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Ganz normale Magie – Geleitwort von Werner Greve

Es ist oft zweischneidig, wenn Begriffe Karriere machen. Die Konnotationsinflation, die mit breiter Verwendung regelmäßig einhergeht, wird dem Bemühen um Genauigkeit entgegenwirken, und die fachgrenzenüberschreitende Popularität einer Idee bahnt nicht selten den Weg zur unbestimmten Metapher. Andererseits dient es einer ungewöhnlichen Idee, wenn Viele sie bedenken, denn die Chance auf substanzielle Kritik an ihr steigt mit ihrer Bekanntheit, und nur durch Kritik kann Klarheit gewonnen werden.

In jedem Fall sinkt mit der Konjunktur eines Konzeptes die Übersichtlichkeit der Debatte, und so ist es ein durchaus anspruchsvolles Unterfangen, ihren Stand in einer synoptischen Monografie zusammenfassen zu wollen. Das Dilemma zwischen Fairness und Position, die Notwendigkeit, gerecht sein zu wollen und gleichzeitig selektiv sein zu müssen, erschwert die Aufgabe. Aber was soll man machen, wenn das Thema unwiderstehlich ist?

Und dieses Thema ist unwiderstehlich. Warum gelingt es manchen Menschen manchmal, Umstände umstandslos zu meistern, die den meisten schwer zu schaffen machen, Krisen zu durchlaufen, ohne dass sie selbst oder andere spüren, dass es eine Krise hätte werden können? Dieses faszinierende Phänomen eben bezeichnet der Begriff der „Resilienz“: Belastungen nicht belastend zu finden, an denen alle anderen schwer tragen. Völlig klar: Wenn wir besser verstehen würden, was Resilienz ausmacht, wie sie entsteht, was günstige Bedingungen für sie sind, dann könnten wir all jenen vielleicht helfen, für die Belastungen belastend, Krisen kritisch, Hürden unüberwindlich, Konflikte lähmend sind. Nichts könnte wichtiger sein, denn „all jene“ – sind wir selbst.

So scheint es uns jedenfalls. Denn mit den meisten Krisen kommen die meisten von uns nicht gut zurecht – so denken wir. Aber ist das wirklich so? Erinnern wir uns nicht deswegen an Krisen, weil sie kritisch waren, und vergessen die, die andere so erlebt hätten, wir aber nicht? Haben wir solche Krisen, die für uns keine wurden, womöglich erst gar nicht bemerkt? Sind wir, womöglich, selbst resilient, jedenfalls mitunter? Wenn es so wäre: Woran könnten wir das erkennen?

Theoretische Herausforderungen

„Ein Bumerang ist, wenn man ihn wegwirft, und er nicht zurückkommt, dann war’s keiner.“ Seltsamerweise ist diese Definition nicht seltsam (abgesehen von der Grammatik), es macht keine Mühe, sie zu verstehen. Offenbar ist ein Bumerang etwas, das zurückkommt, wenn man es (auf die richtige Weise) wegwirft. Warum kommt der Bumerang zurück? Nun, wenn man ihn wegwirft, und er kommt nicht zurück, dann ist es eben keiner. So verführerisch einfach das klingt, es gibt hier offenbar ein ernstes Problem: Das ist keine Erklärung. Gewiss, wenn er nicht zurückkommt, ist es kein Bumerang, aber damit ist nicht erklärt, warum er zurückkommt, wenn er einer ist. Man nennt Dinge, die zurückkommen, Bumerang, aber das ist nur ihr Name, nicht die Erklärung.

Resilienz bezeichnet den Umstand, dass Menschen unter Umständen Belastungen oder Herausforderungen schadlos überstehen, die anderen Menschen schwer und lange zu schaffen gemacht oder sie sogar nachhaltig geschädigt hätten. Das ist bemerkenswert, höchst interessant, aber es ist keine Erklärung. Gewiss, die Konstellationen, in denen die Schädigung doch eintritt, nennen wir deswegen dann gerade nicht „Resilienz“ – aber das hilft eben nicht weiter: Wir wollen gerne wissen, warum und wie man potentiell schädigende Umstände gut überstehen kann.

Dies genau ist das Anliegen von Bernhard Leipolds Buch: Der Versuchung zu widerstehen, eine tautologische Eigenschaftserklärung zu formulieren (etwa: „Es ist eben die individuelle Eigenschaft ‚Resilienz‘, die diese Menschen so resilient sein lässt.“), sondern stattdessen nach den zugrunde liegenden Prozessen und Mechanismen zu fragen, die seitens der betroffenen Personen dazu beitragen, dass sie in einer Konstellation von Herausforderungen und Umständen resilient bleiben.

Es ist klug, hierzu mehr als einen Ausgangspunkt zu wählen und verschiedene historische und systematische Entwicklungslinien des Resilienzkonzeptes zu verfolgen. Zunächst entsteht so ein facetten- und detailreiches Bild der Herausforderungen und Erträge, die mehr als ein halbes Jahrhundert psychologischer Resilienzforschung erbracht haben. Wenn man das Buch von Bernhard Leipold liest, wird man viel darüber erfahren, welche Wege die Suche nach der Erklärung von Resilienz gegangen ist, und eben dadurch viel darüber, wie weit das Fach in dieser Zeit auch schon gekommen ist. Manches war gleichzeitig, nicht alles konvergent, nicht wenig auch kontrovers, und längst nicht alles ist geklärt. Aber auch wenn das Bild auf diese Weise bunt(er) geworden ist – es ist auch schärfer geworden.

Die Polyvalenz der Resilienz

Aber es steckt mehr im Thema, und in Bernhard Leipolds Buch, als eine Synopse der Geschichte der Resilienzdebatte. Beim genaueren Besehen zeigt sich, dass zentrale Fragen der Entwicklungspsychologie – die Spannung zwischen Stabilität und Wandel, die Auslösebedingungen für Veränderung, um nur zwei Beispiele zu nennen – ebenso zwanglos wie anschaulich als Implikationen von Resilienz behandelt werden können.

Sind beispielsweise nicht „kritische Lebensereignisse“ genau die Sorte von Erfahrungen, bei denen sich Resilienz erweisen kann, muss? Oder gerade nicht? Sind kritische Lebensereignisse nicht deswegen (und nur dann) „kritisch“, wenn sie die Entwicklung des betroffenen Menschen nachhaltig verändern? Wenn aber dies Ereignis eine nachhaltige Wirkung hatte, dann war der, der von ihm betroffen war, jedenfalls in Bezug auf dieses Ereignis offenbar gerade nicht resilient (... ein Bumerang ist, wenn ...). Wie kann man das lösen, wie Resilienz verstehen? Wenn die Bewältigungsforschung einen Konsens erbracht hat, dann den, dass nicht das objektive Ereignis, sondern seine subjektive Verarbeitung – die schon bei der Wahrnehmung beginnt – zählt. Sind also die Personen besonders resilient, die kritische Lebensereignisse erst gar nicht erleben? Erlebt aber nicht jeder Mensch kritische Lebensereignisse, Wendepunkte im Leben, die, auch wenn sie uns im Einzelfall unerwartet treffen mögen, meistens dann doch so außerordentlich nicht sind: Scheidungen, Unfälle, Überfälle, Erkrankungen, schwere Verluste oder Enttäuschungen? Und wenn diese kritischen Lebensereignisse für die meisten von uns nicht eben dies wären: Belastungen, Bedrohungen, dann würden wir sie nicht so nennen. Die meisten von uns haben an den meisten von diesen zu kauen. Manche von uns aber nicht. Manche von uns leben trotz solcher Ereignisse, vielleicht nach kurzem Innehalten, vielleicht auch sofort, einfach weiter, als hätte es sie nicht gegeben, als wären sie keine „kritischen“ Ereignisse. In der Tat: Für diese Menschen sind sie nicht kritisch gewesen. Wie ist das nur möglich? Eben: Seit rund einem halben Jahrhundert hat sich der Begriff „Resilienz“ als Name für diese Frage eingebürgert. Und ganz gewiss hat sich die Frage, wie denn manche Menschen mit Schwierigkeiten und Belastungen fertig werden, mit denen die meisten nicht so gut fertig werden, als äußerst fruchtbar erwiesen.

Die Faszination des Themas Resilienz liegt eben darin: Einfache Antworten führen sofort ins Unwegsame. Gewinnend an dem Buch von Bernhard Leipold ist es, derartige Schwierigkeiten weder ausgespart noch übertrieben zu haben. Denn bei allen Zirkelschlussgefahren (vom Bumerang-Typus) ist das Phänomen selbst schwer zu bezweifeln: Mit Lebenskonstellationen, die die meisten von uns nicht ohne Weiteres meistern, kommen manche von uns fast mühelos zurecht. Dafür eine gute Erklärung zu finden würde, nicht zuletzt, fruchtbare Pfade für Intervention und eines Tages sogar Prävention eröffnen. Zu den Besonderheiten seines Buches gehört es, gerade dieser Perspektive hinreichend Raum, ja ein eigenes Kapitel gewidmet zu haben.

Entwicklung als Rahmen, nicht Störungen

Eines der Verdienste des Themas Resilienz ist es, den Blick einer ganzen Disziplin verändert, jedenfalls geweitet zu haben. Die klassische Perspektive der Entwicklungspsychologie war es bis weit über die Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts hinaus, „Entwicklung“ zwingend als „Veränderung“ zu lesen: Wenn sich nichts verändert, dann kann sich also nichts entwickelt haben. Der Fokus auf Resilienz hat diese vermeintliche konzeptuelle Gewissheit nachhaltig infrage gestellt: Entwicklung kann auch erklären (helfen), warum man manchmal keine Veränderung sehen kann.

Es ist deswegen nicht nur sinnvoll, sondern tatsächlich nötig und überdies fruchtbar, Resilienz nicht einfach nur als protektiven Faktor zu sehen, als Schutzschild gegen eine ansonsten kaum vermeidliche Schädigung, sondern vielmehr als Fenster zum besseren Verständnis der grundlegenden Spannung zwischen Stabilität und Wandel. Deswegen ist es nicht nur sachlich fruchtbar, Entwicklungsregulationstheorien breiten Raum in der Diskussion zu gewähren, es führt die Diskussion auch über das Thema hinaus. So wird die Diskussion eines – auf den ersten Blick: speziellen – Themas wirklich fruchtbar.

Normale Magie

Ist Resilienz wirklich besonders? Selbst bei sehr schweren Belastungen (z.B. Gewalt- und Kriminalitätserfahrungen, schwere Erkrankungen) gelingt es vielen Menschen (tatsächlich der Mehrzahl der Betroffenen), einen Weg in ein konstruktives Weiterleben zu finden, eine Rückkehr in die Hoffnung, eine Neugewinnung lohnender Ziele. Das höhere Alter, ein Lebensabschnitt in dem Verluste sich häufen, lässt die allermeisten Menschen die allermeiste Zeit nicht verzweifeln, im Gegenteil. Offenbar ist das Wunder (der Resilienz), wie Ann Masten es treffend formuliert hat, fast alltäglich. Wir können das (fast) alle, (fast) immer schon.

Ein Grund mehr, sich von der Perspektive des Spektakulären zu verabschieden, die in Resilienz nicht das Allgemeine vermutet, sondern das Außergewöhnliche sucht. Daher ist der vielleicht überzeugendste Gedanke in Bernhard Leipolds Buch der Ansatz, von einem allgemeinen Modell der Entwicklungsregulation auszugehen, davon eben, dass wir alle fast immer resilient sind – oder besser gesagt: dass die meisten Lebenskonstellationen aus Herausforderungen, Fähigkeiten und Ressourcen die Stabilität nicht gefährden. Man spricht immer dann von „Resilienz“, wenn einmal auffällt, dass man an dieser Herausforderung auch hätte scheitern können. Nichts besseres kann man von einem Überblicksbuch sagen: dass es, durch den Überblick, den Blick verändern kann. Entwicklung kann sich, je nach Perspektive, in Beharrung zeigen. Gern mag man auch dem Buch selbst in diesem Sinne Bestand wünschen.

Hildesheim, den 8. März 2015

Prof. Dr. rer. nat. Werner Greve

Universität Hildesheim, Institut für Psychologie

Resilienz im Erwachsenenalter

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