Hake sprach sonderbarerweise nicht davon, daß er es sich bequem machen oder wenigstens sich setzen möchte, sondern sie standen beide zur stillen Verwunderung und bald stillen Empörung des jungen Bar in der Halle am Kamin und unterhielten sich, als wenn der Gysebert eigens den weiten Ritt unternommen hätte, um militärische Probleme mit Hake durchzusprechen. Schließlich konnte er es sich doch nicht versagen, als Ritter Harbort eine Augenblickspause in seiner Feldschlachtendarlegung machte, zu fragen: „Eure schöne Schwägerin hat sich von der Aufregung erholt, hoffe ich, und befindet sich wohl?“

„Ja“, versetzte Hake, „meine schöne Schwägerin –.“

Gysebert Bar horchte überrascht auf, klang da nicht ein Unterton von Spott? Oder was war es?

„Ja, die ist nicht da, die macht Besuche in Glane und wird wohl jetzt beim Pater Kneheim sitzen.“

„Nun, dann geht es ihr also wieder besser, und zum Mittag wird sie gewiß wieder hier sein.“

„Wie lange sie ausbleibt, pflegt sie mir nicht zu sagen.“

Das Gespräch wurde beinahe eisig, und dabei standen die beiden noch immer, Hake im leichten Wams, in bequemen niedrigen Schuhen, der Bar aber noch in Harnisch und mit schweren Reiterstiefeln, so wie er nach dem zwei- bis dreistündigen Ritt aus dem Sattel gestiegen war. Nachgerade fing er nun doch an zu kochen, ob dieser schnöden Verachtung aller ritterlichen Gastfreundschaft.

„Also“, sagte er kühl, „es ist wohl das Beste, ich steige mit meinem Knappen wieder auf und reite auch zum Pater von Kneheim, damit ich dort das Freifräulein begrüßen kann.“

Das paßte dem Hake denn nun doch nicht. Vielleicht wäre die Anna mit dem jungen Ritter wer weiß wie lange, den ganzen Tag beim Kneheim oder auf der Krankenburg zusammengeblieben, und seine Unhöflichkeit hatte er ja nun wohl auch so weit getrieben, als ihm irgend angängig schien. Wenn der junge Bar etwas Gefühl hatte – und das hatte er sicher –, dehnte er seinen unwillkommenen Besuch jetzt wohl nicht mehr zu lange aus. So sagte er denn laut: „Gott bewahre, Herr Bar, bleibt hier, legt ab, ich lade ein, bei uns zu Mittag zu bleiben. Inzwischen trefft Ihr meine schöne Schwägerin gewiß. Johann, komm her, mach’ dem Herrn Ritter von Bar deine Reverenz.“

Johann kam heran, die andern Kinder, die drei Mädchen, wagten sich nicht herunter, wenn sie in der Halle sprechen hörten, aber Johann, der älteste, hatte den meisten Mut. Eben reichte er dem Ritter die Hand, als er laut aufjubelte: „Muhme Anna kommt!“ In Ritter Gysebert jubelte es auch auf, freudig bewegt ging er ihr entgegen. Merkwürdig, sie wurde leichenblaß und schien tief befangen. Er sah nach Ritter Hake, der am Kamin stehen geblieben war, die Hände auf dem Rücken. Der hatte einen hämischen Zug im Gesicht, aber nur einen Augenblick, dann kam auch er herbei, begrüßte Anna und sagte: „Schon zurück, schöne Schwägerin! Ich sagte eben dem jungen Herrn, es wäre unbestimmt, wann der Pater Kneheim Euch entließe.“

„Zu entlassen ist da nichts“, erwiderte Anna leise, „ich gehe, wann ich will, und jetzt rief mich ja meine Pflicht, für den Mittagstisch zu sorgen.“

„Und heute eine doppelt süße Pflicht, weil wir einen so lieben Gast bei uns sehen.“

Anna wurde feuerrot und ging ohne ein Wort die breite Eichentreppe herauf zu ihren Gemächern, wo gewöhnlich die Kinder, wenigstens die drei Mädchen mit dem kleinen Luck, oder meist sagten sie Lukelchen, zusammen waren. Aber heute hatte Anna keine Zeit für die Kleinen, sie mußte gleich herunter in die Küche und hatte noch viel zu richten, weil doch schon gleich Mittag und der liebe ersehnte Besuch zu Tisch war. Ihr ist wieder so bange, wenn sie an den Mittag denkt. Ritter Harbort, Gysebert und sie! Der Ritter, o der Ritter! Was für Gedanken, was für heimliche Absichten, was für unfreundliche Pläne glühten hinter diesen schwarzen, stechenden Augen? Wenn sie doch die ergründen könnte! Oh, sie kennt ihn ganz genau, sie weiß, was auf seine Freundlichkeit zu geben ist. Sie weiß, welche Orkane diesen Mann zu Zeiten schütteln. Wie furchtbar sein Jähzorn ist. Wie er dann Worte spricht, so entsetzlich, daß einem das Herz zu Eis erstarren sollte. Und den Gysebert haßt er in tiefster Seele. Was mag ihm der wohl getan haben? Anna lächelte leise und traurig. Weiß sie’s? Sicher, sie weiß es.

Bei Tisch war sie ganz still und blaß. Die Kinder waren diesmal nicht dabei. Die bildeten sonst eine recht erwünschte Ablenkung und gaben ungezwungenen Anlaß zu manch freundlichem Wort. Annas Hände zitterten so, daß mehrfach die Schüsseln, die sie anfaßte, leise klirrten oder hart und laut ihr fast aus den Fingern auf die Tafel fielen. Der Ritter bemerkte es wiederholt; auch der junge Bar sah es mit Unbehagen. Schließlich spottete der Hake, anscheinend ganz freundlich: „Ei, ei, schöne Schwägerin, sonst so ruhig und heute so stürmisch! Was doch solch lieber Besuch nicht alles anstiften und verwirren kann!“

Annas Verwirrung wurde dadurch nicht geringer. – Ihr blasses Gesicht erglühte. Ritter Gysebert empfand tiefes Mitleid und wagte den Vorschlag, das Freifräulein möchte mit den Kindern für einige Tage oder Wochen zu seiner Mutter nach Barenaue auf Besuch kommen, damit sie dort den ersten Schmerz überwinde, leichter als hier, wo sie alles an die selige Schwester erinnere.

Sofort erwiderte kurz und bestimmt Ritter Hake – und Anna hörte in atemloser Unruhe zu. – „Ganz unmöglich, lieber Bar! Die Schwägerin kann hier sofort nach dem Tode der Burgfrau unmöglich entbehrt werden!“

Fertig, Punktum. Anna sagte nur noch leise, sie danke herzlich und könne vielleicht später in der Jahreszeit auf zwei oder drei Wochen kommen.

Hake sah sie scharf an, sagte aber nichts mehr.

„Doch etwas anderes, lieber Herr Gysebert! Soeben hat Eure Frau Mutter einen Reisigen geschickt – er ist noch in der Burg, Ihr könnt ihn nachher selber hören –, daß Euer Vater, der Drost, wünscht, Ihr sollt sofort zu ihm nach der Fürstenau reisen. Es droht ein Kriegsunwetter, und vermutlich sollt Ihr ein Fähnlein führen gegen diesen Landfriedensbrecher, den tollen Cord Grothaus von Spiek! Toll, wie der Mensch es treibt. Er meint, weil nun schon Spanier und Holländer uns hier täglich brandschatzen, kann auch er wie vor dreißig Jahren schon sein Vater Otto, brennen und rauben. Aber Gott sei gelobt und gedankt, daß wir in der Fürstenau auf der Bischofsburg solch einen tapferen Drosten haben, wie Euer Vater ist! Da könnt Ihr Euch die ersten Sporen verdienen! Denkt an meine Worte eben: Drei Bauern gegen einen Soldaten! Da kann’s nicht fehlen. Wollt Ihr sofort reisen?“

Der Bar sah ihn aufgeregt an. Sicher, Hake wollte ihn los sein, und das nur Annas wegen. Aber vorher mußte er mit Anna allein sprechen!

„Ich spreche erst mit dem Reisigen, und danach bestimme ich meinen Aufbruch. Übernachten muß ich ohnehin irgendwo, in Bramsche oder Westerkappeln.“

Nun wurde es noch stiller an der Tafel. Anna war es ganz weh bei dem Gedanken, nun schon so bald wieder allein zu sein. Gysebert Bar entfernte sich bald vom Tisch, um den Boten aufzusuchen, besprach sich lange mit dem, und zwar ganz hinten in den Wirtschaftsgebäuden, um zugleich nach den Pferden zu sehen, vor allem aber, damit der Hake ihn nicht fand und dann bei ihm blieb. Wirklich, er sah den Ritter nicht mehr und war bald oben in Annas Gemach. Gott Dank, die Kinder waren nicht da. Ohne viel Umschweife redete er sich alles vom Herzen, was ihn die ganze Zeit bedrückt hatte. Dann stand er auf, kniete an ihrem Sessel und bat: „Anna, liebste Anna, sag’ ja, werd’ mein, und du bist geborgen für immer. Du kannst sofort mit den Kindern zu meiner Mutter, sie kennt meine Absichten, freut sich darüber und schließt dich mit herzlicher Liebe als Tochter in ihre Arme. Liebste, sag’ ja, und alles wird gut für dich und für mich.“

Wie Himmelsmusik klang das in den Ohren des verzagten Mädchens. Gysebert war ihr seit den Kinderjahren kein Fremder. Immer war er freundlich zu ihr gewesen. Immer hatte sie sein Kommen mit stiller Freude begrüßt, immer als liebsten Trost, als süßen Zufluchtsort in den Gedanken sich eingesponnen, einmal an Gyseberts Hand durchs Leben zu gehen.

„Gysebert“, sagte sie schlicht, „seit Jahren habe ich dich gerne, und oft habe ich mich glücklich gefühlt in dem Gedanken, einst die Deine zu werden.“

Sie reichte ihm ihre Rechte. „Gysebert, auf ewig die Deine!“

Stürmisch stand er auf und schloß sie in seine Arme. Er fühlte, wie ihre Tränen flossen.

„Still“, flüsterte sie plötzlich, „horch! Da ist jemand. Der Schwager überrascht uns.“

Gysebert stand neben ihrem Sessel: „Mag er kommen. Meine Braut soll mir niemand auf Erden rauben, ganz gewiß nicht dieser Ritter Harbort. Kann hereinkommen, wenn er will, ich teile ihm sofort mit, was wir beiden soeben verabredet haben.“

Damit ging er zur Tür und öffnete, aber da war niemand zu sehen. „Du hast dich verhört, Liebste, hier ist nichts.“

„Ich habe mich nicht verhört, Harbort war da, ich habe es gehört und auch gefühlt. Aber bitte, sage ihm nicht, was wir eben besprochen haben. Ich weiß ganz sicher, er hintertreibt es mit allen Mitteln und wären es die bösesten.“

„So? Dann gerade muß er es wissen!“

„Nein, o bitte, lieber Gysebert, nein. Noch darf er nichts wissen, glaube ich, ich kenne ihn viel besser als du! Versprich mir, nichts zu sagen!“

„Nun gut, du banges Kind, schau nicht so ängstlich drein, ich will ja tun, wie du wünschest. Ohnehin, wenn du erst auf Barenaue bist – – – –“

„Ja, wenn! Wäre ich nur schon glücklich da mit den Kindern.“

„Ich schicke noch heute einen Boten von Osnabrück zur Barenaue. Meine Mutter selbst soll in den nächsten Tagen kommen und dich mit den Kindern abholen. Und nun, Liebste, laß mich ziehen, nur wenige Tage, dann sehen wir uns glücklich auf der Barenaue wieder!“

Eine lange Umarmung, heiße Küsse. Ach, der schönen Anna Hake wird wieder so wehe ums Herz. Eben noch so glücklich und nun wieder dieses bittere Abschiedsweh. Aber es mußte sein, und in wenigen Tagen – – – sollte es wirklich wahr werden?

Es dauerte nicht lange, da hörte sie im Burghof Pferdehufe klappern. Gysebert und sein Knappe ritten davon. Ob der Schwager im Burghof bei ihm war, und Gysebert sich von ihm verabschiedete, konnte sie nicht sehen; aber wohl, wie die Zugbrücke herunterknatterte und wie er die Allee nach Iburg heraufritt.

Ehe der Wald ihn aufnahm, hielt er sein Pferd an, wandte sich zurück, sah ihr weißes Tuch flattern und winkte ihr mit der Hand zu.

Anna, eben noch glückliche Braut, jetzt wieder totunglücklich und verlassen, sank auf den Teppich nieder und weinte herzbrechend: „Ich sehe ihn niemals wieder! Nie, niemals wieder!“

Herein kamen alle Kinder gestürmt, noch etwas atemlos und mit heißen Gesichtern, der Johann auch. Anna saß im Sessel und hatte eine Stickerei zur Hand, eine herrliche Goldreliefarbeit, die Kinder sahen sie immer mit viel Bewunderung; aber die Jutilde sagte sofort: „Muhme Anna hat schon wieder geweint.“ Dann erzählte der Johann von dem Pferd des Ritter von Bar, und wie der Ritter wär’ gepanzert gewesen und was er mit dem Vater draußen auf dem Burghof gesprochen, immer nur vom Krieg, und der Herr Ritter ziehe nun gleich mit seinem Knappen in den Krieg und schlage die Räuber tot. „Der Ritter ist sehr tapfer, er schlägt sie alle tot, welche nicht ganz flink weglaufen. Und wenn sie auch weglaufen, er packt sie doch, denn sein Pferd kann schneller laufen, als solch ein Räuber. Und dem Ritter können all die Räuber gar nichts tun. Denn er hat doch seinen Harnisch von Stahl an und seinen Helm auf. Beinschienen hat er nicht, die hatten sie früher immer an, besonders der Drost vom Sparenberg, als der einmal hier war, weißt noch, Muhme Anna? Der war mit uns Kindern so nett. – Jedoch, was ist das? Warum läßt denn der Wiker schon wieder die Zugbrücke herunter? O schau, Muhme Anna, der Vater und der Peter Brockhagen, sieh’, Muhme Anna, die reiten auch weg, wohin will er denn bloß. Es ist doch bald Abend. Und Harnisch haben sie beide an, Helm auf. Der Vater hat links das Schwert, rechts den Dolch; der Peter Brockhagen auch. Wohin wollen sie nur?“

Anna war aufgesprungen und schaute dem ausreitenden Ritter nach. Wieder kam eine gräßliche Angst über sie. Die Kinder sahen es nicht. Denn sie sahen immer nur auf die zwei wegreitenden Gepanzerten und plapperten lustig weiter. Aber Muhme Anna hörte nichts davon. Ihre Gedanken kreisten immer nur um die, die da ritten; um Gysebert, den Heißgeliebten, ihre einzige Zuflucht, und um die, die hinter ihm drein geritten sind. Warum hinter ihm?

Abends zum Nachtessen sagte die neue Magd, die Ritter Harbort angeschafft hatte, weil die treue Wendelburg gehen mußte: „Der Herr Ritter läßt Euch sagen, er verbietet mit allerschärfster Strafe, daß eines von den Kindern aus Scheventorf wegkommt, wir sollen alle streng darauf achten, und er wird bald zurück sein.“

Anna erwiderte nichts, aber sie dachte, nun kann auch sie nicht zur Barenaue. Denn ohne die Kinder geht sie nicht, niemals, das hat sie der lieben, armen Schwester Heilwig in deren letzter Stunde versprochen! Und das Versprechen wird sie halten, solange sie lebt. Was sollte auch wohl aus den Kleinen werden ohne Muhme Anna? Wenn also die gute Frau von Bar kommen würde, wie ihr Gysebert es wollte, und Ritter Harbort war noch nicht wieder zurück, dann konnte sie nichts anderes tun, als sie allein nach der Barenaue zurückfahren lassen. Anna fühlte beklemmende Herzstiche.

Aber von der Barenaue kam nichts, nicht einmal eine Nachricht. Und von Gysebert auch nicht. Auch Ritter Harbort blieb mit Peter Brockhagen einen Tag nach dem andern weg. Es waren trübe, schwarze Tage für die Einsame.

Die schöne Anna von Hake auf Scheventorf

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