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Einleitung

Als Eltern oder werdende Eltern wollen wir natürlich alle das Beste für unsere Kinder. Wir lesen Bücher über die neuesten Theorien und Praktiken der Pädagogik, suchen nach den besten Kinderärzten und Lehrern, finden heraus, welche Nahrungsmittel gesundes Wachstum fördern, und wir schwören, dass wir niemals die gleichen Fehler begehen werden, die wir andere Eltern machen sehen – und erst recht nicht die, die unsere eigenen Eltern gemacht haben.

Wie sich allerdings zeigt, gibt es einen großen Irrtum, den man als wohlmeinende Eltern begehen kann, und zwar ist es der Versuch, perfekte Eltern zu sein oder zumindest möglichst keine Fehler zu machen.

Die wichtigste Botschaft dieses Buches ist die, dass wir bereits alles haben, was wir brauchen, um gute Eltern zu sein. Als menschliche Wesen sind wir mit positiven Absichten für unsere Söhne und Töchter ausgestattet sowie mit dem Instinkt, eine enge und dauerhafte Bindung zu ihnen zu entwickeln. Wir können diese natürlichen Anlagen dazu nutzen, unseren Kindern beizubringen, was es heißt, Mensch zu sein – beizeiten verwirrende Bedürfnisse und unangenehme Gefühle zu haben, unglücklich und angeschlagen zu sein und in einem Zustand glorreicher Unvollkommenheit, in dem es stets etwas dazuzulernen gibt, durchs Leben zu stolpern. Mit einer sicheren Bindung können unsere Kinder sich auch in den schwierigen inneren Erfahrungen, die wir alle durchmachen, sicher und geborgen fühlen. Durch das Vertrauen, dass jemand ihnen helfen wird, den unvermeidlichen Schwierigkeiten im Leben die Spitze zu nehmen, entwickeln sie das Selbstvertrauen, das sie brauchen, um in die große weite Welt hinauszugehen und herauszufinden, wer sie sind – und wer sie werden können.

Im Verlauf der letzten dreißig Jahre sind wir immer mehr zu der Überzeugung gelangt, dass eine sichere Bindung die allerwichtigste Basis ist, die wir unseren Kindern geben können. Sie ist von ebenso großer Bedeutung wie Ernährung, Gesundheitsfürsorge und Bildung. Tatsächlich könnte diese Basis sogar weitreichendere Auswirkungen haben als alle anderen Notwendigkeiten, weil ein Kind, dessen früheste Erfahrungen sich um eine sichere Bindung drehen, herausfinden kann, was es nicht nur zum Überleben, sondern auch für eine gute Entwicklung braucht, und weil es sich traut, darum zu bitten, und darauf vertraut, dass es die passende Unterstützung bekommen wird.

Forschungsergebnisse zeigen, dass Kinder, die eine sichere Bindung zu zumindest einem Erwachsenen haben, in der Schule erfolgreicher sind, stabilere Freundschaften pflegen, sich einer besseren körperlichen Gesundheit erfreuen und in ihrem weiteren Leben mehr intime, erfüllende und dauerhafte Beziehungen eingehen. In unserer Arbeit als Therapeuten, in der wir Menschen mit allen möglichen Problemen begegnen, haben wir allmählich erkannt, dass die Wurzel vieler Schwierigkeiten das Fehlen einer sicheren Bindung in der Kindheit ist. Wenn in der Kindheit nicht oft genug jemand für sie da war, bleiben diesen Menschen als Erwachsenen befriedigende intime Beziehungen versagt. Sie kämpfen mit Selbstzweifeln und sind in ihrer Arbeit nicht erfolgreich, oder aber sie sind überambitioniert. Sie leiden unter stressbedingten Gesundheitsproblemen oder fühlen sich chronisch unzufrieden mit ihrem Leben und ihren nahen Beziehungen. Es ist schwer, den eigenen Durst nach Erfolg zu regulieren, zu wissen, was man will, und entspannt verschiedene Optionen zu erkunden, wenn in der Kindheit niemand da war, der einem geholfen hätte, mit den eigenen Bedürfnissen umzugehen und sie zu verstehen. Und wenn diese Klienten dann selbst Kinder bekommen? Sie ahnen es bestimmt: Sie wünschen sich sehnlichst, als Eltern ihr Bestes zu geben, und sie verspüren einen tiefen instinktiven Drang, eine starke Bindung zu ihrem Baby zu entwickeln. Aber sie wissen einfach nicht, wie sie das anstellen sollen. Oder sie denken, sie wüssten es (schließlich haben sie ja all diese Bücher gelesen), aber dann treten in der Beziehung zu ihrem geliebten Kind Probleme auf, die jene widerspiegeln, die sie in ihrer eigenen Kindheit erlebt haben.

Wir wollen mit diesem Buch eine Landkarte auf dem Weg zu einer sicheren Bindung anbieten. Vor dreißig Jahren sind wir zu dem Abenteuer aufgebrochen, Familien die positiven Auswirkungen einer gesunden Bindung zu vermitteln und jene wegweisende Theorie leicht verständlich und zugänglich zu machen, die der Psychiater John Bowlby und die Psychologin Mary Ainsworth in den fünfziger Jahren formulierten und im Laufe der nächsten Jahrzehnte weiter ausarbeiteten. Diese Theorie, die besagt, dass eine sichere, vertrauensvolle emotionale Bindung zwischen Eltern und Kind der Schlüssel zu einer gesunden Entwicklung ist, wird schon seit Langem als gültig und bedeutsam anerkannt, allerdings musste sie bisher noch auf eine praktische und elternfreundliche Anwendung warten. Einige Wissenschaftler jubelten zwar sogar, dass eine sichere Bindung den sich entwickelnden Kindern und späteren Erwachsenen „psychische Immunität“ verleihe, doch die bemerkenswerte Klarheit Tausender Studien, die die Notwendigkeit und die positiven Auswirkungen von Bindungssicherheit belegten, blieb in Fachzeitschriften verborgen und fand keinen Weg in die Welt der Eltern. Wir waren also fasziniert von dem Potenzial, diese Erkenntnisse jenen zu vermitteln, die sie am allermeisten gebrauchen können: Eltern und anderen Menschen, die sich um Kinder kümmern.

So begann die Geschichte der Intervention, die wir den Kreis der Sicherheit nennen. Sie nahm die Gestalt eines zwanzigwöchigen Gruppenkurses für Eltern an, die in den Beziehungen zu ihren Klein- und Vorschulkindern Schwierigkeiten hatten, und sie wurde seitdem für die Einzeltherapie und andere Zwecke adaptiert – in Schulen, sozialen Einrichtungen und Pflegeheimen auf der ganzen Welt. Sie wurde sorgfältig überarbeitet, und während wir die Tiefen dieser grundlegenden und ursprünglichen Beziehung ausloten, entwickelt sie sich Tag für Tag in raschem Tempo weiter.

In Forschungsarbeiten konnte gezeigt werden, dass der Kreis der Sicherheit selbst jenen Eltern hilft, die unter den denkbar schwierigsten Umständen leben – Armut, Inhaftierung, mangelnde Bildung, Missbrauch in der eigenen Vergangenheit und des Weiteren mehr –, eine sichere Bindung zu ihrem Kind aufzubauen. Viele dieser Eltern hatten keinerlei Vorbild dafür, wie gesunde Elternschaft aussehen kann. Als Therapeuten und Wissenschaftler sind wir natürlich hocherfreut über diese Ergebnisse. Aber sie werden sogar noch übertroffen von der Bereicherung, die wir in unseren eigenen Beziehungen erleben, von den persönlichen Erkenntnissen, von denen die Therapeuten berichteten, die wir im Kreis der Sicherheit ausbildeten, oder von dem, was wir nahezu jedes Mal erlebten, wenn jemand die Landkarte und die Geschichte des Kreises der Sicherheit kennenlernte. Die Landkarte des Kreises der Sicherheit scheint alle Menschen anzusprechen, egal, aus welcher Kultur sie stammen, und zwar auf der zutiefst instinktiven Ebene, auf der wir als Menschen miteinander in Beziehung treten und die uns als Spezies ausmacht. Wir alle drei können sagen, dass die Perspektive des Kreises der Sicherheit unser Verständnis für unsere Ehepartner, unsere Kinder und unsere Kollegen erweitert und vertieft hat. Sie hat uns geprägt, ob als Pflegeeltern oder in unseren Freundschaften, in der Beratungsarbeit oder in unseren ehrenamtlichen Tätigkeiten. Für uns und für viele andere Menschen hat sie den Glauben an und die Hoffnung auf eine wohlwollende und positivere Welt neu belebt.

Eltern zu erleben, die in der Lage waren, äußerst entmutigende Schwierigkeiten zu überwinden und eine Bindung zu ihren Kindern zu entwickeln, hat uns immer wieder aufs Neue in der Überzeugung bestärkt, dass wir alle das haben, was wir brauchen, um gute Eltern zu sein. Manchmal muss man uns einfach nur eine Landkarte geben, um dahin zurückzufinden. Vielleicht hat unsere eigene Geschichte Leerstellen in unserem emotionalen Fluss hinterlassen. Oder die Nichtanwesenheit von Bezugspersonen – oftmals nicht von ihnen selbst verschuldet –, die uns in unseren grundlegenden Bedürfnissen hätten unterstützen können, hat dazu geführt, dass es uns an Vertrauen mangelt. Oder aber die Wechselfälle unseres eigenen Erwachsenenlebens haben uns aus der Verbundenheit mit unseren Kindern herausgeführt, die wir uns jetzt aus tiefstem Herzen wünschen. Dieses Buch ist unser bescheidener Versuch, Sie in den Kreis der Sicherheit zurückzuführen – beziehungsweise, Sie darin zu unterstützen, ihn gar nicht erst zu verlassen. Wir vertrauen darauf, dass Sie das Übrige tun.

Und in den meisten Fällen werden Sie das auch. Untersuchungen haben gezeigt, dass etwa sechzig Prozent der Eltern eine sichere Bindung zu ihrem Kind entwickeln. Bindungssicherheit lässt sich nicht völlig präzise messen, daher bezeichnet man eine Bindung mit Einschränkungen oft als „überwiegend“ oder „einigermaßen“ sicher. Wie wir in unseren eigenen Forschungsarbeiten herausfanden, kann man Sicherheit auch erlernen. Und es ist wichtig zu wissen, dass selbst sichere Bindungen nicht immer nur schön sind. Auch wenn die Dinge gut laufen, machen Eltern, deren Kinder sicher gebunden sind, Fehler, und sie reagieren nur die meiste Zeit sensibel auf die Bedürfnisse ihrer Kinder, jedoch nicht die ganze Zeit.

„Ausreichend gute Eltern sein“ lautet unser Auftrag.

Das Vertrauen eines Kindes, dass ein geliebter Mensch versuchen wird, für es da zu sein, ist entscheidend dafür, dass es zukünftig gute Beziehungen führen kann. Beziehungen sind der eigentliche Ort, an dem unser Leben stattfindet, und diese Erkenntnis setzt sich immer mehr durch. Beziehungen sind der Stoff, aus dem unsere Familien, unsere Freundeskreise und unser Berufsleben gemacht sind. Falls Sie es schon einmal mit einem fordernden, perfektionistischen Chef zu tun hatten oder von Ihrem Partner erwartet haben, dass er all Ihre Bedürfnisse exakt vorausahnt, dann wissen Sie wahrscheinlich bereits, dass „perfekt“ in Beziehungen nicht funktioniert. Was hingegen funktioniert, sind flexible, empfängliche Sensibilität und Erreichbarkeit. Was funktioniert, ist die Anerkennung von Versäumnissen und Fehltritten und der Versuch, sie wiedergutzumachen, so gut man kann – und auf jeden Fall daraus zu lernen.

Im Schmelztiegel einer engen Beziehung erleben wir nicht nur, dass wir anderen Menschen unsere tiefsten Bedürfnisse anvertrauen können, sondern auch, dass sogar den empathischsten Menschen Fehltritte und Versäumnisse unterlaufen – sogar ziemlich oft – und dass diese alltäglichen Brüche wiedergutgemacht werden können. Wenn wir eine fehlerlose, „perfekte“ Elternschaft anstreben, vermitteln wir unseren Kindern die Botschaft, dass es dabei mehr um unsere eigene Leistung als um die Erfüllung ihrer Bedürfnisse geht. Außerdem legen wir in ihnen den Grundstein für unrealistische Erwartungen. Niemand ist vollkommen, insofern ist eine Beziehung, in der Perfektion erwartet wird, zum Scheitern verurteilt. Eine Beziehung zwischen zwei Menschen, die verstehen, dass sie menschliche Bedürfnisse haben und dass Schwierigkeiten unvermeidlich sind, und die dies dazu nutzen, etwas über ihre Ähnlichkeiten und Unterschiede zu erfahren, birgt ein unbegrenztes Potenzial für Wachstum und Erfüllung. Wünschen wir uns solche Freundschaften, Arbeitsbeziehungen, Partnerschaften und Ehen nicht auch für unsere Kinder?

Alles fängt bei uns selbst an. Stellen Sie sich vor, ihr sechsjähriger Sohn kommt niedergeschlagen von der Schule nach Hause. Würden Sie ihm einfach eine Kleinigkeit zu essen geben und hoffen, dass er sich dadurch besser fühlt? (Wie würden Sie sich fühlen, wenn Sie die erhoffte Beförderung doch nicht bekommen haben oder wenn Sie von einem engen Freund abgewiesen wurden, und Ihr Partner Ihnen zu helfen versucht, indem er Ihnen einen Keks anbietet?) Man muss kein Psychologe und kein erfahrener Elter sein, um zu wissen, dass dieses Kind mehr braucht als eine Leckerei, die es wieder aufmuntern soll. Aber manchmal vergessen wir, dass ein kleines Kind unsere Bestätigung braucht, dass es sich durchaus sehr traurig und verwirrend anfühlen kann, wenn der Klassenkamerad, der gestern noch der „beste Freund“ war, sich heute jemand anderen zum Spielen gesucht hat. In einer solchen Situationen braucht ein Kind eine Umarmung oder eine Berührung und vielleicht ein wenig Zeit und Ruhe mit Ihnen, um sich innerlich zu sortieren. Es braucht Ihre Hilfe dabei, herauszufinden, wie es sich genau fühlt, und Ihre Bestätigung, dass seine schwierigen Gefühle ein Teil von ihm sind und in Ihrer Beziehung zueinander Platz haben.

Eine solche Reaktion mag für Sie als Elter etwas ganz Natürliches sein. Aber vielleicht ist Ihnen gar nicht klar, wie absolut wichtig diese Reaktion für Ihr Kind ist. Sie sorgen nicht nur dafür, dass es sich wieder besser fühlt und schon wenig später zum Spielen rausgehen oder sich auf die Hausaufgaben konzentrieren kann (obwohl Sie auch das tun). Sie bringen ihm zudem bei, was es gerade fühlt, wenn vielleicht alles, was es identifizieren kann, „Autsch“ ist. Sie sagen ihm, dass es in Ordnung ist, Gefühle wie Traurigkeit zu haben, auch wenn es schmerzt, und dass diese Gefühle wichtige Botschaften in sich tragen. Sie bringen ihm bei, dass man Schmerz mit Hilfe einer anderen Person verarbeiten kann. Sie helfen ihm, etwas mehr über sich selbst zu erfahren – zum Beispiel, dass es ein Mensch ist, dem Freundschaft wichtig ist und der Loyalität schätzt. Mit anderen Worten, Sie unterstützen es in seinem Wachstum. Sie fördern die Entwicklung eines gesunden Selbst, und Sie helfen ihm herauszufinden, wie man durch die bewegten Gewässer von Beziehungen navigiert.

Aber was passiert, wenn Sie nicht mit Verständnis, Zuneigung und Geduld auf Ihr Kind reagieren? Nehmen wir einmal an, Sie sind gerade mit den Finanzen der Familie beschäftigt, als Ihr Sohn schlecht gelaunt nach Hause kommt. Er kommt auf Sie zu und zieht Sie am Ärmel, um Ihre Aufmerksamkeit vom Computerbildschirm wegzulenken. Sie halten Ihren Blick auf den Bildschirm geheftet und sagen ungeduldig: „Jetzt nicht, Schatz. Ich muss das hier fertig machen.“ Ihr Sohn geht ins Wohnzimmer, und erst eine halbe Stunde später finden Sie ihn zusammengerollt auf dem Sofa, leise schluchzend.

Jetzt haben Sie die Chance, eine vielleicht sogar noch wichtigere Botschaft zu vermitteln: Sie schütteln Ihre Erschöpfung und Ihre Ungeduld ab (Rechnungen und Steuern machen schließlich den wenigsten Menschen Spaß), setzen sich zu Ihrem Sohn auf das Sofa, und während Sie ihm sanft den Rücken streicheln, fragen Sie, was los ist. Es ist nicht ganz leicht, es aus ihm herauszubringen, und er reagiert nicht sofort auf Ihre Entschuldigung und Ihr etwas verspätetes Trostangebot, aber schließlich lässt er sich doch darauf ein. Ein einfaches Happy End mit einer sehr ernsthaften Konsequenz: Sie haben Ihrem Kind beigebracht, dass man sogar als Erwachsener Fehler macht, dann aber einen neuen Anlauf nehmen kann. Sie haben ihm gezeigt, dass er immer noch darauf vertrauen kann, dass Sie für ihn da sind und er manchmal eben geduldig mit Ihnen sein muss. Sie haben für sein weiteres Leben die Grundlage für eine gesunde Beziehung geschaffen – eine, die Schwierigkeiten und Lösungen, Brüche und Wiedergutmachungen beinhaltet.

Wie Sie dieses Buch nutzen können

Dieses Buch wurde in der Absicht geschrieben, die Ihnen als Eltern innewohnenden Fähigkeiten und die tief in Ihnen angelegten positiven Intentionen zu würdigen. Es soll außerdem klare, einprägsame und wissenschaftlich fundierte Inhalte vermitteln, die Ihnen Tag für Tag zur Verfügung stehen und Ihnen Unterstützung bieten können, wenn Sie verwirrt sind oder Orientierung brauchen. Wir wollen das, was wir zu sagen haben, möglichst einfach halten, weil Elternschaft in der Hitze des Gefechts nach einer Art Einfachheit à la „Was soll ich jetzt bloß tun?“ verlangt, nicht nach einer Komplexität nach dem Motto: „Was stand da gleich noch auf Seite 217?“. Wir hoffen, dass unser Buch Ihnen ein unterstützender, sachlicher und leicht verständlicher Ratgeber ist, während Sie weiterhin die Eltern bleiben, die Sie zum Glück sind.

Das Buch ist in zwei Abschnitte unterteilt. Einigen Lesern wird Teil 1 schon vollkommen ausreichen, um eine neue Perspektive auf das Elternsein zu gewinnen. Wir erklären darin, warum Bindung so wichtig ist – beruhend auf den Erkenntnissen jahrzehntelanger Forschung – und weshalb Sicherheit zwar schwer definierbar, aber doch relativ leicht wiederherzustellen ist. Wir alle verlieren manchmal die Verbindung zu unseren Kindern (und anderen geliebten Menschen). Das Leben fordert uns heraus. Wir geraten in eine Krise. Andere Notwendigkeiten verlangen nach unserer Aufmerksamkeit. In solchen Zeiten kann es passieren, dass wir die Bedürfnisse unserer Kinder aus dem Blick verlieren und die Verbindung zu ihnen geschwächt wird. Doch wenn wir die Landkarte des Kreises der Sicherheit fest in uns verankert haben, ist es leicht, wieder zu der schlichten Schönheit unserer wichtigsten Beziehungen zurückzukehren.

Der Kreis der Sicherheit zeigt uns, dass ein kleines Kind zwei Arten von Bedürfnissen hat: Bedürfnisse nach Geborgenheit und Sicherheit auf der einen Seite und Bedürfnisse, etwas zu erkunden, auf der anderen. Kinder bewegen sich im Verlauf eines Tages viele, viele Male zwischen diesen Bedürfnissen hin und her, doch wir verstehen nicht immer, was sie gerade wollen. Was wir sehen, sind ihre Verhaltensweisen, und wenn wir es mit diesen Verhaltensweisen schwer haben, dann reagieren wir auf sie. Es gibt Etliches, was uns für diese Bedürfnisse blind machen kann, und mithilfe der Landkarte, die Ihnen der Kreis der Sicherheit zur Verfügung stellt, ist es möglich zu erkennen, was hinter den Verhaltensweisen der Kinder steht und was sie von uns brauchen. In Kapitel 3 finden Sie eine Illustration des Kreises und einprägsame Beschreibungen dieser grundlegenden Bedürfnisse, die bei Eltern auf der ganzen Welt auf Resonanz gestoßen sind.

In unserer leistungsorientierten Zeit ist es sehr viel schwieriger, mit einer emotionalen Erfahrung einfach bloß zu sein (sei es unsere eigene oder die eines anderen Menschen), als zu versuchen, eine Antwort und eine schnelle Lösung für das Problem zu finden, das uns Unbehagen bereitet. Für uns als Eltern trifft das allemal zu. (Eine Google-Suche nach „helicopter parents“ („Helikopter-Eltern“ – überfürsorgliche Eltern, deren Erziehungsstil geprägt ist von Überbehütung und Einmischung in die Angelegenheiten des Kindes, A. d. Ü.) ergab im Jahr 2015 fast sechs Millionen Resultate.) Doch entscheidend für die Entstehung einer sicheren Bindung zu unseren Kindern ist das, was wir „Mit-Sein mit dem Kind“ nennen. Das bedeutet nicht nur, ausreichend physisch anwesend zu sein und zum Beispiel zustimmend da zu sitzen und „Qualitätszeit“ mit unserem Kind zu verbringen, während es in seinem Lieblingsvideospiel Monster vaporisiert oder uns einen lange eingeübten Fußballtrick vorführt. Es bedeutet, eine gemeinsame emotionale Erfahrung zu schaffen, in der das Kind lernt, dass allen Menschen bestimmte wesentliche Gefühle gemeinsam sind (und zugleich auch, dass jeder Mensch seine Gefühle auf ganz einzigartige Art und Weise erlebt). Wenn der Schwerpunkt auf dem „Mit-Sein“ mit ihrem Kind liegt, wird es leichter, denjenigen Bedürfnissen Priorität zu geben, die vor den Augen aller verborgen liegen. Wenn Sie „mit Ihrem Kind sind“, dann unterstützen Sie es dabei, Empathie und zugleich Selbstvertrauen in seine eigene emotionale Kompetenz zu entwickeln, außerdem lernt es mit Ihnen, seine Emotionen zu regulieren und mit schwierigen Gefühlen umzugehen. Kapitel 4 ist dem Thema „Mit-Sein“ gewidmet.

Wenn wir schreiben, Sie hätten bereits alles, was Sie brauchen, um gute Eltern zu sein, wollen wir damit natürlich nicht behaupten, dass Ihre Instinkte immun gegen negative Einflüsse wären oder es keine Störfaktoren in der äußeren Welt gäbe. Wie Ihre Eltern oder andere Bezugspersonen Sie aufzogen hat Ihren eigenen Bindungsstil genauso geprägt, wie Ihre Erziehung den Bindungsstil Ihrer Kinder prägen wird. Das gilt für uns alle, und wir alle haben, je nach Bindungsstil, ein Quäntchen Unsicherheit in Bezug auf bestimmte emotionale Bedürfnisse. Zwar sind Sie sich dieser Einflüsse nicht unbedingt bewusst, da sie in Erinnerungen abgespeichert sind, die in das vorsprachliche Alter zurückreichen, aber erstaunlicherweise hat Ihr Baby ein angeborenes Gespür dafür und versucht möglicherweise, Sie vor unangenehmen Gefühlen zu schützen, indem es so tut, als hätte es bestimmte Bedürfnisse nicht. In diesen Bereichen werden Sie wahrscheinlich Schwierigkeiten haben, und diese übertragen sich oft auf die nächste Generation. Wenn Sie diese Tendenzen mit Hilfe von Kapitel 5 und 6 an die Oberfläche bringen, können Sie Ihre Kinder und Enkelkinder davor bewahren, dass sie mit den gleichen Aspekten des Elternseins Schwierigkeiten haben werden. Wenn Sie wissen, wie hinter Ihren eigenen Kulissen die Fäden gezogen werden, können Sie sich aktiv dafür entscheiden, Ihrem Kind Sicherheit zu geben.

Viele Menschen, die den Kreis der Sicherheit kennenlernen, stellen fest, dass Ihr neu gewonnenes Verständnis über die wichtige Bindung zwischen Eltern und Kindern bereits das Wesentlichste ist, was sie brauchen, um sich für Sicherheit zu entscheiden. Wenn Stress oder Verwirrung entstehen, ziehen sie einfach ihre mentale Karte des Kreises hervor (oder schauen auf den Ausdruck, den sie sich an den Kühlschrank geheftet haben). Doch manchen Menschen fällt dieser Prozess auch weniger leicht (und wir alle finden ihn zu bestimmten Zeiten und in bestimmten Situationen schwierig). Diese Menschen sind sich meist bewusst, dass Sicherheit in ihrer eigenen Vergangenheit nicht immer gegeben war. Für sie ist es wichtig, genauer herauszufinden, was ihnen im Wege steht – wobei herauszufinden, was uns im Wege steht, natürlich für uns alle enorm erhellend sein kann. Dieses Interesse zu entwickeln und die verborgenen Alarmglocken zu entdecken, die durch Erfahrungen in unserer eigenen Kindheit ausgelöst werden, ist etwas, worin Sie der zweite Teil des Buches unterstützt. Sie finden darin Fragebögen zur Selbsterkundung und weitere Beschreibungen, wie Bindung in ihren zahlreichen Variationen aussehen kann. Wir stellen Ihnen verschiedene Eltern und Kinder vor, die den so wichtigen Prozess der Bindung von der frühesten Kindheit an bis ins Jugendalter durchlaufen. Sie werden sehen, dass wir alle unsere Schwierigkeiten haben und Fehler machen, und Sie werden sehen, wie wir unsere Fehler wiedergutmachen und unsere Kinder darin unterstützen können, sich gesund zu entwickeln.

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