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1 Einführung

Das vorliegende Kapitel führt zunächst in das Konzept der Resilienz ein. Resilienz wird im Folgenden schwerpunktmäßig aus Sicht der Psychologie behandelt und es werden damit verbundene Frage- und Problemstellungen vorgestellt. Dies geschieht insbesondere aus entwicklungspsychologischer Sicht, wobei das Erwachsenenalter im Vordergrund stehen wird. Nach der Einführung in das Problem werden historische Vorläufer der aktuellen Resilienzforschung vorgestellt und ein vorläufiges Arbeitsmodell vorgeschlagen, das sich als ordnender Rahmen zur Untersuchung von Resilienzphänomenen eignet, und anhand dessen die Vielzahl an Studien und Befunden zum Thema Resilienz im weiteren Verlauf des Buches dargestellt, vertieft und diskutiert wird. Schließlich werden methodische Zugänge eingeführt, die zur Beurteilung der Aussagekraft der zahlreichen nachfolgend dargestellten empirischen Studien beitragen.

1.1 Psychische Widerstandsfähigkeit und positive Entwicklung trotz widriger Umstände

Zahlreiche Publikationen und Überblicksarbeiten zur psychischen Resilienz beziehen sich auf die amerikanische Entwicklungspsychologin Emmy Werner und machten ihre Untersuchungen, insbesondere die an Kindern auf der Hawaii-Insel Kauai, zu den weltweit bekanntesten zum Thema (Werner, 1993, 2007b). In einer Längsschnittstudie über einen Zeitraum von mehreren Jahren wurde gezeigt, dass sich Kinder, die teilweise auch mehreren bedrohlichen sozialen, körperlichen oder biologischen Faktoren ausgesetzt waren (z.B. Armut, Komplikationen bei der Geburt), im Durchschnitt erwartungsgemäß ungünstiger entwickelten als Kinder, die nicht mit vergleichbaren Risikofaktoren konfrontiert gewesen waren. Vor diesem Hintergrund ist es geradezu bemerkenswert, dass es dennoch manchen Kindern gelang, sich trotz zahlreicher Risikofaktoren positiv zu entwickeln, d.h. sie wurden später nicht auffallend delinquent und zeigten auch kaum psychische oder gesundheitliche Beeinträchtigungen.

Resilienzbegriff

Man spricht in der Psychologie von Resilienz, wenn eine erfolgreiche Anpassung gelingt, obwohl widrige Umstände vorliegen (Greve & Staudinger, 2006; Masten & Wright, 2010; Masten et al., 1990). In einem allgemeineren Sinn bezeichnet Resilienz auch die Fähigkeit, mit Veränderungen umgehen zu können, lässt sich dann aber kaum von Konzepten wie Coping/Bewältigung, Plastizität oder Selbstregulation unterscheiden.


Medienlink: Einführung in die Resilienz: Bei dem folgenden Beitrag handelt es sich um ein Interview mit dem Psychologen Denis Mourlane, in dem einige zentrale Facetten des Resilienzkonzepts vorgestellt werden. Es informiert anhand von alltagsnahen Beispielen sehr anschaulich, durch welche psychischen Prozesse resiliente Personen gekennzeichnet sind. http://www.management-radio.de/karriere-management-resilienz/

Der Resilienzbegriff wird außerhalb der Psychologie auch in Disziplinen wie der Ökologie und der Soziologie verwendet. Wir konzentrieren uns in diesem Buch jedoch auf die psychologischen Verwendungen, die bei genauerer Betrachtung trotz gemeinsamer Elemente doch sehr unterschiedliche Akzente setzen.

Ein Blick auf die ursprüngliche Wortbedeutung von „Resilienz“ ist aufschlussreich, weil es hier schon mehrere und durchaus unterschiedliche Facetten sind, die mit dem Begriff verbunden werden. „Resilienz“ wurzelt im lateinischen Verb resilire und kann übersetzt werden mit „zurückspringen, abprallen, abspringen“, aber auch mit „sich zusammenziehen, sich verkleinern, schrumpfen“. Das klingt sportlich, verweist aber gleichzeitig auf Zurücknahme und Bescheidung. Ein verwandter Begriff, resistere, bedeutet „sich widersetzen, Widerstand leisten“. Heute würde man dabei an den Umgang mit „Krisen“ oder „Stress“ denken. Vor diesem Hintergrund wird deutlich, dass Resilienz kein Trumpf ist, der wie im Skat bei gutem Blatt von oben runter gespielt wird, um der Gegenpartei keinen Stich zu lassen. Die Verhältnisse liegen anders und es gibt keinen Anlass zu einem Durchmarsch: Resilienz bedeutet vielmehr, dass gravierende Bedrohungen, Schäden oder Verluste vorliegen (Filipp & Aymanns, 2010) und man dennoch die Kraft besitzt, Widerstand zu leisten. Die Bewältigung von alltäglichen Aufgaben und Bagatellen ist nicht gemeint.

Resilienz ist möglich und oft auch wahrscheinlich, wenn Individuen über gewisse soziale oder individuelle Ressourcen verfügen, wie es mittlerweile zahlreiche empirische Befunde belegen (Glantz & Johnson, 1999; Masten & Wright, 2010). Menschen, die zeitweise in schwierigen familiären und finanziellen Verhältnissen leben, können sich durchaus positiv entwickeln und die Herausforderungen, denen sie sich stellen müssen, erfolgreich bewältigen. Es konnte eine große Variationsbreite in der Anpassung an Herausforderungen beobachtet werden. Risikofaktoren wie gesundheitliche Beeinträchtigungen, familiäre Armut, Arbeitslosigkeit oder migrationsbedingte soziale Isolation können bewältigt und gravierende langfristige psychische Beeinträchtigungen vermieden werden.

Entwicklungspsychologische Perspektive

Allerdings sollte man einräumen, dass eine Bewältigung im späteren Lebensverlauf, also im mittleren und höheren Erwachsenenalter, unter extremen Belastungen nicht immer gelingt und individuelle Anstrengungen häufig auch scheitern. Vieles erledigt sich ja im Alter nicht einfacher als in der Jugend, und es waren Vertreter der Psychologie der Lebensspanne, die mit Nachdruck darauf hingewiesen haben, dass die Entwicklung von Gewinnen und Verlusten differenziert voneinander betrachtet werden sollten (P.B. Baltes, 1987). Resilienz aus einer entwicklungspsychologischen Sicht bedeutet, dass eine Vielzahl unterschiedlicher Faktoren und Ressourcen, die koordiniert werden müssen, zur Widerstandsfähigkeit beitragen, und sich zum Teil mit dem Alter systematisch verändern. Im Folgenden wird unter der entwicklungspsychologischen Perspektive hauptsächlich verstanden, dass es um Veränderungen von individuellen Anpassungsprozessen geht.

Resilienz beruht auf dem Zusammenspiel von persönlichen Kompetenzen (z.B. Strategien der Bewältigung, persönliche Zielstruktur) sowie sozialen Strukturen und kulturellen Förderungsangeboten (z.B. Familie, Freizeit und Beruf; Weiterbildungs- und Interventionsangebote), die zur Verfügung stehen und ihrerseits die Entwicklung von individuellen Bewältigungskompetenzen kanalisieren und beeinflussen können (Brandtstädter, 2001).

Während sozialpsychologische Zugänge stärker die Rolle der sozialen Interaktion bei Resilienz fokussieren und persönlichkeitsorientierte Ansätze häufiger von stabilen Eigenschaften (Dispositionen) und individuellen Unterschieden handeln (vgl. auch Kap. 1.3 und 3.1), wird Resilienz hier als Gegenstand von Entwicklung im Erwachsenenalter konzipiert. Resilienz wird also im Folgenden nicht als eine stabile Eigenschaft aufgefasst, über die manche Menschen in einem höheren Ausmaß verfügen als andere: Vielmehr wird sie als ein Produkt des Zusammenspiels vieler Ressourcen und psychischer Prozesse verstanden, die sich ihrerseits entwickeln. Resilienz ist ein temporärer Zustand, der erklärungsbedürftig ist. Im günstigen Fall bedeutet Resilienz eine positive Anpassung im Sinne einer Weiterentwicklung („Man wächst mit seinen Krisen.“), oder sie bedeutet, dass der Status quo in gewissen Lebensbereichen aufrechterhalten werden kann, obwohl andere beeinträchtigt sind (Leipold & Greve, 2009; Staudinger et al., 1995). Im weniger günstigen Fall wird der Schaden begrenzt, was durchaus auch als Erfolg gewertet werden kann. Ausschließliche Verluste oder Abbauprozesse in schwierigen Lebenssituationen werden in der Regel nicht als Formen von Resilienz bezeichnet.

1.2 Fragestellungen und Inhalte des Buches

In diesem Buch geht es insbesondere um folgende Fragen: Wie kann Resilienz gelingen? Von welchen Faktoren und Prozessen hängt Resilienz ab? Wie entwickelt sich Resilienz im Erwachsenenalter und Alter (Reich et al., 2010)? Zur ansatzweisen Beantwortung dieser durchaus schwierigen Fragen sollen insbesondere drei Bereiche bzw. Blickwinkel genauer beleuchtet werden, die als zentral für die Genese und Beurteilung von Resilienz angesehen werden:

1 Die Risikofaktoren, die tatsächlich zu einem gravierenden Problem werden können und die individuellen Bewältigungskompetenzen herausfordern (z.B. ernsthafte Veränderungen des Gesundheitszustands, Entwicklungsaufgaben und kritische Lebensereignisse, Zustände des Ungleichgewichts; Kap. 2).

2 Die Kriterien, nach denen beurteilt wird, inwieweit Resilienz vorliegt (Konzepte wie erfolgreiches Altern, Baltes & Baltes, 1990; Baltes & Carstensen, 2003; positive Entwicklung, Brandtstädter, 2011; persönliches Wachstum und Lebenssinn, Ryff, 2013; Ryff & Singer, 1998; Kap. 2).

3 Die strukturellen Merkmale von Bewältigungsprozessen (Prozesse der Adaptation), über die Menschen verfügen, um mit ihren Problemen umzugehen. Es wird untersucht, wie die Bewältigungsprozesse funktionieren, womit diese zusammenhängen und inwieweit hier Regelmäßigkeiten zu beobachten sind, wenn Individuen ihre Reserven nutzen oder ausbauen, um den Risiken und Anforderungen zu begegnen (Kap. 3).

Resilienz aus entwicklungspsychologischer Perspektive (Greve & Staudinger, 2006) befasst sich mit den altersbezogenen Veränderungen der Risikofaktoren und der adaptiven Prozesse.

Das Buch möchte zu einem besseren Verständnis beitragen, wie das Zusammenspiel unterschiedlicher Faktoren zu Resilienz führt oder eben nicht. Zwei Konzepte sind bereits angeklungen, mit anhand derer nun Resilienz genauer bestimmt werden soll: Gleichgewicht und Prozesse der Adaptation.

Herstellung von Gleichgewicht

Ungleichgewichtszustände oder Stress verursachen adaptive Prozesse bzw. fordern sie heraus. Sind beispielsweise die eigenen Ziele blockiert und die gewohnten Handlungen führen nicht zur Lösung eines Problems, wird ein solcher Zustand als unangenehm bzw. als Bedrohung oder Herausforderung interpretiert. In zwei entwicklungspsychologischen Theorien sind die Vorstellungen zu Gleichgewicht (Äquilibration; Piaget 1975) bzw. Ist-Soll-Diskrepanzen (Brandtstädter, 2011, S. 102) zentrale Elemente. Ungleichgewichtszustände sind Störungen, und es werden Prozesse der Regulierung angenommen, die korrigierend eingreifen und ausbalancieren (Piaget, 1974, S. 14). Wenn ein Zustand des Gleichgewichts (wieder) hergestellt wurde, werden die Prozesse nicht (mehr) beansprucht.

Gleichgewicht, ein allgemeines und grundlegendes Konzept in Piagets Entwicklungstheorie, beschreibt die balancierten Zustände, die durch Prozesse der Anpassung hergestellt wurde. Im Gleichgewichtskonzept wird auch ein wichtiger Mechanismus dessen auf den Punkt gebracht, was Resilienz ausmacht: Resilienz wurde über eine erfolgreiche Anpassung trotz widriger Umstände (z.B. Entwicklungsprobleme) definiert und der Vergleich mit einer Wiederherstellung von Gleichgewicht liegt nahe.

Das Bild der Waage veranschaulicht diese abstrakte Annahme, die wichtig für das Verständnis dafür ist, wie Resilienz funktioniert. Das angemessene Verhältnis, das durch Entwicklungsaufgaben oder kritische Lebensereignisse ins Ungleichgewicht gebracht wurde und durch adaptive Prozesse ständig wiederhergestellt (balanciert) wird, ist in Abbildung 1.1 dargestellt. Das Ungleichgewicht ist hier kaum sichtbar. Das kann daran liegen, dass keine Entwicklungsprobleme vorliegen oder daran, dass die adaptiven Prozesse wirksam waren. Formen des Ungleichgewichts, womit hier zunächst sämtliche Formen von Stress, Problemen, Schwierigkeiten bezeichnet werden, welche die Kräfte eines Organismus deutlich beanspruchen, finden sich im Erwachsenenleben in vielfältigen Ausprägungen. Der Weg aus der Arbeitslosigkeit oder der Umgang mit einer nicht heilbaren Erkrankung sind zwei Beispiele, bei denen körperliche und psychologische Prozesse beansprucht werden. Albrecht Dürer gibt in seinem Holzstich dem Reiter eine stark strapazierte Waage zur Hand (Abb. 1.2). Er zeigt bewegtes und zu Ende gehendes Leben, und dass viele Krisen, zumindest Wind und Wetter, auf die Waagschalen wirken.


Abbildung 1.1: Beinahe balancierte Waage


Abbildung 1.2: Nicht balancierte Waage (Albrecht Dürer, 1498: Die vier apokalyptischen Reiter, Ausschnitt)

Insbesondere zwei psychologische Prozesse sind von Bedeutung, wenn es darum geht, Anpassung zu lernen oder zu trainieren, wie es ein Ziel praktischer Ansätze zur Förderung von Resilienz ist: die des Wollens (Erhöhung bzw. Mäßigung der eigenen Ansprüche) und die des Könnens (erfolgreiche Bewältigung im Sinne kognitiver Meisterung der Probleme). Das Verhältnis von zielbezogenem Handeln (Brandtstädter, 2011) und kognitiver Bewältigung (Piaget, 1974; Meumann, 1908) ist auch entscheidend für Resilienz.

Das erinnert an Platons Metapher der Mischung von Lust und Vernunft, in der das Gute im menschlichen Leben zu suchen ist (Gadamer, 1978/1997), in seinem Dialog „Philebos“: Weder ein Leben in Lust noch ein Leben in Vernunft ist gut, sondern nur ein aus beiden gemischtes. Erfolgskriterien für Resilienz, die das Angemessene zum Maßstab haben, haben mit dem Mittleren zwischen Extremen zu tun. Entscheidungen, die in schwierigen Situationen getroffen werden müssen, schließen einen Moment der Ungewissheit mit ein (Gadamer, 1978/1991, S. 196). Der Mensch setzt sich Maßstäbe und verbindet sein Handeln mit bestimmten Ansprüchen. Die Anwendung einer Technik erfordert mitunter Übung und fachmännische Erfahrung; häufig sind dabei bestimmte Konsequenzen des menschlichen Handelns nicht vorauszusehen, etwa wenn Interventionen zu unerwünschten Nebeneffekten führen. Was angemessen ist, lässt sich erst beurteilen, wenn man sich auf Kriterien geeinigt hat, wonach beurteilt werden soll. Zum Schwierigen und mitunter Spannenden des Lebens gehört neben der Erfahrung von Schwierigkeiten und Verlusten die (psychologische) Auslotung durch kognitive und motivationale Prozesse. Ein besseres Verständnis der Funktionsweise der adaptiven Prozesse kann möglicherweise dazu beitragen, dass man sie gezielt beeinflussen und optimieren kann.

Prozesse der Adaptation

Aus einer entwicklungspsychologischen Perspektive sind gerade die alterskorrelierten Veränderungen der biologischen Wachstums- und Abbauprozesse, die Veränderungen der sozialen Erwartungen an alternde Menschen und die systematischen Veränderungen der persönlichen Werte- und Zielstruktur inklusive des Anspruchsniveaus von Interesse (Baltes et al., 2006). Diese Veränderungen, die teilweise auch unverhofft eintreten können, etwa wenn man Opfer eines Verkehrsunfalls mit bleibenden Schäden wird, werden in diesem Buch genauer beleuchtet.

Aber was genau tun Menschen in prekären Situationen, wenn sie sich bemühen, die Umstände den eigenen Bedürfnissen anzupassen? Wie werden Pläne geschmiedet? Was passiert auf psychologischer Ebene, wenn man sich mit seiner Situation abfindet – oder besser gesagt: abfinden muss? Einen relativ breiten Raum sollen die psychologischen Prozesse der Adaptation erhalten: persönliche Ziele, Erwartungen der Selbstwirksamkeit, individuelle Kontrollüberzeugungen und emotionale Begleitumstände zählen dazu. Von diesen und weiteren Prozessen des Denkens und Problemlösens, der Wahrnehmungs- und Aufmerksamkeitssteuerung hängt es ab, inwieweit Individuen ihre Krisen und Herausforderungen meistern und auch langfristig bewältigen können (vgl. das „flexible Selbst“, Brandtstädter, 2007a).

Assimilation und Akkommodation

Piaget hat bekanntlich zwei Formen der Anpassung unterschieden, die Assimilation und die Akkommodation (Piaget, 1975). Im Falle der Assimilation sind kognitive Vorgänge gemeint, bei denen ein vorhandenes kognitives Schema auf verschiedene Situationen angewendet und beibehalten wird. So neigen Kinder im Vorschulalter häufig zu der Annahme, dass Personen, die sich auf einer anderen räumlichen Position befinden (z.B. auf der anderen Seite eines im Zimmer arrangierten Spielzeug-Gebirges), das sehen, was sie selbst aus ihrer Position wahrnehmen können. Die eigene Perspektive wird assimilativ auf andere Personen übertragen, bis gelernt wird, dass Personen, die sich woanders im Raum befinden, möglicherweise ein anderes Wahrnehmungsfeld zur Verfügung steht. Ist nämlich die Fähigkeit zur Perspektivenübernahme hinreichend entwickelt, können die Kinder „erkennen“ oder wissen, dass beispielsweise die Sicht auf die Spielzeug-Kühe verstellt sein kann, wenn man sich auf der anderen Seite des Gebirges befindet. Diese Einsicht in die verstellte Sicht kann als Akkommodation bezeichnet werden. Im Falle der Akkommodation werden bestimmte Schemata sachgemäß revidiert, sie passen sich den Gegebenheiten an.

Zwei-Prozess-Modell

Im Rahmen des Zwei-Prozess-Modells, einer ausgewogenen und differenziert formulierten Entwicklungstheorie des Erwachsenenalters, verwendet Brandtstädter (2011) die beiden Begriffe in einer anderen Bedeutung. Assimilation bedeutet hier das Festhalten an persönlichen Lebenszielen, die durch wahrgenommene Diskrepanzen zur Realität und altersbezogene Veränderungen bedroht sind. Der Fokus liegt stärker auf motivationalen und emotionalen Prozessen bei Zielbindungs- und –lösungsprozessen. Piagets Kriterium ist dagegen eher die Adäquatheit der Anpassung (Intelligenz) und der Bezug zu evolutionären Entwicklungstheorien (Piaget, 1975), weniger der motivationale Prozess, inwieweit man die eigenen Ziele verfolgen möchte oder davon ablässt. Auf der Ebene von Handlungen setzt Piaget zwar ein strukturierendes, intentionales Subjekt voraus (darin Brandtstädter ähnlich), aber eben auch eine logische Koordination und erkennendes Denken. Akkommodation im Sinne von Piaget beruht auf der Erfahrung oder lediglich der Tatsache, dass ehemals assimilative Operationen sich als korrekturbedürftig erwiesen haben. Akkommodation im Sinne Brandtstädters bezeichnet die Veränderung der eigenen Zielstruktur, die eintreten kann, wenn die Verfolgung der Ziele bedroht ist und nicht umgesetzt werden kann. Akkommodativ in diesem Sinn wäre es, wenn man sich vom Unerreichbaren abwendet und seine Konzentration auf alternative Ziele verlagert, die besser verwirklicht werden können.

Sowohl Prozesse des Denkens als auch Zielbindungen und –lösungen sind von entscheidender Bedeutung für die Entwicklung von Resilienz. Es stellt sich das Problem, wann ein Festhalten an den eigenen Zielen und wann eine flexible Zielanpassung angemessener ist. Assimilation und Akkommodation tragen jedenfalls beide dazu bei, dass Ungleichgewichtszustände wieder ausgeglichen werden.

Die Prozesse, die zur Anpassung und Balance beitragen, verändern sich mit zunehmendem Alter, sie entwickeln sich. Viele Veränderungen werden im fortgeschrittenen Alter als Verlust eingeschätzt (Heckhausen et al., 1989) und insbesondere Veränderungen der körperlichen und kognitiven Funktionstüchtigkeit erschweren die Anpassungsprozesse mitunter erheblich. Sie stellen also zum einen die widrigen Umstände dar, die Anpassungsprozesse herausfordern, können aber auch die Funktionstüchtigkeit der Anpassungsprozesse erschweren.

Inwieweit man aber von erfolgreicher Anpassung, also Resilienz, sprechen kann, hängt von der jeweiligen Messlatte, eben den Erfolgskriterien ab, die zur Bewertung herangezogen werden. Letztere müssen spezifiziert werden, wenn empirisch-wissenschaftlich belegt werden soll, inwieweit Resilienz vorliegt. Dabei geht es um Fragen wie die, ob eine Lähmung geheilt werden muss, um von Resilienz sprechen zu können, oder ob es „genügt“, sich mit der Krankheit zu arrangieren, also mit der Querschnittslähmung zu leben, ohne daran zu verzweifeln. Es geht schließlich um die Trauben von Äsop und Phaedrus, die so hoch hängen, dass man als hungriger Fuchs an sie nicht herankommt. Ist es eine Niederlage, wenn man sich eingestehen muss oder kann, dass sie außer Reichweite liegen, oder ist es ein Zeichen von Resilienz, dass man daran nicht verzweifelt?

Auch wenn der Begriff der Resilienz seit den letzten sechzig Jahren verstärkt in der Psychologie verwendet wird, wäre es vorschnell zu behaupten, dass die Fabeldichter Konjunktur haben, und zwar deswegen nicht, weil sich das Thema, die Bewältigung von Krisen, wie ein Kontrapunkt durch die Geschichte der Menschheit zieht. Seit alters her bewegen sich „Glücksrezepte“ und Empfehlungen zwischen stoischer Gelassenheit, körperlichen Trainings und strategischen Taktiken. Gleichwohl geben die empirischen Befunde der letzten Jahre ein differenziertes Bild auf die zugrundeliegenden Prozesse von Resilienz und zeigen auf, wo individuelles Gestaltungspotential ausgeschöpft werden kann und wo bislang (noch?) Grenzen liegen.

Eugen Roth hat die Aufgabe, die sich für den Einzelnen daraus ergibt, in der Nachdenklichen Geschichte in Verse gekleidet. Er macht darauf aufmerksam, dass der Umgang mit Krisen und die damit verbundene Sorge um die nachfolgenden Generationen zur Entwicklungsaufgabe des Menschen gehört.

„Ein Mensch hält Krieg und Not und Graus,

Kurzum, ein Hundeleben aus,

Und all das, sagt er, zu verhindern,

Daß Gleiches drohe seinen Kindern.

Besagte Kinder werden später

Erwachsne Menschen, selber Väter

Und halten Krieg und Not und Graus ...

Wer denken kann, der lernt daraus.“ (Roth, 1975, S. 54)

Der ironische Unterton, den man aus der letzten Zeile herauslesen kann, sei dem Dichter gestattet; er schickt sich jedoch nicht für ein wissenschaftliches Buch, wenn er so missverstanden würde, dass sich der Autor zurücklehnen kann, weil der Lauf der Dinge unterschiedliche Generationen immer wieder herausfordert bzw. zurückwirft, und sowieso jeder seines Glückes Schmied ist.

Es werden im Folgenden zahlreiche empirische Befunde zu Resilienz im Erwachsenenalter vorgestellt und teilweise auch einer Bewertung unterzogen. Die Wissenschaft mit ihren empirischen Studien kann dem Einzelnen allerdings den Lernprozess nicht abnehmen. Aber sie kann zeigen, unter welchen Bedingungen welche Konsequenzen wahrscheinlicher werden, und so auf Ansatzpunkte aufmerksam machen, die in einer anwendungsbezogenen Forschung trainiert oder modifiziert werden, um den jeweiligen Herausforderungen erfolgreich begegnen zu können.

Anwendungsbezug

Aus Sicht der Anwendungsforschung gewinnt die Frage an Bedeutung, ob und wie Resilienz gefördert bzw. trainiert werden kann (Kap. 5). In Zeiten schwerer Krisen, in Situationen der Vulnerabilität oder des Verlustes brauchen, so scheint es, viele Betroffene durchaus Unterstützung dabei, dass sie die richtigen Entscheidungen treffen. Opfer von Katastrophen, Kriegen und Gewalt sind mitunter so stark belastet, dass ihre Kompetenzen nicht ausreichen, sich allein aus eigener Anstrengung den Krisen zu widersetzen. Die Entwicklung von Präventions- und Interventionsmöglichkeiten, welche die adaptiven Prozesse fördern und damit zur Überwindung von Krisen beitragen, gehört zu den Anliegen der Gesundheitswissenschaft. Trainings, die kognitive Leistung, Handlungs- und Problemlösestrategien steigern, werden allgemein als wichtig angesehen, setzen aber in der Regel ein gewisses Ausmaß an Eigenmotivation der Betroffenen voraus, die zunächst gefördert werden muss, bevor sie aktiv werden und sich anstrengen, die Widrigkeiten strategisch zu bewältigen. Interventionen, welche jedoch Prozesse wie das Akzeptieren von nicht mehr korrigierbaren gesundheitlichen Beeinträchtigungen ermöglichen sollen, würden vernünftigerweise vielleicht weniger an der Selbstmotivierung ansetzen als vielmehr an den automatischen psychischen Prozessen, welche eine Ablösung sowie Umdeutung begünstigen und die Verlagerung zu neuen Interessen und Sinnperspektiven ermöglichen (Brandtstädter, 2000).

1.3 Historische Vorläufer und verwandte Konzepte

Der Begriff Ich-Resilienz (ego-resiliency) wurde zusammen mit der Ich-Kontrolle (ego-control) in der Psychologie bereits in den 1950er Jahren von Jack Block verwendet (Letzring et al., 2005).

Ich-Kontrolle

Die Ich-Kontrolle bezieht sich auf die Hemmung bzw. den Ausdruck von Impulsen, worin sich Personen mitunter deutlich unterscheiden, und variiert zwischen den Dimensionen der Über- bzw. Unterkontrolle. Überkontrollierte Personen halten ihre Impulse und affektiven Reaktionen in der Grundtendenz eher zurück. Sie haben Schwierigkeiten, wenn es darum geht, Entscheidungen zu treffen, schieben Belohnungen auf und sind in der Lage, Aufgaben über einen langen Zeitraum hinweg zu verfolgen, ohne sich ständig ablenken zu lassen. Sie haben sich bzw. ihre unmittelbaren Reaktionen „unter Kontrolle“, was je nach Situation vorteilhaft, aber auch mit Nachteilen verbunden sein kann. Unterkontrollierte Menschen reagieren hingegen oftmals eher impulsiv und spontan, d.h. sie sind emotional schnell erregbar, aufbrausend, eingeschnappt oder erfreut. Inwieweit das jeweils sozial angemessen ist, sei dahingestellt. Sie bevorzugen eher unmittelbare Belohnungen und lassen sich schneller ablenken.

Ich-Resilienz

Die sog. Ich-Resilienz wurde als eine weitere zentrale Facette der Persönlichkeit vorgestellt, welche die dynamische Fähigkeit von Personen bezeichnet, das Ausmaß an Ich-Kontrolle zu verändern, wenn es die Situation erfordern sollte. Sie können ihre Impulsivität anpassen, was vielfach vorteilhafter erscheint als das Verharren in einer Reaktionstendenz. Auf eine solche adaptive Kapazität bzw. Flexibilität wird noch ausführlich eingegangen, weil die Idee der Anpassung für Resilienz von zentraler Bedeutung ist.

hardiness

Ein weiteres Persönlichkeitsmerkmal, auf das in der Resilienzforschung häufig verwiesen wird (Knoll et al., 2013), ist die hardiness (Widerstandsfähigkeit; Kobasa, 1979; Maddi, 2013). Kobasa verglich zwei Gruppen von Männern, die zwar ein vergleichbares, hohes Ausmaß an kritischen Lebensereignissen erlebt hatten, aber einen unterschiedlichen Gesundheitszustand berichteten, der über eine Krankheitsliste erhoben wurde. Es zeigte sich, dass die Gruppe mit viel Stress und wenig Krankheiten (die Resilienten) über mehr Selbstverpflichtung (commitment) sowie mehr internale Kontrollüberzeugungen (control) verfügten und Veränderungen als Herausforderung (challenge) interpretierten. Dieses Persönlichkeitsmuster bezeichnete Kobasa als hardiness.

Persönlichkeitstheoretische Zugänge zeigen also unterschiedliche Merkmale (z.B. Kompetenzen, Fähigkeiten) auf, über die Personen mehr oder weniger verfügen und die zur Erklärung von Resilienz herangezogen werden. Dabei stellt sich allerdings auch die Frage nach deren Entwicklung und Beeinflussbarkeit. Maddi (2013) spricht von einem Muster von Einstellungen und Strategien (bestehend aus commitment, control, challenge), die alle drei hardiness konstituieren. Sie können seiner Ansicht nach durch die soziale Unterstützung von Eltern oder Mentoren erlernt werden, sie sind also veränderbar.

Coping

Hardiness im Verständnis Maddis weist Ähnlichkeiten mit Bewältigungsformen auf, die als problemorientiertes Coping bezeichnet wurden (Folkman & Lazarus, 1980). Vermeidende Bewältigungsformen und Verdrängung des Problems wären der gegenteilige Pol. Der Begriff „Coping“ wird sehr häufig in der neutralen Form verwendet (Wentura et al., 2002), d.h. Menschen wenden unterschiedliche Bewältigungsformen an, aber inwieweit dies mit Erfolg verbunden ist, ist eine offene empirische Frage.

Sehr häufig wird in Anlehnung an Lazarus und Folkman zwischen problemorientiertem und emotionsorientiertem Coping unterschieden (Smith & Kirby, 2011). Im ersten Fall sind Strategien gemeint, die das Problem beseitigen, im zweiten Fall handelt es sich um Bewältigungsformen, welche die emotionalen Reaktionen auf Stress verändern oder lindern. Wenn man die beiden Formen einander gegenüberstellt, wird man vielleicht schnell geneigt sein, der Problembeseitigung den Vorzug zu geben und die emotionale Bewältigung als die Form zweiter Wahl anzusehen. Gerne wird auch die Fuchsfabel so interpretiert: Besser wäre es doch, er käme an die Trauben ran! Dass er sich denkt, dass die Trauben sauer sind und deswegen seine Unzulänglichkeit nicht beklagen muss, ist nicht viel mehr als ein Zugeständnis, das aus der Not eine Tugend macht. Wenn man die (künstliche) Dichotomie so aufspannt, ist es verständlich, dass viele in der Tat dazu tendieren, die selbstgestalterische Kraft und Potenz zu bevorzugen und die Akzeptanz ihres Schicksals denjenigen zu überlassen, die zu mehr nicht in der Lage sind. Dass es Formen der Stressbewältigung gibt, die in jeder Situation anderen überlegen wären oder generell als günstig bezeichnet werden können, ist jedoch mit guten Gründen bezweifelt worden (Greve, 2008). Wir werden in Kapitel 3 noch ausführlicher darauf eingehen, wenn es um die adaptiven Prozesse geht, die zu Resilienz führen.

Stadien der Resilienzforschung

Die psychologische Resilienzforschung hat während der letzten Jahrzehnte unterschiedliche Schwerpunkte durchlaufen und eine Reihe von wichtigen Fragen untersucht. Gerade wurde das vierte Forschungsstadium durchschritten, wenn man der Zählung von Masten folgt (Masten & Wright, 2010). In den frühen Studien stand noch im Vordergrund, wodurch Resilienz charakterisiert ist, wie sie definiert und gemessen werden kann. Darauf folgte eine Fokussierung der Prozesse, die zu Resilienz führen (die Wie-Frage nach der Funktion). In einem dritten Stadium verfolgte man die Fragestellung, wie durch geeignete Interventionen die dafür nötigen Kompetenzen und skills gefördert werden können. In jüngster Zeit wurden schließlich vermehrt die Einflüsse von genetischen und neurologischen Faktoren auf die Entwicklung von Resilienz untersucht. Während man sich in den frühen Studien zu Resilienz häufig auf die Kindheit und die Untersuchung von Persönlichkeitsunterschieden konzentrierte, erfuhr das Forschungsfeld schließlich auch eine theoretische und empirische Ausweitung auf die gesamte Lebensspanne (Greve & Staudinger, 2006; Staudinger et al., 1995).

biologische Stresskonzepte

Der amerikanische Physiologe Walter Cannon und der in Wien gebürtige Mediziner Hans Selye begründeten die Stressforschung in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts (Cannon, 1932; Selye, 1936), noch bevor es ein Resilienzkonzept gab, wie es heute in der Psychologie verwendet wird. Beide interessierten sich vor allem für neurobiologische Abläufe in Stress- oder Gefahrensituationen.

Cannon prägte das Fight-or-flight-Syndrom, das die schnellen und unmittelbaren körperlichen und psychischen Anpassungsformen in Gefahrensituationen beschreibt. Kämpfen oder die Flucht ergreifen sind Reaktionsformen eines Organismus, bei denen Energie für ein Verhalten bereitgestellt wird, welches das Überleben in Gefahrensituationen sichert.

Hans Selye entwickelte in den 1930er Jahren die Grundlagen für die Stressforschung (Szabo et al., 2012). Er begründete den Begriff Stress und das allgemeine Adaptationssyndrom, ein Reaktionsmuster auf länger anhaltenden Stress. Ist ein Organismus längere Zeit Stressoren (z.B. Hunger, Hitze, Leistungsdruck etc.) ausgesetzt, kann dies kurzfristig zu einer erhöhten Widerstandskraft führen, langfristig jedoch zu körperlichen Schäden und Erschöpfung. Stresshormone wie Adrenalin und Cortisol sowie körperliche Anpassungsreaktionen verursachen zwar eine erhöhte Leistungsbereitschaft, aber ihre Aufrechterhaltung kostet den Organismus Kraft. Körperliche Anpassungen von Lebewesen in Gefahrensituationen als Stressreaktion beinhalten die Freisetzung von Adrenalin sowie Veränderungen des Herzschlags, der Atmungsfrequenz und der Muskelanspannung. Eine Dauerbelastung führt zum Nachlassen der Körperkraft und zum Zusammenbruch des Organismus. Die Funktionstüchtigkeit der biologischen Prozesse ist aus der biologischen Perspektive wesentliches Kennzeichen von Resilienz.

Salutogenese

Das Konzept der Salutogenese (Antonovsky, 1987; Bengel & Lyssenko, 2012) ist ein Rahmenkonzept, das sich mit der Entstehung und der Erhaltung von Gesundheit beschäftigt und in den Sozialwissenschaften sowie in der Medizin weit verbreitet ist. Der Sozialmediziner Aaron Antonovsky prägte den Begriff und stellte der westlichen medizinischen Forschung in Abgrenzung zur Pathogenese ein Konzept entgegen, das sich auf positive Gesundheits- und Entwicklungszustände konzentriert (vgl. auch die positive Psychologie; Seligman & Csikszentmihalyi, 2000). Im Vordergrund steht die Suche nach Antworten darauf, was Menschen gesund hält, und nicht die Frage, warum man erkrankt, wie es im biomedizinischen Denkmodell verbreiteter ist. Auch das Konzept der Resilienz betont positive Umstände, d.h. Faktoren, die zur Widerstandsfähigkeit beitragen, während das Konzept der Vulnerabilität die negativen Aspekte stärker fokussiert.

Kohärenzgefühl

Antonovsky entwickelte einen Fragebogen zur Lebensorientierung, der das Kohärenzgefühl (sense of coherence, SOC), also ein Gefühl der Stimmigkeit des Lebens als Grundhaltung oder Zielgröße erfasst. Das Kohärenzgefühl hängt mit Gesundheitsvariablen zusammen und beinhaltet drei Komponenten:

a die Verstehbarkeit (sense of comprehensibility; konsistente und geordnete kognitive Verarbeitung),

b die Bewältigbarkeit (sense of manageability; wahrgenommene Ressourcen, um den Anforderungen zu begegnen) und

c die Sinnhaftigkeit (sense of meaningfulness; das Ausmaß, in dem man das Leben emotional als bedeutsam ansieht).

Die drei Faktoren weisen eher Gemeinsamkeiten auf und lassen sich empirisch nicht scharf trennen, so dass man sie häufig inhaltlich zusammenfasst.

Kohärenzsinn ähnelt den bereits beschriebenen Konzepten (vgl. Hardiness; Coping). Die Fähigkeit oder Bereitschaft, sich sog. „positiven“ Konzepten zuzuwenden, kann durchaus förderlich im Stress-Bewältigungsprozess sein und zu einer erhöhten Lebensqualität beitragen. Antonovsky betont Zusammenhänge zwischen Kohärenzsinn und organismischen Funktionen (Immunsystem, Zentralnervensystem, Hormonsystem). Dass Kohärenzsinn mit gesundheitsbezogenen Variablen zusammenhängt, ist zwar noch kein überzeugender Beleg dafür, dass Kohärenzsinn auch zu Gesundheit führt, allerdings ein Ausgangspunkt für die Untersuchung von Resilienz.

Will man den Kohärenzsinn verändern, bedeutet das eine Veränderung der eigenen Ziel- und Wertestruktur. Dies ist, neben der Fähigkeit zur Einsicht in die relevanten Strukturen, eine Schlüsselvariable, wenn man die eigene Resilienz steuern oder beeinflussen möchte. Die psychologischen Prozesse und die Definition von Gesundheit werden im Folgenden noch ausführlicher behandelt. Zunächst wird ein Arbeitsmodell der Resilienz als Rahmen vorgestellt, anhand dessen sich die beteiligten Prozesse ordnen und empirisch untersuchen lassen.

1.4 Die Struktur der Resilienz

Die unterschiedlichen disziplinären Zugänge zu Resilienz (vgl. auch Fröhlich-Gildhoff & Rönnau-Böse, 2011; Knoll et al., 2013), die bisher nur kurz und sehr selektiv angesprochen wurden, lassen bereits erkennen, dass das Thema fächerübergreifend von Bedeutung ist. Dabei wird deutlich, dass Resilienz unterschiedlich aufgefasst werden kann: als biologisch-körperliche Veränderungen und als psychische Anpassungen an die jeweiligen Umstände. Soziale Prozesse und ökologische Systeme wurden bislang zwar nicht weiter ausgeführt, sind jedoch auch mit dem Resilienzkonzept verflochten. Überhaupt liegt mittlerweile eine Vielzahl an theoretischen Überlegungen, empirischen Befunden und Übersichtswerken zum Thema vor (Glantz & Johnson, 1999; Reich et al., 2010), so dass vieles, auch wenn man sich auf die psychologische Literatur im Erwachsenenalter beschränkt, nicht erschöpfend rezipiert, geschweige denn in einem einführenden Buch erwähnt werden kann. Das hier Vorgestellte in eine geordnete Struktur zu bringen ist schon deswegen nicht einfach, weil die vorliegenden Arbeiten trotz Überschneidung teilweise doch sehr unterschiedliche Schwerpunkte setzen, wo die entscheidenden Faktoren zu suchen sind, die zu Resilienz beitragen. Es soll im nächsten Schritt ein ordnungsgebender Rahmen als Arbeitsmodell der Resilienz vorgestellt werden, anhand dessen eine Vielzahl der vorliegenden Befunde und Überlegungen eingeführt und diskutiert wird.

Arbeitsmodell der Resilienz

In Anlehnung an theoretische Überlegungen (Garmezy, 1991; Greve & Staudinger, 2006; Rutter, 1993) wird der Vorschlag gemacht, Resilienz als relationales Konstrukt aufzufassen. Dadurch soll zum Ausdruck gebracht werden, dass sich Resilienz aus mehreren Komponenten zusammensetzt und dass eine Dynamik zwischen den Komponenten besteht, also Kräfte bzw. (adaptive) Prozesse unterstellt werden. Es werden, wie bereits angesprochen wurde, Risikofaktoren bzw. Vulnerabilitätsfaktoren angenommen, die einen Organismus längerfristig schädigen und die sich auf andere Lebensbereiche auswirken können bzw. mit diesen verflochten sind. Resilienz ist demnach keine stabile Eigenschaft und umfasst nicht allein internale Vorgänge.

Inwieweit sich die „Krisen“ (Stress, wahrgenommene Diskrepanzen) ausbreiten und andere Lebensbereiche belasten, hängt von Prozessen der Adaptation ab, über die Personen verfügen. Diskrepanzen treten beispielsweise dann auf, wenn man man feststellen muss, dass die Lebensumstände nicht den Ansprüchen genügt. So kann man gesundheitliche Veränderungen registrieren und dies zum Anlass nehmen, seinen Lebensstil zu ändern. Ob die eigenen Bemühungen zur Entwicklung einer Widerstandsfähigkeit führen, ist eine empirisch offene Frage. Menschen, denen dies gelingt, bezeichnen wir als resilient. Wenn man neben gesundheitlichen Problemen noch Familienangehörige hat, um die man sich kümmern muss, und zudem noch berufstätig ist, kann es allerdings sein, dass sich die Situation ungünstig auf die Konzentrationsfähigkeit am Arbeitsplatz auswirkt. In Abbildung 1.3 ist ein – aus Gründen der Übersichtlichkeit zunächst sehr vereinfachtes – Resilienzmodell dargestellt.


Abbildung 1.3: Relationales Resilienzmodell: Dargestellt ist das Resilienzphänomen, dass Risikofaktoren (z.B. starker Stress am Arbeitsplatz) zu einer Widerstandsfähigkeit führen und nicht zu Burnout. Dies kann durch adaptive Prozesse gelingen, indem man etwa zum Ausgleich andere Hobbies oder Identitätsprojekte verfolgt.

In dem Modell ist der relationale Charakter von Resilienz zentral, wonach Resilienz durch eine bestimmte Person-Situations-Konstellation definiert wird, die aus drei Komponenten besteht.

Demnach wird angenommen, dass Resilienz aus dem Zusammenspiel von Risikofaktoren und adaptiven Prozessen entsteht. In zahlreichen empirischen Studien wurde das Zusammenspiel untersucht, sehr häufig in Querschnittstudien, seltener im Längsschnitt. Um die Befunde besser interpretieren zu können, werden zwei methodische Grundgedanken erläutert.

1.5 Methodische Grundkenntnisse

Die adaptiven Prozesse vermitteln, so wurde häufig argumentiert, ob und wie stark die Risikofaktoren zu negativen Konsequenzen führen (Greve & Staudinger, 2006; Staudinger et al., 1995). In der Literatur wird häufig danach unterschieden, ob die Wirkung direkter oder indirekter Art ist und wie man sich die Wirkmechanismen der adaptiven Prozesse dabei vorstellen kann. Dies soll an dieser Stelle schon kurz vertieft werden, weil später auf zahlreiche empirische Studien und deren Ergebnisse verwiesen wird. Um den Gehalt der Ergebnisse und die Vor- und Nachteile der Studien besser beurteilen zu können, erscheint es wichtig, die Machart der gängigen Studien zu verstehen, mit denen man das Resilienzphänomen empirisch stützt. Schließlich würde man gerne wissen, was Menschen resilient macht - und man bezieht sich deswegen auf empirische Studien, um sich im günstigen Fall dem Ursache-Wirkungs-Gefüge nach dem Vorbild der sog. exakten Wissenschaften und Naturwissenschaften anzunähern.

Es werden nun zwei methodische Zugänge anhand ihrer Grundidee vorgestellt. Wir unterscheiden zunächst nur korrelative Studien von Experimentalstudien, in denen Personen bestimmten Gruppen zugewiesen werden. Dabei wird die jeweilige Argumentationsstruktur erläutert und auf Vor- und Nachteile hingewiesen, ohne dass fortgeschrittene Statistik- und Methodenkenntnisse vorauszusetzen sind. So können die Befunde zumindest in Grundzügen nachvollzogen werden.

1.5.1 Korrelative Studien

In korrelativen Studien werden Ausprägungen von Merkmalen erhoben, wie man sie zum Zeitpunkt der Messung vorfindet, und in einer statistischen Auswertung miteinander in Beziehung gesetzt. Wenn mehrere Personen zu einem Messzeitpunkt befragt werden, lassen sich Korrelationen (Eid et al., 2013, Kap. 15) zwischen Variablen berechnen.


So lässt sich z.B. ermitteln, ob es in der untersuchten Stichprobe einen Zusammenhang zwischen dem Ausmaß einer gefühlten Belastung und regelmäßiger sportlicher Betätigung gibt. Sport könnte also zu Resilienz beitragen, indem er den „Kopf frei macht“ und von temporären Schwierigkeiten ablenkt. Andererseits ist es aber auch nicht unplausibel, dass eine geringere Belastung die sportliche Aktivität begünstigt.

Querschnitt Längsschnitt

Wenn zudem Menschen unterschiedlichen Alters untersucht werden und das Lebensalter mit sportlicher Aktivität oder gefühlter Belastung korreliert wird, spricht man auch von Querschnittstudien. Um eine Längsschnittstudie (Schmiedek & Lindenberger, 2012) handelt es sich dann, wenn Ausprägungen oder Merkmale derselben Studienteilnehmer zu mehreren Untersuchungszeitpunkten erhoben werden (mindestens zweimal, besser häufiger). Man kann dann von Veränderungen oder Verläufen sprechen, z.B. von einem Genesungsverlauf nach schwerer Krankheit. Auch längsschnittliche Studien sind Korrelationsstudien, weil die Vorhersage der Veränderungen über die Zeit auch auf Korrelationen beruht.

Korrelative Studien zählen zu den am häufigsten durchgeführten in der aktuellen psychologischen Resilienzforschung. In korrelativen Studien werden beispielsweise das Ausmaß möglicher Stressoren (z.B. chronische Erkrankungen, finanzielle Engpässe, erfahrene Gewalt), aber auch mögliche protektive Faktoren (z.B. individuelle Ressourcen wie Selbstvertrauen, Selbstwirksamkeitsüberzeugungen, soziale und emotionale Unterstützung, Medikamente oder eine Therapie) zu einem oder zu mehreren Untersuchungszeitpunkten erhoben. Man kann damit zeigen, ob etwa das Ausmaß eines oder mehrerer (wahrgenommener) Risiken mit einer unerwünschten Konsequenz wie einer erhöhten Depressivität korreliert.

Das Vorliegen von Risiken und unerwünschten Folgen oder Begleiterscheinungen wird in vielen Studien als Ausgangspunkt herangezogen, um sich dem Resilienzproblem zu nähern. Man interessiert sich für statistisch bedeutsame Zusammenhänge zwischen Risiken und Konsequenzen, die in querschnittlichen und längsschnittlichen Studien untersucht werden. Als Hinweis für Resilienz wird es gewertet, wenn sich zeigen lässt, dass die Zusammenhänge zwischen Risiken und Konsequenzen geringer werden bzw. sich ganz auflösen, wenn bestimmte protektive Faktoren oder adaptive Prozesse vorliegen. Im Folgenden werden zwei Wirkmechanismen der adaptiven Prozesse vorgestellt, die üblicherweise als Mediation und Moderation bezeichnet werden (Baron & Kenny, 1986; Eid et al., 2013). Auf diese Unterscheidung wird hier kurz eingegangen, weil die Begriffe in vielen Studien (teilweise unterschiedlich) verwendet und als empirische Evidenz dafür herangezogen werden, inwieweit die adaptiven Prozesse den Zusammenhang zwischen möglichen Risiken und Konsequenzen regulieren. Es handelt sich um verfeinerte korrelative Auswertungsmethoden.

Mediation

Wenn eine Mediation vorliegen soll, erwartet man, dass, methodisch ausgedrückt, erstens ein bedeutsamer Zusammenhang zwischen einem Prädiktor (z.B. Risiko, Stressor, wahrgenommene bedrohliche Situation) und einem Kriterium (z.B. Depressivität) besteht, d.h. es muss eine Korrelation zwischen beiden Größen bestehen (Baron & Kenny, 1986). Zweitens muss die potentielle Mediatorvariable (die „vermittelnde“ oder erklärende Variable, z.B. Coping, soziale Unterstützung) sowohl mit dem Prädiktor als auch mit dem Kriterium korrelieren. Wenn in einer Studie noch drittens gezeigt werden könnte, dass ein Risiko mit sozialer Bewältigung (z.B. die Suche nach emotionaler Unterstützung) korreliert und soziale Bewältigung mit weniger Depressivität einhergeht, wären die Voraussetzungen für eine Mediation erfüllt. Wenn sich nun darüber hinaus zeigen lässt, dass die soziale Unterstützung über den eben beschriebenen Weg dazu führt, dass der Zusammenhang zwischen Risiko und Depressivität geringer wird bzw. gar nicht mehr vorhanden ist (d.h. statistisch bedeutungslos ist), würde man soziale Unterstützung als Mediator interpretieren. Mit sozialer Unterstützung steht und fällt in diesem Beispiel der Zusammenhang zwischen Risiko und Depressivität. In Abbildung 1.4 ist eine Mediation anhand eines weiteren Beispiels dargestellt.


Abbildung 1.4: Beispiele für Mediation und Moderation

Meditation: Schwarzer und Knoll (2007) haben gezeigt, dass das Ausmaß an erhaltener sozialer Unterstützung nach einer schweren Operation nicht direkt mit einer Symptomreduktion zusammenhängt (der Pfad von sozialer Unterstützung zu der Reduktion körperlicher Krankheitssymptome war nicht signifikant), sondern über den Weg der Selbstwirksamkeit. Sie interpretieren, dass Selbstwirksamkeit durch soziale Unterstützung mobilisiert wird und diesen Zusammenhang vermittelt.

Moderation: Der Zusammenhang zwischen Stress und eingeschränkter Funktionstüchtigkeit ist bei Personen, die über wenige Ressourcen verfügen, besonders stark. Bei Personen mit vielen Ressourcen ist er hingegen schwächer.

Moderation

Nun ist es aber fraglich, inwieweit Risiken tatsächlich mit sozialer Unterstützung zusammenhängen bzw. zu deren Erhöhung führen, wie man genauer formulieren müsste. Es kann doch sein, dass Menschen in einer ähnlichen Risikosituation sind und über ein mehr oder weniger gutes soziales Netzwerk verfügen, ohne dass man annehmen muss, dass das Risiko die soziale Unterstützung mobilisiert. In diesem Falle kann man in der Studie prüfen, ob ein Moderator vorliegt.

Wenn unterschiedlich starke statistische Zusammenhänge zwischen Risiko und Kriterium vorliegen, je nachdem, wie eine dritte Variable (eben der Moderator, z.B. die soziale Unterstützung oder andere Ressourcen) ausgeprägt ist, kann man sagen, dass die Drittvariable den Zusammenhang moderiert. Wenn man, anders ausgedrückt, zwei Gruppen unterscheiden kann, wobei in der einen mit wenig sozialer Unterstützung das Risiko mit Depressivität korreliert, in der anderen mit viel Unterstützung nicht, dann wird die soziale Unterstützung als Moderator bezeichnet.

Kausalität

Hinter den Begriffen „Mediation“ und „Moderation“ steht letztlich die Frage nach (bzw. das gewichtige Problem) der Kausalität. Man würde gerne die relevanten Faktoren und Prozesse kennen, um zu verstehen, warum sich Vulnerabilität oder Widerstandskraft entwickelt. Es geht um das Verhältnis von Ursache und Wirkung und um die wissenschaftstheoretische Diskussion des hinreichenden und notwendigen Grundes. Neben dem reinen Erkenntnisinteresse bemüht man sich auch um das kausale Verständnis der Ursachenketten, um die Entwicklungsverläufe nach Möglichkeit positiv zu gestalten.

Bewertung von Korrelationen

Ohne an dieser Stelle eine differenzierte Methodenkritik führen zu können, sollen einige Vor- und Nachteile korrelativer Studien genannt werden.

Querschnittsstudien sind vergleichsweise ökonomisch; mit Fragebogenstudien lassen sich Personen einer großen Altersspanne erfassen, was den Forderungen nach repräsentativen Stichproben leichter genügen sollte. Wenn man stattdessen medizinische Diagnosen stellt oder Interviews führt und die Ergebnisse anschließend mathematisch quantifiziert, ist das zwar aufwendiger, ändert aber nichts an der Aussagekraft. Es wird geprüft, ob es statistisch bedeutsame Zusammenhänge zwischen möglichen Stressoren und Kriterien gibt, und ob diese abnehmen (bzw. sich erklären lassen), wenn Moderatoren oder Mediatoren berücksichtigt werden.

Die Kritik, die hier angeführt wird, ist, dass man an die Kausalität nur unzureichend heranreicht, weil die Richtung der Interpretation offen und uneindeutig ist. Zudem kann soziale Unterstützung ihrerseits mit Extraversion oder Offenheit für neue Erfahrungen zusammenhängen (und manche sind geneigt, hier den Genen das Haupt-Erklärungspotential zuzusprechen), und/oder sie kann auf frühere Lernerfahrungen, Erziehungsstile oder berufliche Sozialisation zurückzuführen sein. Man kann sich zwar bemühen, möglichst viele Einflussfaktoren zu erheben und deren Rolle als Moderatoren bzw. Mediatoren in der statistischen Auswertung zu prüfen, aber es bleiben zu viele alternative Erklärungsmöglichkeiten übrig. Somit gilt die gängige Merkregel aus dem Statistik-Grundkurs, dass man aus Korrelationen keine Kausalität ableiten kann. Auch Veränderungen lassen sich in Querschnittstudien nicht beobachten. Umso wichtiger erscheint die Formulierung theoretischer Annahmen darüber, durch welche Faktoren sich welche Konsequenzen erklären lassen, d.h. die Formulierung von Annahmen der Wirkrichtung, die dann anhand der Stichprobendaten empirisch überprüft werden können (Pedhazur, 1997, Kap. 18; Schmiedek & Lindenberger, 2012).

In längsschnittlichen Studien kann man zwar die zeitliche Reihenfolge von Lern- und Entwicklungsprozessen berücksichtigen, aber zahlreiche Alternativerklärungen oft nicht ausschließen. Man hat neben dem hohen Erhebungsaufwand noch das Problem, dass mit zunehmender Studiendauer mit einem Stichprobenausfall zu rechnen ist. Wenn dieser nicht nach dem Zufallsprinzip geschieht und sehr groß ist, entstehen durch Selektionseffekte ernsthafte Probleme bei der Interpretation und Generalisierbarkeit der Ergebnisse. Emmy Werner (2007a, S. 54) erinnert daran, dass gerade in Längsschnittstudien zu Resilienz, die eine lange Zeitspanne umfassen und ins höhere Alter der Probanden hineinreichen, Personen mit der größten Resilienz überrepräsentiert sind, weil Personen mit höherer Vulnerabilität wegen Krankheiten nicht mehr teilnehmen können oder bereits gestorben sind. Wenn dies der Fall ist, muss man fragen, für welche Personengruppen die Ergebnisse der Längsschnittstudie repräsentativ sind.

Ebenso kann es sein, dass durch die mehrmalige Bearbeitung derselben Fragen Übungseffekte entstehen, d.h. dass die Beantwortung durch eine häufige Präsentation des Aufgabenmaterials erlernt wurde.

Gleichwohl ist es möglich, dass korrelative Studien Hinweise auf kausale Mechanismen geben, die sich in alternativen methodischen Zugängen wie Experimenten oder Interventionsstudien erhärten lassen.

1.5.2 Studien mit systematisch variierten Gruppen

Bei einem Experiment handelt es sich um eine Studie, bei der bestimmte Faktoren systematisch variiert werden, von denen man annimmt, dass sie eine zentrale Rolle bei der Vorhersage von bestimmten Zuständen spielen. Gleichzeitig wird versucht, störende Faktoren konstant zu halten. Menschen werden deswegen mitunter in Laborbedingungen untersucht, in denen nach Möglichkeit nur die zu untersuchenden Bedingungen variiert werden. Wenn alles andere vergleichbar ist und nur einer Gruppe ein Medikament oder eine Instruktion gegeben wird, einer anderen Gruppe aber nicht, können die möglichen Unterschiede in der sog. abhängigen Variable, nur auf die Manipulation zurückzuführen sein. Um diese Interpretation plausibel zu machen, ist die Randomisierung (zufällige Zuweisung) der zu untersuchenden Personen in die Experimental- oder Kontrollbedingungen die wichtigste Kontrollform. So sollten sich auch biografische Unterschiede, die die Personen mitbringen, auf die Gruppen gleichmäßig verteilen oder „ausmitteln“, damit möglichst eindeutig erkennbar wird, ob die systematisch herbeigeführte Variation der Bedingungen zu Veränderungen führt.

Interventions- vs. Evaluationsstudie

In entwicklungsorientierten Interventionsstudien wird der Versuch unternommen, geplante und gewünschte Veränderungen herbeizuführen, die Alterns- und Entwicklungsprozesse beeinflussen (Wahl et al., 2012). Man ist dabei bemüht, altersbezogene Abbauprozesse zu verlangsamen, zu kompensieren und bestimmte Fähigkeiten zu optimieren. In Evaluationsstudien werden die Effekte einer kritischen Bewertung unterzogen. Häufig führt man die Studien mit Kontrollgruppen durch, um einen Vergleichsstandard für die möglichen Effekte von Interventionen zu erhalten. In der angewandten Forschung ist eine zufällige Zuweisung zur Interventions- bzw. Kontrollgruppe z.B. aus ethischen Gründen nicht immer möglich, was dann die Interpretation der Intervention als Ursache von Verhaltensänderungen problematisch macht. Falls sich die Intervention über einen längeren Zeitraum erstreckt (z.B. Therapie), kann man schwer vermeiden, dass unkontrollierbare Nebeneinflüsse wirksam werden, was sich ebenfalls erschwerend auf die Interpretation der Befunde auswirkt.

Bewertung von Experimenten

Vergleicht man die Aussagekraft eines sauber kontrollierten Experiments (mit randomisierter Bedingungszuweisung) mit einer korrelativen Studie, so ist der empirische Nachweis einer kausalen Wirkung bestenfalls in einem exakten Experiment gewährleistet. Allerdings steckt der Preis dafür in einer künstlich geschaffenen experimentellen Situation, welche das Problem aufwirft, inwieweit das Ergebnis auf alltägliche Situationen übertragbar ist.

In der anwendungsbezogenen Forschung, wozu Studien zu Resilienz oder Gesundheitsförderung gehören, stößt man allerdings auf Schwierigkeiten. Manche Medikamente verändern ihre Wirkung, wenn gleichzeitig andere Medikamente eingenommen werden. Bestimmte Wirkungen von Interventionen zeigen sich vielleicht nur im Experiment, aber nicht mehr, wenn Personen ihren Alltagsaktivitäten nachgehen und sich in ihrem gewohnten Milieu befinden, das möglicherweise den erwarteten Effekten abträglich ist. Nicht zuletzt ist es häufig eine Kombination aus verschiedenen Behandlungsformen, die zu Synergieeffekten führt.

Es ist wichtig, die Wirkweise von Interventions- und Behandlungsformen unter vergleichbaren und unterschiedlichen Bedingungen zu replizieren, um dem komplexen Zusammenspiel der Prozesse, die zu Resilienz oder Vulnerabilität führen, gerecht zu werden. Man kann von einzelnen empirischen Studien nicht zu viel verlangen: Sie können nur in einem begrenzten Umfang spezifische Faktoren untersuchen und Bedingungen realisieren und hinterlassen Fragen, die in weiteren Forschungsarbeiten geklärt werden müssen. Gleichwohl bedarf es gut kontrollierter Studien, welche substanzielle Effekte aufzeigen und somit die Struktur der Resilienz genauer beleuchten.

Die zugegebenermaßen sehr knappe methodische Behandlung hatte den Zweck, auf einige Vor- und Nachteile der gängigsten Untersuchungsdesigns aufmerksam zu machen, weil im Folgenden empirische Befunde vorgestellt und diskutiert werden und es hilfreich erscheint, die Aussagekraft besser beurteilen zu können. Dies sollte eine gründlichere Auseinandersetzung mit Methoden der aktuellen Entwicklungspsychologie nicht ersetzen. Dazu sei beispielhaft auf die Arbeit von Schmiedek und Lindenberger (2012) verwiesen.

1.6 Zusammenfassung

Resilienz bezeichnet die Fähigkeit, trotz widriger Umstände in einer komfortablen Situation weiterzuleben, und es ist und bleibt eine spannende Herausforderung, die Prozesse und Faktoren zu identifizieren, die zu Resilienz beitragen.

Die Resilienzforschung ist ein fächerübergreifendes Anliegen: Neben der Psychologie sind es die Fächer der Biologie und der Medizin (aber auch die Soziologie und Gesundheitswissenschaften), die sich mit Resilienz beschäftigen. Es wurden Konzepte vorgestellt (z.B. Stress, Bewältigungsformen/Coping, hardiness, Ich-Resilienz), die für das Thema relevant sind und auf die wir zurückkommen werden, wenn theoretische Überlegungen und empirische Befunde im Detail behandelt werden. Mittlerweile liegen zahlreiche empirische Befunde vor, die sehr häufig in korrelativen oder Kontrollgruppendesigns identifiziert wurden. Aufgrund der Vielfalt der Beiträge wurde ein Arbeitsmodell vorgeschlagen, anhand dessen sich die weitere Darstellung des Themas orientiert. Es werden im Folgenden Risikofaktoren und Kriterien für Resilienz vorgestellt sowie adaptive Prozesse, denen eine Vermittlerrolle im Zusammenhang zwischen Risiko (z.B. Stress) und Konsequenzen zugeschrieben wird.

1.7 Fragen zum Stoff


1. Was versteht man in der Psychologie unter Resilienz?

2. Was sind Prozesse der Adaptation?

3. Welche methodischen Zugänge sind in der psychologischen Resilienzforschung verbreitet?

Resilienz im Erwachsenenalter

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