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Bindung:

Warum sie wichtig ist

In ganz gewöhnlichen Momenten zwischen Eltern und Kindern geschieht etwas durchaus Bemerkenswertes:

Danny wartet auf das aufmunternde Lächeln und Nicken seiner Mutter, bevor er zu den anderen Kindern in den Sandkasten klettert.

Die einjährige Emma beruhigt sich augenblicklich, als ihr Vater sie auf seinen Schoß hebt, obwohl er weiter auf seinem Telefon herumtippt und das kleine Mädchen kaum ansieht.

Jake hört auf, auf seine Spielzeugtrommel einzuschlagen, nachdem seine Mutter nicht länger von ihm verlangt, sie wegzulegen, sondern stattdessen ausruft: „Wow, du hast ja ein tolles Rhythmusgefühl, mein Lieber!“

Momente wie diese sind ebenso alltäglich wie schnell vergessen, meist bleiben sie sogar unbemerkt. Doch was sich den Kindern durch viele solcher kleiner Momente einprägt, ist ausgesprochen tief greifend. Jedes Mal, wenn Sie auf das Bedürfnis des Kindes nach Geborgenheit oder nach Ermutigung eingehen, knüpfen Sie ein Band des Vertrauens. Jedes Mal, wenn Sie dem Kind zeigen, dass Sie verstehen, wie es sich fühlt und was es will, demonstrieren Sie die Kraft einer ursprünglichen Verbundenheit, nach der wir alle uns unserem Wesen nach sehnen. Jedes Mal, wenn Sie Ihr Baby oder Kleinkind darin unterstützen, mit all den unangenehmen Gefühlen und der Frustration umzugehen, die ein neues Menschenkind erlebt, lehren Sie es, seine eigenen Gefühle sowie auch die anderer Menschen zu akzeptieren (sogar die „unschönen“).

Das sind die Geschenke einer sicheren Bindung. Eine sichere Bindung entsteht in einem Kind von selbst, wenn ein Elternteil oder eine andere primäre Bezugsperson in der Lage ist

• dem Kind zu helfen, sich sicher zu fühlen, wenn es Angst hat oder sich unwohlfühlt

• dem Kind zu helfen, sich sicher genug zu fühlen, um die Welt zu erkunden, was essenziell für sein Wachstum und seine Entwicklung ist

• dem Kind zu helfen, seine emotionale Erfahrung zu akzeptieren und damit umzugehen

Sowohl Eltern als auch Kinder haben die Veranlagung, sich zu binden. Die Entwicklung dieser besonderen Verbundenheit beginnt schon vor der Geburt, und wunderbarerweise kommt Ihr Baby mit dem starken Instinkt auf die Welt, Ihnen nahe sein zu wollen. Dazu reicht ihm nicht einfach irgendein Erwachsener, auch wenn theoretisch viele Erwachsene die Nahrung, die Wärme und den Schutz bieten könnten, die zum physischen Überleben des Babys notwendig sind. Aus jahrzehntelanger Forschung lässt sich schlussfolgern, dass ganz kleine Babys sich augenblicklich in das Gesicht der Mutter oder des Vaters verlieben, denn obwohl sie es noch kaum scharf sehen können, können sie doch bereits die Liebe und die Hingabe der Eltern spüren. Das ist der Mensch, so ahnt das Baby, der für mich da sein wird. Das ist jemand, der mir helfen wird, diese verwirrende neue Welt zu verstehen und das Gute darin zu finden.

Was uns als Eltern verbindet, ist, dass wir alle Gutes für unsere Kinder wollen – Liebe und Mitgefühl, Verständnis und Akzeptanz, Sinn und Erfüllung. Und die Kinder wollen und brauchen Gutes von uns, wenn sie auf die Welt kommen. Eine unserer wichtigsten Mentorinnen, die Entwicklungspsychologin Jude Cassidy definierte (gemeinsam mit dem Sozialpsychologen Phillip Shaver) Bindungssicherheit als „Vertrauen in die Möglichkeit des Guten“. Unserer Meinung nach geht es genau darum. Wir wollen für unsere Kinder das, was gut, wirklich notwendig und erfüllend ist. Und mit genau diesem Wunsch kommen sie auch auf uns zu – auf ihre einzigartige, wunderbare, immer frische und oft auch fordernde Art und Weise. „Bitte hilf mir, in das Gute in dir, das Gute in mir und das Gute in uns zu vertrauen.“ Und dazu sind wir ja schließlich da.

Die große Bedeutung des kleinen Wörtchens „Und“

Wir alle beginnen unser Leben in tiefer Verbundenheit mit einem anderen Menschen, nicht allein. Das heißt nicht nur, dass das gemeinsame Bewohnen eines Körpers vor der Geburt eine Bindung zwischen Müttern und Babys schafft, die zumeist auch danach bestehen bleibt. Babys entwickeln ebenso eine Bindung an ihre Väter, ihre Großeltern oder jede andere Person, deren Blick sagt „Ich bin für dich da“, und die dieses Versprechen dann überwiegend auch hält. Schon ganz kleine Babys scheinen diese Hingabe zu erkennen und beginnen, in den ersten Lebenstagen mit ihrem Verhalten darauf zu reagieren. Sie folgen uns mit den Augen, wedeln aufgeregt mit den Armen, wenn wir von der Arbeit nach Hause kommen, und ihr erstes Lächeln erscheint als Antwort auf unser Lächeln – ein Geschenk, das die meisten Eltern niemals vergessen. Wenn wir den Eltern im Training zum Kreis der Sicherheit vermitteln wollen, wie unglaublich wichtig sie für ihre Kinder sind, spielen wir Joe Cockers Song „You Are So Beautiful“ und zeigen dazu Videoclips von Bindungsmomenten zwischen Eltern und Kindern.

Wie der Kinderarzt und Psychoanalytiker Donald Winnicott einst sagte: „Wenn man ein Baby beschreiben will, wird man feststellen, dass man ein Baby und zugleich eine andere Person beschreibt.“ Damit brachte er zum Ausdruck, wie unentbehrlich wir für unsere Kinder sind. Baby Gino oder Sasha oder Hiroto haben vielleicht eigene Arme, Beine und Gesichter, aber in Wirklichkeit existieren Sie noch nicht vollständig als Individuen. Wir neigen dazu, Babys als komplett ausgeformte kleine Kreaturen zu sehen, die tief im Inneren wissen, was sie fühlen und brauchen und wer sie sind, nur einfach noch nicht über die sprachlichen Fähigkeiten verfügen, um es auszudrücken. In Wirklichkeit aber haben neugeborene Babys keine Ahnung, was sie fühlen, außer dass ganz oft irgendetwas Unbekanntes und Schwieriges mit ihnen geschieht (sie brauchen irgendetwas) – ein ungeformtes Verlangen beginnt, sich zu entwickeln. Wenn Mama oder Papa dem gestressten Baby dann in die Augen schauen, „ja, ja“ gurren und magischerweise verstehen, was das Baby braucht – und es ihm sogar geben! –, sagen die Eltern dem Baby damit: „Ich bin bei dir. Wir fühlen ähnlich und wir kriegen das zusammen hin.“ Wenn dieser Austausch wieder und wieder stattfindet, lernt das Baby, dass menschliche Gefühle normal, akzeptabel und mitteilbar sind. Es lernt, dass dieser besondere Erwachsene seine Gefühle für es ordnen und ihm nach und nach beibringen kann, sie selbst zu regulieren – ein Vorgang, den man „Co-Regulation von Gefühlen“ nennt. Es lernt, dass es mit Mutter oder Vater viele wichtige Dinge gemeinsam hat, jeder für sich aber auch ganz einzigartig ist. Es erfährt, dass die Beziehung – das „und“ – wesentlich für die Formung des Selbst ist.

Bis zur Mitte des 20 Jahrhunderts stand das Selbst als ein von den anderen Menschen getrenntes Wesen im Fokus der Entwicklungspsychologie. In der westlichen Gesellschaft hat diese Annahme viele Ansichten und Erwartungen darüber geprägt, wie wir unser Leben führen sollten. Sobald wir dazu in der Lage waren, wurde von uns erwartetet, dass wir für uns selbst sorgen, und die Sozialpolitik begünstigte, zumindest in den Vereinigten Staaten, individuelle Bedürfnisse vor kollektiven. In unserer Arbeit mit dem Kreis der Sicherheit sind wir zu der gegensätzlichen Ansicht gelangt: Es ist das „Und“, das wichtig ist. Wir würden sogar so weit gehen zu behaupten, dass Unabhängigkeit ein Mythos ist. Von der Geburt an bis ins hohe Alter steht unsere Fähigkeit, einigermaßen autonom zu handeln, in direktem Zusammenhang mit unserer Fähigkeit zur Verbundenheit. Was bedeutet das für Eltern mit kleinen Kindern? Wenn wir möchten, dass unsere Kinder selbstständig werden, hinausgehen und es mit der Welt aufnehmen, müssen wir ihnen das volle Vertrauen ermöglichen, dass sie zu uns zurückkommen können, wenn sie das brauchen. Autonomie und Verbundenheit: Das ist sichere Bindung.

Und das kann zum Beispiel so aussehen:

Lei ist drei Jahre alt. Sie ist lebendig, verspielt und voller Neugier. Sie und ihr Vater sind gerade in den Park spaziert, der zwei Blocks von ihrem Zuhause entfernt liegt, und während sie auf das Klettergerüst zusteuern, wirft Lei, wie es typisch für sie ist, ihrem Vater lediglich einen flüchtigen Blick zu (kaum länger als eine Millisekunde) und rast davon, um ihre Version des Mount Everest zu besteigen. Was einem beiläufigen Beobachter vielleicht nicht auffällt, ist, dass Lei in dieser Millisekunde, in der sie mit ihrem Vater Kontakt aufnimmt, genau die Erlaubnis und die Unterstützung bekommt, die sie braucht – ist es ein kurzer Blick, ist es etwas in seinen Augen? –, um zu wissen, dass es absolut in Ordnung ist, dieses neue Abenteuer zu wagen.

Vierzehn Sekunden später ist sie bereits auf der Spitze des Gerüsts, schaut zu ihrem Vater zurück, mit jeder Faser ihres Körpers Stolz verströmend, und verkündet ihren Triumph: „Ich bin ein großes Mädchen.“

„Ja, das bist du, Lei“, antwortet ihr Vater, „ja, das bist du!“ (Was Lei nicht weiß, ist, dass ihr Vater sehr an sich halten muss, um nicht einzugreifen und da zu bleiben, wo er ist, weil ein Teil von ihm Angst hat, dass sie herunterfallen könnte. Doch aufgrund ihrer früheren Erfahrungen mit diesem Gerüst, bei denen er das Bedürfnis hatte, nahe bei seiner Tochter zu bleiben und auf sie aufzupassen, weiß er nun, dass sie über die Kraft, den Gleichgewichtssinn und die Begeisterung verfügt, um diesen Teil des Spielplatzes auf eigene Faust zu erkunden.)

Nach weiteren zwanzig Sekunden klettert Lei wieder herunter. Sie hat noch immer Spaß, freut sich noch immer an ihrem wachsenden Kompetenzgefühl, doch sie rennt zurück zu ihrem Vater, strahlend und sichtbar stolz auf ihre Leistung. Sie ist entzückt. Er ist entzückt. Sie schaut ihm in die Augen, sie berühren sich kurz, und dann – zack! – rennt sie wieder los, dieses Mal auf die Rutsche zu, bereit für eine weitere aufregende Runde.

Das ist also sichere Bindung. In diesem einfachen Augenblick ist Leis Vater einfach bei ihr und reagiert auf die sich verändernden Bedürfnisse seiner Tochter, während sie die mitunter angsteinflößende Aufgabe in Angriff nimmt, ihre Welt zu erkunden. Wichtig ist dabei auch, dass Lei deswegen weiß, dass ihr Vater auf sie reagieren wird, weil er das in der Vergangenheit bereits viele Male getan hat. Das ist einer der Gründe, aus denen die ganze Abfolge so glatt abzulaufen scheint, so ungeplant. Leis Ausdruck ihrer grundlegenden psychischen Bedürfnisse und die Reaktionen ihres Vaters haben sich zu dem Gewebe ihrer Beziehung verflochten.

Bindung: Ein bleibendes Vermächtnis

Lei und ihr Vater mussten wohl kaum bewusst über ihre Verhaltensweisen nachdenken, doch wie bei allen Menschen haben die positiven Effekte ihrer sicheren Bindung eine bleibende Wirkung. Diese erste Beziehung, die so nah ist, dass „zwei“ darin fast nicht von „einem“ zu unterscheiden ist, können wir nicht einfach abschütteln, wie ein Schmetterling seinen Kokon abstreift, auf und davon fliegt und vergnügt bis ans Ende seiner Tage lebt. Wir tragen sie mit uns in all unsere Beziehungen, all unsere Arbeit, all unsere Interaktionen, und falls es sich um eine sichere Bindung handelt, dann könnte sie unter Umständen zu einem vergnüglichen „bis ans Ende unserer Tage“ führen.

Fünfzig Jahre Forschung haben gezeigt, dass Kinder mit einer sicheren Bindung:

• mehr Freude mit ihren Eltern erleben

• weniger wütend auf ihre Eltern sind

• sich besser mit ihren Freunden verstehen

• stabilere Freundschaften haben

• in der Lage sind, Probleme mit Freunden zu lösen

• bessere Beziehungen zu ihren Geschwistern haben

• über ein stärkeres Selbstvertrauen verfügen

• wissen, dass sich für die meisten Probleme eine Lösung finden wird

• darauf vertrauen, dass gute Dinge auf sie zukommen

• den Menschen vertrauen, die sie lieben

• freundlich zu den Menschen um sie herum sind

Jahrzehntelange Forschungen haben inzwischen belegt, dass eine sichere Bindung an eine primäre Bezugsperson dafür sorgt, dass die Kinder gesünder und glücklicher sind, in praktisch jeder Hinsicht, in der wir diese Dinge messen können – in Bezug auf Kompetenz und Selbstvertrauen, Empathie und Mitgefühl, Resilienz und Durchhaltevermögen… in Bezug auf die Fähigkeit, Emotionen zu regulieren, intellektuelle Fähigkeiten zu entwickeln und die körperliche Gesundheit zu erhalten… in Bezug auf die Arbeit und ein erfülltes Privatleben. Vielleicht noch wichtiger ist, dass eine sichere Bindung in der ersten Beziehung eines Kindes die Grundlage für gute Beziehungen im weiteren Leben legt. Und inzwischen wissen wir ohne Zweifel, dass Beziehungen der Motor und das Gerüst für Zufriedenheit und Erfolg in allen Lebensbereichen sind. Untersuchungen haben gezeigt, dass soziale Beziehungen die geistige und körperliche Gesundheit fördern und sogar das Sterberisiko senken: Analysen zu Studien in zahlreichen Ländern haben wiederholt ergeben, dass die Wahrscheinlichkeit eines vorzeitigen Todes umso kleiner ist, je mehr ein Mensch in soziale Beziehungen eingebettet ist, und dabei hatten die am stärksten isolierten Menschen sogar ein zweifach erhöhtes Sterberisiko im Vergleich zu den am stärksten sozial eingebetteten. In den westlichen Gesellschaften scheint man die Bedeutung des „Und“ langsam zu verstehen, wie die wachsende Beliebtheit von Büchern und TED-Talks zu Themen wie dem Wert von Verletzlichkeit vermuten lässt. Langsam wird uns klar, dass unsere Beziehungen nicht einfach nur nette „Extras“ sind. Die Menschen, die sich mit ihren Kollegen am besten verstehen, bekommen oft als erste eine Beförderung – und zwar nicht nur, weil sie kluge Allianzen gebildet haben, sondern oft auch, weil sie am produktivsten sind. Uns ist klar, dass es nicht hilfreich ist, wenn wir ständig wie besessen über unsere Kinder wachen wie der besagte sprichwörtliche Helikopter, doch wissen wir inzwischen auch, dass es etwas anderes ist als diese Art der Überwachung, wenn wir das Baby immer wieder beruhigen, und dass es dadurch nicht lebensuntauglich wird. Die Beziehungen, die wir eingehen, geben uns Kraft und machen uns sogar aus, denn in jedem „Und“ werden wir zu etwas, das über uns allein hinaus geht.

„Ich beruhigte mich damit, dass er schon immer einfallsreich, robust und selbstsicher war. Zwei Tage später… rief er mich an, überschwänglich und beglückt über seinen Triumph. Ich sagte zu ihm: ‚Viel Glück bei deinem Abenteuer‘, und wusste, dass es genau das war, was er von mir hören musste. Ich konnte ihn aus der Ferne in die Arme nehmen, in dem Wissen, dass er über all die Möglichkeiten, die Liebe, die Bindung und die Ressourcen verfügte, die aus seiner jahrelangen Erfahrung einer sicheren Bindung stammten. Seine sichere Bindung ermöglichte ihm, seine Erkundungen weiter und weiter auszudehnen.“

HEIDI S. ROIBAL, Albuquerque, New Mexico, nachdem ihr dreiundzwanzigjähriger Sohn allein auf eine Reise quer durchs Land aufgebrochen war

Auf die Bindung kommt es an

Intuitiv kennen Sie die Bedeutung des „Und“ bereits. Wenn wir anderen Menschen vertrauen und uns mit ihnen sicher fühlen, können sich Beziehungen weiterentwickeln – Freundschaften können sich vertiefen, wenn man ein beschämendes Kindheitsgeheimnis preisgibt, intime Beziehungen können sich festigen, wenn man es wagt, dem anderen einen Heiratsantrag zu machen, Kollegialität und gegenseitiger Respekt können entstehen, wenn man um die Beförderung bittet, die man verdient hat. Sogar ganz große Errungenschaften – das beste Bild, das man je gemalt hat, der Einfall für eine ebenso großartige wie radikale Innovation, die fantastische Rede, die man geschrieben hat –, die auf den ersten Blick nichts mit anderen Menschen zu tun haben, werden oft nur durch die Erfahrung von Sicherheit möglich. Wenn wir im Allgemeinen in die Offenheit und die Akzeptanz anderer vertrauen, sind uns Kreativität, Kompetenz, umsichtige Risikobereitschaft und geistige Klarheit möglich, da wir davon ausgehen, dass unsere Ideen in einer sicheren Umgebung auf Verständnis treffen und willkommen geheißen werden. Wenn das der Fall ist und wir Erfolg haben, wird die Bedeutung von Bindung noch bestärkt durch die Erfüllung, die wir erleben, wenn wir unsere Freude mit anderen teilen.

Eine sichere Bindung ist ein wenig wie der geliebte Teddybär aus Kindertagen. Hat man Zuversicht und Vertrauen in das Gute in mir, in dir und in uns, nimmt man dieses Vertrauen während wichtiger Übergänge und Veränderungen im Alltag mit. Wie es in unserem Leben läuft, bemessen wir Erwachsenen im Allgemeinen daran, wie es in unseren Beziehungen läuft. Wenn die Beziehungen gut laufen, läuft das Leben gut. Wenn wir lieben und geliebt werden, geht es uns gut.

Eine sichere Bindung zu haben bedeutet zu wissen, dass jemand einem dem Rücken stärkt,1 und zu wissen, dass jemand einem den Rücken stärkt, eröffnet eine ganze Welt voller neuer Möglichkeiten.

Falls Sie selbst die positiven Auswirkungen einer sicheren Bindung erlebt haben, wird es Sie nicht überraschen, wie verheerend das Fehlen von jeglicher Bindung sein kann. Im dreizehnten Jahrhundert ließ der römisch-deutsche Kaiser Friedrich II. ein Experiment durchführen, um herauszufinden, ob Neugeborene irgendwann die Sprache von Adam und Eva sprechen würden, wenn sie von den Erwachsenen um sie herum keinerlei Sprache zu hören bekämen. Er wies die Pflegekräfte an, mit den Babys weder zu sprechen noch zu gestikulieren, und letztlich verstarben sie alle. Siebenhundert Jahre später, in den 1930er-Jahren und 1940er-Jahren, zeigte sich derselbe Zusammenhang an Kindern in Waisenhäusern, bei denen die Sterberate bei alarmierenden 30 % lag. Obwohl mit den offensichtlichen Notwendigkeiten des Lebens versorgt – Essen, Obdach, Kleidung –, überlebten viele Kinder nicht ohne eine Bindung an eine primäre Bezugsperson.

Wie konnte es, angesichts dieser Beweislage, dennoch so lange dauern, bis der Wert von Bindung verstanden wurde? Diese Dinge brauchen ihre Zeit, und damit eine neue Theorie akzeptiert werden kann, müssen oft andere, etablierte Theorien verworfen werden. Im frühen zwanzigsten Jahrhundert beruhten die zwei vorherrschenden Denkschulen in Bezug auf kindliche Entwicklung einerseits auf den psychoanalytischen Theorien von Sigmund Freud und seinen Kollegen und andererseits auf den behavioristischen Theorien von John B. Watson und später B.F. Skinner und anderen:

• Freud kam zu dem Schluss, dass die psychischen Probleme, die er bei seinen Patienten sah, ihre Wurzeln in verschiedenen unbewussten, gedanklichen Prozessen hätten, die in der frühen Kindheit einsetzten und ihre Wirkungen während der Entwicklung des Kindes weiter entfalteten. Diese Prozesse bestimmten seiner Ansicht nach, wie ein Baby mit seinen Eltern interagiert und was ein Baby neben Essen und anderweitiger Fürsorge noch zu brauchen scheint. Freuds Theorien sorgten dafür, dass der Fokus mancher Entwicklungspsychologen (und der Psychoanalytiker, die Erwachsene behandelten) auf undurchsichtigen Konzepten über das Unbewusste blieb, die bei den Menschen in der echten Welt auf wenig Resonanz stießen.

• Das andere Lager war das der Behavioristen, die glaubten, Babys verfolgten eine bestimmte Absicht, wenn sie für ihre Mama ein ganz besonderes Lächeln hervorzauberten, weinten, wenn diese aus ihrem Blickfeld verschwand, obwohl andere ihnen zugetane Bezugspersonen in der Nähe waren, oder sich in den Armen der Mutter wundersamerweise beruhigten. Ihre Absicht bestünde darin, belohnt zu werden: Wenn sie lächelten, wirkte die Mutter glücklich und kam näher. Wenn sie weinten, kam die Mutter meist zurück. Wenn sie sich in die Arme der Mutter kuschelten, durften sie dort bleiben. Watsons Ansicht nach diente der Bindungstrieb eines Babys dazu, dass die Mutter in der Nähe blieb, so dass sie ihm die Nahrung, die Wärme oder die trockene Windel geben konnte, die es brauchte. Heutzutage würde wohl kaum jemand noch leugnen, dass wir Menschen positiv auf Belohnungen reagieren. Das Besorgniserregende am strikten Festhalten an diesen frühen Formen des Behaviorismus bestand jedoch darin, dass Watson den Müttern riet, ihren Kindern nicht zu viel liebende Fürsorge zuzugestehen, denn sonst würden die Kinder später von der Welt erwarten, auf die gleiche Weise behandelt zu werden, was sie unweigerlich zu Invaliden machen würde.

Hier betritt die Stimme der Vernunft die Bühne: der britische Psychologe John Bowlby. Nach dem Zweiten Weltkrieg war Bowlby an Forschungsarbeiten für die Weltgesundheitsorganisation beteiligt, unter anderem in Einrichtungen für Kriegswaisen und hospitalisierte Kinder. Die Kinder waren alle optimal versorgt: Sie wurden gut ernährt und gekleidet, hatten warme Betten und wurden medizinisch betreut, genau wie die Waisen vor dem Krieg. Was sie hingegen nicht hatten, waren Mutter und Vater. Und genau wie die Waisen aus früheren Jahrzehnten litten sie schrecklich unter dem Fehlen der Geborgenheit, Liebe und Nähe einer primären Bezugsperson. In den 1950er-Jahren filmten Bowlby und sein Kollege John Robertson eine Zweijährige, die zehn Tage im Krankenhaus verbringen musste und ihre Eltern jeweils nur eine halbe Stunde am Tag sehen durfte. In dieser Zeit verwandelte sie sich von einem aufgeweckten kleinen Mädchen in ein vollkommen niedergeschlagenes Kind.

Bowlbys Beobachtungen haben seitdem eine Veränderung der Besuchsregeln in Krankenhäusern bewirkt und auch auf die professionelle Kinderbetreuung Einfluss genommen. Und sie befruchteten seine Bemühungen, die Eine-Millionen-Dollar-Frage zu beantworten, die von Anbeginn der Menschheit an hätte gestellt werden sollen: Warum macht die Abwesenheit der Eltern oder anderer Bezugspersonen einen so gewaltigen Unterschied, wenn das Kind doch ansonsten alles hat, was es für seine Entwicklung braucht?

Wie es bei wissenschaftlichen Fortschritten so oft der Fall ist, kamen die Antworten aus einem Zusammenfluss von Ergebnissen verschiedener Forschungsgebiete, die ab Seite 46 zusammengefasst sind.

Bowlby vermutete, dass Babys aufgrund eines zutiefst instinktiven evolutionären Triebes, der dem Überleben der Spezies dient, eine Bindung an ihre primären Bezugspersonen entwickeln. Auf einer nonverbalen Ebene verstehen Babys vielleicht viel besser als wir Erwachsenen, wie wichtig Bindung ist und warum sie mit solcher Entschlossenheit danach streben. Bowlby und Ainsworth hatten bereits jede Menge Hinweise darauf, dass das Fehlen von Bindung in den ersten Lebensjahren einem Kind schaden kann, daher widmeten sie sich während der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts der Erforschung der Bindungsthematik. Sie identifizierten drei Untersysteme, die im Bindungsprozess eine Rolle spielen:

• das Bedürfnis nach Zuwendung: der Instinkt, in jemandes Nähe zu bleiben, der Geborgenheit und Schutz bieten und die eigenen Gefühle ordnen kann

• Erkundung: der Instinkt, der eigenen Neugier zu folgen und etwas zu meistern

• das Gewähren von Zuwendung: der Instinkt, die benötigte Zuwendung zu geben und eine Bindung zu dem Baby zu entwickeln

Wie Sie in Kapitel 3 sehen werden, bilden diese drei Instinkte die Landschaft für den Kreis der Sicherheit. Diese Instinkte erklären, warum Babys eine sichere Bindung brauchen, damit sie weiterleben, sich entwickeln und zu Individuen werden, und warum sie am besten in Beziehungen gedeihen. Ironischerweise konzentrieren sich viele Menschen in der Pädagogik heutzutage noch immer auf das Verhalten, vielleicht, weil es etwas ist, das wir von außen sehen können, und wenn wir es verändern können, denken wir, dass wir damit die Probleme gelöst hätten. Doch Verhaltensweisen sind lediglich Ausdruck der Bedürfnisse eines Kindes. Verhalten ist eine Botschaft – eine Botschaft bezüglich der Bindungsbedürfnisse, die vor den Augen aller verborgen liegen.

Vor den Augen aller verborgen: Warum Verhaltensmanagement nicht ausreicht

Mal ehrlich: Als Eltern oder werdende Eltern haben wir viel dringendere Sorgen als die Aufwertung der Spezies für eine ungewisse Zukunft. Wir alle haben mehr als genug zu tun, und der Versuch, unseren eigenen Kindern eine gesunde Entwicklung zu ermöglichen, ist schon überfordernd genug. Das ist natürlich auch der Grund, warum so viele Eltern und andere Betreuer von Kindern auf Verhaltensmanagement zurückgreifen, um die Kinder dazu anzutreiben, in Bezug auf ihre Gefühle, ihr Verhalten und ihr ganzes Sein ihr Bestes zu geben. Wie wir bereits sagten, haben Belohnungen durchaus ihren Platz im Leben mit Kindern. Doch wenn wir lediglich auf die sichtbaren Verhaltensweisen abzielen, können wir uns auch gleich an den Gedanken gewöhnen, für immer und ewig mit „Sternchentabellen“ und „Auszeiten“ zu arbeiten. (Stellen Sie sich einmal vor, Sie müssten Ihrer dreißigjährigen Tochter jede Woche zehn Euro schicken, damit sie Sie anruft.) Wenn man nur das Verhalten adressiert, dann ist das in etwa so, wie wenn man zwar die Symptome einer Erkrankung behandelt, deren Ursachen jedoch ignoriert.

Die Entstehung der Bindungstheorie

Wenn Babys mit allen offensichtlichen Notwendigkeiten des Lebens versorgt wurden, aber dennoch nicht gediehen, so spekulierte John Bowlby, lag dem Drang zur Bindung möglicherweise ein tieferer Instinkt zugrunde: Steckte ein evolutionärer Trieb dahinter? Konnte etwas, das Eltern ihren Kindern über die körperlichen, lebensnotwendigen Bedürfnisse hinaus gaben, zum Erhalt der Spezies notwendig sein?

Untersuchungen an Tieren bestätigten dies. Konrad Lorenz, Pionier und Experte auf dem Gebiet der Tierverhaltensforschung, fand heraus, dass kleine Gänschen aufgrund eines Phänomens namens „Prägung“ demjenigen Tier oder Objekt folgen, das sie als Erstes sehen. Später erforschte der Psychologe Harry Harlow die Mutter-Kind-Bindung, indem er das Verhalten von Babyaffen beobachtete. Zunächst stellte er fest, dass die Affen, die im Labor und isoliert von anderen Affen aufgezogen wurden, sich zurückzogen, kein normales Sozialverhalten mit anderen Affen, dafür aber ein ungewöhnliches Ausmaß an Angst und Aggression zeigten. Als er in einer zweiten Studie jungen Affen die Wahl gab zwischen einem Affen aus Draht, der Futter ausgab, und einem Affen aus Stoff, der das nicht tat, wählte die überwältigende Mehrheit der Babys einen Affen, der sich eher wie das Fell der Mutter anfühlte, selbst wenn er kein Futter anbieten konnte. Nachdem sie mit diesen Ersatzmüttern bekannt gemacht wurden, kehrten sie wieder und wieder zu der gleichen Attrappe zurück und zeigten klare Anzeichen dessen, was inzwischen als „Bindung“ bekannt ist.

In den darauffolgenden Jahrzehnten formulierte Bowlby die Bindungstheorie, eine Perspektive, die erklärt, auf welche Art und Weise die Suche nach Verbundenheit mit einer primären Bezugsperson nicht nur dem Überleben des Individuums dient, sondern auch dem Erhalt der Spezies. Prägung als eine Art primitives Bindungsverhalten kann somit als Weg betrachtet werden, auf dem das neugeborene Tier in seine Spezies eingeführt wird – nicht nur, damit das Junge von einem Tier mit denselben Bedürfnissen und dem Wissen, wie sie befriedigt werden können, Überlebensstrategien lernt, sondern auch, damit es später weiß, nach welchen anderen Tieren es zur Paarung und Fortpflanzung suchen soll.

Doch in welchem Maß ähneln wir Menschen den Tieren? Wie wird der Erhalt der menschlichen Spezies durch Bindung gefördert? Die einfachste Antwort ist die: Wenn menschliche Babys in der Nähe eines sie beschützenden, fürsorglichen Erwachsenen bleiben, ist die Wahrscheinlichkeit des langfristigen Überlebens höher, und je mehr Kinder das Erwachsenenalter erreichen, desto eher bleibt die Spezies bestehen. Allerdings wissen wir inzwischen, dass Bindung sich positiv auf die Entwicklung auswirkt und nicht nur für mehr erwachsene Menschen sorgt, sondern auch für bessere. Durch sichere Bindungen überlebt die Spezies nicht nur, sie entwickelt sich auch weiter. Wenn der Bindung also ein solch enormes Potenzial innewohnt, wie lässt sich dann ihre Entstehung begreifen, und wie kann man dafür sorgen, dass sie sich so oft wie möglich entwickelt?

Zurück ins Labor der Menschheit. Die Entwicklungspsychologin Mary Ainsworth, Mitarbeiterin in Bowlbys Forschungsteam in London, spielte eine entscheidende Rolle dabei, die Muster bei der Entstehung von Bindung aufzuzeigen. Basierend auf ihren Beobachtungen bei einer bahnbrechenden Feldstudie in Uganda und später in Baltimore in den Vereinigten Staaten legte Ainsworth verschiedene Bindungsstile fest, die zwischen der Mutter (oder einer anderen primären Bezugsperson) und dem Baby entstehen. Später entwickelte Ainsworth außerdem ein sehr nützliches Forschungsinstrument zur Identifikation des Bindungsstils einzelner Eltern-Kind-Paare. Ainsworths sogenannter Fremde-Situations-Test (FST, auf Englisch: Strange Situation Test, SST), der in Kapitel 4 beschrieben wird, ist heute der Maßstab zur Erfassung des Bindungsstils und ein zentraler Bestandteil unserer eigenen Arbeit mit Familien. Er hilft uns und anderen, die mit der Bindungsthematik arbeiten, zu verstehen, wo Bindung möglicherweise nicht sicher ist und wie man Eltern und Kindern helfen kann, eine Bindung zu entwickeln.

Wenn wir es mit einem Kind zu tun haben, das „sich danebenbenimmt“ oder bekümmert wirkt, ist es hilfreich zu überlegen, was möglicherweise vor aller Augen verborgen liegen könnte: Ist das Kind frustriert, weil es das Gefühl hat, uns sein Bedürfnis nach Geborgenheit nicht verständlich machen zu können? Ist dieses kleine Mädchen „so emotional“, weil es nicht gelernt hat, seine Gefühle mithilfe des liebevollen Verständnisses und der souveränen Begrenzungen eines Erwachsenen zu regulieren? Tut dieser kleine Junge sich so schwer damit, das Alphabet zu lernen, weil er innerlich ständig versucht, sein Bedürfnis auszudrücken, selbst der Architekt seiner eigenen Abenteuer zu sein? Hat dieses Kind vielleicht deswegen Schwierigkeiten damit, Freunde zu finden, weil es nicht gelernt hat, auf das Wohlwollen anderer zu vertrauen?

Das, was vor den Augen aller verborgen liegt, wurde in den letzten fünfzig Jahren von der Wissenschaft ausführlich erforscht. Wir wissen jetzt, dass die Bindung sich auf den Stresslevel eines Kindes, seine Fähigkeit, mit emotionalen Erfahrungen umzugehen, seine Lernkapazität, seine körperliche Vitalität, sein soziales Wohlbefinden und vieles mehr auswirkt. Je mehr wir als Eltern darüber wissen, was unter dem Verhalten unseres Kindes und vor unseren Augen verborgen liegt, desto klarer erkennen wir die Notwendigkeit, eine sichere Bindung zu ihm aufzubauen.

Der führende Neuropsychologieforscher Allan Schore fand heraus, dass die Entwicklung vieler regulierender und überlebenswichtiger Funktionen in der rechten Gehirnhälfte (die während der ersten drei Lebensjahre dominanter ist als die linke) von den Erfahrungen des Babys abhängt, insbesondere von den Bindungserfahrungen mit seiner primären Bezugsperson.

Eine sichere Bindung schützt Kinder vor toxischem Stress

Wenn Bindung ein solch hartnäckiger, ursprünglicher Instinkt ist, dann stellen Sie sich einmal vor, wie viel Stress es verursachen muss, wenn er blockiert ist. Der Stress unerfüllter Bindungsbedürfnisse kann sich im Verhalten eines Kindes ausdrücken (Wie verhalten Sie sich, wenn Sie großen Stress haben?), und aus zahlreichen Studien wissen wir, dass er sich ebenfalls negativ auf die mentale, emotionale, soziale und körperliche Entwicklung des Kindes auswirkt.

Die Art von Stress, die in der frühen Kindheit beginnt, wenn die Nöte eines hilflosen Neugeborenen nicht durch die Geborgenheit eines Elternteils gelindert werden, nennt man „toxischen Stress“, weil er im Gehirn neuronale Bahnen erzeugt, durch deren Aktivierung das Kind sich ständig in einem alarmierten Zustand befindet. Dieser Zustand erschwert es dem Kind, sich auf das Lernen zu konzentrieren, und macht es anfällig dafür, vorschnell zu reagieren, bevor es sich fragen kann, was überhaupt los ist. Wenn ein Baby hungrig, nass oder verängstigt ist, strömt das Stresshormon Cortisol durch sein Gehirn; Cortisol löst eine Art von Verlangen aus, das sich wie ein „schwarzes Loch“ anfühlt und das ein Neugeborenes zwar nicht artikulieren kann, aber intensiv spürt. (Auf Seite 51 finden Sie weitere Details zu den gesundheitlichen Auswirkungen von übermäßigem Stress.)

Wenn wir uns in der Anwesenheit einer liebevollen, verlässlichen Bezugsperson sicher fühlen, ist das so, als ob man uns eine zweite Haut gibt, die uns in stressigen Zeiten schützt.

Sicherheit sorgt dafür, dass Kinder sich gesund entwickeln

Der durch unerfüllte Bindungsbedürfnisse ausgelöste Stress kann ein Kind nicht nur in der frühen Kindheit, sondern auch während seiner gesamten Entwicklung belasten. Auch wenn sich nur schwer sagen lässt, wie direkt eine sichere Bindung sich auf die Erreichung bestimmter Entwicklungsmeilensteine auswirkt, wies eine bahnbrechende, dreißig Jahre andauernde Studie an der Universität von Minnesota, die Mitte der 1970er-Jahre begann, langfristige Muster zwischen einer sicheren Bindung und bestimmten Entwicklungsaspekten nach. Stellen Sie sich einen Neunjährigen vor, dessen Mutter Brustkrebs hat oder dessen Vater als Alleinverdiener der Familie seine Arbeit verloren hat. Ereignisse wie diese, tragisch, aber weit verbreitet, sorgen für großen Stress. Hier kommt die Sicherheit, die wir aus einer guten Bindung beziehen, zur Rettung. Die Wissenschaftler aus Minnesota fanden unter anderem heraus, dass Kinder in der vierten Klasse mit einer sicheren Bindungsgeschichte weniger Verhaltensprobleme hatten, wenn ihre Familien unter großen Stress gerieten, als solche, die keine sichere Bindung erlebt hatten.

Stress und Gesundheit

Der menschliche Körper ist mit einem brillanten System zum Umgang mit Bedrohungen ausgestattet. Allerdings haben wir meist keine Kontrolle über die Art der Bedrohungen, denen wir uns gegenüber sehen: ständige Sorgen um die finanzielle Situation, Familienkonflikte, das Leben in einer gefährlichen Umgebung oder, im Falle eines Kindes, die allgemeine An- oder Abwesenheit einer feinfühligen, zugänglichen Bezugsperson – und dadurch entsteht Stress. Eine wahrgenommene Bedrohung löst eine komplexe Reihe neurochemischer Prozesse aus, in die auch das Stresshormon Cortisol involviert ist. Die Hauptaufgabe des Cortisols ist es, den Körper nach dem stressigen Ereignis in einen Zustand des Gleichgewichts und der Stabilität (Homöostase) zurückzubringen. Das Problem ist, dass sich das Cortisol bei der Regulation verschiedener von Stress beeinflusster Systeme, hauptsächlich des Stoffwechsels, nebenbei auch auf andere Systeme auswirkt, allen voran auf das Immunsystem. Die Aufgabe des Cortisols besteht darin, dem Körper zu signalisieren, dass er mit dem Kämpfen aufhören und in einen stabilen Zustand zurückkehren soll; es hat auch eine dämpfende Wirkung auf das Immunsystem und macht den Körper damit anfälliger für Krankheiten. Das ist einer der Gründe dafür, dass Menschen, die unter chronischem Stress leiden, häufiger krank werden als andere. Unglücklicherweise werden durch wiederholte Episoden von akutem Stress und auch durch chronischen Stress übermäßige Mengen an Cortisol freigesetzt – das kann das Gedächtnis und die kognitiven Fähigkeiten beeinträchtigen und sogar für eine Zunahme von Bauchfett sorgen, was wiederum ein erhöhtes kardiovaskuläres Risiko nach sich zieht. Babys, deren Bindungsbedürfnisse nicht erfüllt werden, beginnen ihr Leben also unter schlechteren geistigen wie körperlichen gesundheitlichen Bedingungen.

Als Erwachsene haben wir oft keinen Begriff mehr davon, wie stressig solch profane Probleme für ein Kind sein können, doch bei einem Baby kann jedes unerfüllte Bedürfnis zu einem Anstieg des Cortisolspiegels führen – und damit zu einer Erweiterung des schwarzen Lochs. Glücklicherweise gibt es ein Gegenmittel: die Geborgenheit, die es bei der Mutter oder dem Vater erlebt. In Laborstudien konnte gezeigt werden, dass der Cortisolspiegel von Babys sinkt, wenn sie in einer stressigen Situation auf den Arm genommen und gehalten werden.

In der Studie aus Minnesota untersuchten L. Alan Sroufe, Byron Egeland, Elizabeth A. Carlson und W. Andrew Collins die Entwicklung von 180 Kindern vom letzten Schwangerschaftstrimester bis ins Erwachsenenalter und stellten fest, dass eine sichere Bindung am Anfang des Lebens einen nachweisbaren Schutz vor den verheerenden Auswirkungen von Stress während der gesamten untersuchten Zeitspanne darstellte.

Außerdem fanden sie Zusammenhänge zwischen Unsicherheit und späteren psychischen Problemen. Sicherheit zu geben bedeutet, einen sicheren Hafen der Geborgenheit und eine sichere Basis für Erkundung zu bieten, je nachdem, was gebraucht wird. In der zuvor beschriebenen Szene konnten wir sehen, wie Leis Vater seiner Tochter beides gab. In der Minnesota-Studie zeigten Kinder, deren Eltern ihnen keine emotionale Geborgenheit geben konnten, mehr Störungen des Sozialverhaltens in der Adoleszenz, und Kinder, die von ihren Eltern am Erkunden gehindert wurden, litten als Jugendliche mit größerer Wahrscheinlichkeit unter Angststörungen. Die Studie fand zudem einen Zusammenhang (wenn auch keinen ganz so deutlichen) zwischen diesen zwei Arten von Unsicherheit und Depressionen – die Kinder fühlten sich entweder hoffnungslos und entfremdet oder hilflos und ängstlich.

Der Weg der Entwicklung ist voller Aufgaben, die Ihr Baby bewältigen muss, Fertigkeiten, die es zu lernen, und Fähigkeiten, die es zu entwickeln gilt. Und wie sie sehen werden, spielt Bindung bei vielen davon eine entscheidende Rolle.

Lernen, Gefühle zu regulieren

Ihr Wonneproppen mag Ihnen während der ersten Monate oftmals gar nicht so wonnevoll vorkommen. Experten der Entwicklungspsychologie sind sich weitgehend einig, dass ein zuverlässiges Elternteil oder eine andere primäre Bezugsperson – in der Psychologie „Bindungsfigur“ genannt – vor allem dazu dient, dem Säugling in seiner ganzen Angst zu helfen. Offensichtlich können Babys mit der intensiven und verwirrenden Erfahrung von Gefühlen nicht alleine umgehen. Zuerst regulieren Mutter oder der Vater die Gefühle des Babys von außen – sie beruhigen es, wenn es schreit, singen Schlaflieder, lächeln es zärtlich an, wiegen es hin und her und vielerlei mehr. Wenn das Baby erlebt, dass jemand ihm helfen kann, schwierige Gefühle annehmbar und verkraftbar zu machen, wendet es sich in Situationen, in denen es etwas braucht, in zunehmendem Maße an diese Bezugsperson, und dadurch lernt es langsam, sich selbst zu beruhigen. Schließlich, wenn alles nach dem in uns angelegten Plan verläuft, lernt das Kind, seine eigenen Gefühle zu regulieren. Jetzt beginnt in ihm die Fähigkeit zu knospen, sich selbst zu trösten, wenn es in den Kindergarten gebracht wird, anstatt den ganzen Vormittag lang zu schluchzen. Es kann sich jetzt die Angst vor dem Monster unter dem Bett manchmal selbst ausreden, anstatt endlos bei anderen nach Beschwichtigung zu suchen, weil es sich nicht selbst beruhigen kann. Jetzt kann es sich kurz wegdrehen, wenn es sich bei der Begegnung mit jemand Unbekanntem schüchtern fühlt, und dann noch einmal hinschauen, sobald es sich beruhigt hat. (Außerdem hat es die wichtige und wertvolle Lektion gelernt, dass es sich, falls notwendig, auch im weiteren Leben zur Co-Regulation an andere wenden kann.) Seine emotionale Erregung steuern zu können gibt dem Kind nicht nur die Freiheit, sich dem Lernen und seiner Entwicklung zu widmen, sondern es verhindert zudem die gefährliche Anhäufung von Cortisol und fördert folglich die Gesundheit. Aktuelle und noch laufende Forschungen zeigen, dass die Fähigkeit zur Gefühlsregulation weitreichende positive Auswirkungen hat, denn wenn man nicht unter dem Stress zu lange anhaltender oder übertriebener Gefühle leidet, ist man frei, das Leben in seiner ganzen Fülle auszukosten.

In der Minnesota-Studie wurde festgestellt, dass Sicherheit Kinder weniger für Frustration oder Aggression anfällig machte, wenn sie sich sozialen Konflikten ausgesetzt sahen, ebenso weniger dafür, einfach aufzugeben und sich abzuwenden. Sie zeigten größere Hartnäckigkeit und Flexibilität, sowie allgemein weniger Geheule und Getue.

Auf diese Weise leistet uns die Fähigkeit zur Emotionsregulation während unseres ganzen Lebens gute Dienste. Sie hilft uns, unsere Arbeit produktiver zu machen, effektiv und liebenswürdig mit diesem nervigen Nachbarn umzugehen und unseren Wunsch, „die Welt zu verändern“, in die von uns gewünschten Bahnen zu lenken – und Emotionsregulation ist auch für Beziehungen super. Und das nicht nur, weil wir unserem tobenden Kleinkind nicht tatsächlich „den Hals umdrehen“ oder uns permanent über die „Unsensibilität“ unserer Freunde beschweren, wenn wir unsere Gefühle regulieren können, sondern auch, weil die Fähigkeit zur Co-Regulation von Gefühlen ein wichtiger Bestandteil von Intimität ist. Sie haben einen Arzttermin, vor dem Sie sich fürchten? Wenn Sie Ihren Partner oder einen engen Freund an Ihrer Seite haben, kann Ihnen das helfen, Ihre Angst (und das Cortisol) auf einem erträglichen Niveau zu halten. Haben Sie schon einmal an der Seite eines vertrauten Menschen einen Verlust betrauert und festgestellt, dass Ihr Kummer sich schneller verflüchtigte, als Sie es für möglich gehalten hätten? Falls ja, was fühlen Sie jetzt, während Sie sich an diesen Moment erinnern, in Bezug auf diesen Menschen?

Ein warnender Hinweis: Verwechseln Sie „Emotionsregulation“ nicht mit dem Abwehren oder Unterdrücken von Gefühlen. In der Wiege einer sicheren Bindung lernen Babys und Kinder, dass Gefühle etwas Normales, Akzeptables und Nützliches sind. Allein die Akzeptanz eines Gefühls ist schon sehr wirksam, um zu verhindern, dass es außer Kontrolle gerät oder über seine Nützlichkeit hinaus weiter bestehen bleibt. Wir helfen unseren Babys, diese wertvollen Fertigkeiten zu lernen, indem wir während ihrer gesamten Erfahrung „mit ihnen sind“. Diesem Thema ist Kapitel 4 gewidmet.

Achten Sie jedoch auch darauf, den Gefühlen Ihres Kindes nicht zu viel Priorität einzuräumen. In dem Versuch, für die emotionalen Bedürfnisse unsere Kinder sensibel zu sein, bringen wir ihnen manchmal unabsichtlich bei, dass jedes Gefühl, das sie haben, von überragender Wichtigkeit ist und „jetzt sofort“ beachtet werden muss – was aber in Wirklichkeit der Entwicklung von Resilienz entgegenwirkt.

Ein Individuum werden – ohne allein zu sein

Die kleinen Hände eines sechsjährigen Mädchens fingern an dem dünnen Docht herum, den ihr Vater an einen Kleiderbügel gebunden hat. Vor ihr steht der vertraute Einmachtopf der Familie, der jetzt warmes Wasser und einen Behälter mit flüssigem Wachs enthält. Vorsichtig und mit der nervösen Präzision einer Erstklässlerin taucht das Mädchen den Docht langsam in das leicht sprudelnde Wachs. Die erste Schicht ist kaum sichtbar, als sie ihn hochzieht und ihren Eltern zeigt. Der Vater spürt ihre Verunsicherung und vergewissert ihr, dass die Kerze nach und nach entsteht, wenn sie sie immer wieder eintaucht. Auch die zweite und die dritte Runde bringen noch kaum sichtbare Ergebnisse. Dann sieht das Mädchen plötzlich freudig überrascht, wie das Wachs an dem vor ihr baumelnden Docht haftet. Immer wieder taucht sie ihn ein. Und Immer wieder schaut sie hinüber, um das Lächeln in den Augen ihrer Mutter zu sehen, während die Kerze größer wird. Die Vergewisserung, die sie wenige Minuten zuvor noch zu brauchen schien, ist jetzt in ihr eigenes Wissen übergegangen, während sie den Prozess der Kerzenherstellung fortsetzt. Noch Monate, sogar Jahre später, wenn diese eine Kerze angezündet wird, kann sie die Vergewisserung, das Vertrauen, das Vergnügen und die Freude, die sie bei ihrer Herstellung erlebt hat, wieder spüren.

Früh gelerntes Vertrauen wirkt sich sehr langfristig aus. Dieses sechsjährige Kind durfte sozusagen in der fürsorglichen Reaktion ihrer Eltern baden, eine Ressource, die sie seit dem Moment ihrer Geburt kennt. In ihren frühesten Jahren hat sie eine Einstimmung und eine Feinfühligkeit erfahren, die ihr erlauben, sich in ihrer Umgebung niederzulassen und darauf zu vertrauen, dass gut für sie gesorgt wird. Kleine Kinder brauchen die Sicherheit, dass jemand da ist, der sich verlässlich um ihre körperlichen und emotionalen Bedürfnisse kümmert. Vertrauen in sich selbst und Vertrauen in andere beruht stets auf der frühen Erfahrung, sich auf die Feinfühligkeit und die Zugänglichkeit mindestens einer ansprechbaren Bezugsperson verlassen zu können – mit anderen Worten, es beruht auf durch Bindung vermittelte Sicherheit. In der Entwicklungspsychologie wird die Entwicklung eines kohärenten Selbstgefühls – also die Entwicklung der Persönlichkeit, der Identität und so weiter – natürlich als ein wichtiges Ziel betrachtet. Wenn ein Elternteil feinfühlig und warmherzig auf die frühesten Bedürfnisse eines Kindes reagiert, wird das Selbst mit jeder Interaktion geformt, ähnlich wie der Docht, der so oft in das Wachs getaucht wird, bis die Kerze entstanden ist. Die Betonung liegt hierbei auf Interaktion, denn in dieser ersten Beziehung beginnt die Individuation des Babys, und durch alle weiteren Beziehungen in unserem Leben entwickeln wir uns weiter. Wenn die Bindung sicher ist, werden alle psychischen Fähigkeiten des heranwachsenden Kindes so gefördert, dass sie schließlich ein kohärentes Selbst bilden – eines, in dem die Erinnerungen und das Selbstbild eines Menschen in einem verständlichen Zusammenhang stehen mit der Geschichte, die ihn geprägt hat.

Es mag paradox erscheinen, dass wir nur im Kontext anderer Menschen ein starkes Selbstgefühl entwickeln. Aber womöglich ist das ganz und gar nicht paradox: Ein Baby erkennt, dass es ein Individuum ist, wenn es sich dessen bewusst wird, dass es in diesem „Wir“ ein „Ich“ und ein „Du“ gibt. Eine sichere Bindung zu einem fürsorglichen Erwachsenen unterstützt das Baby, ein eigenständiges Individuum zu werden, und erspart ihm die Verwirrung und den Stress, allein und hilflos zu sein. Um die oft schwierigen und verwirrenden Erfahrungen, die mit dem Entstehen des Selbstgefühls einhergehen, zu bewältigen, braucht das Baby einen „anderen“, der für es da ist, der es versteht und einfühlsam reguliert. Wenn ein Kind viele Male die Erfahrung macht, getröstet und auf feinfühlige Weise angeregt und beruhigt zu werden, ist das ungefähr so, wie wenn der Docht des sich entwickelnden Selbst immer wieder in die Qualität der Beziehung zu den Menschen um es herum eingetaucht wird.

Für ein neugeborenes Baby ist es natürlich überlebenswichtig, nicht allein zu sein. Doch Experten sowohl der Bindungstheorie als auch der Objektbeziehungstheorie2 betonen, dass Überleben mehr bedeutet als ein schlagendes Herz und ein voller Bauch. Babys stellen instinktiv eine Verbindung mit dem „anderen“ her, der ihnen helfen kann, die chaotische Welt, in der sie sich wiederfinden, zu begreifen. Ist eine solche Verbindung nicht möglich, hinterlässt das eine beängstigende Leerstelle. Psychoanalytiker wie Donald Winnicott nannten den Terror des Allein- und Verlassenseins, wenn man noch nicht einmal in der Lage ist, Worte zu formen, einen der „Urschmerzen“. Stellen Sie sich einen freien Fall von einem Trapez vor – Sie strecken sich nach den Händen des anderen Akrobaten aus und lassen rechtzeitig die Stange los, um sie zu erreichen… und müssen feststellen, dass da gar niemand ist. Wenn es uns angeboren ist, unser Selbst im Kontext anderer Menschen zu entwickeln, dann bedroht es ganz bestimmt unser Überleben, wenn wir niemanden vorfinden. Stellen Sie sich jetzt vor, dass dieses Gefühl der Verlassenheit – dieses fürchterliche Gefühl, sich im freien Fall zu befinden – für den Rest Ihres Lebens in Ihrer unbewussten Gedankenwelt umherschwirrt. Was für ein Stress!

Der Geist muss frei sein, damit er lernen kann

Es ist keine Übertreibung, zu sagen, dass bei Kindern, die sich sicher und unterstützt fühlen, das Lernen fast von allein vonstattengeht. Wir Menschen sind von Natur aus neugierig, das muss uns nicht erst eingeredet werden. Man muss uns nicht abfragen, um unsere Wahrnehmung zu aktivieren („Welche Farbe ist das?“). Man muss die Kinder nur in ihrem eigenen, naturgegebenen Wunsch danach, etwas zu können, unterstützen. Dieser Wunsch wird ganz natürlich seinen eigenen Fokus und seine eigene Geschwindigkeit finden. Für den vierjährigen Jakob ist es derzeit ein über den ganzen Wohnzimmerboden verteilter Zoo voller Plastiktiere. Im Alter von sieben Jahren wird es dann möglicherweise das Spiel Minecraft auf dem iPad sein. Für einen anderen Siebenjährigen könnte es Malen und Zeichnen sein, oder ein Online-Spiel. Für die dreijährige Lei ist es, wenn sie nicht gerade auf dem Spielplatz ist, alles, was sie in kleine Menschen verwandeln kann, die das ausleben können, was auch immer ihr in den Sinn kommt. In zehn Jahren mag es dann die Konstruktionsweise der höchsten Gebäude der Welt sein, oder höhere Mathematik, von der ihre Eltern noch nie gehört haben.

In der Minnesota-Studie wurde festgestellt, dass sicher gebundene Kinder offener und flexibler Probleme lösen, neue Situationen begrüßen und schwierigen Lernaufgaben mit weniger Frustration und Angst begegnen. Das ist wenig überraschend für uns. Zentral dafür, die Bedürfnisse eines Kindes zu erfüllen, ist die Haltung „Wir kriegen das zusammen hin“ – dass emotionale Schwierigkeiten innerhalb des „Und“ bewältigt werden können.

Natürlich unterscheiden sich Kinder im Hinblick auf ihre intellektuellen Fähigkeiten. Aber eine sichere Bindung bildet zumindest eine gute Grundlage dafür, dass sie ihr einzigartiges Potenzial entfalten können. Ohne diese Sicherheit sind die Kinder von dem Ödland ihrer unerfüllten Bedürfnisse und dem Mangel an Verbindung so gestresst, dass sie an nicht viel anderes denken können, zumindest nicht sehr effizient. Wenn wir mit Lehrern und Eltern über den Zusammenhang von Bindung und kognitiven Fähigkeiten sprechen, sagen wir oft:

Kinder können nicht lernen, wenn ihre Haare in Flammen stehen.

Kinder, die unter großem Stress aufwachsen, sind aufgrund des Mangels an Geborgenheit und anderen Notwendigkeiten oft so sehr damit beschäftigt, sich für Gefahren zu wappnen, dass sie sich nicht konzentrieren können.

Sie scheinen in Ermangelung von sozialem Kontakt auch weniger gut lernen zu können. Schließlich ist bekannt, welche positiven Auswirkungen es auf die Lesekompetenz hat, wenn Eltern ihren Kindergartenkindern vorlesen, oder wie wertvoll es ist, einen wirklich guten Lehrer zu haben. Eine sichere Bindung ist der erste soziale Kontakt, der Ihr Baby beim Lernen unterstützt. Das funktioniert so:

1. Das Elternteil dient als sichere Basis, von der aus das Kind etwas erkunden kann – ob es der Spielplatz ist, wie in Leis Fall, oder ein Chemiebaukasten.

2. Vertrauen in das Elternteil macht es sicher gebundenen Kindern leichter, bei den Eltern Unterstützung beim Lernen zu suchen.

3. Konstruktive, erfreuliche Interaktionen zwischen Eltern und Kind erleichtern den Informationsaustausch.

4. Durch Bindung entwickeln Kinder ein kohärentes Gefühl für sich selbst und für andere, was sie dazu befähigt, klar zu denken und ihren Denkprozess effizient zu regulieren.

Es wurde beobachtet, dass sicher gebundene Kleinkinder aktiver in ihrer Erkundung sind und längere Aufmerksamkeitsspannen haben. In einer Studie beteiligten sich sicher gebundene Zweijährige mehr an symbolischen Spielen, die die Entwicklung einer gesunden, kreativen Fantasie fördern (siehe Seite 61). Ein Diagramm der Wissenschaftler Corine de Ruiter und Marinus van Ijzendoorn zeigt, dass Eltern, wenn sie eine sichere Bindung mit ihren Kindern aufbauen, indem sie ihnen feinfühlige, sanfte und nicht-bestrafende Anleitungen geben, die Selbstachtung des Kindes sowie seine Motivation, Aufmerksamkeitssteuerung, Ausdauer bei Aufgaben und metakognitive Fähigkeiten fördern. All diese Fähigkeiten tragen zu schulischem Erfolg bei.

Die Längsschnittstudie aus Minnesota zeigte, dass unsicher gebundene Kindergartenkinder viel mehr auf ihre Betreuerinnen angewiesen waren als sicher gebundene Kinder im gleichen Alter. Das gleiche Muster zeigte sich in Ferienlagern, als die Kinder zehn Jahre alt waren.

Sicherheit → Selbstvertrauen → Eigenständigkeit

Als Spezies sind wir nicht dazu bestimmt, unabhängig bis hin zur Isolation oder äußersten Selbstgenügsamkeit zu sein, anderseits leben wir nicht sehr lange, wenn wir nicht ein gewisses Maß an Selbstständigkeit erreichen. So wie es auf den ersten Blick paradox erscheinen mag, dass wir jemand „anderen“ brauchen, um ein „Selbst“ zu entwickeln, so werden Kinder, die sich von Geburt an auf einen Erwachsenen verlassen können, auch in der Lage sein, sich auf sich selbst zu verlassen, wenn sie älter sind – weil sie wissen, wann es gut ist, Rat oder Trost bei einer vertrauten Person zu suchen. Und natürlich ist auch das Gegenteil wahr: Kinder ohne eine sichere Bindung haben, wenn sie älter sind, möglicherweise Probleme damit, sich auf sich selbst zu verlassen (oder sie sind unfähig, sich auf irgendjemanden außer sich selbst zu verlassen).

Unterstützt die Bindung Ihr Kind dabei, seine Fantasie zu entwickeln?

Wir alle wünschen uns, dass unsere Kinder mit einem klaren Realitätssinn aufwachsen, aber eine gesunde Fantasie hat zweifellos ebenfalls ihr Gutes. Dr. Robert Emde, Experte für frühe sozial-emotionale Entwicklung, nannte die Fantasie eine „anpassungsfähige psychologische Funktion von emotionaler Bedeutsamkeit“. Die Bindungsforscherin und -expertin Inge Bretherton schrieb der Fantasie positive Auswirkungen auf Kreativität und Lernen zu: Wenn ein Kind seine Fantasie dazu verwenden kann, eine Geschichte zu erzählen, kann es das „Als-ob“ der Fantasie übersetzen in das „Waswenn“ des Verstandes, und auf diese Art und Weise kann es verschiedene Zukunftsszenarien erschaffen und mit ihnen experimentieren. Das bedeutet, dass Fantasie auch die sozialen Interaktionen verbessern kann, zum Beispiel dadurch, dass die Kinder sich vorstellen, was ihre Altersgenossen und Bezugspersonen vielleicht tun oder sagen würden, und dem entsprechend handeln.

Die meisten Kinder entwickeln im Alter von etwa drei oder vier Jahren Fantasie, allerdings hat die Forschung gezeigt, dass schon zweijährige Kinder Freude daran haben, mit ihren Eltern zu fantasieren, und in vielen Fällen bereits zwischen Wirklichkeit und Fantasie unterscheiden können. Interessanterweise fällt ihnen diese Unterscheidung unter Stress deutlich schwerer. Durch die Reduzierung von momentanem und langfristigem Stress könnte eine sichere Bindung bei kleinen Kindern den Nebeneffekt einer gesunden Fantasie haben.

Eine Grundlage für echtes Selbstwertgefühl

Wenn ein Elternteil die meiste Zeit für uns da ist (nicht die ganze Zeit – ein wichtiger Aspekt, den wir in diesem Buch noch ausführlich besprechen werden), schließen wir daraus, dass wir es wohl verdient haben müssen. Klingt albern – das ist doch schließlich die Aufgabe von Mama und Papa, oder? Es ist schließlich keine Belohnung für etwas. Aber stellen Sie sich einmal vor, was in einem Baby vorgehen würde, wenn es bereits über Worte verfügen würde: „Hm, ich habe geweint und Mama ist hergekommen und hat mich auf den Arm genommen. Sie hat mir in die Augen geschaut und ein trauriges Gesicht gemacht, und dann hat sie ganz sanft gesagt: ‚Ich weiß, ich weiß, das ist ganz schlimm…‘, woher wusste sie, wie ich mich gefühlt habe? Na ja, wie auch immer, sie ist da, und ich fühle mich schon etwas besser.“

Und dann, das nächste Mal: „Na schau mal, Mama ist wieder da. Sie ist herumgelaufen und hat schrecklich schnell irgendwelche Sachen gemacht, aber als ich geweint habe, kam sie trotzdem her.“ Und dann: „Schau mal! Sie ist da! Ich habe gerade angefangen, mir etwas Sorgen zu machen – ich habe sie ein paar Minuten lang nicht gesehen und wusste nicht, wo sie hingegangen ist. Aber ich habe noch nicht mal geweint, und da ist sie!“ Das Baby zieht aus diesem Muster folgenden Schluss:

Die Mutter sagt: „Ich bin da und du bist es wert.“

Ich schließe daraus: „Du bist da und ich muss es wert sein.“3

Die Forscher der Längsschnitt-Studie aus Minnesota fanden einen weiteren Nebeneffekt der Emotionsregulation, die in einer sicheren Bindungsbeziehung gelernt wird: Kinder, die darauf zu vertrauen gelernt hatten, dass ihre Eltern ihnen helfen würden, schmerzhafte Gefühle zu regulieren, entwickelten mit der Zeit auch Vertrauen in ihre eigene Fähigkeit zur Emotionsregulation, was dazu führte, dass sie im Kindergartenalter und im Alter von zehn Jahren über mehr Selbstvertrauen und Selbstwertgefühl verfügten.

Sicher gebundene Babys beginnen ihr Leben mit einem großen Vorteil: Sie haben bereits erlebt, dass, wenn nichts in der Welt Sinn ergibt, wenn Schmerz, Angst und Traurigkeit wie aus dem Nichts auftauchen, dann jemand da ist, dem sie es wert sind, mit ihnen zu sein – ganz gleich, was los ist.

Wie Sie sicherlich wissen, ist „Selbstwertgefühl“ ein kontroverses Konzept. Vor noch nicht allzu vielen Jahren glaubten viele Eltern und andere Menschen, die mit Kindern zu tun hatten, Selbstwertgefühl entstünde dadurch, dass die Kinder sich anderen nicht unterlegen fühlen: goldene Sternchen für alle! Einfach dafür, dass sie gekommen sind! Inzwischen scheint sich die gegenteilige Vorstellung, Selbstwertgefühl entstünde durch Kompetenz, als gängige Meinung durchgesetzt zu haben. Und, wie wir gesehen haben, ist eine sichere Bindung glücklicherweise auch die Grundlage für Selbstvertrauen und weitere Eigenschaften, die man braucht, um Kompetenz zu entwickeln. Dass ein geringes Selbstwertgefühl Stress erzeugt, scheint sich von selbst zu verstehen. Wir möchten, dass unsere Kinder sich gut damit fühlen, wer sie sind und was sie können, und nicht durch Neid oder rücksichtsloses Konkurrenzdenken um ihren Selbstwert ringen müssen.

Ein weiterer warnender Hinweis: Selbstwertgefühl entsteht aus Bindungssicherheit, und nicht dadurch, dass einem gesagt wird, man sei anderen überlegen. In einer aufschlussreichen Langzeitstudie aus dem Jahr 2015 an fünfhundert Kindern im Grundschulalter berichteten Forscher von der Universität Amsterdam, dass Kinder, deren Eltern sie wissen ließen, dass sie sie liebten, sechs Monate später ein höheres Selbstvertrauen zeigten, während Kinder, deren Eltern ihnen sagten, dass sie noch „spezieller“ seien als andere, mehr Narzissmus zeigten, nicht aber mehr Selbstachtung. Selbstachtung kommt, zumindest teilweise, davon, akzeptiert zu werden, und nicht davon, überbewertet zu werden.

Soziale Kompetenzen entwickeln

In der Einleitung zu diesem Buch haben wir unsere feste Überzeugung zum Ausdruck gebracht, dass Beziehungen – das „Und“ im Leben – der Schlüssel zu Gesundheit und Zufriedenheit sind, auf welche Arten und Weisen auch immer diese Zustände wissenschaftlich erfasst werden. Insofern erscheint uns der Begriff „Kompetenz“ zu flach. Doch seine Bedeutung umfasst all die Arten und Weisen, auf die wir von den sozialen Aspekten unseres Lebens profitieren: Intimität, gegenseitige Unterstützung, Empathie, Zurechtkommen in allen Bereichen des Lebens, von der Schule und der Arbeit bis hin zur Familie und zum Freundeskreis. In einem Artikel zu der Frage, wie in der Gesundheitspolitik die positiven Auswirkungen sozialer Beziehungen berücksichtigt werden können, fassen die Autoren zusammen, dass „soziale Beziehungen eine Reihe von Gesundheitswirkungen zeitigen. Sie unter anderem die psychische und körperliche Gesundheit, die gesundheitsrelevanten Gewohnheiten und das Sterberisiko beeinflussen“.

Unterstützende Interaktionen mit anderen wirken sich positiv auf die Funktionen des Immunsystems, des endokrinen Systems und des kardiovaskulären Systems aus und reduzieren körperliche Verschleißerscheinungen, die unter anderem darauf zurückzuführen sind, dass die physiologischen Systeme durch Stressreaktionen chronisch überaktiviert sind. Diese Prozesse entfalten sich während der gesamten Lebensdauer und haben Auswirkungen auf die Gesundheit. In der Kindheit fördert emotionale Unterstützung durch andere (zum Beispiel durch eine primäre Bezugsperson) die normale Entwicklung verschiedener regulierender Systeme, unter anderem jene, die die Verdauung, die Stimmung, das Energieniveau und die allgemeine Reaktion auf Stress steuern. Bei Erwachsenen kann soziale Unterstützung dafür sorgen, dass aktuelle oder drohende Stressfaktoren keine negativen Effekte auf das Herz haben. Verheiratete Menschen haben ein geringeres Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen als Menschen, die ihren Partner durch Tod oder Scheidung verloren haben.

Bessere körperliche Gesundheit

Zum Thema Gesundheit lässt sich sagen, dass die körperliche Entwicklung von einer Matrix aus komplizierten Faktoren abhängt, die sowohl der Veranlagung (Genetik und andere biologische Einflüsse wie Krankheiten) als auch Umwelteinflüssen geschuldet sind. Man vermutet, dass sichere Bindung mit besserer körperlicher Gesundheit einhergeht, auch wenn über deren genaues Zusammenspiel noch wenig bekannt ist. Wenn sichere Bindung, wie wir ja wissen, soziale Beziehungen verbessert und, wie wir ebenfalls wissen, soziale Beziehungen körperliche Gesundheit fördern, dann lässt sich daraus schließen, dass die Bindung die körperliche Gesundheit fördert. Was wir mit Sicherheit wissen ist, dass die aus einer sicheren Bindung resultierende psychische Widerstandskraft den körperlichen Verschleiß reduziert, der für alle möglichen Krankheiten verantwortlich ist.

In der Minnesota-Studie zeigte sich, dass Kinder mit einer sicheren Bindung über mehr soziale Kompetenz verfügen, und zwar „von ihren Beziehungserwartungen und -repräsentationen über ihren Umgang mit anderen und ihre Interaktionskompetenz bis hin zu ihrer Beliebtheit“. Sroufe und seine Kollegen stellten fest, dass sicher gebundene Kinder aktiver mit ihren Altersgenossen umgingen und weniger isoliert waren, sowohl im Kindergartenalter als auch in der mittleren Kindheit. Die Kindergartenkinder zeigten mehr Empathie und hatten mehr beiderseitige Beziehungen. Im Alter von zehn Jahren hatten sie mehr enge Freundschaften und waren in größeren Gruppen von Gleichaltrigen besser in der Lage, diese Freundschaften aufrechtzuerhalten. Im Jugendalter konnten die sicher gebundenen Kinder selbst in sozialen Kontexten, in denen sie sich verletzlich fühlten, gut funktionieren und Führungsrollen übernehmen.

Ist Bindung das Wesentliche am Menschsein?

Möglicherweise steckt hinter dem Phänomen „Bindung“ mehr als ein evolutionärer Instinkt. Bindung stößt in unserem tiefsten Inneren auf Anklang. Das mag daran liegen, dass die Interaktion zwischen Eltern und kleinem Kind eine Art Initiation des Kindes in die Essenz des Lebens ist; sie prägt seinen Umgang mit den vielfältigen Einflüssen der Veranlagung und der Umwelt im Laufe seines Lebens. Ein Wissenschaftler nannte die Beziehung zwischen Mutter und Baby einmal „die erste Begegnung zwischen der Vererbung und der psychischen Umwelt“. Die Tatsache, dass sich Bindung vollzieht, ist eine Erinnerung daran, dass wir als Menschen von Natur aus Beziehungswesen sind.

Da der Kontakt zu unseren ersten Bezugspersonen unsere erste Erfahrung mit einer nahen Beziehung darstellt, wirkt sich die Qualität dieser Verbindung darauf aus, wie wir all unsere zukünftigen Beziehungen wahrnehmen. Alan Sroufe drückt es so aus: „Die Bindungsbeziehung zwischen dem kleinen Kind und der Bezugsperson ist das Zentrum, um das herum sich alle anderen Erfahrungen strukturieren, welchen Einfluss auch immer sie haben mögen. Insofern sind wir zu der Überzeugung gelangt, dass die frühen Erfahrungen niemals verloren gehen, egal, wie viel Transformation in der späteren Entwicklung geschieht.“

Es gehören also immer zwei dazu, um sich zu entwickeln und zu gedeihen, von der Geburt bis zum Tod. Das Wesentliche ist das „Und“, wie Donald Winnicott andeutete. Dieses „Und“ greift sehr tief – und es ist von tief greifender Wichtigkeit. Robert Karen, der in seinem 1990 in der Zeitschrift Atlantic erschienenen Artikel „Becoming Attached“ der Allgemeinheit das Konzept der Bindung vorstellte, schrieb: „Die Bindungstheorie trägt eine einfache und lebensbejahende Botschaft in sich, nämlich dass das Einzige, was Ihr Kind braucht, um emotional gut zu gedeihen, Ihre emotionale Verfügbarkeit und Feinfühligkeit ist.“

Die Botschaft der Bindungstheorie bekräftigt in der Tat die Ansicht verschiedener Denker aus Psychologie, Philosophie und Theologie über den Sinn und Zweck des Lebens: Viele von ihnen haben festgestellt, dass das, was uns als Menschen verbindet, der Wunsch ist, zu lieben und geliebt zu werden. Dieses Bedürfnis ist universell, doch es zu messen übersteigt die Möglichkeiten der Wissenschaft. Auf Bindung und Verbundenheit ausgerichtetes Verhalten ist zwar offensichtlich notwendig für das Überleben der Spezies, aber es erklärt nicht das Mysterium, dass sich Eltern in ihr Kind verlieben, ebenso wenig wie das Wunder, dass ein Kind sich in seine Eltern verliebt. Das Bedürfnis, liebevoll zu umsorgen und umsorgt zu werden, geht über das Bedürfnis, zu schützen und geschützt zu werden, hinaus. Auch erklärt das Bedürfnis nach Schutz nicht, warum Kinder Beziehungen brauchen, die auf Freude und gegenseitigem Entzücken beruhen.

An der Bindung sehen wir, dass Liebe mehr ist als ein warmes Gefühl. Der Entwicklungsforscher Colwyn Trevarthen sagt, dass jedes Kind mit dem Wunsch auf die Welt kommt, „wahrzunehmen, dass es wahrgenommen wird4“ . Bei intensiven Gefühlen nach Hilfe zu suchen und sie zu bekommen – ein Prozess, der Bindung ganz wesentlich ausmacht – trägt dazu bei, dass das kleine Kind spürt, dass die Beziehung stärker ist als jedes Gefühl. Dies kann nicht nur zur Grundlage für starke Beziehungen während des gesamten Lebens, sondern, weitergedacht, auch zu einer Grundlage für starke Gemeinschaften und starke Nationen auf der ganzen Welt werden. Wir können darüber spekulieren und diskutieren, woher diese Kraft kommt, doch zweifellos ist sie eines der größten Geschenke an die Menschheit.

Wie auch immer die Frage lautet, das Lernen von Verbundenheit ist ein großer Teil der Antwort.

„Enge Bindungen an andere Menschen sind das Zentrum, um das herum sich das Leben eines Menschen dreht, nicht nur als Säugling, Kleinkind oder Schulkind, sondern auch während der Adoleszenz und der Erwachsenenzeit bis hinein ins hohe Alter. Aus diesen engen Bindungen zieht ein Mensch Kraft und Lebensfreude, und durch das, was er beiträgt, gibt er anderen Kraft und Lebensfreude. In dieser Frage sind sich die moderne Wissenschaft und die traditionellen Weisheitslehren einig.“

JOHN BOWLBY, Attachment and Loss, Volume 35 (Bindung und Verlust, Band 3)

Kommen wir nun zu einer unausweichlichen und kniffligen Frage: Wenn Bindung etwas zutiefst Angeborenes, Instinktives, so tief im menschlichen Betriebssystem Verwurzeltes ist, warum müssen wir dann überhaupt darüber sprechen?

1 Vielen Dank an Jude Cassidy für diese Erkenntnis.

2 Ein faszinierendes Gebiet psychologischer Forschung mit einem furchtbar unverständlichen Namen: Es handelt sich um eine komplexe, aber erhellende Theorie darüber, wie wir unser Selbstgefühl in Bezug auf andere („Objekte“) entwickeln und wie wir die Bilder von uns selbst und von anderen in unsere späteren Beziehungen hineintragen.

3 Danke an Judy Cassidy.

4 Im amerikanischen Original „to experience being experienced“, A.d.Ü.

5 Dieses Zitat wurde paraphrasiert, um geschlechtsspezifische Sprache zu vermeiden.

Aufwachsen in Geborgenheit

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