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VASCO DA GAMA

1469–1524

Von Lissabon aus entdeckte er den Seeweg nach Indien. Damit begann alles, was die Portugiesen unter Größe, Glanz und Glorie verstehen. Und nicht immer ging es dabei vornehm zu.

In der Antarktis werden gerade die Pinguine gefüttert. Es riecht nach Jod und Salz, der ganzen Welt des Atlantiks. Nebenan im Pazifik herrscht bereits Siesta; mit vollem Bauch lassen sich die Seeotter auf dem Rücken liegend durchs Wasser treiben, die Pfoten ans Maul gedrückt. Das Oceanário im Parque das Nações veranschaulicht auf zwei Etagen das Leben in den verschiedenen Biotopen der Ozeane. Das Aquarium mit seinen 8000 Meeresbewohnern und sieben Millionen Litern Meerwasser ist ein Erbe der Expo, die 1998 zum 500-jährigen Jubiläum von Vasco da Gamas Indienreise gefeiert wurde. Die auf das Thema Seefahrt ausgerichtete Weltausstellung beschert der damals noch recht verschlafenen Hafenstadt einen gewaltigen Aufschwung. Die Metro wurde um eine neue Linie ergänzt und am Osthafen ein neues Stadtviertel aus dem Boden gestampft.

Auf dem weitläufigen Areal ist rund um die Uhr was los. Die nach Vasco da Gama benannte gläserne Shoppingmall hat sogar sonntags geöffnet. Ein Kanal plätschert durch das Gelände, auf den Bänken sitzen abends Liebespaare und träumen in den Sonnenuntergang, während die Fischer ein paar Meter weiter zappelnde Aale aus dem Tejo ziehen. Über den Fluss, hier ein breites Becken, spannt sich weiter östlich die Ponte Vasco da Gama, eine 17 Kilometer lange, imposante Hängekonstruktion.

Kein Seefahrer vor und keiner nach ihm ist so glorifiziert worden wie Vasco da Gama. Inzwischen ist die Legendenbildung etwas abgeklungen, das glanzvolle Bild des Seehelden hat Kratzer bekommen. Er sei nicht mal ein richtiger Kapitän gewesen, sondern nur ein machthungriger Unterhändler des Königs, heißt es.

In der ehemaligen indischen Kolonie Goa nahmen wütende Demonstranten die 500-Jahr-Feier zum Anlass, auf seine Gewalttaten hinzuweisen. Vasco da Gama sei ein gnadenloser Ausbeuter und rachsüchtiger Pirat gewesen. Der englische Historiker Martin Page stellt in seinem Besteller »The First Global Village« sogar die These auf, Vasco da Gama sei gar nicht als erster Europäer nach Indien gesegelt, diese Route sei längst bekannt gewesen. Eine provozierende Ansicht, die in Portugal kontrovers diskutiert wird. Dass Vasco da Gama am Ende selbst seine eigene Vergangenheit kritisch gesehen haben muss, belegt folgendes Zitat: »Ich bin nicht wer ich war, und ich will es nie wieder sein.«

Dass Vasco da Gama dennoch einen entscheidenden Beitrag zur portugiesischen National- und darüber hinaus zur europäischen Kolonialgeschichte geliefert hat, ist unbestritten. Und dass er mit seiner Reise den Grundstock für die fernöstlichen Kolonien Portugals und seinen Aufstieg zur Weltmacht gelegt hat, ebenso. Als der Sohn eines Provinzgouverneurs um 1469 in Sines, einer kleinen Hafenstadt an der Alentejo-Küste südlich von Lissabon, geboren wird, sucht Portugal mit aller Macht nach einem Seeweg nach Indien. Die Vorarbeit hat Heinrich der Seefahrer bereits geleistet. Doch erst 27 Jahre nach dessen Tod gelingt es Bartolomeo Dias, um Afrika herum zu segeln und damit die erste entscheidende Etappe zurückzulegen. Dias passiert 1487 das gefährliche Kap der Guten Hoffnung. Dennoch beauftragt König Manuel I zehn Jahre später nicht den erfahrenen Dias mit einer erneuten Expedition, sondern Vasco da Gama.

VIER SCHIFFE BRECHEN AUF

Der junge Patrizier da Gama gilt als vertrauenswürdiger Mann, der schon in der königlichen Flotte an der Algarve gedient hat. Zeitgenossen beschreiben ihn als tapfer, mutig, durchsetzungsstark und aggressiv. Seine Flotte besteht aus vier Schiffen, das Hauptschiff »São Gabriel« befehligt er selbst. Auch sein Bruder Paulo steuert eine der Karavellen. Ein weiteres Schiff ist mit Lebensmitteln gefüllt, die für drei Jahre reichen sollen. Es ist mit Brot und Wein, Reis, Käse, Rind- und Schweinefleisch sowie Stockfisch (Bacalhau) beladen.

Die Crew besteht aus gut 170 Männern, von denen kaum mehr als 100 in die Heimat zurückkehren werden, die meisten sterben unterwegs an Skorbut. Auch ein Priester ist an Bord, um den Kranken den letzten Trost zu spenden und die Ungläubigen zur Lehre Christi zu bekehren.

Vor dem Auslaufen schwört der König seinen Kapitän noch einmal auf die Mission ein: Vasco da Gama soll der portugiesischen Krone die Handelsrechte für die begehrten Gewürze sichern. Der Seefahrer kniet vor seinem König nieder, ein silbernes Banner mit dem Kreuz Jesu im Arm, und schwört seinem Herrscher die ewige Treue. Am Abend speisen die beiden zusammen, danach verbringen Vasco da Gama und seine Männer die Nacht in der Kapelle von Belém am Tejoufer – genau dort, wo später das Hieronymuskloster errichtet wird.

Nach einer Messe am nächsten Morgen begeben sie sich zum Hafen. Tausende von Schaulustigen säumen das Ufer. Als die Männer bei ihren Karavellen ankommen, segnet sie der Pfarrer von Belém und gibt ihnen auch den päpstlichen Segen für diejenigen mit auf den Weg, welche die Reise nicht überleben werden.

Am späten Vormittag des 8. Juli 1497 segelt die Flotte aus der Tejomündung hinaus auf den Atlantik. Vasco da Gama läuft zunächst die Kapverdeninsel Santiago an und nimmt dann Kurs nach Südosten. Danach ziehen sich die Tage auf See lange hin. Ab und zu sehen sie einen Wal, danach wieder nichts als Wasser und Wellen bis zum Horizont.

Dann endlich, nach mehr als drei Monaten, ist ein Stück Afrika in Sicht. Vasco da Gama lässt die Flotte an einer breiten Bucht ankern. Die Portugiesen taufen sie Sankt-Helena-Bucht und versorgen sich mit frischem Holz. Sie treffen auf die ersten Eingeborenen, nehmen einen von ihnen mit aufs Schiff, versorgen ihn mit Essen und lassen ihn wieder frei. Zunächst verlaufen die Kontakte freundlich, doch dann wird einer der Portugiesen mit einem Pfeil angeschossen und schafft es gerade noch, sich an Bord zu retten. Portugals Nationaldichter Luís Vaz de Camões beschreibt diese Szene ein halbes Jahrhundert später in seinen »Lusiaden«.

Nach der Umrundung des Kaps der Guten Hoffnung tauscht Vasco da Gama mit den Küstenbewohnern Glocken gegen Elfenbein ein und kauft ihnen einen Ochsen ab. Man verabschiedet sich freundlich, die Afrikaner tanzen am Strand, die Seeleute an Bord, wie ein Mitreisender berichtet. Beim Auslaufen sehen die Matrosen, wie die Eingeborenen das Kreuz und die Fahne der Portugiesen wieder aus dem Sand reißen.

Vasco da Gama erreicht nach Weihnachten die ostafrikanische Küste und stellt in Mosambik erfreut fest, dass er auf dem richtigen Weg ist. Im Hafen liegen Schiffe, die beladen sind mit Schätzen aus dem Orient. Die Händler sind »weiße Mauren«, Perser oder Araber, die ebenso wie die Schwarzen einen Turban tragen. Zunächst verlaufen die Kontakte mit den Bewohnern freundlich, doch als diese merken, dass die Fremden keine Anhänger des Hindu-Gottes Krishna, sondern Christen sind, gibt es Ärger.

Einen ganzen Monat ankern die Portugiesen an der ostafrikanischen Küste bei Malindi, um ihre Schiffe zu überholen. Der Sultan stellt da Gama einen Lotsen für die Überfahrt nach Indien zur Verfügung. Und dann ist es endlich so weit: Vasco da Gama landet am 20. Mai 1498 bei Calicut an der indischen Malabarküste.

Drei Monate verhandelt er mit dem hinduistischen Zamorin, dem Herrscher der See, der den Abgesandten aus Portugal zunächst mit allen Ehren in seinem Palast empfängt, sich später aber über dessen klägliche Gastgeschenke beschwert. Kein arabischer Händler würde es wagen, mit so einem Plunder – ein bisschen Stoff, ein paar Hüten, Korallenketten, Honig und Olivenöl – vor einen König zu treten, muss sich da Gama anhören. Er rettet die Situation, indem er verspricht, der König von Portugal werde das Gold später nachreichen. Nach einigem Hin und Her gelingt es ihm, seine Laderäume mit Gewürzen zu füllen.

Am 29. August 1498 sticht seine Flotte wieder in See. In einem Sturm geht unterwegs ein Schiff verloren, später stirbt sein Bruder Paulo auf den Azoren, wohin ihn Vasco zur Genesung gebracht hat. Im September 1499, etwa zwei Jahre nach seinem Aufbruch, läuft Vasco da Gama wieder im Lissabonner Hafen ein. Er wird triumphal empfangen und vom König mit Ehrentiteln ausgestattet.

Die Portugiesen rüsten sofort zur nächsten Indien-Fahrt. 13 Schiffe verlassen unter der Leitung von Pedro Álvares Cabral 1500 den Heimathafen. Aus Versehen schlägt Cabral einen zu starken südwestlichen Kurs ein und stolpert damit gleichsam über Brasilien, das Portugals profitabelste Kolonie wird.

TOD IM FERNEN INDIEN

Vasco da Gama reist 1502 zum zweiten Mal mit 21 schwer bewaffneten Schiffen nach Indien. Dort spielt er die rivalisierenden Fürsten gegeneinander aus und gründet 1503 in Cochin im heutigen Kerala eine Festung. Mit seiner überlegenen Flotte im Rücken, setzt er alles ein, um den Arabern das Handelsmonopol abzujagen und schreckt dabei auch vor Gewalt und erzwungenen Verträgen nicht zurück. Fünfmal wird Calicut überfallen, bevor die Portugiesen das Handelsmonopol erhalten.

Zurück in Portugal, wird Gama, der inzwischen die adelige Catarina de Ataide geheiratet und mit ihr sieben Kinder hat, zum Grafen von Vidigueira ernannt. Er ist nun Mitglied des Hochadels und erhält eine jährliche Apanage. Fünf Jahre später schickt ihn Manuels Nachfolger König João III zum dritten Mal nach Indien, um dort als Vizekönig gegen Misswirtschaft und Korruption vorzugehen. Drei Monate nach seiner Ankunft stirbt Vasco da Gama am Weihnachtstag 1524 in Cochin an einer Infektion.

Er wird im örtlichen Kloster des Heiligen Antonius beigesetzt und 14 Jahre später von seinem Sohn Pedro da Silva da Gama in die Heimat überführt. Fast 350 Jahre liegen die Gebeine in einem Klostergrab in Vidigueira. Dann findet er 1880 seine letzte Ruhe in einem Ehrengrab im Mosteiro de Jerónimos.

Vor dem pompösen Grabmal von Vasco da Gama verharren die Menschen immer noch in stummem Respekt. Manche Besucher legen Blumen nieder. Dann gehen sie weiter ins benachbarte Marine-Museum, wo der Nachbau des Da-Gama-Flaggschiffs »São Gabriel« steht. Und im Museu do Oriente 28 ( ▶ C 6) wird seine Entdeckung des Seeweges nach Indien nachgezeichnet und dokumentiert. Stationen einer Größe, von der heute wieder viele träumen.

MUSEU DO ORIENTE 28C 6

Avenida Brasília, Doca de Alcântara (Norte)

www.museudooriente.pt

▶ S-Bahn: Alcântara-Mar

OCEANÁRIO DE LISBOA

Parque das Nações, Esplanada D. Carlos I, Doca dos Olivais

www.oceanario.pt

▶ Bus: Ocenário de Lisboa, Metro: Oriente

PONTE VASCO DA GAMA

A 12 zwischen Moscavide und Sacavém

▶ Metro: Moscavide, S-Bahn: Moscavide

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