Читать книгу Leben mit Borderline - Sag mir mal wie's richtig geht - Betty Paessler - Страница 8

4 Darf ich mal was fragen?

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Dieser einleitenden Fragestellung begegne ich seit meinem Eintritt in einige Borderline-Gruppen auf Facebook über den Messenger des Öfteren. Darunter befand sich ein junger Mann. Er selbst ist nicht von Borderline betroffen, jedoch liebt er eine Frau mit diesem Syndrom.

Die Fragen, die er mir stellte, waren so offen und ehrlich, dass ich mit ihm in Kontakt blieb. Der Ursprung unseres 'Kennenlernens' war ein Post, in dem es um die Beziehung zwischen einem 'Gesunden' und einer 'Borderlinerin' ging. In vielen Kommentaren wurde ihm von einer solchen Beziehung abgeraten.

'Lass es, die macht dich kaputt'

'Mit einem Borderliner kann man keine Beziehung haben.'

'Die sind beziehungsunfähig.'

Du lieber Himmel. Man bedenke an dieser Stelle, dass das Aussagen von Borderlinern ist! Es war die Wahrnehmung von sich selbst, über die sie da schrieben. Die Wertung bzw. in diesem Falle die Abwertung hat mich schon sehr erschreckt. Also sind wir wieder einmal an dem Punkt: Borderliner sind so. Basta!

Aber Hallo, wie sehr haben sich diese Menschen denn ihrer Störung ergeben. Sicherlich ist es ein einfacher und unbeschwerlicher auf der einen, aber auch ein schrecklich emotionaler Weg auf der anderen Seite. Zu sagen: das ist bei mir eben so, klingt leicht, doch ist die Konsequenz daraus fürchterliches Leid für den Betroffenen selbst. Mich hinzustellen und zu sagen, dass ich nichts an diesem Zustand ändern kann bedeutet doch im Klartext, dass ich – statt an mir zu arbeiten – bereit bin, meine eigenen Qualen zu erdulden.

Doch ich sage:

Aufgeben und Hinnehmen ist doch keine Option!

Ich möchte aber zunächst auf diesen jungen Mann zurückkommen. Nennen wir ihn der Einfachheit halber 'G' (wie Gesund).

Dachte ich zunächst, es würde bei ein zwei Nachrichten/Fragen bleiben, so merkte ich nach kurzer Zeit, dass da jemand wirklich Interesse hat. Seine Fragen waren teilweise eine Herausforderung für mich, da er nicht einfach nur eine Antwort erhalten wollte, um zur nächsten Frage zu gelangen – like an Interview. Nein. Er wollte wirklich begreifen, was ich ihm schrieb.

Ich hatte zunächst meine Zweifel, da er ein sehr junger Mensch und von dieser so schweren psychischen Erkrankung ja nicht selbst betroffen ist.

Seine Fragen waren an manchen Stellen sehr naiv und dann wieder so voller Interesse und Wissbegier, dass ich nicht umhinkam und es auch nicht übers Herz brachte, nicht mehr zu antworten und den Kontakt abzubrechen. Ich möchte anmerken, dass wir des Öfteren zu nachtschlafender Zeit über einen längeren Zeitraum geschrieben haben. Ja, ja... ich höre an dieser Stelle so manche Gedanken: die schreibt nachts mit dem? Bei der tickts vielleicht nicht ganz richtig. Doch, doch – bei mir ist schon noch alles in Ordnung. Nur scheine ich nachts meine kreativste Zeit zum Schreiben zu haben. Da flitzen die Finger nur so über die Tastatur ;) und tagsüber bin ich nur in seltenen Fällen auf Facebook unterwegs. Auch war es für mich eine Erleichterung, dass ich mit meinem Mann darüber sprechen konnte, warum ich mit diesem Fremden so intensiv schrieb, denn er verstand und akzeptierte, dass dies Teil meiner Recherchearbeit war.

Bei meinen Antwortversuchen ermahnte ich ihn bei aller Liebe zu dieser Frau, die eigene Achtsamkeit nicht allzu sehr in den Schatten ihrer Erkrankung zu stellen. Denn alsbald wurde mir klar, dass die Folge dieser Fragen und meiner Antworten sein würde, dass er nicht mehr in all seiner Natürlichkeit, seinem jungen Denken und seiner Spontanität mit ihr umgehen würde.

Da die inhaltliche Umsetzung teilweise etwas schwierig ist, habe ich für mich die Interview-Form gewählt, um einen Einblick in die Art der Fragen und meiner Antworten zu geben. Ich möchte an dieser Stelle aber unbedingt anmerken, dass ich keine Namen nennen werde und Rückschlüsse auf die beiden Personen nicht hergeleitet werden können. Es geht hier auch nicht um den Menschen als solches, sondern um die Fragen eines gesunden Menschen an eine Borderlinerin.

Ich möchte einleitend noch erwähnen, dass ich die Konversationen stark zusammengefasst habe, da er doch recht oft und viel geschrieben hat.

G: Hallo, danke für deine Kommentare. Ich beschäftige mich seit fast 2 Monaten mit dem Thema und lese gerade ein Buch 'Verlass mich nicht, ich hasse dich – die schwarz-weiße Welt der Borderliner'. Ich arbeite jeden Tag daran – 2 Stunden. Am Anfang ist es schwer das Ganze zu verstehen. Jetzt im Nachhinein wird es ein bisschen besser vom Verständnis her. Ich habe keinen Grund sie unter Druck zu setzen, sie zu verlassen oder sonstiges, nein. Wir haben uns jetzt auf Freundschaft geeinigt auch wenn es selbst für mich schwer ist, da ich mich zusammenreißen muss, wenn ich bei ihr bin. Ich denke durch die Zeit als Freunde lernt man sich besser kennen. Sie merkt, dass ich Verständnis aufbringe. Im Moment fällt es mir schwer, aber ich arbeite daran und arbeite am Thema intensiv.

I: Das freut mich. Gib dir und ihr eine Chance. Ich möchte auch ehrlich sein. Es ist schwer, mit einem Borderliner zusammen zu sein, aber wenn du dich auf sie einlässt und sie nicht drängst, kann das eine wundervolle Freundschaft werden.

G: Ich habe ihr das erklärt, dass ich sie verstehen will. Der Wille ist da.

Am nächsten Tag ...

G: Ich habe am Anfang nicht so verstanden, mit 'lass mich in Ruhe und schreibe nicht ständig'. Dann habe ich im Netz gelesen, dass sie (er meint wohl die Borderliner) es nicht gern haben mit Nachrichten zugenagelt zu werden. Deswegen hat sie mich blockiert. Gestern war ich bei ihr und hab ihr erklärt wieso ich das verstanden habe aber trotzdem geschrieben habe. Am Abend waren wir in einer Bar als wäre nix gewesen. Nun lass ich sie auf mich zukommen. Habe gestern Abend die letzte Nachricht rausgelassen. Seit heute Morgen bis jetzt (Anmerkung: es war wieder weit nach 22 Uhr) habe ich nix rausgelassen. Sie kommt, wenn sie den Zeitpunkt in sich hat.

I: Okay, das wird jetzt vielleicht etwas länger, was ich dir schreiben möchte.... (doch noch bevor ich loslegen konnte, kam schon der nächste Satz von ihm)

G: Ich will mich auf sie einlassen und sie auch nicht drängen. Ich halte mich ein wenig zurück und lass sie auf mich zukommen.

G: Okay. Glaubst du es ist von Vorteil mit ihr darüber zu reden? Sie meinte ich soll sie sehen als normaler Mensch.

I: Es ist sehr wichtig, dass du ihr Platz lässt. Nicht alles, was sie tut oder sagt geschieht wegen dir, sondern durch den Borderliner in ihr. Ich nehme an, dass sie – wie du auch – ein junger Mensch ist. Ich weiß noch nicht, ob sie bei Therapeuten in Behandlung ist oder schon eine Therapie hinter sich gebracht hat. Bis sie dir alles erzählt, kann es noch eine Weile dauern. Das hat nichts damit zu tun, dass sie dir nicht vertraut, sondern dass sie vielleicht nicht alles so für sich selbst formulieren kann. Und ja, es ist ganz besonders wichtig, sie als 'normal' anzusehen. Vor allem passe dein eigenes Verhalten nicht dem ihren an.

G: Sie war in einer Behandlung. 6 Monate, danach nicht mehr. Jetzt ist sie bei einer Psychologin und bei einer psychologischen Beratung. Da geht sie mal so hin. Mal mehr, mal weniger. Sie hat mir einiges erzählt von früher.

G: Ja, ich liebe sie und es fällt mir schwer, wenn ich sie sehe die Gefühle unter Kontrolle zu haben.

G: Das ist wichtig, Ehrlichkeit. Bevor ich sie kennengelernt habe, habe ich ihr verschwiegen, dass ich vor ihr eine Beziehung hatte. Es war dumm von mir und das habe ich ihr auch gesagt.

I: Eine dauerhafte Beziehung zu einem Borderliner ist sehr schwer, da sie ein wenig unberechenbar ist. Ein Borderliner kann sehr launisch wirken. Sie wird nicht immer gleich reagieren. Worüber sie heute lacht, kann sie morgen stressen. Wenn sie dich heute nicht sehen will, heißt das nicht, dass sie dich gar nicht will, sondern dass für sie kein guter Tag ist. Glaubst du, du kannst das so akzeptieren? Auch kann es vorkommen, dass sie dich anblafft, ohne dass du verstehst, warum. Dann hat sie einfach nur innerlichen Stress. Glaubst du, dass du dann auch zu ihr halten kannst?

G: Sie hat oft gesagt, ich will dich heute nicht sehen. Ich so: okay, kein Problem. Ich akzeptiere sie, wie sie ist.

I: Das finde ich super. Doch bei all deiner Fürsorge und Gefühlen für sie: du darfst dein eigenes Wohlbefinden niemals außer Acht lassen. Das ist wichtig, denn sie wird dich auch Kraft kosten.

G: Ja, wir hatten bis gestern zwei Wochen eh Pause und eine Woche Schreibpause. Sie so, ich habe ihr viel geschenkt. Eine Kette und noch etwas anderes. Sie so: wieso eine Kette usw.

I: Hattest du das Gefühl, dass es ihr mit den Geschenken nicht recht war? Weißt du, wenn man mit sich selbst sehr beschäftigt ist, versteht man die Gedanken und Gefühle des anderen nicht immer gleich. Hast du ihr denn gesagt, warum du ihr eine Kette geschenkt hast?

G: Sie so, weißt eine Kette, ich würde spinnen. Ich so, du hast die Kette verdient, sie ist für dich.

G: Letztendlich hat sie sie mir zurückgegeben. Und ich schicke sie dem Händler zurück.

I: Dann lass ihr die Zeit, vielleicht hat sie das ein wenig überfordert. Schau mal, wie soll ich das jetzt formulieren: ein Borderliner hat nicht immer das Empfinden für sich selbst, etwas verdient zu haben. Das hat nichts direkt mit dir zu tun, sondern damit, dass ein Borderliner Schwierigkeiten damit hat, sich selbst zu mögen und eine eigene Wertschätzung aufrecht zu erhalten. Das kann sehr schwer für sie sein, umzusetzen. Am nächsten Morgen kann das schon wieder ganz anders sein. Doch ist das kein Zustand von Dauer. Auch wenn es dir ein Bedürfnis ist, ihr etwas zu schenken, mach es im Moment noch nicht. Geburtstage sind da etwas anderes. Ihr seid kein Paar, sondern befreundet. Bedenke das bitte, auch wenn es in deiner Vorstellung etwas anderes ist. Geburtstage sind da etwas anderes. Aber so zwischendurch kann sehr schwierig für sie sein, da eine Ablehnung nur schwer möglich ist, zu formulieren. Es kann sie unter Druck setzen und ihr den Eindruck vermitteln, dass du etwas forcieren möchtest. Damit lehnt sie aber in erster Linie nicht dich und deine Freundschaft ab, sondern es hat mit ihrer eigenen Wertigkeit zu tun. Kannst du nachvollziehen, was ich meine?

G: Zwischendurch was Kleines ist vielleicht ganz okay?

G: Sie denkt im Moment, sie ist nix wert?

I: Deine Geduld, deine Aufmerksamkeit und deine Gefühle sind sicher momentan wichtiger für sie, als Materielles. Auch wenn sie für sich selbst zahlen möchte, wenn ihr essen geht oder ins Kino, dann akzeptiere das für dich, ohne dass du es als Ablehnung siehst. Und vor allem: diskutiere mit ihr nicht über das, was sie tut oder nicht tut.

I: Wertigkeit heißt nicht gleich, nichts wert sein als solches. Borderliner haben in diesen Zeiten kein gutes Gespür für sich selbst. Du kennst doch bestimmt den Gedanken bzw. das Gefühl: das gönne ich mir jetzt...so etwas können die meisten Borderliner nicht immer und vor allem nicht so wirklich, da es sein kann, dass sie das gerade noch Ersehnte kurze Zeit später schon als Falsch und unverdient ansehen.

G: Okay. Ich weiß nicht, ob sie es fühlen kann, dass ich ihr Aufmerksamkeit gebe.

G: Und Gefühle. Glaubst du sie spürt die Geduld, außer dass sie mich mal geblockt hat bis gestern?

I: Es kommt nicht so sehr darauf an, was du sagst, sondern wie du handelst. Wenn du nicht darauf eingehst, dass sie dich geblockt hat und darüber sprichst, ist es einfacher für sie. Das macht deine Geduld aus. Ich bitte dich nicht zu unterschätzen, dass deine Hartnäckigkeit schon sehr stressig für sie sein kann. Doch bleib immer du selbst, ohne dich zu sehr für sie zu verbiegen. Du musst dir auch nicht alles gefallen lassen, wenn dir etwas gegen den Strich geht.

Was jedoch sehr wichtig ist: bombardiere sie nicht mit allzu vielen Nachrichten, lass ihr die Zeit auch mal von selbst zu reagieren.

Am nächsten Abend...

G: Ich lasse sie selbst reagieren. Die letzte Nachricht ist gestern Abend rausgegangen von mir. Wir haben über das Blockieren gesprochen. Ich so, ich weiß, dass Betroffene es nicht mögen mit Nachrichten bombardiert zu werden. Und als sie mich blockiert hat, war nicht einfach für mich. Aber jetzt bin ich frei bei ihr und mache den gleichen Fehler nicht noch einmal. Daraus habe ich gelernt.

G: Testen die Borderliner an einem Partner/in einer Freundschaft die Geduld des anderen?

Am nächsten Morgen...

G: Hey, wie kann ich meine Gefühle zu ihr steuern. Ich halte es innerlich kaum aus.

I: Hallo, guten Morgen erst einmal... und so musst du dir vorstellen, lebt ein Borderliner jeden Tag. Mit Gefühlen, die kaum auszuhalten sind. Du darfst dich von deinen Gefühlen nicht so beherrschen lassen. Ich weiß, dass das schwer ist, aber du projizierst sonst zu viel auf sie und ihre Person. Das wird sie erdrücken.

G: Okay. Schon viel, was ein Borderliner durchstehen muss und das sein Leben lang.

G: Wir haben gestern miteinander geschrieben und ich habe sie gefragt, ob sie eventuell Lust hat, etwas mit mir zu unternehmen. Bsp. malen tut sie sehr gerne oder laufen. Ihre Antwort weiß ich noch nicht. Soll ich da nachfragen oder sein lassen, ob es heute Abend von ihrer Seite aus klappt?

I: Du drängelst sie zu sehr. Du musst ihr mehr Spielraum lassen. So würde auch ich mich zurückziehen. Gib ihr und dir mehr Zeit.

G: Okay, so war mein Gedanke auch, ihr nicht mehr zu schreiben, ob das mit heute Abend klappt. Wollte deine Meinung auch hören.

I: Das finde ich so sehr gut. Guck mal, was ich dir jetzt sage, soll dir nicht weh tun, doch ich möchte, dass du etwas verstehst: für dich ist sie derzeit dein Lebensmittelpunkt, um den sich alles dreht. Deine Gedanken und Gefühle. Für sie bist du ein Teil einer unfassbar großen Ansammlung von Gefühlen. Ich weiß nicht, ob du als 'gesunder' Mensch das versuchen kannst nachzuvollziehen, aber das Glücklichsein ist nur ein klitzekleiner Teil, über den ein Borderliner nachzudenken in der Lage ist. Für uns ist jeder Tag eine Herausforderung mit so vielen Facetten, von denen du nicht einmal ahnst, dass man damit überhaupt leben kann. Ein Gefühlswirrwarr, das nur sehr schwer unter Kontrolle zu halten ist. Ich kann dir nur immer wieder sagen: dränge sie nicht so. Wenn sie bereit ist mit dir zu schreiben, dann wird sie dir das sagen. Umso mehr du sie bedrängst, desto weiter wird sie sich zurückziehen.

G: Okay, ich schreibe weniger, so alle 2-3 Tage mal ein Hallo wie geht’s. Aber ich warte bis Sonntag, ob was von ihr kommt. Ich weiß, dass jeder Tag ein harter Kampf ist vom Aufstehen bis zum Schlafen gehen.

Fortsetzung folgt...

Die reinste Form des Wahnsinns ist es,

alles beim Alten zu lassen

und gleichzeitig zu hoffen,

dass sich etwas ändert .

(Albert Einstein)


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