Читать книгу City Vampire - Beth St. John - Страница 4

Kapitel 1

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Geschmeidig wie eine Raubkatze kletterte die ganz in schwarz gekleidete Gestalt an der Feuerleiter hinauf. Sie verursachte nicht das leiseste Geräusch und nur wer sehr genau hinsah, bemerkte ihren zierlichen Schatten an der Wand. Geschickt schwang sie einen Fuß auf das Dach des Hauses und zog dann den Körper hinauf. Vorsichtig schlich die schier unsichtbare Erscheinung über die Dachziegel bis an den gegenüberliegenden Rand. Kurz hielt sie inne und lauschte, doch einzig die Geräusche der Nachtvögel hallten durch die Stille. Niemand hatte sie bemerkt. Die filigrane Gestalt nahm ein Seil, an dessen Ende eine Art übergroßer Angelhaken befestigt war, von ihrem Gürtel. Sie schwang den Haken einige Male und nahm genau Maß, dann ließ sie ihn fliegen. Mit einem leisen Kratzen landete der Haken an seinem Ziel. Sie zog am Seil, um die Festigkeit zu prüfen. Es gab keinen Millimeter nach. Dann schwang sie das andere Ende des Seiles einige Male um den Schornstein des Dachs, auf dem sie stand. Schließlich hängte sie eine Handrolle ein, umfasste die Griffe zu beiden Seiten, trat über den Rand und ließ sich elegant hinübergleiten. Lautlos setzte sie einen Fuß auf die Brüstung des Balkons auf der anderen Seite. Einen kurzen Moment hielt sie inne, um durchzuatmen und ihre Konzentration zu sammeln, dann nahm sie ihren Rucksack vom Rücken und holte ihr Werkzeug heraus. Vorsichtig setzte sie den Dietrich in das Schloss der Balkontür und bewegte ihn sachte hin und her, bis er eingerastet war. Behutsam drehte sie den Schließmechanismus im Zylinder, bis ein leises Klicken erklang und ihr signalisierte, dass sie es geschafft hatte. Geräuschlos glitt die Tür zur Seite auf. Die ganz in schwarz Gekleidete stand im Schlafzimmer. Es war ordentlich verlassen worden, das große Doppelbett thronte in der Mitte des teuer eingerichteten Raums. Die Bewohner waren ausgegangen in dieser Nacht. Die nächtliche Besucherin wusste das freilich, denn sie hatte genauestens recherchiert. Es blieb jetzt noch etwa eine Stunde Zeit, dann kämen sie zurück. Doch bis dahin würde sie längst wieder fort sein, verschwunden im Schutz der Nacht.

Sie schlich zur Tür des Schlafzimmers hinaus in einen weitläufigen Flur. Zu ihrer Rechten lagen ein Gästezimmer und ein Bad, das wusste sie. Ihr Ziel jedoch war das Erdgeschoss. Im Dunkeln huschte sie die Treppe hinab, durchquerte die großzügige Eingangshalle und gelangte linker Hand in den Raum, den sie suchte. Da ist es, dachte sie, und ihr Herzschlag beschleunigte sich. Im Esszimmer hing es, direkt an der Kopfseite eines langen Tisches, in einem schrecklich kitschigen Rahmen, der jedoch der Schönheit des Gemäldes keinen Abbruch tat. Vorsichtig nahm sie das Bild von der Wand. Sie zückte ein scharfes Messer und löste das Kunstwerk vorsichtig aus dem Rahmen heraus. Sie rollte es zusammen, verstaute es sorgfältig in einer Hülle und hängte es sich wie einen Köcher über den Rücken.

Gerade hatte sie den Fuß der Treppe erreicht, als der Sturm losbrach. Ein markerschütterndes Geheul erklang, als der Alarm ausgelöst wurde, ein Geheul, das schier den Verstand lähmte.

Doch die schemenhafte Gestalt verharrte nur den Bruchteil einer Sekunde, dann setzten ihre Instinkte und ihre Routine ein. Flink wie ein Wiesel floh sie die Treppe hinauf, ins Schlafzimmer, hinaus auf den Balkon. Sie ergriff das straff gespannte Seil, umfasste es mit den Händen und schlang die Füße darum. Hand um Hand, Fuß um Fuß näherte sie sich dem rettenden Dach auf der anderen Seite, während das Martinshorn eines sich nähernden Streifenwagens durch die nächtlichen Straßen hallte und den Alarm zu übertönen begann. Die Gestalt war auf der anderen Seite angelangt, schwang sich hinauf auf das Dach und rannte geduckt davon.

Doch sie war einen Augenblick zu spät.

„He, Sie da! Stehenbleiben!“ Ein zweiter Streifenwagen war angekommen und ein aufmerksamer Polizist hatte den über die Dächer huschenden Schatten bemerkt. Der Lichtkegel einer Taschenlampe erfasste ihre Silhouette, doch sie verharrte nicht. In geduckter Haltung und mit der Geschmeidigkeit einer Raubkatze lief sie weiter, immer weiter.

Sie hörte, wie der Mann mit der Taschenlampe eine Feuerleiter erklomm und ihr hinauf auf das Dach folgte. Sie konnte jetzt nicht hinab, sie musste auf den Dächern bleiben. Am Dachfirst entlang rannte sie, bis sie am Ende angelangt war. Das Nachbarhaus war nicht allzu weit, sie konnte es schaffen. Sie nahm den Schwung ihres Laufs und die Kraft ihrer Beine und sprang beherzt, denn einen anderen Ausweg gab es nicht. Kurz gerieten die Ziegel unter ihren Füßen ins Rutschen, doch es gelang ihr, das Gleichgewicht zu halten. Sie warf einen Blick über die Schulter. Der Polizist folgte ihr, wenn auch nicht so geschickt. Er würde sich durch den Sprung nicht aufhalten lassen.

Der Streifenwagen verfolgte sie von unten, folgte der Straße, die von den Häusern gesäumt war, über deren Dächer sie lief. Für einen kurzen Moment überfiel sie die Panik. Sie konnte nicht ewig hier oben weiterlaufen. Irgendwann würde das nächste Dach zu weit entfernt sein.

Ihre Augen brannten im kühlen Nachtwind, der zwischen den Schornsteinen hindurch fegte. Sie kniff sie zusammen, versuchte gleichmäßig zu atmen und rannte weiter. Ihr Herz zog sich schmerzhaft zusammen. Es war soweit, das Dach endete in wenigen Metern und das nächste war weit weg – zu weit zum Springen.

Die Fliehende ging ihre Optionen durch, in Sekundenbruchteilen zogen verschiedene Ideen durch ihren Kopf. Sie konnte kapitulieren und man würde sie verhaften. Sie könnte versuchen hinunter zu springen, doch würde sie sich wahrscheinlich sämtliche Knochen im Leib brechen, und dann war da auch noch der Streifenwagen. Oder sie konnte versuchen, das andere Dach zu erreichen. Hinüber zu springen. Wahrscheinlich würde sie stürzen. Aber vielleicht auch nicht – vielleicht genügte der Schwung, vielleicht genügte ihre Kraft. Es war der einzige Ausweg. Sie musste es riskieren.

Der Polizist hinter ihr schrie irgendetwas. Er sah, was sie vorhatte und erkannte den Wahnsinn dieses Unterfangens. Doch die Gestalt achtete nicht auf ihn. Sie würde nicht ins Gefängnis gehen, niemals.

Sie nutzte die letzten Meter, um noch einmal Schwung zu holen, und konzentrierte sich auf den richtigen Absprungpunkt. Zentimeter konnten darüber entscheiden, ob sie es schaffte oder fiel.

Sie sprang mit aller Kraft ab und flog durch die Luft. Sie schloss für einen Moment die Augen, um sich nicht der gähnenden Leere unter sich bewusst zu werden. Als sie sie wieder öffnete, war sie fast auf der anderen Seite angelangt.

Aber nur fast.

Krachend landete ihr Oberkörper auf den Ziegeln, während ihre Beine unter ihr baumelten und ihre Füße verzweifelt nach Halt an der glatten Wand suchten. Der Polizist stand am Rande des anderen Dachs und beobachtete mit schreckgeweiteten Augen, was sich da vor ihm abspielte. Die Gestalt hörte ihn wieder rufen: „Halten Sie sich fest, wir holen Sie da runter!“

Oh nein, das würden sie nicht tun. Sie würde es nicht zulassen.

Dachziegel rutschten herab, als ihre Finger nach Halt suchten und zerschellten klirrend auf dem Asphalt. Sie bekam etwas zu fassen, etwas, das nicht nachgab, und zog mit aller Kraft ihren Körper nach oben. Adrenalin rauschte in ihren Ohren und setzte Kräfte frei, derer sie sich bislang nie bewusst gewesen war. Es gelang ihr, einen Fuß hinauf zu schwingen. Sie rollte sich über die Seite und blieb kurz auf dem Rücken liegen.

Sie hatte es geschafft. Sie war noch am Leben.

Der Polizist im Streifenwagen bekam davon nichts mit. Er war viel zu sicher gewesen, dass sie abstürzen würde, wahrscheinlich rief er gerade einen Krankenwagen. Oder direkt den Leichenbeschauer. Sein Kollege oben auf dem Dach schrie und gestikulierte wild, doch verhallten seine Rufe ungehört, wurden verschluckt vom Geheul des noch immer ertönenden Martinshorns. Der dunklen Gestalt war es recht. Sie stand auf, rannte mit neuer Kraft zum hinteren Rand des Dachs, sprang über einen sehr kleinen Spalt zum nächsten Haus und suchte dann dessen Wände ab. Es gab eine Feuerleiter, die in den Hinterhof führte. Dann glitt sie die Leiter hinab und rannte über den Hinterhof, kletterte über einen Zaun, durchquerte einen Garten, dann noch einen weiteren. Sie rannte, bis ihre Lungen zu bersten drohten und ihr Kopf so wild hämmerte, dass sie nicht mehr klar denken konnte. Erst dann blieb sie stehen.

Sie hatte es geschafft. Sie war entkommen. Sie nahm die Hülse ab, die sie noch immer bei sich trug, und schraubte sie auf. Da war es, das Gemälde, sicher und heil. Sie schraubte den Deckel wieder zu.

Das war das letzte Mal, so schwor sie sich. Noch niemals zuvor war es so knapp gewesen, es war an der Zeit, aufzuhören. Dann verschwand sie im Dunkel der Nacht.

City Vampire

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