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Kapitel 2

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Ein Jahr später.

Elaine pfiff leise vor sich hin, während sie den Tresen abwischte. Noch eine Stunde, dann hatte sie endlich Feierabend. Sie wollte sich und Mathis heute etwas Besonderes zum Abendessen kochen, hatte sie beschlossen. In letzter Zeit hatte sie oft so lange gearbeitet, dass sie sich nur kurz vor dem Zubettgehen gesehen hatten. Aber heute Abend hatte sie frei und das würde sie zu nutzen wissen! Eine kleine Glocke ertönte und kündigte das Eintreten eines Gasts an. Elaine warf einen schnellen Blick auf die Uhr und seufzte. Er war heute früher dran als sonst.

„Hallo Süße“, rief die bekannte Stimme ihr entgegen. „Schenk mir einen Kaffee ein, ja?“

Elaine nickte ihm zu Begrüßung kurz zu und nahm eine Tasse aus dem Regal. Sie stellte die Tasse auf dem Tresen ab und goss die dampfende, dunkelbraune Flüssigkeit aus der Kanne hinein.

„Was darf’s denn heute sein, Pierre?“, fragte Sie höflich, doch distanziert.

„Nach wie vor hätte ich am liebsten dich“, sagte der Mann, und seine Stimme klang schmierig.

„Und nach wie vor stehe ich nicht auf der Speisekarte“, entgegnete Elaine routiniert. Pierre war nervtötend und er kam jeden Tag um fast dieselbe Zeit nach seiner Arbeit hierher. Aber Elaine nahm es gelassen. Eigentlich war er harmlos, hatte bloß eine große Klappe. Er war Vorarbeiter in einer Tischlerei und mochte um die fünfzig sein. Und um ehrlich zu sein, gab es wirklich schlimmere Typen auf dieser Welt.

„Ich nehme ein Omelette“, sagte Pierre etwas enttäuscht und musterte Elaine, wie er es immer tat, als würde er sie zum ersten Mal sehen. Elaine war eine ausgesprochen hübsche junge Frau. Das dunkelblonde Haar war voll und fiel ihr in sanften Wellen über die Schultern. Ihre Augen waren von einem satten dunkelblau wie der tiefe Ozean und sie wurden von dichten dunklen Wimpern umrahmt. Zwar betrieb sie keinen besonders großen Aufwand um ihr Äußeres, was sie im Grunde aber noch attraktiver machte. Sie war eine natürliche Schönheit, die nicht viel Make-up brauchte, um aufzufallen. Die zarten Sommersprossen auf ihrer Nase machten ihr ansonsten ebenmäßiges Gesicht noch interessanter. Und dank ihrer schlanken Figur sah sie in jedem Kleidungsstück gut aus – selbst wenn sie einen Kartoffelsack getragen hätte, würde Pierre ihr hinterher starren.

Elaine ging zur Durchreiche und schob einen Zettel auf die andere Seite. Ein kleiner, leicht untersetzter Mann mit beginnender Glatze streckte ihr den Kopf entgegen.

„Ich schmeiße ihn für dich raus, wenn du willst“, sagte er mit einem Seitenblick auf Pierre. „Ganz ehrlich, ich weiß nicht, wie du das jeden Tag aushälst.“ Er rollte mit den Augen.

Elaine musste grinsen. Henri war ihr Chef, ihm gehörte das Café. Er war ein herzensguter Kerl, sie mochte ihn sehr. Er bezahlte anständig und nahm seine Angestellten in Schutz. Und wenn ein Kunde sich danebenbenahm – was zum Glück nicht häufig vorkam, denn es war ein Café und kein Nachtlokal – dann setzte er ihn vor die Tür.

„Ach, lass ihn“, entgegnete sie lächelnd. „Er ist doch schließlich ein Stammkunde von dir. Ich komme schon damit klar.“

„Aber sollte er jemals versuchen, dich zu begrapschen, sagst du es mir, in Ordnung? Dann fliegt er raus!“

Elaine nickte grinsend. „Alles klar.“

Kurz darauf servierte sie Pierre ein goldgelbes, duftendes Omelette und überhörte wie gewohnt seine anzüglichen Bemerkungen. Dann begann Elaine die Tische im hinteren Bereich abzuwischen. Sie war wirklich gerne hier. Ihr war schon klar, dass sie bloß eine Kellnerin war – und sicherlich hätten die meisten Menschen ihr dazu geraten, doch die Abendschule zu besuchen, dann zu studieren und irgendetwas aus ihrem Leben zu machen. Doch diese Leute verstanden nicht, wie sehr sie genau das hier genoss. Es war so normal, so beständig, so sorglos. Sie mochte ihren Chef und die meisten Gäste. Sie bekam Urlaub, wenn sie ihn brauchte und hatte ihr festes Gehalt an jedem Monatsende auf dem Bankkonto. Sie hatte alles, was nötig war, um glücklich zu sein.

Als die Uhr fünfmal schlug, nahm sie ihre Schürze ab und hängte sie ordentlich weg. Sie schnappte sich ihre Handtasche und steckte den Kopf in die Küche. „Henri? Ich bin dann weg, okay?“

Henri lugte hinter einem riesigen Topf hervor und nickte ihr zu. „In Ordnung. Grüß Mathis von mir.“

„Natürlich.“ Sie ließ die Küchentür hinter sich zu schwingen, nickte Pierre noch einmal zu und verließ das Café.

Langsam schlenderte sie durch die Straßen des frühabendlichen Paris. Sie wollte noch einen kleinen Abstecher zum Markt machen und ein paar Kleinigkeiten einkaufen. Sicherlich würde Mathis schon auf sie warten. Sie freute sich auf ihn, denn ihr jüngerer Bruder und sie standen sich sehr nah. Elaine war mehr eine Mutter für ihn denn eine Schwester, hatte sie ihn doch die letzten Jahre ganz alleine großgezogen. Jetzt war er sechzehn und schon fast ein junger Mann mit einer Menge Flausen im Kopf. Trotzdem wirkte er verantwortungsbewusster und loyaler als viele seiner Altersgenossen.

Der Marché les Enfants Rouges lag versteckt in einer ruhigen Ecke des Marais Arrondissements. Der älteste überdachte Lebensmittelmarkt von Paris wurde bereits 1629 gegründet und nach einem Hospiz für Waisen benannt, das für seine roten Uniformen bekannt war. Heute konnte man hier nicht nur frische Lebensmittel kaufen, sondern auch internationale Köstlichkeiten genießen. Es gab japanisches Sushi, scharfe afrikanische Gerichte und frisch gebackenes arabisches Fladenbrot.

Elaine kaufte frische Tomaten ein, Kopfsalat und einen kleinen Laib würzigen Käse. Der Markt füllte sich langsam mit feierabendlichen Einkäufern und das Geplapper der Menschen, die um ihre Ware feilschten, miteinander lachten oder auch mal schimpften, hatte etwas heimeliges an sich. Elaine lächelte still vor sich hin, als sie den Markt verließ und ein Stück den Weg zurück zu ihrem Auto ging.

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