Читать книгу Die Könige der Wölfe - Bernhard von Muecklich - Страница 8
Kapitel 4
ОглавлениеWer da auch immer behauptet, dass Cnaeve Tarchunies sich bisweilen wie ein Wahnsinniger gebärdet, irrt gewaltig!«, tobte Cilnie Macstrna außer sich vor Wut. »Tarchunies ist wahnsinnig!«
Avle Vipinas hatte ihn an diesem Nachmittag, den er eigentlich im Kreise seiner Familie verbringen wollte, überraschend an den Hof gerufen, wo er dann von der gewaltsamen Gefangennahme der Gesandten erfahren hatte. Der Überbringer der skandalösen Nachricht war Rasce Marcna gewesen, den Tarchunies als einzigen von ihnen hatte ziehen lassen, um dem Lukomonen von Velcal durch ihn seine Forderungen mitzuteilen.
»Gewiss!«, bemerkte Avle, der in dieser Situation bewundernswert ruhig und sachlich wirkte, trocken. »Aber sein Wahnsinn hat offenbar Methode. Er hat meine Absichten, wie auch immer, ganz klar durchschaut und hat, wenn auch gegen jede Konvention verstoßend, entsprechend reagiert. Wenn ich nur wüsste, was ihn so stark und sicher macht, dass er mich, und damit auch den anderen Lukomonen, auf diese unerwartete Art und Weise provoziert, da ihm doch eigentlich bewusst sein müsste, dass er damit früher oder später einen Krieg heraufbeschwört, der für ihn den sicheren Untergang bedeuten würde.«
»Vielleicht verlässt er sich darauf, dass wir uns seiner Forderung entsprechend an den Friedenseid halten werden, den er uns im Heiligtum Velthunes mit dem Druckmittel der Geiseln abzuringen gedenkt«, meinte Cilnie bitter.
»Wenn er darauf allen Ernstes vertrauen würde, wäre er ein ausgemachter Narr!«, lachte Avle böse. »Indem er sich an den geheiligten Personen einer Gesandtschaft vergriffen hat, hat er göttliches Recht gebrochen. Jeder unter diesen Umständen geleistete Eid verlöre damit seine Bedeutung. Nein, da ihm dies sehr wohl bewusst ist, denke ich, dass er mittlerweile einen oder mehrere Verbündete gefunden hat, die ihm die nötige Rückendeckung für seine unverschämte Vorgehensweise verschaffen. Nur, wer könnte das sein, frage ich mich? Wer ist so mächtig und in gewisser Weise auch verrückt genug, dass er sich gegen uns an die Seite Roms stellt? Ich kenne nur zwei Völker unter unseren Nachbarn, die über so viel militärische Stärke verfügen, dass sie es mit uns aufnehmen könnten, nämlich die Craeces und die karthagischen Phoiniki, aber sowohl die einen wie die anderen hätten gar kein Interesse daran, sich auf ein solches Abenteuer einzulassen, dafür sind wir ihnen als Handelspartner zu wichtig.«
»Herr, wenn ich etwas sagen darf!«, meldete sich da Rasce Marcna aufgeregt zu Wort. »Als wir hinausgeführt wurden, habe ich in der Vorhalle ein paar Männer warten sehen. Sie trugen die Tracht der Karthager.«
Alle, die sich in diesem Raum versammelt hatten, fuhren nach diesen Worten zu ihm herum und starrten ihn entgeistert an.
»Bei Tuchulcha!«, zischte Avle und erbleichte. »Sollte ich mich so getäuscht haben? Wenn es ihm wirklich gelungen ist, sich mit den Phoiniki zu verbünden, dann ist das in der Tat Besorgnis erregend!«
»Aber du hast diese Möglichkeit doch gerade ausgeschlossen«, erinnerte ihn Cilnie verblüfft.
»Ja, ich weiß!«, erwiderte er gereizt. »Allerdings habe ich dabei etwas unberücksichtigt gelassen, dessen Tragweite zu durchschauen ich diesem kleinen König nicht zugetraut habe.«
»Und was meinst du?«
»Nun ja«, knurrte Avle übellaunig. »Im Gegensatz zu ihren Erzrivalen, den Craeces, haben die Phoiniki bislang noch keine Kolonie auf italischem Boden errichten können. Wenn Tarchunies ihnen nun Land dafür zur Verfügung stellt, dann wäre ihr sehnlichster Wunsch in Erfüllung gegangen. Daran wäre an und für sich gar nichts auszusetzen, wenn sie sich dort nur auf den Handel beschränken würden. Aber ein solcher Hafen würde es ihnen auch gestatten, ungehindert Truppen anzulanden, und im Landkampf sind sie, wie wir wissen, den Craeces überlegen, ganz zu schweigen davon, dass sie uns im Ernstfall die Häfen blockieren könnten, und somit auch unser Handel mit den Craeces zum Erliegen käme.«
»Wenn es so steht, dann sollten wir schleunigst die anderen Lukomonen von dieser üblen Lage in Kenntnis setzen und unverzüglich ein Heer gegen Rom in Marsch setzen!«, schlug Larth Plsachs, ein noch junger, aber für seinen Wagemut bekannter Truppenführer vor. »Diesem Wahnsinnigen muss umgehend der Garaus gemacht werden, und wenn Rom erst einmal in unsere Hände gefallen ist, werden es sich die Phoiniki reiflich überlegen, ob sie ihrer ›Bündnispflicht‹ nachkommen werden.«
»So einfach geht das in diesem Falle leider nicht!«, widersprach ihm Avle energisch. »Du übersiehst zwei Fakten, die dies vorerst unmöglich machen. Erstens wird es schwer sein, in so kurzer Zeit eine vereinte Streitmacht aufzustellen, und zweitens würden wir dabei das Leben der Geiseln aufs Spiel setzen.«
Darauf wusste eine Weile niemand etwas zu sagen, und alle sahen sich nur schweigend und betreten an.
»In einem hat Larth Recht«, sagte Cilnie plötzlich in die Stille hinein. »Wir sind angesichts dieser Lage in der Tat gezwungen, jetzt rasch zu handeln. Wir müssen dabei aber so vorgehen, dass das Leben der Geiseln zu keiner Zeit gefährdet ist, und ich wüsste auch einen Weg, der uns aus diesem Dilemma führt.«
Avle, wie alle Übrigen an dieser Beratung Beteiligten, richtete daraufhin seine Blicke hoffnungsvoll auf ihn.
»Nur zu, Cilnie, mein Guter!«, forderte ihn Avle neugierig mit einer ermunternden Geste zu sprechen auf. »Heraus damit! Wie willst du unser Problem lösen?«
»Es ist eigentlich ganz einfach«, begann er vor ihnen seine Gedanken auszubreiten. »Jedem von uns ist doch klar geworden, dass sich Tarchunies’ momentane Stärke uns gegenüber allein auf den Besitz der Geiseln stützt. Solange er die karthagischen Truppen noch nicht um sich hat, ist das sein einziges Faustpfand. Daher ist es zwingend erforderlich, ihm dies zu nehmen, bevor die Karthager im Land stehen. Wir sind bislang mit unseren Überlegungen davon ausgegangen, dass wir unser Heer gegen ihn einsetzen, was, wie wir gerade erörtert haben, unter diesen Umständen gänzlich unmöglich ist, es sei denn, wir nehmen den Tod der Geiseln in Kauf. Genau damit rechnet aber auch Tarchunies, und etwas anderes käme ihm auch gar nicht in den Sinn, sonst hätte er sich nämlich eines weniger spektakulären Mittels bedient, um uns bis zum Eintreffen der Karthager hinzuhalten. Aber wer sagt denn, dass es eines gewaltigen Heeresaufmarschs bedarf, um fünf Geiseln aus einer Stadt zu befreien, deren Bewohner sich zumal größtenteils gegen ihren König gewandt haben, was sie somit zu unseren potenziellen Verbündeten macht? Es würde doch durchaus genügen, eine kleine, ausgesuchte und verwegene Schar Männer mit Hilfe der Aufständischen in die Stadt zu schleusen und die Geiseln in einer Nacht-und-Nebelaktion aus ihrem Kerker zu holen. Ich selbst würde diese Männer anführen und bei dieser Gelegenheit auch versuchen, Tarchunies zu beseitigen!«
Seine Zuhörer tauschten nach diesen Ausführungen Blicke, in denen zunächst eine gewisse Skepsis, bald aber auch eine zunehmend achtungsvolle Bewunderung zu lesen war.
»Das ist so verrückt, dass ich glaube, es könnte gelingen!«, murmelte Avle erst kopfschüttelnd und schüttelte sich dann vor Lachen. »Man stelle sich vor: Alle Wachen Roms spähen von den Mauern nach dem Erscheinen einer großen Streitmacht, indes sich unter ihren Augen eine Hand voll Männer unauffällig in die Stadt schleicht, bereit das zu tun, wozu diese Streitmacht nicht in der Lage ist. Hat man so etwas schon gehört? Der Plan ist so genial, dass er von mir sein könnte! Cilnie, mein Guter, damit hast du dich selbst übertroffen!«
»Nun, ich hatte einen guten Lehrmeister!«, erwiderte Cilnie bescheiden, »So bist du also einverstanden?«
»Selbstverständlich! Allerdings nur unter einer Bedingung!«
»Die da lautet?«
»Dass ich daran teilnehme!«, erwiderte Avle mit einem Grinsen. »Immerhin ist es mein Bruder, den sie dort festhalten! Außerdem bietet mir dieses Abenteuer die Gelegenheit, mich endlich einmal wieder körperlich zu betätigen! Das müßige Leben hier hat mich genug Fett ansetzen lassen!«
Cilnie wusste sehr wohl um die kämpferischen Qualitäten, die Avle, seinem behäbig wirkenden Äußeren zum Trotz, in der Vergangenheit schon häufig unter Beweis gestellt hatte, und so fügte er sich dem Willen seines Herren.
»Es ist lange her, dass wir Seite an Seite gefochten haben, Herr!«, sagte er und reichte ihm die Hand. »Und es ist mir eine Ehre, noch einmal unter deinem Kommando zu kämpfen!«
»Nun, mein Guter!«, wehrte er mit beiden Händen ab. »So haben wir nicht gewettet! Dieses Unternehmen ist deinem Hirn entsprungen, und deshalb sollst du es auch anführen. Zur Abwechslung werde ich es diesmal sein, der deine Befehle entgegennimmt. An wie viele Männer hast du gedacht, die uns außerdem begleiten sollen?«
»Nicht mehr als fünf oder sechs«, antwortete er knapp. »Je weniger, desto besser! Ich dachte dabei vor allem an Marce Camitlnas, weil er noch eine Rechnung mit Tarchunies offen hat, Rasce Marcna, da er sich bestens mit den räumlichen Gegebenheiten im Palast auskennt, und Larth Plsachs, weil er nicht nur ausgezeichnet das Schwert zu führen versteht, sondern darüber hinaus auch die Kaltblütigkeit besitzt, die für dieses Unterfangen unerlässlich ist.«
»Sehr schön!«, stimmte Avle zu und wandte sich an die Genannten. »Seid ihr bereit?«
»Jederzeit und mit dem größten Vergnügen!«, kam es einhellig und voller Begeisterung über ihre Lippen.
»Das wäre also geklärt!«, grunzte Avle befriedigt und rieb sich die Hände. »Wann brechen wir auf?«
»Wenn nichts dagegen spricht, spätestens morgen in aller Frühe. Wir sollten uns dazu als einfache Bauern verkleiden, schlage ich vor. Unter dem miststarrenden Kittel eines Landmannes wird keiner ein Schwert vermuten!«
»Aber wäre es nicht sinnvoll, wenigstens Cassius zuvor eine Nachricht zukommen zu lassen, damit er und seine Leute unser Kommen vorbereiten können?«, gab Marce zu bedenken.
»Nein! Die Gefahr, dass eine solche Nachricht abgefangen wird, ist zu groß!«, verwarf Cilnie dieses Ansinnen. »Es reicht völlig aus, wenn wir erst in Rom mit Cassius in Verbindung treten.«
»Hervorragend!«, beendete Avle darauf bestens gelaunt die Besprechung. »Dann also bis morgen, und vergesst nicht, den Göttern zuvor ein gebührendes Opfer darzubringen!«
»Du hast einen gefährlichen Weg gewählt, Cilnie! Glaubst du, du wirst beenden, was du angefangen hast und wieder heil zu uns zurückkehren?«
Er sah seine Frau Vernai, mit der er an diesem Abend in dem von den Feuern in den Kohlebecken behaglich erwärmten Speiseraum bei einem späten Mahl beisammen lag, liebevoll an.
»Wenn ich den Worten des Priesters Glauben schenken darf, dann wird unser Unternehmen jedenfalls mit Erfolg gekrönt sein«, sagte Cilnie und legte den abgenagten Hühnerschenkel sorgfältig auf seinem Teller ab. »Er hat die Leber des Lammes, welches ich Tini vorhin in seinem Heiligtum geopfert habe, auf das Genaueste untersucht und keinen Makel gefunden, der auf ein Misslingen meines Planes hindeutet. Sei also guten Mutes, meine geliebte Vernai, und vertraue auf die Macht des Schicksals. Es ist uns schon von jeher gewogen gewesen, und schon bald wirst du Königin von Rom sein.«
»Eine zweifelhafte Ehre!«, erwiderte sie und rang sich ein gequältes Lächeln ab. »Zu viel Blut belastet schon jetzt diesen Thron.«
»Das ist wohl wahr«, gestand er ihr nachdenklich zu. »Aber wenn wir erst einmal die Menschen in Rom von der Gewaltherrschaft des Tarchunies befreit und ihnen ihre Freiheit und Würde wiedergegeben haben werden, dann wird dieser Thron von dieser Schande reingewaschen sein, denn ich habe bei den Göttern geschworen, das Werk fortzuführen, welches mein Vater und meine Stiefmutter begonnen haben.«
»Du wärest nicht mein Mann, wenn du anders denken würdest!«, sagte sie und wurde dabei neuerlich von einem Hustenanfall geschüttelt. »Dennoch sei es deiner Frau gestattet, ein bisschen um dein Leben zu bangen, das zu erhalten nicht nur für mich, sondern auch für unsere Kinder gerade jetzt von größter Bedeutung ist.«
Cilnie wurde es wieder einmal jäh und schmerzhaft bewusst, was sie ihm damit in Erinnerung rufen wollte.
Es war gerade Herbst geworden, als Vernai von jener heimtückischen Krankheit befallen wurde. Anfangs meinten die Ärzte zwar, dass es sich lediglich um eine zu dieser Jahreszeit häufig auftretende Erkältung handeln würde, die nach einigen Tagen wieder abklingen sollte, aber dem war nicht so. Im Gegenteil wollte sie das Fieber, welches sie in heftigen Schüben überfiel, nicht verlassen, und der quälende Husten, der sie mittlerweile auch Blut speien ließ, nahm stetig an Stärke zu. Da sie wegen des hitzigen Fiebers kaum noch Nahrung zu sich nehmen wollte, war sie nunmehr fast bis zum Skelett abgemagert, und die Haut spannte sich wie vergilbtes Pergament über ihre zarten Knochen. Die Ärzte hatten Cilnie kaum noch Hoffnung gemacht, dass Vernai den Winter überstehen würde, denn sie vermuteten, dass ihre Lungen bereits zu stark in Mitleidenschaft gezogen worden waren, um ihren ohnehin geschwächten Körper mit dem Atem zu versorgen, den sie zum Überleben gerade in dieser kalten Jahreszeit doch so nötig hatte. Mit jedem Tag welkte die Blüte ihrer Schönheit nun dahin, und obgleich sie sich tapfer hielt und ihr Leiden vor ihm und ihren beiden Töchtern, so gut es eben ging, zu verbergen suchte, war es doch nur noch eine Frage der Zeit, wann ihre Seele sich wie ein kleiner Vogel zum Horizont aufschwingen würde. Gewiss, ihre zwei Mädchen, Tulnai und Larthai, waren mit ihren zehn und elf Jahren fast schon erwachsen, aber wie würden sie den Tod ihrer Mutter letztendlich verkraften? Und wenn Cilnie, entgegen der priesterlichen Prophezeiung, nun ebenfalls sterben müsste? Die Kinder wären dann ganz auf sich gestellt. Natürlich gab es Verwandte, die sich in diesem Falle um sie kümmern würden, aber würde das auf Dauer die leiblichen Eltern ersetzen? Gerade um Larthai machte er sich Sorgen, denn im Gegensatz zu ihrer älteren Schwester Tulnai, die für ihr Alter schon recht eigenständig und von robustem Gemüt war, hing sie noch sehr an der Mutter und war eine zarte Seele.
»Mir wird schon nichts geschehen!«, versuchte er sie zu beruhigen. »Die Götter haben ihre schützenden Hände stets über mich gehalten, warum sollten sie es jetzt, da es doch hierbei um eine gerechte und ihnen wohlgefällige Sache geht, nicht mehr tun? Du solltest dich mit derlei trüben Gedanken erst gar nicht befassen, sondern einzig und allein von dem Wunsch beseelt sein, rasch wieder gesund zu werden.«
»Das bin ich«, sagte sie und trank mit zitternden Händen von ihrem heißen Gewürzwein. »Aber ich glaube immer weniger daran, dass dieser Wunsch in Erfüllung geht. Ich spüre doch, wie meine Lebenskraft von Tag zu Tag schwindet, und wenn ich in den Spiegel schaue, sehe ich einen Schatten meiner selbst und höre den Ruf Vanths immer lauter, der diesen Schatten auffordert, ihr in Atis Reich zu folgen.«
»Dann stopfe dir gefälligst Wachs in die Ohren!«, erwiderte er lachend. »Wenn du sie nicht mehr hörst, wird sie bald merken, dass ihr Rufen vergeblich ist.«
Vernai warf ihm daraufhin einen missbilligenden und zugleich warnenden Blick zu.
»Lästere nicht das Schicksal, Cilnie«, mahnte sie ihn leise. »Alles, was uns widerfährt, selbst das, was wir als schmerzlich oder grausam erfahren, hat seinen tiefgründigen Sinn. Das Schicksal, dem wir alle auf Gedeih oder Verderb unterworfen sind, lässt sich nicht beeinflussen und übt immer eine ausgleichende Gerechtigkeit. Hast du dir nie überlegt, dass Tod Leben gebiert und umgekehrt? Vielleicht ist mein Tod der Preis dafür, dass du dein hohes Ziel erreichen und dieses gefahrvolle Unternehmen lebend überstehen wirst. Wenn dem so ist, dann nehme ich das mir bestimmte Schicksal mit Freuden an, denn die höchste Form der Liebe ist der Verzicht, selbst wenn es der Verzicht auf das eigene Leben ist, und so hätte der Tod seinen Schrecken für mich verloren.«
Diese schlichten und bar jeder Bitternis vorgebrachten Worte ließen Cilnie zunächst verstummen, und er betrachtete sie eine geraume Weile voll liebender Bewunderung, in die sich aber auch Melancholie und Trauer mischte. Er erkannte nun, dass sie längst schon die Schwelle zum Tod überschritten hatte, und es war ihm dabei nur ein kleiner Trost, dass sie zuvor trotz ihres Leidens zu ihrem Frieden mit sich selbst gefunden hatte.
Das, was sie ihm gesagt hatte, klang in seiner Endgültigkeit wie ein leiser Abschied, und es war ihm mit einem Male klar, dass dies wohl der letzte Abend war, den sie gemeinsam erleben durften. In einer jähen Aufwallung seiner Gefühle erwog er, sein Vorhaben aufzugeben und morgen nicht nach Rom zu gehen. Wenn Vernai tatsächlich, wie es den Anschein hatte, innerhalb der nächsten Tage sterben würde, dann wollte er jetzt nicht von ihrer Seite weichen. Das zumindest, dachte er, war er ihr schuldig.
»Denk gar nicht erst darüber nach, Cilnie!«, erriet sie seine Gedanken, und ihr bestimmender Tonfall duldete keinen Widerspruch. »Das Schicksal verlangt von dir, dass du deiner Bestimmung folgst. Wenn du morgen nicht gehst, versündigst du dich damit gegen seinen Willen und den der Götter. Mir ist zugedacht, nun von dieser Welt zu gehen, und daran würde auch dein Bleiben nichts ändern. Gehe also guten Gewissens und halte mich so in Erinnerung, wie du mich jetzt siehst. Und wer weiß«, hauchte sie noch mit einem entrückten Lächeln, »vielleicht bin ich ja noch hier, wenn du zurückkommst.«
Cilnies Kehle schnürte sich zusammen, und er musste stark an sich halten, um nicht in Tränen auszubrechen, da er wusste, dass er ihr damit alles nur noch schwerer machen würde.
»Ja, ich werde gehen, Vernai!«, presste er mit brüchiger Stimme hervor. »Und wir werden uns wieder sehen, in diesem oder einem anderen Leben. Lass uns jetzt schlafen, wir brauchen beide Ruhe.«
Noch vor Tagesanbruch verließ er sein Haus und ritt zum Palast. Er hatte Vernai nicht geweckt, da sie, was in letzter Zeit sehr selten gewesen war, mit ruhigen Atemzügen tief und fest schlief. Es erleichterte ihm das Fortgehen ein wenig, denn er nahm das für ein zuversichtliches Omen ihrer baldigen Genesung.
Am nachtklaren Himmel prangten die Sterne, und der Halbkreis des zunehmenden Mondes schien ruhig auf die Erde herab. In dieser Nacht hatte es den ersten Frost gegeben, und es herrschte eine klirrende Kälte, die ihm trotz seines dicken wollenen Mantels eisig in die Glieder fuhr. Als er im Hof des Palastes angekommen war, wurde er von seinen Gefährten bereits ungeduldig erwartet. Er hatte sich vorgenommen, ihnen nichts von dem schweren Siechtum Vernais zu erzählen, da er sicher war, dass Avle in diesem Fall darauf bestehen würde, die ganze Mission auf einen späteren Zeitpunkt zu verschieben.
»Wir sind reisefertig und harren deiner Befehle!«, rief ihm Avle gut gelaunt zu. »Von mir aus kann es losgehen!«
»Dann wollen wir Tarchunies nicht länger warten lassen, Freunde!«, gab er zurück und erhob den rechten Arm, um ihn gleich wieder nach unten zu schlagen. »Auf nach Rom!«