Читать книгу Geliebte Herrin - Bertrice Small - Страница 8

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Lady Fortune Lindley zog ihr hellbraunes Wollcape fester um die Schultern und betrachtete die grüne irische Hügellandschaft, die allmählich Gestalt annahm. Der Maiwind war noch ein wenig rau und zauste die Pelzverbrämung an ihrer Kapuze. An die Schiffsreling gelehnt, betrachtete sie die frühen Morgennebel, die mattsilbern auseinander stoben und einen blassblauen Himmel enthüllten. Sie fragte sich, wie Irland wohl sei und ob sie letztlich die Liebe finden werde. Existierte die Liebe überhaupt für sie?

Ihre behandschuhten Finger umklammerten die Reling. Verflixt, was dachte sie da? Liebe? Derartiges passte besser zu ihrer Mutter und zu ihrer Schwester India. Fortune Mary Lindley war die praktisch Veranlagte in ihrer Familie. Die Lebensgeschichte ihrer Mutter war faszinierend und zugleich erschreckend. Zwei Ehemänner tot, einer davon Fortunes Vater. Ihr Halbbruder Charlie war ein königlicher Bastard, weil ihre Mutter und der verstorbene Prinz Henry ein Liebespaar gewesen waren, aber niemals hätten heiraten können, denn die englische Aristokratie betrachtete ihre Mutter als ein illegitimes Kind. In Indien aber war ihre Mutter eine Fürstenprinzessin gewesen, dank einer entführten Großmutter, die in einen königlichen Harem verschleppt worden war und dem indischen Herrscher ein Kind geboren hatte, bevor ihre Familie sie gerettet und zu ihrem schottischen Gemahl zurückgebracht hatte.

Und India, ihre eigene Schwester, die mit einem jungen Mann hatte durchbrennen wollen und stattdessen miterleben müssen, wie ihr Fluchtschiff von barbarischen Freibeutern gekapert worden war, war ebenfalls in einem Harem gelandet. Nach ihrer Rettung war sie, guter Hoffnung von dem Anführer der Berberpiraten, nach Hause zurückgekehrt. Ihr Stiefvater war außer sich gewesen vor Zorn und hatte sie in die Jagdhütte der Familie in den Bergen verbannt, wo sie ihr Kind bekommen hatte. Fortune hatte India begleitet. Gleich nach der Geburt hatte man ihr das Baby fortgenommen, und India war mit einem englischen Lord vermählt worden. Liebe? Da sei Gott vor! Ihr jedenfalls konnte ein solches Melodrama gestohlen bleiben!

Die Liebe war eher unpraktisch. Was eine Frau brauchte, war ein akzeptabler Mann, mit dem sie in friedlichem Miteinander leben konnte. Er musste einigermaßen attraktiv sein und sein eigenes Vermögen haben, denn sie würde ihres selbstverständlich nicht teilen, sondern für ihre Kinder verwalten! Sie würden ihre Kinder in vernünftigen Abständen bekommen. Zwei. Ein Junge, der den Besitz seines Vaters erben, und ein Mädchen, das Maguire’s Ford bekommen sollte. Das war doch einleuchtend, oder? Sie hoffte nur, dass sie Irland mögen würde, und wenn nicht, so würde sie trotzdem bleiben. Ein Anwesen von mehr als 3000 Morgen Land war nicht zu verachten; dieses Hochzeitsgeschenk ihrer Mutter würde sie nicht nur reich, sondern sehr, sehr reich machen. Reichtum, hatte sie beobachtet, war schnöder Armut bei weitem vorzuziehen.

»Denkst du an William Devers?«, erkundigte sich ihre Mutter, die neben Fortune getreten war und den Blick auf die Fluten richtete.

»Ich vergesse ständig seinen Namen«, kicherte Fortune. »Mit dem Namen William verbinde ich einfach nichts, Mama.«

»Du hast einen Cousin namens William«, bemerkte Jasmine. »Der jüngste Sohn meiner Tante Willow. Er ist in den heiligen Orden der anglikanischen Kirche eingetreten. Ich glaube nicht, dass du ihn kennen gelernt hast, Liebes. Ein netter Junge, soweit ich mich entsinne. Ein bisschen jünger als ich.« In Jasmines nachdenklichem Blick spiegelte sich ihre Kümmernis. Fortune war ihr Sorgenkind. Sie war sich nie sicher, was dieses Mädchen dachte. »Wenn du diesen jungen Mann nicht magst, Liebes, so musst du ihn nicht heiraten«, erklärte sie ihrer Tochter wohl schon zum zwanzigsten Mal. Himmel! Sie wollte nicht, dass Rowans jüngste Tochter unglücklich würde. Die Sache mit India war schon schlimm genug gewesen.

»Wenn er vorzeigbar ist, Mama, und nett, wird er mir bestimmt gut gefallen«, erwiderte Fortune und tätschelte ihrer Mutter beschwichtigend die Hand. »Ich bin nicht so abenteuerlustig wie du und India oder die anderen Frauen in unserer Familie. Ich möchte ein geregeltes und friedvolles Leben führen.«

Die Herzogin von Glenkirk lachte laut. »Fortune, ich glaube nicht, dass die Frauen aus dieser Familie vorsätzlich das Abenteuer gesucht hätten. Es scheint sich einfach so ergeben zu haben.«

»Es hat sich so ergeben, weil ihr alle so impulsiv und unbedacht wart«, kritisierte Fortune.

»Haha!«, prustete ihre Mutter. »Und du bist nicht impulsiv, meine kleine Amazone? Wie oft musste ich beispielsweise schon mit ansehen, wie du dein Pferd zu waghalsigen Sprüngen ansporntest? Wir alle haben den Atem angehalten.«

»Wenn das Hindernis den Sprung verkraftet, kann es das Pferd auch«, antwortete das Mädchen. »Nein, Mama. Du und die anderen, ihr habt euch exotische Plätze und Gegebenheiten ausgesucht. Habt euch mit den Mächtigen eingelassen. Logisch, dass ihr damit zwangsläufig in heikle Situationen geraten seid. Ich bin da völlig anders.

Als ich seinerzeit mit dir und Papa in Frankreich war, bin ich brav zu Hause geblieben, im Schoß meiner Familie. Genau wie Papa mag ich das Leben bei Hofe nicht. Zu viele junge Leute, die nicht regelmäßig baden und falschzüngig sind; alle suchen sie den neuesten Klatsch und erfinden ihn im Notfall sogar selber. Nein danke, nichts für mich.«

»Selbst auf schlichten Landsitzen, Fortune, gibt es trügerische Zungen, die nur zu gern Gerüchte verbreiten. Vielleicht bist du auf unserem Familienanwesen zu abgeschirmt aufgewachsen, Kleines, also sei auf der Hut. Folge stets deinen Instinkten, wenn du dir nicht sicher bist. Deine Instinkte sind immer richtig«, riet ihre Mutter.

»Bist du denn immer deinen Instinkten gefolgt, Mama?«

»Ja, meistens. In Schwierigkeiten bin ich immer nur dann geraten, wenn ich es nicht getan habe.« Jasmine lächelte versonnen.

»Wie damals, als du uns nach Belle Fleurs mitgenommen hast, nachdem der alte König James angeordnet hatte, dass du Papa heiraten sollst?«, erkundigte sich Fortune.

Wieder lachte die Herzogin. »Ganz recht«, gestand sie, »aber erzähl Jemmie bloß nichts davon, meine Liebe. Dies ist unser Geheimnis. Oh, sieh doch! Wir laufen in die Bucht von Dundalk ein. Die Iren nennen sie Dundeal Bay. Wir werden bald an Land gehen. Ich frage mich, ob Rory Maguire dort sein wird, nach all den Jahren, als dein Vater und ich das erste Mal in Irland waren, um unseren neuen Besitz zu begutachten. Dieser hinterhältige Schuft, der Rowan hernach ermordete, ließ ihn die Kutsche lenken. Dein Vater erfuhr bald, dass die Familie von Rory Maguire Jahrhunderte lang die Herren von Erne Rock gewesen waren. Sie waren mit Conor Maguire, ihrem Befehlshaber, und den anderen Grafen weggezogen, aber Rory wollte sein Land und sein Volk nicht verlassen. Wir ernannten ihn zu unserem Gutsverwalter, und seither hat er mir brav und treu gedient.«

»Soll er bleiben, Mama?«, erkundigte sich Fortune.

»Aber natürlich«, erwiderte Jasmine. »Hör mir zu, Fortune. Maguire’s Ford wird dir am Tag deiner Hochzeit überschrieben werden. Es gehört dir allein – und nicht deinem Gatten. Wir haben dies bereits besprochen, aber ich kann mich nicht häufig genug wiederholen. Eine Frau, die keinen eigenen Besitz hat, ist zu einem Dienstbotendasein verdammt. Du magst dir ein einfaches, ruhiges Leben wünschen, Liebes, aber das ist dir nur vergönnt, wenn du deine eigene Herrin bist.

In Irland haben die Protestanten und die Katholiken bestenfalls ein gespanntes Verhältnis zueinander, das bei dem kleinsten Unfrieden zu Problemen führen kann. Das ist auch der Grund, warum wir Maguire’s Ford von den ringsum liegenden Ländereien isoliert haben. In unserem Dorf leben inzwischen Protestanten und Katholiken. Jeder besucht seine eigene Kirche, und doch arbeiten sie bereitwillig zusammen. Rory Maguire ist nun seit zwanzig Jahren mein Verwalter. Er hat Frieden zwischen meinem Cousin, Pater Butler, und unserem protestantischen Geistlichen, Pfarrer Steen, gestiftet. Dir obliegt jetzt die Verantwortung, diesen Frieden zu erhalten. Dein Gemahl darf die Geschicke von Maguire’s Ford nicht bestimmen, und du solltest dich von ihm auch nicht dahingehend beeinflussen lassen, Veränderungen vorzunehmen. Die Dorfbewohner leben in friedlichem Miteinander. Und so muss es auch bleiben.«

Hoch über den beiden Frauen brauste der Wind, blies dröhnend die gewaltigen Segel auf. Salzige Gischt benetzte ihre Lippen, die Luft war erfüllt vom würzigen Duft der See.

»Warum bekämpfen sich Katholiken und Protestanten, Mama?«, wollte Fortune wissen. »Glauben wir denn nicht alle an denselben Gott?«

»Doch, doch, mein Liebes«, antwortete Jasmine, »aber die Kirchen üben mittlerweile ebenso viel Macht aus wie Regierungen und Könige. Unseligerweise können die Menschen nie genug Macht haben und wollen immer mehr besitzen. Doch dafür bedarf es einer großen Anhängerschaft. Und Gott ist eine übermächtige Waffe, welche die Kirchen einsetzen, um die Leute einzuschüchtern. Jeder will, dass seine religiöse Vorstellung die richtige ist, die einzig richtige. Also bekriegen sie einander, töten, wie sie meinen, im Namen Gottes, überzeugt, dass sie das einzig Richtige tun.

Mein Vater – dein Großvater, der Großmogul Akbar – hat vor langer, langer Zeit Repräsentanten aller Weltreligionen an seinen Hof geholt. Über Jahre hinweg haben sie das Wesen Gottes diskutiert, die korrekte Art der Anbetung, und jeder Redner fühlte sich im Recht mit seiner Denkweise und wähnte alle anderen im Unrecht. Mein Vater ließ sie reden, hörte sich alles aufmerksam an und fand letztlich zu seinem eigenen Glaubensverständnis, das er indes mit niemandem teilte. Der Glaube, mein Schatz, ist eine Sache zwischen dir und Gott allein. Lass dir von niemandem etwas anderes weismachen.«

»Also benutzen die Menschen Gott, um ihre eigenen Interessen durchzusetzen, Mama«, sagte Fortune nachdenklich. »Das finde ich ausgesprochen heuchlerisch.«

»Das ist es. Ich habe dich so erzogen, dass du tolerant gegenüber allen Menschen und Glaubensströmungen bist. Lass dich darin nicht beirren«, riet Jasmine ihrer Tochter.

»Bestimmt nicht«, sagte Fortune entschieden.

»Sobald du dein Herz verlierst, lässt du dich vielleicht von dem geliebten Mann beeinflussen«, gab ihre Mutter zu bedenken.

»Dann werde ich eben nie mein Herz verlieren«, erwiderte Fortune schroff. »Soweit ich das beurteilen kann, sind die meisten Männer heutzutage nicht wie mein Stiefvater. Er achtet dich und hört auf deinen Rat. Einen solchen Mann würde ich heiraten, Mama. Hoffentlich ist William Devers auch so.«

»Dein Vater achtet mich, weil ich darauf gedrungen habe; was meinen Rat angeht, so nimmt er sich diesen indes nur selten zu Herzen. In der Hinsicht sind Männer ziemlich verbohrt, Fortune. Wenn du etwas erreichen willst, musst du lernen, sie zu umgarnen.« Ihre Mutter lächelte.

»Ich weiß, wie du Papa umschmeichelt hast«, kicherte Fortune. »Als India und ich klein waren, haben wir des Öfteren gewettet, wie lange es wohl dauern werde, bis er dir nachgibt.«

»Tatsächlich?«, sagte Jasmine trocken. »Wer von euch hat denn öfter gewonnen?«

»Ich«, antwortete Fortune ein wenig überheblich. »India hatte es immer so eilig zu gewinnen. Ich hingegen habe auf Zeit gespielt, genau wie du, Mama. Bei einem Mann kann die Geduld wahrhaftig eine Tugend sein.«

Einmal mehr lachte Jasmine befreit auf. Zärtlich streichelte sie ihrer Tochter die Wange. »Ich wusste ja gar nicht, dass du so ein kluges Kind bist, Fortune«, schmunzelte sie. »Mit einer solchen Frau rechnet William Devers vermutlich gar nicht.«

»Das Einzige, womit William Devers rechnet, ist meine Mitgift«, erwiderte Fortune scharf. »Es wird ihn ziemlich überraschen, wenn er erfährt, dass ich meinen Besitz selbst zu verwalten gedenke. Vielleicht will er ein solches Mädchen nicht zur Frau, Mama.«

»Dann ist er ein Narr«, lautete die Antwort.

»Wer ist ein Narr?« James Leslie, der Herzog von Glenkirk, trat zu seiner Gattin und seiner Stieftochter an die Reling.

»Ach niemand, wir haben lediglich über die Männer im Allgemeinen gesprochen«, meinte Fortune ausweichend.

»Nicht eben schmeichelhaft für mich, Kleine«, antwortete der Herzog. »Bist du aufgeregt, meine Schöne? In wenigen Tagen schon werden wir den jungen Mann kennen lernen, den du vermutlich heiraten wirst.«

»Wir werden sehen«, murmelte Fortune.

James Leslie nahm einen langen, versunkenen Atemzug. Was war nur los mit seinen Stieftöchtern? Er hatte sie seit frühester Kindheit aufgezogen, und sie waren fast durchweg umgängliche, liebenswerte Geschöpfe gewesen, bis das Thema Heirat auf den Tisch gekommen war. Nun, er erinnerte sich noch an seinen Bruch mit India, der ältesten Stieftochter, der nur langsam verheilte. Er hatte ihr sein Wort gegeben, dass er seinen Kindern nie wieder misstrauen werde. »Wie Recht du doch hast, mein Kind. Aber natürlich, wir werden sehen. Vielleicht ist der junge Mann ein fürchterlicher Einfaltspinsel? Ich will gewiss nicht, dass meine Kleine einen Narren heiratet oder gar einen Mitgiftjäger«, schloss der Herzog.

Jasmine Leslie lächelte. Sie hatte den Blick ihres Gatten aufgeschnappt und wusste, dass er mit seiner Geduld am Ende war. Trotzdem hatte er das einzig Sinnvolle getan. Womöglich ließ sich auch ein alter Hund noch neue Kunststückchen beibringen.

»Wir gehen besser zurück in unsere Kabine, mein Liebes«, meinte die Herzogin, »und vergewissern uns, ob auch alles gepackt ist.«

»Mama, ich möchte so gern an Deck bleiben und die Aussicht genießen«, bettelte Fortune artig.

»Na schön.« Jasmine nahm ihren Gemahl beiseite. »Sie möchte allein sein, Jemmie.«

Er nickte, worauf sie gemeinsam das Oberdeck verließen.

Fortune lehnte sich gedankenverloren über die Schiffsreling. Dies war das Land, in dem sie geboren worden war und das sie im zarten Säuglingsalter bereits wieder verlassen hatte. Irland bedeutete ihr nichts. Es war nur ein Name, weiter nichts. Wie sah es wirklich aus? Und wie war Maguire’s Ford? Die Burg, die ihr Eigentum werden sollte, war nicht groß, hatte ihre Mutter betont. Sie trug den Namen Erne Rock und ragte über dem Meer auf. Mama beteuerte, es sei ein hübsches Anwesen; sie und Rowan Lindley waren dort glücklich gewesen. Fortune zog die Stirn in Falten. Würde sie wirklich glücklich sein können an dem Ort, wo ihr Vater brutal ermordet worden war? Der Vater, den sie nie gekannt hatte, da er kurz nach dem Zeugungsakt verschieden war?

Er hatte ihr so schmerzlich gefehlt. Wenn sie auf dem Anwesen ihres älteren Bruders Henry in Cadby weilte, betrachtete sie in der Ahnengalerie immer wieder das Porträt von Rowan Lindley. Groß und stattlich, hatte Rowan Lindley eine markante Kinnpartie mit einem tiefen Grübchen in der Mitte. Sein Haar war hellbraun, seine Augen bernsteinfarben. Er verströmte die natürliche Autorität eines Mannes, dessen Familie schon vor der Eroberung durch die Normannen ausgedehnte Ländereien besessen hatte. Henry Lindley ähnelte seinem Vater, India indes hatte seine faszinierenden Augen geerbt. Fortune liebte dieses Porträt ihres Vaters. Sie saugte es jedes Mal in sich auf, als könnte sie damit etwas von ihm in sich aufnehmen.

Sie sah ihm überhaupt nicht ähnlich – und ihrer Mutter auch nicht. Da war nicht die leiseste Ähnlichkeit. Sie habe die blaugrünen Augen von ihrer Urgroßmutter de Marisco und das leuchtend rote Haar von ihrer Ururgroßmutter O’Malley geerbt, so hieß es. Ihre Großmutter Gordon beteuerte stets, Fortune sei ein Kuckucksei, mit ihrer blassen Haut und dem flammenden Schopf. Sie fragte sich, wie William Devers wohl aussah und – wenn sie ihn denn heiratete – wem ihre Kinder gleichen würden.

Feiner Nieselregen setzte ein, und Fortune wickelte sich fester in ihren Umhang. Sie hatte davon gehört, wie häufig es in Irland regnete, dass aber im nächsten Augenblick wieder die Sonne herauskäme. Als sie aufsah, fegten dunkle Wolken über den Himmel, doch hier und da gewahrte sie ein Fleckchen Blau. Lachend entschied sie, dass ihr das gefiel. Dann brach die Sonne hervor und verhieß einen strahlenden, warmen Morgen. Das Schiff hatte seine Fahrt verlangsamt und glitt in Richtung Dock. Für gewöhnlich gingen die Schiffe in der Bucht vor Anker, doch heute würden sie in den Hafen einlaufen, wegen der vielen Gepäckstücke von Lady Fortune Lindley.

Als die Matrosen auf das Dock sprangen, um das Schiff zu vertäuen, bemerkte Fortune am Kai einen hoch aufgeschossenen Gentleman, der das Treiben beobachtete. Sie fragte sich, wer er wohl sei. Seine Kleidung war überaus schlicht: dunkle Reithosen, ein Wildlederwams mit Hirschhornknöpfen, weißes Leinenhemd und elegante Lederstiefel. Er trug keine Kopfbedeckung, und ihr fiel auf, dass sein Haar beinahe so leuchtend rot war wie ihres. Nun, dachte Fortune, wenigstens falle ich nicht mehr so sehr auf, wenn der Bursche in der Nähe ist. Der Gentleman stand neben einer geräumigen Reisekutsche mit sechs rassigen Braunen. Die geschmackvoll ausgewählten, erlesenen Kutschpferde entzückten Fortune. Da das Schiff ihrer Familie gehörte und das Dock allein von ihnen benutzt wurde, wusste sie, dass die Kutsche ebenfalls zu ihrem Besitz zählte.

»Aber da ist ja Rory Maguire! Er will uns willkommen heißen. Wie schön!« Jasmine stand wieder neben ihrer Tochter. Sie winkte ganz aufgeregt. »Rory! Rory Maguire!«

Er hatte genau verfolgt, wie sie sich an die Reling zu dem jungen Mädchen gesellt hatte. Gewiss, sie war älter geworden, aber, so dachte er bei sich, immer noch die schönste Frau, die er kannte. Er winkte zurück.

Schließlich war das Schiff fest vertäut, und die Landungsbrücke wurde ausgefahren. Jasmine eilte von Bord, gefolgt von ihrer Familie und der Dienerschaft. Ihre Hände zur Begrüßung ausgestreckt, strebte sie zu ihrem Verwalter. »Rory Maguire! Wie schön, dass Ihr gekommen seid, um uns willkommen zu heißen. Ich bin überwältigt … Ich war viel zu lange fort«, schloss sie lächelnd.

Er nahm die elegant behandschuhten Finger und führte sie an seine Lippen. »Cai mille failte, Mylady Jasmine. Herzlich willkommen in Irland, das gilt natürlich auch für Eure Familie.« Behutsam gab er ihre Hände frei.

»Das ist mein Gemahl, James Leslie, der Herzog von Glenkirk, Rory.« Jasmine zog Jemmie nach vorn.

Die beiden Männer schüttelten sich die Hände, wobei sie einander aufmerksam taxierten. Offenbar zufrieden von ihrem ersten Eindruck, grinsten sie zur Begrüßung.

»Meine Frau weiß nur Gutes über Euch zu berichten, Maguire«, sagte der Duke. »Ich bin überaus gespannt, das Anwesen kennen zu lernen.«

»Habt Dank, Mylord«, lautete die Antwort. »Ich denke, es wird Euch gefallen. Maguire’s Ford ist ein hübsches Fleckchen Erde.« Abermals wandte Rory sich an Jasmine. »Ich habe die Kutsche mitgebracht, Mylady, und Pferde, falls Ihr einen Ritt bevorzugt. Sicherlich erinnert Ihr Euch noch an Fergus Duffy. Er wird die Kutsche für uns lenken. Soweit ich mich entsinne, reiten Eure Diener lieber.«

»Fergus Duffy! Wie geht es Eurer lieben Frau, Bride?«, erkundigte sich Jasmine lächelnd bei dem Kutscher. »Meine Tochter kann es kaum erwarten, ihre Patin kennen zu lernen.« Die Herzogin schob ihre Tochter nach vorn. »Das ist Fortune, Rory. Fergus, dies ist Mylady Fortune.«

Der Kutscher nickte zur Begrüßung.

Rory Maguire nahm Fortunes schlanke, behandschuhte Hand, führte sie an seine Lippen und küsste sie. »Ich heiße Euch willkommen, Mylady. Hoffentlich gefällt Euch Maguire’s Ford und Ihr wollt bleiben.«

Fortune erwiderte den Blick seiner blauen Augen. Unvermittelt beschlich sie das seltsame Gefühl, ihn wieder zu erkennen, indes war sie noch ein Baby gewesen, als sie ihn zuletzt gesehen hatte. »Ich danke Euch, Sir«, murmelte sie, verwirrt ob der auf sie einstürmenden Empfindungen.

»Ich habe eine reizende kleine schwarze Stute mitgebracht, an der Ihr vielleicht Gefallen findet.« Rory ließ Fortunes Hand los.

»Ich ziehe den Wallach vor«, meinte Fortune. Sie deutete auf den Apfelschimmel, erleichtert, dass sie sich so rasch wieder gefasst hatte.

»Er ist ein bisschen ungestüm«, warnte der Gutsverwalter.

»Genau wie ich.« Fortune lächelte durchtrieben.

Rory Maguire lachte herzerfrischend. »Meint Ihr, Ihr werdet mit ihm fertig, Mylady? Ich möchte nicht, dass er Euch abwirft. Das wäre kein schöner Auftakt in Maguire’s Ford, denke ich.«

»Es gibt kein Pferd, mit dem ich nicht umzugehen wüsste«, brüstete sich Fortune.

Maguire sah zu ihren Eltern, und als James Leslie unmerklich nickte, sagte der Ire: »Er heißt Thunder, Mylady. Kommt, ich helfe Euch in den Sattel.«

»Und mein Gepäck?«, wollte Fortune wissen.

»Dafür werden wir etliche Karren brauchen«, erwiderte Jasmine. »Fortune hat ihren gesamten Besitz mitgebracht, denn sie gedenkt, hier in Irland zu bleiben.«

»Wir können hier im Ort genügend Karren ausleihen«, schlug Rory vor. »Ich war mir nicht sicher, ob das Mädchen bleiben würde oder nicht.«

»Ist William Devers denn so ein schlechter Fang?«, erkundigte sich Fortune unverblümt.

Wieder schmunzelte Rory. »Nein, Mylady. Ganz im Gegenteil, er ist einer der begehrtesten Junggesellen weit und breit. Groß und anziehend, mit einem schönen Gut oben in Lisnaskea, das er eines Tages erben wird. Nicht so groß wie Maguire’s Ford – bei weitem nicht –, aber wahrlich repräsentativ. Er wird eine Menge gebrochener Herzen zurücklassen, wenn er eines Tages heiratet, denke ich.«

Darauf schwieg Fortune. Soso, die Damenwelt hielt William Devers für attraktiv. Vermutlich war er ein Großtuer mit einem läppischen Besitz. Sie schlenderte über das Dock zu dem grauen Wallach, der ungeduldig aufstampfte. Mit einer Hand das Zaumzeug umschließend, sah sie das Tier unerschütterlich an, während ihre andere dessen samtweiche Nüstern streichelte. »Na, mein Junge, du bist ein hübscher Kerl. Ich glaube, wir kommen gut miteinander zurecht. Bereit für einen schnellen, langen Ritt? Ich schon, aber du musst dich mäßigen, bis wir die Stadt verlassen haben und die Landstraße erreichen. Dann werden wir rasen wie der Wind, du und ich!«

Rory Maguire beobachtete das Mädchen, das leise auf den Schimmel einredete. Vorhin, als er sie das erste Mal angesehen hatte, war ihm überaus seltsam zumute gewesen. Es war, als kannte er sie, und doch war das nicht möglich Immer noch leicht verunsichert, bewunderte er, wie sie mit dem Tier umging. Er schob seine Hände zusammen und half ihr in den Sattel. »Auf geht’s, Mylady.« Als er sie hinaufhob, wurde ihm schlagartig bewusst, dass das Pferd keinen Damensattel trug, doch das Mädchen war es offenbar gewohnt, im Herrensitz zu reiten. Er band das Tier los.

Thunder tänzelte kaum merklich, sobald er das Gewicht auf seinem Rücken spürte. Er warf den Kopf hin und her, um ihre Kräfte auf die Probe zu stellen, doch sie hielt ihn unerbittlich fest; ihre Hände ruhten scheinbar federleicht auf den Zügeln, ihre Knie schmiegten sich an den Pferdeleib, warnten ihn, lenkten ihn. »Ruhig, mein Junge«, beschwichtigte sie ihn, und er spitzte die Ohren, lauschte der sanften Stimme, die ihm vor Augenblicken noch neu und jetzt schon vertraut war. Das Tier beruhigte sich.

Rory Maguire nickte und grinste hoch erfreut. Das Mädchen schien eine begnadete Reiterin zu sein. Dann drehte er sich um und kümmerte sich um das Entladen der Kisten und Truhen. »Heilige Mutter Gottes«, grummelte er. »Ich habe noch nie so viel Plunder gesehen.«

Der Herzog lachte. Er hatte genauso gedacht, als er Fortunes umfangreiches Reisegepäck das erste Mal zu Gesicht bekommen hatte. »Ich habe den Kapitän in den Ort geschickt, um Karren für den Transport herbeizuschaffen. Wir brauchen nicht zu warten. Habt Ihr Pferde für meine Gemahlin und für mich?«

»Aber ja, Mylord. Mylady kann die schwarze Stute reiten. Genau wie das letzte Mal, als Ihr nach Maguire’s Ford gekommen seid«, sinnierte er mit einem kaum merklichen Lächeln zu Jasmine, und sie nickte. »Und für Euch habe ich einen prachtvollen Hengst, Mylord. Er ist gut eingeritten. Ich habe es nicht über mich gebracht, ihn kastrieren zu lassen, deshalb muss ich ihn von den Zuchtstuten fern halten. Vermutlich werden wir ihn an jemanden verkaufen müssen, der einen neuen Zuchthengst braucht. Er wird einen guten Preis erzielen, wie alle unsere Pferde. Die Abkömmlinge von Nightwind und Nightsong sind überaus wertvolle Tiere. Wer nimmt die Kutsche?«

»Adali und Rohana«, sagte Jasmine.

»Dann sind sie also immer noch bei Euch? Was ist mit der anderen kleinen Dienerin, die Ihr damals hattet, Mylady?«

»Toramalli hat inzwischen geheiratet«, antwortete Jasmine. »Sie und ihr Mann sind in Glenkirk geblieben, unserem Zuhause in Schottland, und stellen sicher, dass unsere drei Söhne nichts anstellen. Patrick ist jetzt vierzehn, seine beiden jüngeren Brüder dreizehn und zehn. Wir haben mit dem Gedanken gespielt, Adam und Duncan mitzubringen, aber sie haben einen Sommer ohne uns vorgezogen.«

»Dann gedenkt Ihr also, ziemlich bald heimzukehren?«, erkundigte sich Rory.

»Ja«, meinte Jasmine. »William Devers ist mir sowohl von meinem Cousin, dem Priester, als auch von dem protestantischen Geistlichen, Mr. Steen, empfohlen worden. Wenn er und Fortune Gefallen aneinander finden, wird noch vor Ende des Sommers eine Vermählung stattfinden, Rory. Und dann wird Fortune Maguire’s Ford und Irland zu ihrer Heimat machen. Ich hoffe, er erweist sich als der Richtige für sie, denn ich möchte, dass meine Tochter glücklich und zufrieden ist.«

»Das ist der Wunsch jeder Mutter«, erwiderte Rory. Ach, wie anziehend sie doch war, trotz ihrer Jahre. Beinahe hätte er laut geseufzt.

»Guten Tag, Master Maguire«, ertönte eine Stimme, die Rory aus seinen Tagträumen riss.

Als er irritiert aufblickte, stand Jasmines getreuer Diener Adali vor ihm. Der Mann hat sich überhaupt nicht verändert, dachte er leicht verblüfft. Das olivfarbene Gesicht war noch immer glatt und straff, die dunklen Augen aufmerksam. »Ich dachte, ich würde dich nie wieder sehen, Adali«, gestand Rory.

»Ich bin unverwüstlich«, grinste Adali, seine gleichmäßigen, weißen Zähne entblößend. »Sind alle bereit?«

»Ja.«

»Dann lasst uns aufbrechen«, schlug Adali vor. Er drehte sich um. »Rohana, setz dich in die Kutsche. Ich komme gleich.« Wieder wirbelte er herum, wandte sich an den Herzog. »Die Wagen für die Besitztümer meiner Herrin werden in Kürze hier sein, Mylord. Rohana hat alles zusammengepackt, was wir für die Reise brauchen, und in der Kutsche verladen. Die Karren sind langsamer als wir. Gut möglich, dass sie erst am Tag nach unserer Ankunft auf Erne Rock eintreffen, aber vermutlich möchten die Damen ohnehin ein paar Tage ausruhen, bevor sie etwas unternehmen.«

»Hervorragend«, erwiderte der Duke und schwang sich in den Sattel des jungen Hengstes.

Der strahlend helle Tag verdüsterte sich zusehends, und ein feiner Nieselregen setzte ein.

»Ein unbeständiges Wetter, genau wie damals, an meinem ersten Tag in Irland.« Jasmine lächelte Rory Maguire zu. »Und nun berichtet mir: Wie geht es meinem Cousin?«

»Er ist wohlauf und zufrieden wie eine Maus in ihrem Winterquartier«, lautete die Antwort. »Cullen Butler ist ein guter Mensch und Christ. Er ist vorurteilsfrei und nicht so verbohrt wie viele andere Geistliche. Häufig räumt er ein, dass Rom ihn für seine Ansichten exkommunizieren würde – aber die Heilige Stadt ist weit weg. Für Maguire’s Ford ist er ein wahrer Segen.«

»Und die Protestanten, die sich hier mit ihrem Geistlichen angesiedelt haben?«

»Es sind gute, hart arbeitende Menschen«, erwiderte Maguire. »Samuel Steen ist sozusagen aus dem gleichen Holz geschnitzt wie Euer Cousin, Mylady. Er ist feinfühlig und aufgeschlossen. Wir haben keine Schwierigkeiten, im Gegensatz zu anderen Gemeinden. Warum das so ist, wissen wir beide sehr genau.«

»Ich bete zu Gott, Rory, dass Maguire’s Ford ein Ort des Friedens mit guten Menschen bleibt«, erklärte Jasmine.

Sie ritten etliche Stunden, ehe sie vor einem kleinen Rasthaus anhielten.

»Hier bin ich schon einmal gewesen«, hob Jasmine an, »aber damals sah es ganz anders aus. Da war ein Gehöft. Eine einsame Frau mit ihren armen Kindern, Rory. Was ist mit ihr geschehen?«

Er schmunzelte. »Das wisst Ihr nicht? Euer verstorbener Gemahl, der englische Marquis, schickte mich ungefähr einen Monat, nachdem Ihr Euch in Maguire’s Ford häuslich eingerichtet hattet, hierher. Er kaufte das Bauernhaus von Mistress Tully und stellte sie dann als Wirtin ein. Von dem Geld konnte sie nebenher weiterhin ihr Land bewirtschaften. Seht Euch nur den Namen an, Mylady. Der Goldene Löwe. Mistress Tully meinte, daran hätte sie der Engländer erinnert – an einen Löwen. Ihre Herberge ist die einzig empfehlenswerte auf der Strecke nach Maguire’s Ford. Vielen Engländern sagt sie nicht zu, aber daran vermögen sie nichts zu ändern, denn sie gehört dem englischen Marquis von Westleigh und seiner Familie.«

»Das hat mein Sohn nie erwähnt«, stellte Jasmine fest.

»Vermutlich weiß er selbst nicht davon. Die Verwaltung des Gasthauses und seiner Geschäfte obliegt mir in Maguire’s Ford. Der Marquis meinte, ich könne dies gewiss besser bewerkstelligen als irgendein Fremder.«

»Mein Gott, all die Jahre, und ich weiß nichts davon! Rowan hatte so ein gutes Herz! Ich erinnere mich an die arme Frau mit ihrem aufgedunsenen Leib und den drei Kleinen an ihrem Rockzipfel. Ich weiß noch, wie armselig es hier seinerzeit ausgesehen hat, mit den schmutzigen Böden und den zwei Holzbänken. Ihr habt damals gesagt, ihr Mann sei mit den Grafen mitgezogen, aber sie wolle das Land nicht verlassen. Und seht nur, wie es jetzt ist«, schloss Jasmine, während sie in den Hof der Herberge ritten. Ihr Blick fiel auf das ursprüngliche Bauernhaus, inzwischen von weiteren Gebäuden umschlossen.

Alles war weiß getüncht, überall schmucke Rosen- und Blumenrabatten. Sie bemerkte einen riesigen Stall für mindestens zwei Dutzend Pferde. Die Fenster waren verglast, aus mehreren Kaminen stiegen dünne Rauchsäulen auf. Jasmine schnupperte den köstlichen Duft von gesottenem Fleisch und Geflügel. Der würzige Geruch von frisch gebrautem Bier drang aus dem Schankraum. Mehrere junge Männer kamen aus den Stallungen gelaufen, um ihnen die Pferde abzunehmen.

»Kommt mit«, sagte Rory Maguire, Jasmine aus dem Sattel helfend. »Kommt mit hinein und begrüßt Mistress Tully. Inzwischen kann sie Englisch. Sie hat schnell herausgefunden, wie wichtig das fürs Geschäft ist.«

Der Duke of Glenkirk war ein wenig pikiert über die freimütige Art, die der Ire seiner Gattin gegenüber an den Tag legte. Schließlich tröstete er sich mit dem Gedanken, dass Maguire, anders als Adali und Rohana, ein Vertrauter von Jasmine war. Er hatte eine schwierige Position inne. Eigentlich war er kein Diener, da er dem Adel entstammte. Andererseits besaß er seine Ländereien nicht mehr, sondern verwaltete sie für einen englischen Adligen – in diesem Fall für die Herzogin von Glenkirk. Ich muss den Mann erst besser kennen lernen, entschied James Leslie. Scheint mir ein rechtschaffener Bursche, der den Besitz meiner Frau ordentlich betreut hat.

Jasmine erkannte Mistress Tully, die inzwischen rund und rosig war, kaum wieder. Die Schankwirtin begrüßte sie freundlich, machte einen Hofknicks und bedankte sich wieder und wieder für die Großherzigkeit von Rowan Lindley, die nun schon so viele Jahre zurücklag.

»Wie Ihr seht, Mylady, war sein gutes Herz unsere Rettung. Ich weiß nicht, wie ich es ohne ihn geschafft hätte«, meinte sie in ihrem weichen Singsang.

Sie fanden sich in einem kleinen, abgeschiedenen Raum ein, zu einem Mahl aus Lammbraten, Zwiebeln, Karotten und Rüben. Eine mit Brot und Äpfeln gestopfte Mastente krönte die Tafel; pochierter Lachs mit Dill, Brot, Butter und Käse vervollständigten das Menü. Auch Wein und Bier fehlten selbstverständlich nicht.

»Wahrlich schade, dass wir nicht über Nacht bleiben können«, seufzte James Leslie, knöpfte sein Wams zu und schob seinen Zinnteller von sich.

»Wenn wir das täten, würden wir morgen erst sehr spät in Maguire’s Ford eintreffen«, gab Rory zu bedenken.

»Wo werden wir heute übernachten?«, wollte der Herzog wissen.

»Da bietet sich nur Sir John Appletons Anwesen an«, erwiderte der Gutsverwalter.

»Lebt der denn noch?«, entfuhr es Jasmine. »Soweit ich mich entsinne, waren er und seine Gemahlin entsetzlich hochnäsig und äußerst unhöflich gegenüber den Iren. Er bekleidete irgendein unbedeutendes Amt bei Hofe.«

»Er lebt noch«, meinte Rory Maguire finster, »und mit den Jahren ist er noch unleidlicher geworden. Seine Gemahlin ist verstorben, aber seine Tochter und sein Schwiegersohn wohnen bei ihm, und sie sind keinen Deut besser als der Alte.«

»Das klingt wenig verlockend«, brummte James Leslie.

»Oh, sie werden Euch und Mylady umschmeicheln, Mylord. Und mit uns anderen machen sie kurzen Prozess.« Maguire schmunzelte.

»Gibt es denn keine andere Bleibe für uns?«, erkundigte sich James Leslie.

Bedauernd schüttelte Rory Maguire seinen roten Schopf.

Sir John Appleton war inzwischen ein feister alter Mann mit gichtkranken Füßen. Seine Tochter Sarah und ihr Gatte Richard waren hager und verhärmt. Augenscheinlich fühlten sie sich geschmeichelt, dass der Herzog und die Herzogin von Glenkirk und ihre Tochter bei ihnen weilten. Sie setzten Fortune neben ihren Sohn John und hofften auf ein Wunder. Dieses stellte sich jedoch nicht ein, denn John, für gewöhnlich ein lärmender Aufschneider, war wie gelähmt von Lady Fortune Lindleys Schönheit und Selbstbewusstsein. Sie war völlig anders als die ihm bekannten Mädchen, und das schüchterte ihn sichtlich ein. Was Fortune anging, so ignorierte sie ihn. Der junge John Appleton hatte ein sommersprossiges Gesicht und Schwitzhände. Der Umstand, dass er so still war und nichts Interessantes zu berichten wusste, machte ihn Fortune nicht eben sympathischer. Sie fand ihn ziemlich tölpelhaft.

»Eure Pferdezucht genießt hier überall einen guten Ruf«, bemerkte der alte Sir John. »Erstaunt mich nur, dass irische Katholiken auf Euren Ländereien arbeiten. Sie werden Euch das letzte Hemd abnehmen, wahrhaftig!«

»Auf meinem Gut arbeiten Katholiken und Protestanten«, bemerkte Jasmine zuckersüß. »Beide leisten mir gute Dienste, sodass ich keinerlei Unterschiede zu erkennen vermag, Sir John. Es sind alles grundehrliche Leute.«

»Papistische Götzenanbeter«, giftete der Alte.

»Katholiken beten keine Götzen an«, versetzte Fortune unvermutet heftig. »Sie verehren Gott. Welch ein Unfug!«

»Madam! Weist Eure Tochter zurecht. Das Mädchen ist ein vorlauter Wirrkopf«, schnaubte Sir John.

»Fortune, bitte entschuldige dich bei Sir John. Für seine Ignoranz kann er nichts erklärte die Herzogin von Glenkirk ihrer Tochter.

»Ja, Mama«, meinte Fortune gedehnt. »Ich entschuldige mich für Eure Ignoranz, Sir John.« Sie lächelte huldvoll. Darauf erhob sie sich und machte einen artigen Knicks. »Ich möchte mich jetzt zurückziehen.« Mit diesen Worten rauschte sie aus dem Saal.

Sir John und seine Familie waren nicht sicher, dass Fortune sich wirklich entschuldigt hätte, gleichwohl wagten sie es nicht, sich mit der Herzogin von Glenkirk anzulegen. Das Mädchen passte nicht zu ihrem Sohn John, entschieden sie im Stillen. Sie war viel zu hübsch und viel zu vorlaut. Zweifellos würde sie ein böses Ende nehmen. Von daher waren sie keineswegs unglücklich, als ihre Gäste sich zurückzogen.

Rory Maguire, Adali und Rohana hatte man zähneknirschend ein Mahl in der Küche des Herrenhauses serviert. Das Gesinde beargwöhnte den Iren und seine beiden fremdländisch anmutenden Begleiter. Nach dem Essen erklärte man Rohana, dass sie ihre Herrin begleiten dürfe, die beiden Männer indes sollten in den Stallungen übernachten.

»Der Herr duldet euresgleichen nicht in seinem Haus«, sagte der Koch grimmig. »Vermutlich würdet ihr uns samt und sonders in unseren Betten meucheln!«

»Ich bezweifle, dass sich auch nur irgendein Mann in die Nähe dieser Frau wagen würde«, grinste Adali, als er und Rory sich im Stall niederließen. Er breitete seinen Umhang über das würzig duftende Heu und setzte sich. »Ich habe es schon schlimmer angetroffen«, entschied er.

»Ich auch.« Rory legte seinen Rock auf das Heu. Er streckte sich lang hin und sagte dann: »Auf mich wirkt sie glücklich.«

»Sie ist glücklich«, betonte Adali.

»Gut.«

»Ihr habt nie geheiratet, Master Maguire?«, erkundigte sich Adali.

»Nein. Es hätte auch keinen Sinn gehabt. Das Land gehörte mir nicht mehr. Ich hätte einer Frau nichts bieten können. Kinder hätten mir das Leben nur erschwert, denn sie wären Katholiken gewesen, mit irischem Blut in den Adern und Fremde im eigenen Land, solange die Engländer es besetzt halten. Ich habe keine Zukunftsaussichten. Von daher mag ich die Verantwortung für Frau und Kinder nicht übernehmen.«

»Habt Ihr denn nicht das Bedürfnis nach einer Frau?«, forschte Adali.

»Nach ihr?«

»Es war doch nur eine Stunde in einer Nacht, die nahezu einundzwanzig Jahre zurückliegt, Master Maguire. Wollt Ihr damit sagen, dass es seitdem keine andere mehr gegeben hat?«

»Ganz recht. Nun ja, gelegentlich, wenn es mich überkommt, suche ich eine Witwe im Dorf auf. Sie ist bekannt dafür, dass sie Männern wie mir ihre Zuneigung schenkt, aber sie ist verschwiegen, und keiner würde sie als Dirne bezeichnen«, erklärte Rory.

»Könnt Ihr so verschwiegen sein wie Eure Witwe, Master Maguire?«, fragte Adali ihn allen Ernstes.

»Aber natürlich!«, ereiferte sich Rory. »Bin ich das nicht all die Jahre gewesen? Ich weiß, dass sie keine Ahnung hat, was in jener Nacht geschah. Und ich würde sie niemals brüskieren wollen.«

»Gut. Sie hält Euch für einen Freund, Master Maguire«, fuhr Adali fort. »Ich glaube, Ihr wollt diese Freundschaft nicht aufs Spiel setzen. Sie liebt James Leslie und er sie. In Schottland führen sie ein gutes Leben, gemeinsam mit ihren Kindern.«

»Keine Sorge, Adali«, beschwichtigte Rory Maguire, und in seiner Stimme schwang eine leise Melancholie. »Sie hat in mir stets nur einen Freund gesehen. Auf mehr darf ich nicht hoffen. Ich möchte diesen kleinen Gunstbeweis nicht an eine törichte Hoffnung verlieren, an einen Traum, der sich nie erfüllen wird. Nein, Adali … Ich würde mein Leben für Mylady Jasmine hergeben, aber sie wird nie erfahren, welche Rolle ich vor vielen Jahren bei dem Versuch gespielt habe, ihr das Leben zu retten. Es würde uns beide nur beschämen.«

»Das war gewiss nicht beschämend, Master Maguire«, versicherte Adali. »Ihr, der Priester und ich haben getan, was wir tun mussten. Mehr nicht. Das ist weder herabwürdigend noch Anlass für Schuldgefühle. Angenehme Nachtruhe. Ich sehe Euch morgen früh.«

»Gute Nacht, Adali«, murmelte Rory Maguire, rollte sich auf die Seite und wickelte sich in seinen Umhang. Dann versank er in Grübeleien. Die nächsten Monate würden wohl die schwierigsten in seinem ganzen Leben werden.

Geliebte Herrin

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