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2. Kapitel

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Der Herzog von Farminster stand an der Reling, während die Royal George St. Timothy umfuhr. Die einzige Bucht zum Anlanden lag auf der der Handelsroute abgewandten Seite der Insel. Während der vergangenen Tage waren sie zwischen zahlreichen Westindischen Inseln hindurchgesegelt, und Valerian hatte alle möglichen Landschaftsformationen zu Gesicht bekommen. Viele der Inseln waren gebirgig, einige flach. Diese hier schien von einem breiten Landstreifen umgeben, in dessen Mitte sich quer über die Insel ein hügeliger Bergrücken zog. Die Zuckerrohrstauden waren meterhoch und standen voll im Saft, und Valerian war sehr beeindruckt.

»Sie sind gerade bei der Ernte«, sagte der Kapitän, der sich zu Valerian an die Reling gesellt hatte. »Die Insel ist etwa halb so groß wie Barbados, aber kleiner als Grenada. Wisst Ihr sonst irgendetwas darüber, Euer Gnaden?«

»Herzlich wenig«, antwortete Valerian Hawkesworth, »nur, dass die beiden Familien, denen die Insel von König Charles als Schenkung überlassen wurde, mit meiner verschwägert waren. Meine Braut und ihr Vater sind die letzten Nachkommen.«

»Die Familien blieben also mit England in Verbindung. Das machen nicht viele, müsst Ihr wissen. Den meisten ist die Gesellschaft ihresgleichen auf den Inseln genug«, erklärte der Kapitän, wobei ganz deutlich wurde, dass er nicht damit einverstanden war.

»Nein, unsere Linien sind in Verbindung geblieben. Mein Vater und Mr. Kimberly haben zusammen in Oxford studiert. Dadurch kam letztlich auch das Arrangement zwischen mir und Miss Kimberly zu Stande. Gibt es auf der Insel ein Städtchen, Kapitän Conway?«

»Nein, Euer Gnaden.« Der Seemann schüttelte den Kopf. »St. Timothy war immer nur im Besitz der Kimberlys und der Merediths. Auf der Insel wird ausschließlich Zuckerrohr angebaut. Abgesehen davon, wer will schon freiwillig hierher, und womit sollte ein Mann auf einer solchen Insel seinen Lebensunterhalt verdienen? Mit Ausnahme der Familie und einiger weniger Leibeigener gibt es dort nur Schwarze.«

Der Herzog nickte und sah dann wieder über die blaugrüne See hinaus auf die Insel. Sie war wunderschön. Aber warf sie auch Gewinn ab, und war diese Charlotte Kimberly wirklich eine gute Partie? Seine Großmutter ging davon aus, dass die Familie des Mädchens über ein ansehnliches Vermögen verfügte. Aber war dem wirklich so? Das Auskommen sämtlicher Inselbewohner hing von einer guten Zuckerrohrernte ab. Valerian wollte so bald wie möglich mit Mr. Kimberly darüber sprechen und sich auf jeden Fall die Bücher ansehen. Wenn die Plantage nicht ausreichend Gewinn abwarf, musste die Möglichkeit einer Mitgift in bar erörtert werden.

Mittlerweile lief das Schiff in die Bucht ein. Valerian konnte schon die Anlegestege und Lagerhäuser am Ufer erkennen und fragte den Kapitän: »Verschiffen sie ihren Zucker direkt von hier nach England?«

»Nein, zunächst nach Barbados und von dort aus nach England. Die Frachtschiffkapitäne haben keine Zeit, an einer so kleinen Insel anzulegen. Das gilt übrigens für die meisten Westindischen Inseln. Aber St. Timothy verfügt trotzdem über eine ausgezeichnete Lage, Euer Gnaden. Von hieraus lässt sich die Ware viel besser verschiffen, als von den Plantagen auf Jamaika aus, weil die Passatwinde hier einen günstigeren Einfluss haben.«

»Ich sehe schon, da gibt es noch viel, was ich lernen muss«, entgegnete der Herzog.

»Habt Ihr denn vor, hier zu bleiben, Euer Gnaden?«, fragte der Kapitän und dachte, dass das mächtig ungewöhnlich wäre, es sei denn, der Herzog hatte jemanden ermordet und musste England eine Weile fernbleiben.

»Nein, aber wenn diese Plantage durch die Hochzeit in meinen Besitz übergeht, Sir, sollte ich schon wissen, wie sie geführt wird. Ich möchte Miss Kimberlys Mitgift nicht leichtfertig aufs Spiel setzen. Auch mein Gestüt und meine Manufakturen führe ich Gewinn bringend, und bestimmt werde ich nicht zulassen, dass man die Plantage in den Ruin treibt.«

Interessant, dachte der Kapitän, ein Milord, der sich damit abgab, Geld zu verdienen. Laut sagte er daraufhin: »Dann werdet Ihr keine Schwierigkeiten haben, Euer Gnaden. St. Timothy wird von Mr. Kimberly selbst geführt, und sein Stiefsohn Mr. George Spencer-Kimberly hilft ihm dabei. Der junge Mann ist ein feiner Kerl, dessen seid versichert.« Der Kapitän verbeugte sich vor dem Herzog. »Ihr werdet mich entschuldigen, Euer Gnaden. Ich muss unser Anlanden überwachen.«

Der Herzog nickte, woraufhin der Kapitän geschäftig davoneilte.

Miss Kimberly hatte also einen Stiefbruder, der die Plantage zu führen half. Nun gut, wenn er sich tatsächlich als aufrechter junger Mann erwies und Interesse hatte, auf St. Timothy zu bleiben, sollte es keine bösen Überraschungen geben, wenn Robert Kimberly eines Tages abtrat und die Plantage seiner Tochter hinterließ. Ich frage mich nur, überlegte Valerian nun, welche Art von Einkommen Kimberly meiner Braut zugedacht hat, bevor sie ihr Erbe antreten kann.

Doch dann wurde seine Aufmerksamkeit von dem großen Haus auf dem hohen Hügel in Anspruch genommen, das ganz in weiß gehalten war und nach vorn hin offen zu sein schien. Eine derartige Bauweise hatte Valerian noch nie gesehen. Bestimmt wäre es interessant, es aus der Nähe zu betrachten, dachte er, als ein dumpfer Kanonenschlag ihn zusammenzucken ließ.

»Kein Grund zur Sorge, Euer Gnaden«, beruhigte ihn sein Kabinensteward, der in diesem Augenblick zu ihm gekommen war. »Das war nur unsere kleine Kanone, die Eure zukünftigen Verwandten über unsere Ankunft in Kenntnis setzt. Obwohl die junge Dame uns sicher schon von ihrem Fenster aus beobachtet hat«, fügte er noch hinzu und lachte leise in sich hinein.

»Sie sind da!«, kreischte Calandra aufgeregt. »Habt ihr den Ankunftssalut gehört? Seht doch nur, da unten im Hafen! Die Royal George segelt gerade herein. Oh, ich glaube, ich werde ohnmächtig! Mein Herzog ist da! Endlich!« Mit diesen Worten sank sie auf einen Stuhl und fächelte sich mit ihrem Taschentuch Luft zu.

»Was heißt denn hier dein Herzog?«, fragte ihre Mutter. »Es ist Auroras!«

»Aber, Mama, das haben wir doch schon besprochen!«

»Ich lasse mich von euch doch nicht einschüchtern«, entgegnete Oralia Kimberly, ließ aber eine gewisse Schärfe in der Stimme vermissen. »Das könnt ihr doch nicht machen! Es ist unehrenhaft und falsch!« Dann wandte sie sich Hilfe suchend an ihren Sohn. »George, sag doch auch mal etwas!«

»Es tut mir Leid, Mama, aber wir haben in den letzten vier Wochen wirklich oft darüber diskutiert. Cally heiratet den Herzog. Das ist die einzige Möglichkeit. Wenn du versuchen solltest, ihm die Wahrheit zu sagen, behaupte ich einfach, dass Papas Tod dich dermaßen durcheinander gebracht hat, dass du deine Stieftochter nicht mehr von deiner leiblichen Tochter unterscheiden kannst. Dann sperren wir dich weg, bis der Herzog und Cally verheiratet und auf dem Weg nach England sind. Und jetzt muss ich hinunter zum Hafen, um unseren Gast zu begrüßen.« Daraufhin ließ er seine Mutter einfach stehen.

»Du bist so grausam, George!«, rief Oralia ihm noch nach, wusste aber, dass das sinnlos war. Die drei jungen Leute hatten unter sich ausgemacht, wie sie vorgehen wollten, und würden ihr Vorhaben durchführen. Sollte sie sich da einmischen, war George durchaus in der Lage, seine Drohung wahr zu machen. Und selbst wenn der Herzog ihr, Oralia, Glauben schenkte, stand zu befürchten, Aurora würde ihm ins Gesicht sagen, dass sie ihn nicht heiraten wollte. Was würde denn dann aus ihnen werden?

Oralia seufzte, und Aurora blickte zu Calandra hinüber, als wollte sie sagen: Siehst du, ich habe doch gleich gewusst, dass wir gewinnen. »Komm, Schwesterchen«, sagte sie dann tatsächlich, »du kannst den Herzog doch nicht so begrüßen. Wir müssen uns beeilen. Entschuldigst du uns bitte, Mama?«

Oralia bedeutete ihnen, sich zu entfernen. Sie brauchte Zeit, um ihre Fassung wieder zu erlangen. Auch wenn sich ihre Kinder wegen des Täuschungsmanövers anscheinend keinerlei Sorgen machten, war sie darüber doch sehr beunruhigt. Wenn bloß Robert nicht gestorben wäre, dachte sie zum tausendsten Mal in den vergangenen acht Wochen. Aber Robert war tot, und sie hatte keine andere Wahl, als sich dem Wunsch ihrer Kinder zu beugen. Vielleicht hatten sie ja auch Recht. Was war denn so schlimm an ihrem Vorhaben? Wäre es nicht viel grausamer, Aurora in eine Ehe zu zwingen, besonders, da Calandra so bereitwillig ihren Platz einnehmen wollte?

Nachdenklich biss sich Oralia auf die Lippe. Aber nein, die Kinder waren im Unrecht! Doch sie konnte im Augenblick nichts daran ändern. Was Robert wohl von all dem halten würde?

Oralia erschauderte bei dem Gedanken. Sie wusste genau, was ihr verstorbener Gatte dazu gesagt hätte, aber er war nun einmal nicht mehr, und sie musste mit dieser unmöglichen Situation allein klarkommen. Es war ihr immer schon schwer gefallen, sich bei ihren drei Kindern durchzusetzen. Das hatte Robert besser gekonnt. Doch nun war er von ihr gegangen, und es blieb ihr nichts anderes übrig, als die Kinder gewähren zu lassen.

Ich werde nicht weinen, dachte Oralia verzweifelt und hielt sich vor Augen, dass Calandra immerhin Herzogin sein würde.

Unterdessen überschlugen sich die beiden Mädchen im ersten Stock beinahe, um sich für die Ankunft des Herzogs von Farminster fertig zu machen. Calandra nahm ein Bad hinter der Spanischen Wand. In der Luft hing schwer der Duft ihres Lieblingsbadesalzes – einer Mischung aus Rosen und Gardenien. Derweil legte Calandras Kammerzofe Sally unter Auroras Aufsicht die Kleider für ihre junge Herrin zurecht. Als Aurora endlich zufrieden mit der Auswahl war, zog sie sich in ihr eigenes Zimmer zurück, um sich ebenfalls umzukleiden.

»Ihr seid eine Närrin, Mistress Aurora«, wurde sie von ihrer Kammerzofe Martha empfangen, »und Euer Vater wäre sehr aufgebracht, wenn er wüsste, was Ihr da tut. Aber es ist immer noch Zeit, es Euch anders zu überlegen. Ein Mann bleibt ein Mann. Auch wenn der eine zunächst besser erscheinen mag als der andere, sind sie am Ende doch alle gleich. Lasst Euch das von mir gesagt sein, Miss.«

»Martha, jetzt schelte mich doch nicht. Ich will im Augenblick einfach niemanden heiraten. Auch wenn dieser Herzog bereit wäre, ein oder zwei Jahre zu warten, wüsste ich danach immer noch nicht, was ich täte, wenn ich ihn nicht mag. Nein, so ist es wirklich das Beste – für mich, für Cally, für alle.«

»Und wenn Ihr ihn doch mögt?«, wandte Martha ein.

»Ich hoffe, dass ich ihn als Schwager gut leiden kann und als Freund.«

Missbilligend schürzte die Dienerin die Lippen.

»Nun, da er der Gatte meiner Schwester wird, kann es darüber hinaus nichts geben, Martha. Das verstehst du doch sicher.«

»Mh.«

Martha war kurz nach Auroras Geburt als Leibeigene nach St. Timothy gekommen. Da sie keine kriminelle Vergangenheit hatte und sich auch einigermaßen benehmen konnte, hatte Emily Kimberly sie gekauft, damit sich Martha um ihr Neugeborenes kümmerte. Marthas einziges Vergehen bestand darin, arm zu sein. Deshalb war sie vom englischen Gesetz bestraft worden. Nach dem Tod ihrer Eltern hatte der Grundeigentümer sie aus dem Cottage vertrieben, das sie mit ihrer Familie bewohnt hatte. Der örtliche Vikar hatte ihr damals vorgeschlagen, sich für sieben Jahre in Übersee zu verdingen und sich dadurch die Chance auf ein besseres Leben in der Neuen Welt zu eröffnen. Martha hatte seinen Rat befolgt und sich dem Bruder des Vikars anvertraut. Er war ein anständiger Mensch gewesen und hatte sich bemüht, die Leibeigenen in guten Familien unterzubringen, wo sie nicht misshandelt wurden. Nach Ablauf ihrer Dienstjahre war Martha als freie Frau bei den Kimberlys geblieben und seitdem Auroras Kammerzofe.

»Ich habe Euch ein frisches Kleid herausgelegt«, sagte sie nun spitz zu ihrer jungen Herrin.

»Jetzt sei doch nicht böse mit mir, Martha!« Aurora nahm ihr ehemaliges Kindermädchen und ihre jetzige Zofe in die Arme. »So ist es wirklich das Beste.«

Aber Martha machte sich los. »Ihr braucht gar nicht zu denken, dass Ihr mich um den Finger wickeln könnt wie Mistress Oralia und Master George, weil Euch das bei mir nämlich nicht gelingt. Wenn Euer Vater noch hier wäre, müsstet Ihr auch tun, was er sagt. Da gäbe es überhaupt kein Vertun. Und nun, wascht Euch! Ich habe die Waschschüssel ins Ankleidezimmer gestellt und auch das hübsche blaugraue Baumwollkleid herausgelegt, so wie Ihr gesagt habt. Aber ich finde, dass es trotz des langen Spitzenbesatzes an den Ärmeln zu einfach ist. Ich weiß gar nicht, warum Ihr das bei der ersten Begegnung mit dem Herzog unbedingt tragen wollt.«

»Weil ich Calandra nicht ausstechen will«, sagte Aurora. »Heute soll seine ganze Aufmerksamkeit ihr gehören.«

»Dann ratet Ihr Miss Cally am besten, nicht so viel zu kichern«, stellte Martha säuerlich fest. »Dabei hört sie sich nämlich an wie ein kleines Dummchen vom Land, nicht dass sie Euch darin viel nachstehen würde.«

Aurora unterdrückte ein Lachen und betrat das Ankleidezimmer. Das der Tür gegenüberliegende Fenster ging auf die Bucht. Die Royal George segelte gerade langsam auf die Anlegestelle zu. Die Bucht war sehr tief, sodass die Schiffe ganz nah ans Ufer herankommen konnten, was das Besondere bei St. Timothy war. Bei den anderen Inseln mussten die Schiffe mitten im Hafen vor Anker gehen. Passagiere oder Fracht wurden dann auf einem Boot hin- und hertransportiert.

Aurora schlüpfte rasch aus ihrem Kleid und rieb sich mit einem Schwamm ab, den sie zuvor in das parfümierte Wasser der Waschschüssel getaucht hatte. Sie trocknete sich ab, zog das blaugraue Kleid mit dem weiten, weiß abgesetzten Ausschnitt an und ließ die züchtigen Röcke über ihre gestärkten Unterröcke fallen. Die Rüschen- und Spitzenbordüren an den Dreiviertelärmeln umspielten effektvoll ihre Handgelenke.

»Komm und schnür mich, Martha!«, rief Aurora dann und warf einen Blick in den Spiegel. Ihre Haut hatte einen leicht goldrosa Schimmer, durch den die türkisfarbenen Augen und das goldbraune Haar noch besser zur Geltung kamen. Auch wenn Aurora sich meist vor der Sonne in Acht nahm, war sie darin nicht so fanatisch wie Calandra, die außerordentlich stolz auf ihre vornehme Blässe war und alles dafür tat. So ging sie etwa niemals ohne breitkrempigen Hut hinaus, hielt die Arme immer bedeckt und trug trotz der Hitze Spitzenhandschuhe. Aurora musste allerdings zugeben, dass Calandras helle Haut, die haselnussbraunen Augen und das schwarze Haar sie zu einer außergewöhnlichen Erscheinung machten.

»Jetzt kommt schon, Miss«, unterbrach Martha da Auroras Gedankengänge, »setzt Euch, damit ich Euch ordentlich frisieren kann.«

Ordentlich hieß bei Martha, Auroras Haar in einen kleinen eleganten Knoten im Nacken festzustecken und an den Schläfen jeweils ein Ringellöckchen zu brennen. Calandra bevorzugte einen Knoten und eine einzige lange Locke links. Sie war überzeugt, dass ihre linke Gesichtshälfte ihre Schokoladenseite sei und man die Aufmerksamkeit darauf lenken musste.

Calandra ist ein liebes Mädchen, aber furchtbar eitel, dachte Aurora nun, genauso wie ich mir eine Herzogin immer vorgestellt habe. Ihr Blick wanderte wieder zum Fenster, und sie wünschte, sie hätte ein Fernrohr, um zu beobachten, wie George den Herzog begrüßte.

George Spencer-Kimberly wartete, bis die Royal George vertäut war. Als man die Laufplanke schließlich herabließ, eilte er sofort aufs Schiff.

»Kapitän Conway! Wie schön Euch wieder zu sehen. Gehe ich recht in der Annahme, dass Ihr uns einen Passagier mitgebracht habt?« Georges Blick wanderte zu dem groß gewachsenen Herrn neben dem Kapitän. Der Mann war etwas älter als er selbst, hatte schwarzes Haar, schwarze – nein – dunkelblaue Augen, ein streng geschnittenes Gesicht und eine muskulöse Statur. Nicht ganz das, was man sich von einem englischen Herzog erwarten würde, dachte George, der mit einem viel schwächlicheren Typ gerechnet hatte. Einen Augenblick überlegte er nun noch einmal, ob es tatsächlich klug war, diesem Mann das kleine Täuschungsmanöver vorzuspielen. Aber es war ohnehin zu spät, um noch etwas daran zu ändern.

»Aye, Mr. Kimberly«, begrüßte ihn nun der Kapitän. »Hier habe ich Euren Passagier, Sir. Ich hatte eigentlich Euren Vater erwartet.«

»Mein Vater ist ganz unerwartet am Tag nach Weihnachten von uns gegangen«, entgegnete George. »Er wurde von einem Gewitter überrascht und der Blitz schlug ganz in der Nähe seines Pferdes ein. Das Her bäumte sich auf und warf Papa ab. Er war sofort tot.«

»Bei meiner Seele!«, rief der Kapitän. »Was für eine Tragödie!« Dann sagte er, sich an seine Pflicht erinnernd: »Mr. Kimberly, darf ich Euch Euer Gnaden, den Herzog von Farminster, vorstellen. Euer Gnaden, Mr. George Spencer-Kimberly.«

Die beiden Männer schüttelten einander die Hand, und der Herzog musterte George unauffällig. Er war nicht ganz so groß wie er selbst. Ein wenig untersetzt, aber gut aussehend, mit blauen Augen und braunem Haar. Er verfügte über einen festen Händedruck und leicht schwielige Hände, war also kein Müßiggänger.

»Mr. Kimberly, erlaubt mir«, sagte der Herzog nun höflich, »Euch mein Beileid auszusprechen. Hätte ich von diesem schrecklichen Verlust gewusst, hätte ich meine Reise hierher sicherlich verschoben.«

»Ihr wart bereits unterwegs, Euer Gnaden, als uns der Brief Eurer Großmutter erreichte, in dem wir erstmalig von der Vereinbarung zwischen unseren Familien erfuhren«, entgegnete George und fuhr mit einem humorigen Blinzeln fort: »Wir hätten Euch also gar nicht aufhalten können, selbst wenn wir es gewollt hätten.«

Der Herzog lachte. Ihm gefiel Georges Humor.

»Wusstest Ihr denn von, äh, Eurer Verpflichtung meiner Schwester gegenüber?«

»Nein, Sir, auch ich wurde völlig unvorbereitet mit dieser Situation konfrontiert.«

George nickte grinsend. »Es steht ein Einspänner für Euren Diener und Euer Gepäck bereit. Euch habe ich noch ein Pferd mitgebracht, Sir. Wir können uns weiter unterhalten, während wir zum Haus hinaufreiten.«

»Einverstanden!« Der Herzog wandte sich seinem Diener zu, um ihm Instruktionen zu geben, als habe der Mann nicht längst gehört, was George gesagt hatte. Danach fuhr der Herzog zu Kapitän Conway gewandt fort: »Ihr werdet doch auf Eurer Rückreise nach England wie besprochen hier vor Anker gehen und mich und meine Braut an Bord nehmen?«

»Aye, Sir«, antwortete der Kapitän. »Es wird in etwa zweieinhalb Wochen so weit sein. Sollte es eine Verzögerung geben, schicke ich Euch Nachricht.«

Als George und der Herzog von Bord gingen, konnte George nicht umhin, festzustellen: »Ihr habt ja nicht gerade vor, lange auf St. Timothy zu bleiben. Mama wird das sehr bekümmern.«

»Die Royal George und ihr Schwesterschiff die Queen Caroline sind die besten Passagierschiffe unserer Tage, Mr. Kimberly. Ich wünsche nicht, dass Charlottes Hochzeitsreise an Bequemlichkeit zu wünschen übrig lässt. Wenn wir die Chance nicht wahrnehmen, jetzt nach England zurückzusegeln, werden wir mehrere Monate warten müssen, bis die Royal George wieder in diese Gewässer kommt. Und ich glaube, dann hätten wir es hier mit der stürmischen Jahreszeit zu tun. Ich möchte Eurer Mutter keineswegs Kummer bereiten, aber ich halte es für das Beste, wenn meine Braut und ich hier so bald wie möglich abreisen.« Mit diesen Worten schwang sich der Herzog in den Sattel und nahm die Zügel in die Hand.

»Ich glaube«, sagte George, der ebenfalls aufgesessen war, »ich sollte Euch zunächst erklären, dass meine Stiefschwester von uns nicht Charlotte genannt, sondern mit ihrem zweiten Vornamen Calandra angeredet wird.«

»Wieso denn das?«

»Als unsere Mutter unseren Stiefvater heiratete, waren sowohl Cally als auch Mutters leibliche Tochter erst knapp drei Jahre alt, beide aber auf den Namen Charlotte getauft. Unsere Eltern beschlossen, die Mädchen zukünftig mit ihrem zweiten Vornamen – Calandra und Aurora – anzusprechen. Deshalb lautet in dem Heiratsvertrag – zumindest in der Abschrift, über die wir verfügen – der Name der Braut nur auf Charlotte.« Nachdem George geendet hatte, wartete er gespannt auf den Kommentar des Herzogs.

»Also heißt meine Braut eigentlich Calandra!«, entgegnete der Herzog schließlich ungerührt. »Ein eleganter Name. Ist sie auch ein elegantes Mädchen, Mr. Kimberly?«

»Meine Stiefschwester ist ganz bestimmt ein attraktives Mädchen, und ich nehme an, dass sie mit den entsprechenden Kleidern und der entsprechenden Frisur eines Tages auch elegant sein wird. Aber im Augenblick ist sie einfach nur ein unschuldiges Mädchen von der Insel, Euer Gnaden.«

»Ihr solltet mich Valerian nennen und ich Euch George, Sir«, antwortete der Herzog nun. »Und wie sieht Eure leibliche Schwester aus?«

»Sie ist ein hübsches Ding«, sagte George, »hat aber ihren eigenen Kopf.« Er lachte leise.

Die Pferde trabten vom Hafen aus den staubigen Feldweg zum Haus auf dem Hügel hinauf. Nun konnte der Herzog das Gebäude besser erkennen. Bei der scheinbar offenen Fassade handelte es sich in Wirklichkeit um eine sehr geräumige Veranda. Die Fenster des Erdgeschosses reichten bis zum Boden. Alle Fenster des Hauses verfügten rechts und links über schwere Holzläden; zweifellos, um sie gegen die heftigen Stürme zu schützen, von denen Kapitän Conway ihm erzählt hatte.

Beidseitig des Feldwegs war die Vegetation so üppig und grün, wie Valerian es noch nie gesehen hatte. Schlingpflanzen mit leuchtend farbigen Blüten erregten seine Aufmerksamkeit. In den Bäumen saßen scharlachrote, grünblaue und gelbgoldene Vögel einer besonders exotischen Art. Und es war angenehm warm, wie es Valerian bisher noch nirgends erlebt hatte. Selbst der Wind, der beständig zu wehen schien, war sanfter, roch süßlich und trug nur ein wenig Feuchtigkeit vom Meer heran.

»Ist Euer Geschäftsführer und Aufseher verlässlich?«, fragte Valerian seinen zukünftigen Schwager, nachdem sie eine Weile geritten waren. »Und wie seid Ihr seit dem Tod Eures Stiefvaters zurechtgekommen?«

»Mein Vater«, antwortete George, »hat St. Timothy selbst geführt. Er hielt nichts von Männern, die anderen ihre Geschäfte überlassen, um selbst das süße Leben zu genießen. Ich war fünfeinhalb, als ich von Jamaika hierher kam. An meinem sechsten Geburtstag nahm mich mein Vater das erste Mal mit hinaus auf die Felder, um seine Runde zu machen. Danach habe ich ihn jeden Tag begleitet. Nun bin ich neunzehn. Ich führe die Bücher der Plantage, seitdem ich mit sechzehn meine Ausbildung abgeschlossen habe. Mein Vater wollte, dass ich St. Timothy irgendwann selbstständig leite. Durch seinen Tod ging das Eigentum der Insel allerdings in Callys Besitz über, und nach Eurer Heirat mit ihr wird es an Euch fallen, Valerian. Aber wenn Ihr lieber Euren eigenen Mann herbringt, um die Plantage zu leiten, versichere ich Euch hiermit, dass er meine vollste Unterstützung haben wird. Mein Wort darauf.«

»Ich denke nicht, dass es nötig sein wird, einen Fremden damit zu betrauen«, antwortete der Herzog. »Ich werde ohnehin niemals selbst hier leben, George, weil meine Wurzeln in England sind. Aber ich stimme mit Eurem Vater darin überein, dass Ihr in meiner Abwesenheit die Plantage leiten solltet, wenn es Euch genehm ist. Die Plantage wird irgendwann einmal in den Besitz eines der Kinder übergehen, die aus meiner Verbindung mit Calandra entspringen.

Vielleicht hat ein zweitgeborener Sohn Interesse daran. Calandra und ich werden viel ruhiger sein, wenn wir wissen, dass St. Timothy bis dahin in guten Händen ist. Nachdem ich mir die Bücher angesehen habe, handeln wir eine faire Entlohnung für Eure Dienste aus, George. Schließlich wollt Ihr Euch eines Tages auch eine Frau nehmen und sie versorgen können. Glaubt Ihr, Ihr könntet Euch mit diesem Arrangement abfinden?«

»Aye, Valerian!«, rief George freudig und dachte: Das entwickelt sich ja ganz gut, und Mama wird entzückt sein, zu hören, dass sich an ihrem gewohnten Leben nichts ändert. »Da ist noch eine Sache, die Ihr wissen solltet«, fuhr George nun fort. »Das alte Haus der Merediths bei den Feldern auf der anderen Seite der Insel fiel Papa durch die Ehe mit seiner zweiten Frau, Emily Meredith, zu. Papa hat es Aurora zusammen mit einer Apanage vermacht. Es gehört nur der Grund und Boden dazu, auf dem es steht. Aber Papa dachte, Aurora hätte sicher gerne ihr eigenes Heim, wenn sie eines Tages heiratet. Ihr Erbe, das Haus und die jährliche Apanage machen sie zu einer guten Partie für einen ehrbaren jungen Mann aus guter Familie. Mama würde es begrüßen, wenn Aurora mit Euch und Cally nach England reisen könnte.«

Eine Schwägerin auf Männersuche? Valerian Hawkesworth runzelte die Stirn. Er wollte keine derartige Belastung auf seiner Hochzeitsreise und sagte ausweichend: »Ich werde mit Eurer Frau Mutter darüber reden. Selbstverständlich ist Miss Spencer-Kimberly auf Hawkes Hill immer willkommen.«

Sie erreichten das Haus, und zwei junge Männer eilten herbei, um ihnen die Pferde abzunehmen.

»Sind Eure Diener denn nicht schwarz?«, fragte der Herzog erstaunt.

»Unsere Hausdiener sind Leibeigene. Mama ist es lieber so. Nur wenige verlassen uns, wenn ihre Dienstzeit vorüber ist. Auf den Feldern und im Zuckerhaus arbeiten Sklaven. Ich habe auch einige zu Vorarbeitern ausgebildet oder sie mit denen im Büro anfallenden Tätigkeiten vertraut gemacht. Sie gehen mir gerne zur Hand und sind alle sehr vertrauenswürdig. Wir misshandeln unsere Leute auch nicht, wie so viele andere Pflanzer. Mein Vater hätte die Sklaven gerne befreit. Aber da das nicht möglich war, weil er es sich bei der großen Plantage nicht leisten konnte, tat er das nahe Liegendste, und behandelte sie wenigstens gut.«

»Ich verstehe«, sagte der Herzog und klopfte sich den Staub von Kniebundhose und Mantel.

»Kommt ins Haus, Valerian«, sagte George und wies ihm den Weg.

Die Empfangshalle verfügte über eine hohe Decke, wodurch der Raum schön kühl blieb. Sämtliche Holzarbeiten hatte man, genauso wie die Wände, in weiß gehalten. Es sah alles sehr einladend aus.

Valerian folgte George in einen hellen Raum mit gelbweiß gestreifter Tapete. Die Möbel waren aufwendig geschnitzt und bestanden aus Mahagoni, die Stühle und Sofas aus Rohrgeflecht. An den breiten Fenstern hingen keine Vorhänge, nur ziehharmonikaartig gefaltete Läden, ebenfalls aus Mahagoni. Auf dem hellen Pinienholzboden lag ein großer blaubeiger Orientteppich von feinster Qualität.

Drei Damen erwarteten sie. Die ältere, in schwarze, mit weißer Spitze abgesetzte Seide gekleidet, erhob sich lächelnd.

»Valerian, darf ich Euch meine Mutter Oralia Kimberly vorstellen?«, fragte George nun höflich und sagte dann an seine Mutter gewandt: »Mama, der Herzog von Farminster.«

Oralia reichte ihm die Hand zum Kuss. »Willkommen auf St. Timothy, Euer Gnaden.« Dann wies sie auf Aurora und Calandra. »Meine Töchter.«

Mit seinen dunkelblauen Augen maß Valerian rasch die beiden Mädchen. Das eine trug ein einfaches blaugraues Kleid und sah ihn beinahe herausfordernd an. Das andere war in ein weißes mit Rosenknospen bedrucktes Seidenkleid gewandet und hielt den Blick gesenkt. Es errötete, als seine Mutter es zu sich heranzog und mit den Worten vorstellte: »Das ist die Euch Versprochene, Euer Gnaden, meine Stieftochter Charlotte Calandra Kimberly.« Dann drängte sie das Mädchen: »Heiß den Herzog willkommen, mein Kind. Er kommt dafür von sehr weit her.«

Gehorsam blickte Calandra auf, und als sie den Mann ansah, der bald ihr Gatte werden sollte, formte ihr fein geschwungener Mund ein winziges »Oh!« der Begeisterung. Der Herzog war hinreißend gut aussehend! Sie reichte ihm die Hand, fragte mit leiser Stimme: »Habt Ihr eine gute Reise gehabt, Sir? Auch ich heiße Euch herzlichst auf St. Timothy willkommen«, und knickste.

Valerian nahm Calandras kleine feine Hand in seine, hob sie langsam an die Lippen, sah Calandra tief in die Augen und gab ihr einen Handkuss. »Euer Bruder erzählte mir, Ihr würdet bei Eurem zweiten Vornamen genannt, Miss Kimberly. Calandra, Herzogin von Farminster, klingt gut, findet Ihr nicht auch?« Daraufhin lächelte er sie so freundlich an, dass Calandra glaubte, gleich in Ohnmacht zu fallen.

Aber gerade noch rechtzeitig wurde sie von Aurora gezwickt, woraufhin sie tief durchatmete und, wie sie hoffte, unbeschwert erklärte: »Wenn Ihr das sagt, Euer Gnaden ... Seitdem ich von der Heiratsvereinbarung erfuhr, habe ich nicht einmal gewagt, daran zu denken, wie ich nach einer Vermählung mit Euch heißen würde. Es kam alles so überraschend.«

»Für mich auch«, entgegnete der Herzog, »aber nun, da ich mich in Eurer erlauchten Gesellschaft befinde, bin ich nicht mehr überrascht, sondern einfach nur überwältigt von der Schönheit meiner zukünftigen Gattin.«

»Oh«, brachte Calandra nur hervor, nachdem ihr das Kichern im Halse stecken geblieben war, weil ihre Stiefschwester sie vorsorglich noch einmal gekniffen hatte.

»Darf ich Euch nun meine Aurora vorstellen, Euer Gnaden?« Oralia nutzte die vorübergehende Sprachlosigkeit Calandras, um auch ihre eigentliche Stieftochter mit dem Herzog bekannt zu machen.

»Sir, ich kann mich dem Willkommensgruß meiner Schwester nur anschließen«, erklärte Aurora und sah den Herzog ganz unbefangen an. »Ich hoffe, es gefällt Euch auf St. Timothy.«

Der Herzog gab auch Aurora einen Handkuss und erwiderte: »Habt Dank, Miss Spencer-Kimberly. Hätte man mich entscheiden lassen, ob ich Euch oder Eure Schwester zur Frau nehmen sollte, hätte ich vor einer schweren Wahl gestanden.«

»Dann können wir uns ja glücklich schätzen, Sir, dass Euch die Wahl schon abgenommen wurde. So ist es doch für alle Beteiligten viel besser, nicht wahr?«

»Ihr seid äußerst schlagfertig, Miss Spencer-Kimberly.«

»Ja, in der Tat, Sir, das bin ich«, gab Aurora völlig unbeeindruckt zurück und dachte: Arroganter Bastard! Es war richtig, ihm Cally unterzuschieben. Sie wird ihm die bessere Gattin sein.

»Kommt und setzt Euch zu mir, Euer Gnaden«, nahm nun Oralia die Situation schnell wieder in die Hand, bevor sie ihr noch entglitt. »Hattet Ihr eine angenehme Reise?« Dann wandte sie sich an George: »Bitte Hermes, uns ein paar Erfrischungen zu bringen.«

George tat wie ihm geheißen war, und Oralia erklärte dem Herzog lächelnd: »Wir bereiten hier mit unserem eigenen Rum und Fruchtsaft ein wunderbares Getränk.« Sie bedeutete dem Herzog, sich neben sie aufs Sofa zu setzen und gab Calandra mit einem Nicken zu verstehen, neben ihm Platz zu nehmen.

Das junge Mädchen zitterte vor Aufregung, und Aurora beugte sich zu ihr hinunter und raunte ihr zu: »Beruhige dich, Cally. Schließlich ist er auch nur ein Mann. Und versuch um Gottes willen, das Gekichere zu unterlassen.«

Calandra, die den Blick nicht vom Herzog abwenden konnte, nickte. Er war so gut aussehend! Sie hätte eine Jahresernte Zuckerrohr verwettet, dass es Aurora jetzt Leid tat, mit ihr getauscht zu haben. Dieser Mann würde natürlich auf Kinder bestehen, aber dafür war später noch Zeit genug. Jetzt wollte sie sich erst einmal auf die angenehmen Seiten einer Verbindung mit ihm konzentrieren. Sie war sehr erstaunt, dass ihr das Glück in dieser Beziehung so hold gewesen war. Und zum ersten Mal in ihrem Leben bedauerte sie Aurora, die so einfach einen Herzog aufgegeben hatte.

Hermes brachte auf einem silbernen Tablett Limonade für die Mädchen und Rum-Früchte-Cocktail für die anderen.

Als man dem Herzog sein Glas reichte, stellt er erstaunt fest, dass das Getränk gekühlt war. »Wie ist denn das möglich?«

Begierig, sich in die Unterhaltung des Herzogs und ihrer Mutter einzumischen, erklärte Calandra atemlos: »Am Küchengebäude fließt ein Fluss entlang, in dem wir Rum, Fruchtsaft, Milch und Sahne in Krügen aufbewahren, um sie frisch zu halten. St. Timothy ist eine sehr gut geführte Plantage.«

»Das habe ich schon bemerkt, Miss Kimberly. Vielleicht reitet Ihr morgen mit mir aus, um mir den Besitz zu zeigen?«, fragte er hoffnungsvoll, aber auf Calandras hübschem Gesicht zeichnete sich Bestürzung ab.

»Ich kann nicht besonders gut reiten, Sir.«

»George und Aurora werden Euch die Insel zeigen«, sagte Oralia schnell. »Calandra muss sich vor der Sonne in Acht nehmen, Weil ihre Haut viel zu zart ist. Bei meinen leiblichen Kindern ist das ganz anders.«

»In England hat die Sonne nicht so viel Kraft«, entgegnete der Herzog und fuhr zu Calandra gewandt fort: »Ich werde Euch das Reiten schon noch beibringen, und dann gehen wir gemeinsam auf die Jagd. Würde Euch das gefallen?«

»Oh, ja!«, rief Calandra und tat begeistert, während sie im Stillen dachte: Lieber will ich sterben, als auf dem Rücken eines garstigen Pferdes übers englische Land geschaukelt zu werden.

Aurora, die die Unterhaltung verfolgt hatte, musste sich schwer zusammennehmen, um nicht laut zu lachen. Calandra hatte immer schon Angst vor Pferden gehabt, und Reiten war für sie eine echte Qual. Sie hasste es. Nun, das würde der Herzog noch früh genug erfahren. Doch Aurora bezweifelte, dass er darüber allzu enttäuscht wäre, denn auf lange Sicht wäre ihm Calandra eine hervorragende Gattin: eine angenehme Gesellschafterin und gute Zuchtstute. Mehr wollte er ja nicht. Da waren alle Männer gleich. Zumindest hatte ihr Vater das immer gesagt, und wenn das in Oralias Gegenwart geschehen war, hatte sie ganz betrübt dreingesehen.

Papa und ihre Stiefmutter hatten zwei Söhne verloren, bevor der Doktor, der damals noch in ihren Diensten stand, erklärt hatte, dass eine weitere Schwangerschaft Oralias Tod bedeuten würde. Kurz darauf war der Arzt nach England zurückgekehrt, allerdings nicht, ohne zuvor einen der Leibeigenen und einen Sklaven so weit in sein Können eingewiesen zu haben, dass die beiden den Bewohnern von St. Timothy zukünftig behilflich sein konnten.

»Aurora ist eine hervorragende Reiterin«, hörte Aurora nun ihre Mutter sagen. »Ich hätte gerne, dass sie Euch und Calandra nach England begleitet, sodass auch sie in die Gesellschaft eingeführt werden kann und vielleicht selbst einen Gatten findet. Sie verfügt über eine ordentliche Apanage und ist, wie Ihr seht, ein hübsches junges Mädchen. Außerdem könnte sie Calandra so Gesellschaft leisten und trösten. Meine Tochter hat die Insel noch nie verlassen, müsst Ihr wissen, und fürchtet sich womöglich ein wenig in der Fremde, Euer Gnaden.«

»Nennt mich doch Valerian, Ma’am«, sagte der Herzog und fuhr fort: »Selbstverständlich ist Miss Aurora auf Hawkes Hill mehr als willkommen, und meine Großmutter wird sicherlich entzückt sein, sie persönlich in die Gesellschaft einzuführen. Aber es wäre mir lieber, wenn Eure Tochter das nächste Schiff nimmt. Schließlich ist die Rückkehr nach England für Calandra und mich auch unsere Hochzeitsreise. Ihr werdet verstehen, dass ich diese Zeit lieber ganz allein mit meiner Braut verbringen möchte. Ich will auch nicht, dass Calandra sich fürchtet, aber wir brauchen einfach Zeit, um uns besser kennen zu lernen.«

»Könnt Ihr das nicht die nächsten Monate hier auf St. Timothy tun?«, fragte Oralia nun. »Wir lassen Euch sicherlich genügend Freiraum, Valerian.«

George, der befürchtete, der Herzog könnte dann womöglich hinter ihr Geheimnis kommen, blickte mit hochgezogener Augenbraue zu Aurora hinüber, während er auf Valerians Antwort wartete.

»Ich beabsichtige, mehr oder weniger umgehend nach England zurückzukehren, Ma’am«, erklärte dieser nun. »Die Royal George ist das modernste Passagierschiff, das zwischen England und den Westindischen Inseln verkehrt. Wenn wir bei ihrer Fahrt gen Osten nicht an Bord gehen, müssen wir mehrere Monate warten. Bis dahin hat hier die stürmische Jahreszeit begonnen. Ich denke, jetzt ist es für eine Reise nach England am günstigsten, und ich möchte, dass Calandras Überfahrt angenehm verläuft. In zweieinhalb Wochen wird die Royal George noch einmal vor St. Timothy anlegen, um uns an Bord zu nehmen. Ich habe mir erlaubt, Kapitän Conway zu bitten, den anglikanischen Geistlichen von Barbados gleich mitzubringen. Er wird Calandra und mich am Tag unserer Abreise hier im Haus vermählen. Dann vertraue ich auf Euch, dass Ihr den Priester nach Barbados zurückbringt, während wir nach England segeln.«

»Ach, du meine Güte!« Die Worte des Herzogs hatten Oralia sichtlich bekümmert.

Aber Calandra dachte bewundernd: Wie er alles in die Hand nimmt!

»Mir ist durchaus bewusst, Ma’am, dass das ein Schock für Euch ist. Aber Ihr müsst wissen, dass ich bis kurz nach dem Tode meines Großvaters letzten Herbst nichts von dieser Heirat wusste. Ich will die Jagdsaison nicht verpassen. Wenn Calandra und ich zurückkehren, fängt in England gerade der Sommer an. Dort ist es dann zwar nicht annähernd so warm wie hier, aber trotzdem wird sich Calandra so viel leichter an das Klima gewöhnen als im Winter. Außerdem gibt es mir die Gelegenheit, Calandra in die Gesellschaft einzuführen. Der Thronfolger, der Prince of Wales, ist ein feiner Kerl, und ich habe läuten hören, dass er bald heiratet. Es wird viele Festlichkeiten geben, und bis Calandra das erste Mal guter Hoffnung ist, wird sie viel Spaß haben.«

»Sie hat gar keine Garderobe für königliche Empfänge«, warf Oralia ein. »Wir hatten ja nicht einmal Zeit, ihr ein Brautkleid vorzubereiten.«

»In St. Timothy weiß man ohnehin nicht, was derzeit Mode ist«, antwortete der Herzog. »Ich lasse ihr in London eine ganz neue Garderobe schneidern, und auch eine für Miss Spencer-Kimberly, die fertig sein wird, wenn sie einen Monat später nachkommt.«

Mit großen Augen sah Oralia den zukünftigen Gatten ihrer Tochter an, und er tätschelte ihr tröstend die Hand. »Ihr braucht Euch nicht zu grämen, Ma’am. Ich werde schon gut auf Eure Tochter aufpassen. Schließlich wird sie die Herzogin von Farminster.«

Calandra sprang auf und klatschte begeistert in die Hände. »O ja, Mama! Stell dir doch bloß mal vor! Eine ganz neue Garderobe für mich und auch eine für Aurora! Und zwar nach der neuesten Londoner Mode!« Dann wandte sie sich an den Herzog. »Werde ich auch wunderschöne Juwelen haben, Sir? Und eine Kutsche mit vier Pferden? Und eine Magd, die meiner Sally zur Hand geht? Werden wir auch zum Pferderennen gehen? Und bekomme ich ein bisschen Geld zum Wetten?«

»Calandra!« Entsetzt über den Ausbruch ihrer Tochter, deren sonst so blasse Wangen vor Aufregung rosa verfärbt waren, brachte Oralia kaum ein Wort heraus.

Auch Aurora und George, die Calandra noch nie so begeistert gesehen hatten, waren überrascht und wussten nicht, ob sie nun lachen oder weinen sollten.

Aber da erfüllte schon Valerian Hawkesworths tiefes kehliges Lachen den Raum, während er dachte, was für ein bezauberndes Mädchen nun bald seine Gattin würde. Dass sich sein verstorbener Vater derart in sein Leben eingemischt hatte, war vielleicht doch nicht so verkehrt gewesen.

Valerian erhob sich vom Sofa, nahm Calandras Hände und lächelte nachsichtig zu ihr hinunter. »Ja, meine teure Calandra«, sagte er dann, sie die Etikette vernachlässigend beim Vornamen nennend. »Ihr sollt alles von mir haben, was Euer kleines Herz begehrt, und noch mehr. Das verspreche ich Euch!«

Er hat Calandra zu mir gesagt, dachte Calandra und flüsterte entzückt: »Oh, Valerian!« Dann sah sie einen Augenblick zu ihm auf, bevor sie die dicht bewimperten Lider wieder über ihre leicht erröteten Wangen senkte und erklärte: »Solange Ihr nur bei mir seid, werde ich vor nichts Angst haben.«

George musste schwer an sich halten, um nicht in schallendes Gelächter auszubrechen, während Aurora ungläubig die Augen verdrehte.

Dann hob Calandra erneut die Lider, und der Blick ihrer haselnussbraunen Augen ruhte glänzend auf dem Herzog, während sie ihn fragte: »Möchtet Ihr jetzt vielleicht unseren Garten sehen?«

»Was für eine wundervolle Idee!«, griff Oralia den Vorschlag ihrer Tochter auf. »Ich rufe sogleich Sally herbei, damit sie dir einen Hut und deine Handschuhe bringt, mein Kind.« Sie erhob sich, sagte: »Kommt, Aurora, George, wir wollen die beiden allein lassen.«

Daraufhin eilte sie aus dem Salon, dicht gefolgt von ihrem Sohn und ihrer Stieftochter. Als sie außer Hörweite waren, äffte Aurora Calandra nach: »Oh, Sir, Ihr habt mein Herz gestohlen!«, und klimperte zu George gewandt wie wild mit den Wimpern.

»Durchaus, Miss Kimberly, durchaus!«, antwortete George, gab Aurora geräuschvoll schmatzend einen Handkuss und ließ sie sich einmal um sich selbst drehen.

»Hört auf damit!«, schimpfte Oralia.

»Aber Cally benimmt sich so albern!«

»Sie ist ein junges unerfahrenes Ding, Aurora, und folgt nur ihrem Herzen. Der Herzog hat sie überwältigt, und ich glaube, dass auch er Gefallen an ihr gefunden hat, wofür ich dem lieben Gott sehr dankbar bin. Besonders«, und an dieser Stelle senkte sie die Stimme, »wenn ich bedenke, was ihr getan habt. Ich kann nur hoffen, Aurora, dass du es nicht schon bereust.«

»Keineswegs, Mama. Dem Herzog gefällt Cally ganz gut, und ich finde ihn arrogant und abstoßend.«

»In England wird er dein Gastgeber sein, dann musst du dich mit ihm arrangieren«, wandte Oralia ein und rief gleich darauf entsetzt aus: »Oje, du kannst ja gar nicht allein nach England reisen!«

»Martha wird doch bei mir sein, Mama.«

»Nein, nein! Das reicht nicht, mein Kind. Martha ist eine Dienerin. Keine ehrenwerte junge Frau aus guter Familie reist nur in Begleitung ihrer Zofe.«

»Ich würde mich genauso glücklich schätzen, hier zu bleiben, Mama.«

Aber Oralia schüttelte den Kopf. »Auch du musst irgendwann einen Gatten finden, Aurora. Die meisten Pflanzersöhne hier in der Gegend sind zügellos und poussieren mit ihren Sklavinnen. Wenn du auf St. Timothy bleibst, hast du selbst bei deiner Mitgift und Apanage nur eine geringe Auswahl. Auch die männlichen Erben der anderen Inseln gehen in England und Frankreich auf Brautschau. Dort ist ihr ausschweifender Lebenswandel nicht bekannt. Nein, Aurora, du musst nach England, um einen Gatten zu finden. Dort wird es schon einen gut erzogenen Baronet geben, dem dein kleines Vermögen akzeptabel genug erscheint.« Oralia hielt einen Augenblick inne, um nachzudenken, bevor sie fortfuhr: »George wird dich begleiten! Das ist die Lösung! Es ist schicklich genug, in Gesellschaft seines älteren Bruders zu reisen. Und vielleicht findet ja auch George in England eine nette junge Frau. Wir müssen den Herzog fragen, ob er weiß, welches Schiff nach der Royal George nach England segelt, und dafür sorgen, dass die Überfahrt für euch beide gebucht wird.«

»Wenn ich so früh abreise, ist die Ernte noch nicht eingebracht«, wandte George ein. »Und wer, zum Teufel, überwacht dann das Pflanzen der Setzlinge? Ich kann jetzt nicht weg, Mama! Außerdem hat mich Valerian gebeten, als sein Geschäftsführer und Aufseher hier zu bleiben. Ich habe Verpflichtungen ihm gegenüber.«

»Du hast eine größere Verpflichtung deiner Stiefschwester gegenüber«, antwortete seine Mutter. »Auch sie verdient ihre Chance!«

»Ich muss Cally doch nicht auf dem Fuß nach England folgen, Mama«, gab Aurora nun zu bedenken. »Lass sie und den Herzog sich doch erst einmal an ihr Eheleben gewöhnen. Dann kann George auch die Ernte einbringen und das Pflanzen überwachen. Wir können im Spätherbst immer noch nach England reisen. Es dauert dann mehr als ein Jahr, bevor die nächste Ernte ansteht, und George hat genug Zeit, in London dem Müßiggang zu frönen. Und ich werde wunderbare Wochen bei Cally verbringen, bevor wir zur nächsten Ernte nach St. Timothy zurückmüssen«, erklärte Aurora und fügte lächelnd hinzu: »Ist diese Idee nicht viel besser, Mama? Lass den Herzog Cally erst einmal nach England mitnehmen und in ihr neues Leben einführen, ohne dass wir uns da einmischen. Er wird seinen neuen Verwandten kaum wohlgesinnt sein, wenn wir ihn gleich überfallen.«

»Aber bis dahin bist du schon fast achtzehn!«, kam Oralias schwacher Einwand.

Aurora lachte. »Oh, Mama, ich bin sicher, dass auch dann noch jemand bereit ist, über mein hohes Alter hinwegzusehen, wenn er dafür meine Mitgift haben kann.«

»Du bist einfach unmöglich! Ich frage mich, ob du jemals einen Mann findest, der es mit dir aushält«, schimpfte Oralia, lächelte aber dabei.

»Ich würde ohnehin lieber bei dir auf St. Timothy bleiben.«

»Das geht nicht«, sagte Oralia und wandte sich dann an ihren Sohn: »Wie gefällt dir denn Auroras Idee, George?«

»Ganz gut, Mama, ganz gut.«

»Dann ist es also beschlossene Sache?«, wollte Aurora wissen, und die beiden nickten.

Paradies der Sehnsucht

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