Читать книгу City Vampire - Beth St. John - Страница 8
Kapitel 5
ОглавлениеDas Gewitter war in vollem Gange, als Elaine nach Hause fuhr. Sie ließ ihrer Verzweiflung freien Lauf und heiße Tränen rannen ihr Gesicht hinab. Sie hatte geglaubt, all das endlich hinter sich lassen zu können. Elaine hatte nie eine Wahl gehabt. Als sie gerade achtzehn Jahre alt war, kamen ihre Eltern bei einem Verkehrsunfall ums Leben und sie hatte sich von da an allein um den erst zehnjährigen Mathis kümmern müssen. Da sie Geld brauchten und der Junge zur Schule gehen musste, nahm sie jeden Job an, der sich ihr bot. Neben dem Kellnern jobbte sie morgens im Musée de l´Orangerie, einem der kleinsten aber schönsten Museen von Paris mit einer feinen Sammlung zahlreicher Vertreter des Impressionismus. Sie saß als Aufsicht in einem der Räume und beobachtete die Besucher, wie sie die Gemälde von Cézanne und Monet bestaunten. Eines Tages lernte sie den charismatischen Victor kennen. Er schien sich nicht nur für die Kunstwerke zu interessieren, sondern auch für sie. Obwohl er deutlich älter war als Elaine, konnte sie seinem Charme nicht widerstehen und war fasziniert von seinem Wissen und seiner Erfahrung. Es dauerte nicht lange, bis sie erfuhr, womit er seinen luxuriösen Lebensstil unterhielt: Er war ein Dieb. Ein Kunstdieb, um genau zu sein. Er war gut, zählte jedoch nicht zu den Besten seines Fachs. Doch Elaine war jung und begeistert von dieser aufregenden Welt, in der Victor lebte. Sie sah eine Chance, die sich ihr bot, und so lernte sie alle seine Tricks und Techniken. Victor war ein guter Lehrer und durch ihr natürliches Geschick war sie schon bald um ein Vielfaches besser als er. Als Victor zwei Jahre später aus dem Geschäft ausstieg, trennten sich ihre Wege, doch Elaine blieb in der Branche. Sie übernahm einige Aufträge von Victors ehemaligen Auftraggebern und wurde zu einer der besten Kunstdiebinnen ihrer Zeit.
Vor einem Jahr jedoch beschloss Elaine auszusteigen – das Geschäft wurde mit der Zeit einfach zu heiß. Bei ihrem letzten Job wäre sie um ein Haar geschnappt worden. Was würde dann aus Mathis? Außerdem war sie sparsam gewesen und hatte ein wenig Geld beiseitegelegt. Es war kein Vermögen, reichte aber, damit sie und ihr Bruder die nächsten paar Jahre ein Polster für Notfälle hatten, um schlechte Zeiten zu überbrücken. Sie nahm eine Stelle als Kellnerin an und ließ ihre Vergangenheit hinter sich – bis heute.
Als Elaine vor dem kleinen Häuschen ihrer Eltern angekommen war, in dem sie mit Mathis noch immer lebte, blieb sie noch eine ganze Weile im Wagen sitzen. Der Regen prasselte laut auf das Dach, doch das Geräusch hatte etwas Beruhigendes an sich, etwas normales. Man konnte nichts dagegen tun, es nur annehmen und abwarten, bis die Wolken vorübergezogen waren. Und die Natur war so viel stärker als man selbst. Zuweilen empfand es Elaine als überaus angenehm, sich auf diese Weise treiben zu lassen, sich einfach den Dingen zu ergeben, die man ohnehin nicht ändern konnte. Sie fühlte sich dann als ein Teil davon, vielleicht sogar als Teil des großen Ganzen. Es nahm die Sorgen fort.
Als der Regen schließlich nachließ, stieg sie endlich aus und ging hinein. Elaine schaltete alle Lichter an, denn sie fühlte sich schrecklich allein. Sie konnte sich nicht daran erinnern, je ohne ihren Bruder gewesen zu sein. Sie war nie mit Freundinnen in den Urlaub gefahren oder zum Tanzen ausgegangen, der kleine Mathis hatte sie immer gebraucht. Und sie war da gewesen. Sie würde auch diesmal für ihn da sein. Sie würde tun, was man von ihr verlangte.
Elaine setzte sich an den hölzernen Küchentisch und betrachtete den braunen, unscheinbaren Umschlag in ihrer Hand. Vorsichtig öffnete sie das durch den Regen aufgeweichte Papier und zog die Unterlagen, die darin waren, heraus. Auf dem obersten Blatt stand eine Adresse – Elaine kannte die Gegend. Sehr vornehm. Der Eigentümer der Villa war ein gewisser Laurent Fournier. Elaine hatte noch nie von ihm gehört, obwohl sie die Namen der meisten Kunstsammler kannte – nicht nur in Paris. Das war so etwas wie eine Berufskrankheit. Entweder besaß der Mann keine nennenswerten Stücke oder er verstand es, im Verborgenen zu bleiben, überlegte sie.
Elaine fand den Grundriss seines Hauses und betrachtete ihn eingehend. Es war eine im klassischen Stil der Renaissance erbaute Villa, ein prachtvolles, großes Gebäude mit Giebeln, Erkern und einem Vorbau, der auf Säulen ruhte. Elaine schnalzte mit der Zunge. Dieser Fournier war offensichtlich wohlhabend. Auf einem weiteren Blatt standen Informationen und Typenbezeichnung zu der eingebauten Alarmanlage. Dieser Jerome, so widerlich er sein mochte, hatte die Wahrheit gesagt. Sie würde sie leicht ausschalten können. Erstaunlich, dass das Haus nicht deutlich besser gesichert war. Wer würde in einer teuren Villa wohnen und wertvolle Gegenstände sammeln, jedoch an den Sicherheitsmaßnahmen sparen?
Das wirklich Interessante jedoch war, was sie stehlen sollte: Ein Porträt der Königin Blanka. Elaine glaubte zunächst, sich verlesen zu haben. Aber nein. Es stand wirklich dort, schwarz auf weiß. Erstaunt zog Elaine die Augenbrauen hoch. Blanka war eine beeindruckende Persönlichkeit gewesen, ohne Frage. Blanka, die Glänzende, dachte Elaine. Sie musste eine Frau mit großer Ausstrahlungskraft gewesen sein, schließlich war sie die erste weibliche Regentin Frankreichs. Blanka zeigte in ihrem Leben eine erstaunliche Durchsetzungskraft, so hieß es. Bereits als Kind von zwölf Jahren wurde sie von ihrer Heimat Kastilien nach Frankreich geschickt, um dort im Jahre 1200 den Thronfolger zu heiraten. Durch ihre Eltern sowohl mit dem französischen als auch mit dem englischen Königshaus verwandt, sollte sie eine Friedensstifterin in den Streitigkeiten dieser beiden Länder sein. Als spätere Königin von Frankreich hatte Blanka es verstanden, die Position des französischen Königtums gegenüber dem englischen zu festigen. Ihr Mann Ludwig VIII., mit dem sie 1223 zusammen gekrönt worden war, starb bald in einem Kreuzzug. Als Witwe führte sie dann erfolgreich die Regentschaft für ihren kleinen Sohn Ludwig IX., der mit dem Beinamen der Heilige in die Geschichtsbücher eingehen sollte. Er hatte vieles seiner mutigen Mutter Blanka zu verdanken und hatte sie auch Zeit ihres Lebens und über ihren Tod hinaus hoch geschätzt. Seine Regentschaft bedeutete für Frankreich ein goldenes Zeitalter – denn obwohl Blanka sich nach seinem Amtsantritt aus der Politik zurückzog, war ihr guter Einfluss nach wie vor groß. Vor allem, so die Geschichte, sei sie stets darauf bedacht gewesen, für die Armen im Land zu sorgen – kaum verwunderlich, schließlich war ihr Onkel König Richard Löwenherz. Schon ihre Zeitgenossen hatten erkannt, dass Blanka zu den stärksten und politisch ambitioniertesten Frauengestalten ihrer Epoche zählte und sie war heute nach wie vor eine der herausragenden Frauengestalten in der mittelalterlichen Geschichte Frankreichs. Als faktisch erste weibliche Regentin des Landes wurde sie stets als Segen für das Jahrhundert bezeichnet.
Blanka war also eine große Persönlichkeit gewesen, das war Elaine klar. Doch der Wert eines Gemäldes wurde in der Regel dadurch bemessen, wer es gemalt hatte und wann – und nicht, wen es zeigte. Und soweit Elaine wusste – und sie wusste dank Victor sehr viel über Kunst – hatte kein bekannter Maler sie je portraitiert. Es musste also ein eher unbekanntes und damit nicht außergewöhnlich wertvolles Gemälde sein. Was sollte das? Warum ging dieser Jerome ein solches Risiko ein, um in dessen Besitz zu gelangen? Elaine drehte den Gedanken im Kopf hin und her, bis sie ihn von allen Seiten betrachtet und doch keine Lösung gefunden hatte. Sie kam zu dem Schluss, dass es keinen Sinn machte, sich weiter das Hirn darüber zu zermartern. Wer konnte schon wissen, was einen gefährlichen Kriminellen zu seinen Taten trieb? Elaine hielt kurz inne. Naja… kriminell war sie auch gewesen, lange Zeit sogar. Aber sie war nicht wie Jerome Roussaux. Sie hatte nie mit dem Leben eines anderen Menschen gespielt. Niemals jemanden bedroht oder in Gefahr gebracht. Nein, sie hatte rein gar nichts gemeinsam mit diesem Erpresser.
Elaine schob die Gedanken an Jerome und seine Beweggründe beiseite; es ging sie nichts an. Ihr Job war es, das Bild zu beschaffen. Der Rest war seine Angelegenheit.
Sie legte die Unterlagen beiseite und ging hinüber ins Bad. Dort drehte sie den Wasserhahn an der Badewanne auf. Es war wichtig, dass sie zur Ruhe kam, sich ein wenig entspannte. Der morgige Tag würde anstrengend werden – und nicht nur der morgige. Mathis’ Leben hing davon ab, dass sie ihre Aufgabe gut erledigte. Plötzlich schossen ihr Tränen in die Augen. Sie hatte geschworen, immer gut auf ihren kleinen Bruder aufzupassen und nun war er in Lebensgefahr. Wegen ihr, wegen dem, was sie früher getan hatte. Wenn ihm etwas zustieß, war das allein ihre Schuld.
Elaine atmete tief durch und versuchte, sich zu beruhigen. Sie hob den Kopf und starrte ihr Spiegelbild an. Ihre Augen waren gerötet von den Tränen, die noch immer darin brannten und unbedingt heraus wollten, ihr Haar feucht vom Regen, dem sie nicht gänzlich hatte entgehen können. Mit einem Ruck stieß sie sich vom Waschbecken ab und ging zurück zur Wanne. Sie streifte ihre Kleidung ab und ließ sich langsam in das heiße Wasser gleiten. Die Wärme umschloss sie, hüllte sie ein, und sie spürte, wie ihre angespannten Muskeln sich ein wenig entspannten. Sie war gut in diesem Job. Ein wenig aus der Übung vielleicht, aber mit Sicherheit noch immer eine der Besten. Sie würde diesen Job professionell erledigen und Mathis wohlbehalten zu ihr zurückkehren – ganz sicher.