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MANUEL I

1469–1521

Unter der Herrschaft dieses bedeutenden Königs von Portugal entwickelt sich Lissabon zur glanzvollsten Metropole von Europa – was noch heute zu sehen ist. Dabei spielt ein Nashorn eine besondere Rolle …

Im Januar 1515 geht in Indien ein Nashorn an Bord eines portugiesischen Segelschiffes. Lissabons Vizekönig Afonso de Albuquerque hat es von einem Sultan ersteigert. Jetzt will er das schwergewichtige Präsent seinem Monarchen zukommen lassen. Vier Monate schippert die »Nossa Senhora da Ajuda« über den Indischen, dann über den Atlantischen Ozean. Am 20. Mai läuft das Schiff in den Hafen von Belém ein, das Rhinozeros betritt noch etwas wackelig auf den Beinen europäischen Boden. König Manuel I empfängt den Dickhäuter mit gebührender Neugier und lässt ihn zu seiner Menagerie in den Ribeira-Palast bringen.

In Lissabon macht die Nachricht von der Ankunft des exotischen Kolosses sofort die Runde. Die Menschen bestaunen seinen faltigen Panzer, seine schiere Größe, sein spitzes Horn. Zwar geistern ähnlich aussehende Fabelwesen schon lange durch die Märchen und Mythen, doch nur wenige Europäer wissen, dass es tatsächlich Einhörner gibt, und dass im 3. Jahrhundert die alten Römer schon solche Tiere gehalten hatten.

Es sind aufregende Zeiten in Lissabon. Gerade erst haben sich die Bürger an den Anblick von indischen Elefanten gewöhnt. Seit kurzem strömen sie sonntags in Scharen zusammen, um ihrem König zuzujubeln, wenn er auf seinem Elefanten Hanno zur Messe reitet. Ein eindrucksvolles Schauspiel, wie Manuel I oben auf dem breiten grauen Rücken thront und sich majestätisch über das Kopfsteinpflaster zur Kathedrale schaukeln lässt!

Jeden Tag passiert in der Stadt am Tejo etwas Neues. Im Hafen ankern Schiffe und laden Gold, Elfenbein und exotische Gewürze aus. Wer es sich leisten kann, würzt seine Speisen mit Pfeffer, Nelken und Kardamon. Die Pastéis de Nata, die Cremetörtchen aus der Klosterbäckerei von Belém, werden nun mit Zimt bestreut – eine Delikatesse, die noch heute zu den kulinarischen Attraktionen der Stadt gehört, auch wenn sich das Originalrezept etwas gewandelt hat. Man genießt das Blätterteiggebäck mit einer Füllung aus Eigelb, Zucker und Sahne am besten in der ehrwürdigen Casa de Pastéis de Belém, einem Kaffeehaus von 1837.

Zurück ins 16. Jahrhundert: Überall in der Stadt wird gebaut. Vor der Hafeneinfahrt in Belém türmen die Arbeiter mitten im Tejo die Quader für die Festung Torre de Belém aufeinander. Jetzt können die Steinmetze ein neues Motiv in ihr Repertoire aufnehmen, denn Manuel I lässt das Nashorn in Stein meißeln. Schon bald ziert das Rhinozeros neben anderen Tiergestalten wie Widder, Löwen und Delfinen den Westturm. Das trutzige Fort liegt damals noch in der Mitte des Flusses. So kommt hier jeder vorbei, der in den Hafen einfährt und erkennt auf den ersten Blick, was für eine mächtige und reiche Stadt Lissabon ist.

Heute steht der berühmte Turm, das Wahrzeichen von Lissabon, zumindest bei Ebbe auf dem Trockenen. Der Mündungstrichter des Tejo wurde im 19. Jahrhundert durch Aufschüttungen des nördlichen Ufers schmaler. Die oberste Etage des 35 Meter hohen UNESCO-Weltkulturerbes dient als Aussichtsplattform.

DER GLÜCKLICHE KÖNIG

Die Regierungszeit von König Manuel I, der unter dem Beinamen O Venturoso, der Glückliche, in die Geschichtsbücher eingeht, wird als goldenes Zeitalter gesehen. Manuel hat das Glück, zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein. Als der Herzog von Beja und Viseu im Alter von 26 Jahren unverhofft auf den Thron gelangt, hat er das dem tödlichen Reitunfall des Kronprinzen zu verdanken sowie der glücklichen Fügung, dass seine Schwester Eleonore mit seinem Vorgänger König João II verheiratet ist.

Sein Schwager hat gute Vorarbeit geleistet, denn er konnte auf den Forschungen von Heinrich dem Seefahrer aufbauen. Unter João II hatte Bartolomeu Dias zum ersten Mal das Kap der Guten Hoffnung an der Südspitze von Afrika umrundet. Manuel I muss jetzt nur noch das Werk seines Vorgängers fortsetzten.

Vasco da Gama, den er seit seiner Kindheit kennt, entdeckt den Seeweg nach Indien und Pedro Álvares Cabral aus Versehen Brasilien – für Portugal beginnt das Goldene Zeitalter. Bald ist Manuel I der reichste Monarch seiner Zeit. Seine Profite übertreffen alles bisher Dagewesene. Der kostbare Pfeffer, dessen Schärfe die Speisen konserviert, bringt der Krone das Vierzigfache des Einkaufspreises ein. Auch das Monopol für Gewürznelken haben die Portugiesen arabischen Kaufleuten und den Venezianern abgeluchst. Viel Geld fließt auch aus dem Geschäft mit afrikanischen Sklaven nach Portugal. Aus der neuen Kolonie Brasilien kommen Gold, Edelsteine und weitere Bodenschätze nach Lissabon. Die Stadt blüht auf – und kreiert einen neuen Baustil. Die nach dem König benannte Manuelinik ist eine Hommage an die Seefahrt.

Wer sich die manuelinischen Bauten ansieht, meint noch heute das Salz des Meeres und den Tang zu riechen und das Zerren des Windes in der Takelage zu spüren. Neben maritimen Symbolen bevölkern fantasievolle Fabelwesen sowie nautische und astronomische Instrumente die Bauten. Da umschlingen steinerne Schiffstaue ganze Bauwerke wie den Turm von Belém, sie winden sich um Portale und Säulen und verknoten sich unter Fenstern. An den Wänden kleben Korallen und Muscheln.

König Manuel I holt auch die Mönche des Hieronymus-Ordens nach Lissabon und errichtet das Mosteiro dos Jerónimos (Hieronymuskloster in Belém), das prächtigste Projekt des neuen Baustils. Auch heutige Besucher können sich dem Zauber der märchenhaften, weißgrauen Kalkstein-Fassade nicht verschließen. Die Abtei entsteht auf dem Boden jener Kapelle, in der Seefahrer Vasco da Gama vor seiner Reise gebetet hatte. Im Westportal der Klosterkirche kniet ein in Stein gemeißelter König Manuel I, flankiert vom heiligen Hieronymus und seiner zweiten Frau Maria de Aragão e Castela. In den beiden Seitenflügeln sind heute das Marine-Museum sowie ein bedeutendes Archäologisches Museum untergebracht.

Auch der Palácio Nacional de Sintra, der Königspalast von Sintra, entsteht in dieser Zeit. Hier, 25 Kilometer westlich von Lissabon, verbringen die Herrscher ihre Sommerfrische. Das manuelinische Königsschloss sollte allerdings nicht mit dem verrückt verspielten Palácio Nacional da Pena (»Kummerpalast«) verwechselt werden, einer Art portugiesischem Neuschwanstein, das erst im 19. Jahrhundert gebaut wurde.

König Manuel I hat aber auch Probleme. Er will sich das Wohlwollen von Papst Leo X. bei der Auslegung des Vertrags von Tordesillas sichern. Dieses Abkommen regelt seit 1494 die Aufteilung des neu entdeckten amerikanischen Kontinents zwischen den rivalisierenden Kolonialmächten Portugal und Spanien. Der Vertrag geht zurück auf Christoph Kolumbus, den Entdecker Amerikas, der zunächst in Lissabon gelebt und gedient hat. Kolumbus bietet Manuels Vorgänger König João II seine Dienste an und erklärt ihm, er könne Indien erreichen, wenn er geradewegs gen Westen segle. Die Portugiesen wissen es besser – was sie allerdings später bitter bereuen sollten. Denn sie lehnen den Plan des gebürtigen Genuesers als absurd ab und verweisen darauf, dass Indien im Osten liegt. Kolumbus heuert bei der spanischen Krone an und segelt schließlich im Auftrag Madrids gen Amerika.

Als er bei seiner Rückreise im März 1493 den Lissabonner Hafen anläuft und seine Entdeckung bekannt wird, erhebt João II Anspruch auf die neuen Gebiete. Schließlich lägen sie südlich der Kanarischen Inseln und gehörten damit vertragsgemäß zu Lissabon. Er sendet eine entsprechende Depesche an den Hof in Madrid und rasselt bereits vernehmlich mit dem Säbel.

Um einen Krieg zu vermeiden, bitten die Spanier Papst Alexander VI. um Vermittlung. So kommt 1494 der Vertrag von Tordesillas zustande: Er trennt die Erde nach einer Meridianlinie, die 1000 Seemeilen westlich der Kapverden verläuft. Der östliche Teil soll Portugal zufallen, der westliche Spanien. Der Friede zwischen den beiden Nachbarn ist erst einmal gesichert.

EIN NASHORN FÜR DEN PAPST

Nun steht eine neue Demarkationslinie in Ostasien zur Diskussion, und Manuel will sich den Nachfolger von Papst Alexander VI. mit einem großzügigen Geschenk gewogen machen. Bereits im März 1514 schickt er Leo X. seinen Elefanten Hanno. Und im Dezember 1515 soll als Ergänzung das Nashorn nach Rom gebracht werden. Bevor es an Bord geht, wird das bedauernswerte Geschöpf mit einem goldverzierten Samtkragen geschmückt. In Marseille legt das Schiff an, der französische König will das Tier sehen. Danach gerät die Karavelle in einen Sturm und zerschellt an der ligurischen Küste. Das Nashorn ertrinkt, sein Kadaver wird ans Ufer gespült und zurück nach Lissabon geschickt. Dort stopft man es mit Stroh aus und schickt das Tierpräparat erneut nach Rom; diesmal kommt es an. Später wird es von Albrecht Dürer gezeichnet. Obwohl der Nürnberger Maler das Tier nie selbst zu Gesicht bekommt, gerät sein berühmter Holzstich erstaunlich lebensnah.

Manuel I hält in Lissabon in seinem heute nicht mehr existierenden Palast am Ufer des Tejo, der beim Erdbeben von 1755 zerstört wurde, prachtvoll Hof. Er ist ein umgänglicher und gebildeter Herrscher, sein Volk liebt ihn. Er reformiert Steuerwesen und Verwaltung. Anfangs gewährt er den verfolgten Juden während der Inquisition noch Schutz. Doch unter dem Druck seiner drei spanischen Ehefrauen, die allesamt dem überaus strengen katholischen Königshaus des Nachbarlandes entstammen, lässt er später diejenigen ausweisen, die sich nicht taufen lassen wollen. Tausende von Juden konvertieren in dieser Zeit, dennoch kommt es 1504 und 1506 in Lissabon zu Pogromen gegen die Cristãos Novos, die Neuchristen – ein schwerer Schatten auf der glanzvollen Politik des wohl bedeutendsten portugiesischen Königs, der im Dezember 1521 starb und im Mosteiro dos Jerónimos beigesetzt wurde.

CASA DE PASTÉIS DE BELÉM

Rua Belém 84–92, Belém

www.pasteisdebelem.pt

▶ Tram: Belém-Jerónimos

MOSTEIRO DOS JERÓNIMOS (HIERONYMUSKLOSTER)

Praça do Império, Belém

www.mosteirojeronimos.pt

▶ Tram: Belém-Jerónimos

TORRE DE BELÉM

Avenida Brasília, Belém

www.torrebelem.pt

▶ Tram: Pedrouças

PALÁCIO NACIONAL DE SINTRA

Largo Rainha Dona Amélia

Sintra, 25 km westlich von Lissabon

▶ S-Bahn: Sintra

Lissabon. Eine Stadt in Biographien

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