Читать книгу Das süße Gift des Geldes - Bhavya Heubisch - Страница 11
Hundevisitation
Оглавление„Passt wie angegossen.“ Zufrieden betrachtete die Schneiderin Franziska Weinzierl ihr Werk. Sie zupfte am Saum, rückte eine Biese4 zurecht, strich über die gefältelten Ärmel.
Adele, die heute nicht ihren Geschäften nachging, drehte sich vor dem Spiegel in ihrem Schlafgemach und ließ den knisternden Taft durch die Finger gleiten. „Schön ist es geworden. Ich könnt es zur Fronleichnamsprozession anziehn.“
„An Ihnen schaut alles gut aus. So schlank, wie Sie sind.“ Die Weinzierl legte das Leintuch, in das sie das Gewand eingeschlagen hatte, zusammen und wandte sich zum Gehen. „Ich hab gehört, aus der Prozession wird’s heuer nix.“
Adele zog sich hinter dem Paravent um und entgegnete: „München ohne seine Prozession? Nie im Leben!“
„Doch, doch. Die Frau vom Oberschulrat hat’s mir erzählt. Einen Streit soll’s geben. Zwischen dem Papst und den Stadtoberen. Aber was Genaues weiß ich nicht. Also dann bis nächste Woche. Bis dahin ist auch das Ballkleid fertig.“
Adele setzte sich auf die Chaiselongue, zündete sich eine Zigarre an und schaute den Rauchwölkchen hinterher. Nippte am Kirschlikör, der jüngsten Empfehlung des Weinhändlers Smith. Dachte nach über die Fronleichnamsprozession. Bestimmt hatte die Weinzierl was falsch verstanden.
Sie blickte auf die Uhr. Höchste Zeit, wenn sie es noch rechtzeitig in die Ledererstraße schaffen wollte. Rasch legte Adele ihre Hunde an die Leine und verließ das Haus.
Schon von Weitem hörte sie es jaulen und kläffen. Vor der Hütte der Hundevisitation standen die Hundebesitzer um die obligatorische Steuermarke an und versuchten ihre Tiere zu beruhigen. Schäferhunde fletschten die Zähne, Boxer knurrten mit hochgezogenen Lefzen, die kleinen Hunde winselten.
Und das alles wegen der Cholera. So viele Tote jeden Monat! Die Pfarrer kamen mit den Beerdigungen kaum noch nach. Reisende, die sonst in der Stadt Halt machten und gutes Geld daließen, blieben aus. Da nützte es auch nichts, dass die Zahl der Todesfälle vertuscht wurde. Gehandelt werden musste. In Verdacht, die Krankheit zu übertragen, standen auch die herrenlosen Köter, die nachts in Rudeln die Straßen unsicher machten. Vor lauter Hunger Unrat fraßen, rattenverseuchtes Wasser aus den Rinnsteinen leckten.
Jetzt rumpelten in der Nacht Hundefänger mit ihren Karren durch die Gassen, fingen die Viecher mit Drahtschlingen ein und stopften sie in den Sack. Erschlugen sie und warfen sie in den Stadtbach. Seit einer eilig erlassenen Verordnung mussten Hundebesitzer einmal im Jahr zum Veterinär, der die Hunde registrierte und untersuchte. War das Tier gesund, bekam es die begehrte Steuermarke. War es krank, wanderte es in den Sack.
„Komm, lauf halt.“ Eine ältliche Matrone nahm ihren Mops vom Arm und setzte ihn auf den Boden. Der Mops heulte auf, seine Hinterbeine knickten ein.
„Was hat er denn?“ Mitleidig kraulte Adele den Hund hinter den Ohren.
„Wenn ich das wüsst. Fressen tut er nicht, mein Louis, und laufen tut er auch nicht. So eine Angst hab ich, dass sie mir die Marke nicht geben.“
Adele biss sich auf die Lippe. Sie hatte ihn gesehen, den Hundefänger. Wie er eindrosch auf den Sack, bis Schluss war mit dem Gewinsel.
„Der Nächste!“ Der Veterinär trat aus der Tür und schaute streng auf die Tiere. Sein Blick blieb an der Alten hängen. „Dich kenn ich doch. Hab es dir schon einmal gesagt: Der Hund wird nicht mehr, der muss weg.“
Schon stand er da, der Hundefänger, schiefmäulig grinsend. Jämmerliches Geheul drang aus dem verkrusteten Sack.
Resolut ergriff Adele die Hand der Alten und zog sie zum Veterinär. „Die gehört zu mir. Um den Hund kümmer ich mich.“ Mit einem Blick, der keinen Widerspruch duldete, schob sie sich mit der Matrone ins Visitationshäusl.
Der Veterinär zog die Lefzen vom Basti, vom Wasti und von der Daisi hoch, riss ihnen das Maul auf und begutachtete die Zähne. Untersuchte das Fell auf Ungeziefer. „Schöne Hunde haben Sie. Sind alle kerngesund. Hier sind die Marken. Macht drei Gulden.“
Adele legte noch einen Gulden dazu. „Für den zahl ich auch.“
Der Veterinär taxierte den Mops, der sich verstört in die Arme seiner Besitzerin schmiegte. „Nix da. Der kommt in den Sack.“
„Jetzt sinds halt nicht so. Ich versprech, ich kümmer mich drum.“
Der Veterinär, ungeduldig, weil draußen alles drunter und drüber ging, warf ihr die Marke hin. „Eins sag ich Ihnen: Wenn das Viech nächstes Jahr wieder so marod daherkommt, muss es weg.“
Adele schob die Frau zur Tür hinaus. Schnell bogen sie um die nächste Straßenecke.
Die Alte drückte ihren Louis fest an sich. „Ohne Sie hättens ihn glatt derschlagen.“
„Ist ja noch einmal gut gegangen. Wie heißt überhaupt?“
„Die Pachleitner Kathi bin ich.“
„Und was machst?“
„Mein Mann, Gott hab ihn selig, hat mir ein bisserl was hinterlassen. Und ab und zu mach ich die Kindsmagd bei den Herrschaften bei mir im Haus.“
Adele blickte in das faltige Gesicht, in die Augen, die trotz des Alters lebhaft dreinschauten. „Ich such jemanden, der mir die Hunde ausführt. Hättest Lust?“
„Meinen Sie das im Ernst?“
„Könntest gleich bei mir anfangen. Würd dich auch anständig bezahlen.“
„Wo müsst ich denn hin?“
„In die Schönfeldstraße. Fragst bei dem gelben Haus mit den grünen Fensterläden nach der Adele Spitzeder.“
Eine Woche später, als es dem Louis wieder besser ging, machte sich die Kathi auf in die Schönfeldstraße. Tapfer trippelte der Louis neben ihr her. Über den Marienplatz, vorbei an der Residenz. Am Eingang zum Hofgarten setzte er sich hin, ging keinen Schritt weiter.
„Meinst vielleicht, ich trag dich? Mir tun selber die Füß weh.“ Kathi schlüpfte aus dem Schuh, spreizte die gichtigen Zehen und presste den Fuß wieder hinein. „Faul bist, weiter nix.“ Der Louis rührte sich nicht. Ächzend nahm sie ihn auf den Arm, ging ein Stück die Ludwigstraße entlang und bog ein in die Schönfeldstraße. Sah das gelbe Haus. Aber was wollten die vielen Leut? Die Bauern, die Handwerksburschen in ihren farbverspritzten Kitteln, die Dienstmägde mit ihren weißen Hauben? Sie schob sich durch die Menge.
„Vordrängeln gilt nicht.“ Ein Marktweib, den Schurz noch fleckig vom Gansrupfen, schubste sie zur Seite. „Wir stehn hier schon seit Fünfe in der Früh.“
„Ich muss durch, ich bin bestellt.“
„Was sagst?“ Ein Maurerbursch baute sich vor ihr auf. „Bestellt willst sein? Wirst es noch derwarten können, bis dass du dein Geld loswirst.“
„Was für ein Geld? Ich komm zum Arbeiten.“ Kathi drückte ihren Louis fest an sich und presste sich durch eine Lücke. Wütende Hände rissen an ihrem Rock. Mit Mühe schaffte sie es bis zum Eingang und bumperte mit dem Fuß gegen die Tür.
Die Tür flog auf, ein Prackl von einem Mannsbild schrie: „Was fallt dir ein? Wart gefälligst, bis du dran bist.“
„Lass mich rein. Zum Arbeiten bin ich bestellt.“
„Von wem?“
„Vom Fräulein Spitzeder.“
Scheel musterte er die Frau. Das Gschwerl, das jeden Tag das Haus belagerte, war nie um eine Ausred verlegen, wenn es vor Ablauf der Sprechzeit noch ins Haus wollte. Bei dem einen starb grad die Großmutter, bei dem andern lag die Frau in den Wehen. Eine ganz eine Ausgschamte hatte sich einmal ein Kissen vor den Bauch gebunden und eine Leibesfrucht vorgetäuscht, wegen der sie nicht mehr stehen konnte. Aber die mit dem komischen Hund auf dem Arm, schaute anders aus.
„Wenn’s nicht stimmt, was du sagst, dann kannst was erleben. Komm rein und hock dich hin, bis du dran bist.“ Unter dem Pfeifen und Johlen der Leute schloss er die Tür.
Kathi quetschte sich auf die Bank im Flur zwischen einen rotgesichtigen Bauern und ein Mädel, das einen Korb umklammerte. Den Louis setzte sie auf den Boden. Bedienstete in blauer Livree hasteten umher, Türen wurden aufgerissen und wieder zugeschlagen. Immer mehr Menschen drängten herein, standen verlegen herum. Die Männer drehten den Hut in der Hand und die, die keinen hatten, stierten auf ihre Schuh. Die Weiber tuschelten miteinander, bis sie der barsche Ruf: „Der Nächste!“ erlöste.
Die Luft war zum Schneiden dick. Schweiß vermischte sich mit faulgärigem Mundgeruch. Abgestandener Zigarrenrauch dampfelte aus Joppen und Westen. Nur ab und zu, wenn eine Dame zur Tür hereinkam, roch es nach Kölnisch Wasser.
„Wie viel Geld bringst du dem Fräulein Spitzeder?“, flüsterte das Mädel.
„Herrschaftszeiten!“ Der Kathi wurde es zu bunt. „Was reden denn alle vom Geld?“
„Ruhe!“, schnauzte sie ein Blaulivrierter an.
Sich anschnauzen lassen, das hatte die Kathi noch nie vertragen. Nicht einmal ihr verstorbener Mann hatte sich das getraut. „Was glaubst eigentlich, wer du bist?“ Sie sprang auf und trat dem Louis dabei auf die Pfoten. Der winselte schrill und verbiss sich, völlig durcheinander, im Hosenbein des Livrierten. Der Mann gab dem Mops einen Tritt, jaulend fiel er der Kathi vor die Füße.
Sie plärrte: „Du Hundstöter, du elendiger!“
Im oberen Stockwerk ging eine Tür auf, Adele trat an die Balustrade. „Kathi, schön, dass du da bist. Komm rauf.“
Die Kathi packte ihren Louis und zischte hin zu dem Livrierten: „Da hast es, du Depp.“ Schritt, so würdevoll es ihre gichtigen Füße zuließen, die Treppe hinauf.
Adele führte sie in den Salon. „Jetzt trinkst erst einmal einen Kaffee. Und wenn du willst, kannst meine Hunde gleich heute ausführen.“
Kathi, jetzt doch eingeschüchtert, nippte am Kaffee. Nobel war es hier. Mit der gelben Seidentapete, dem riesigen Kronleuchter und dem Klavier in der Ecke. Aber der Verhau! Zerknitterte Kleider flackten auf dem Boden, dazwischen Schuhe, Strümpfe und ein Seidenunterrock. So was hätte es bei ihr daheim nicht gegeben. Die Kaffeetasse war auch nicht ganz sauber mit den eingebackenen Bröseln am Rand.
„Noch mal ‚Vergelt’s Gott‘ wegen dem Veterinär. Ich werd mich gut um Ihre Tiere kümmern.“ Zögernd schob sie nach: „Und wenn’s Ihnen recht wär, könnt ich auch ein bisserl aufräumen.“
„Aber ich hab schon zwei Zugeherinnen.“
„Fleißig sind die aber nicht.“
„Wenn dir noch Zeit übrig bleibt, kannst es ja probieren.“
Bald führte die Kathi ein strenges Regiment, schaute den Zugeherinnen unbarmherzig auf die Finger. Jetzt lag das Silber blank poliert im Kasten, die Kristallgläser glänzten, die Kleider hingen frisch gebügelt im Schrank. Überall hatte sie ihre Augen. Schimpfte die Köchin, wenn die das Fleisch nicht gründlich vom Knochen löste, die Knödel nicht fest genug drehte. Nicht einmal vor ihrer Herrin machte sie Halt. Die geldgefüllten Schachteln hinterm Vorhang und unterm Bett – wo gab’s denn so was!
„Schließen Sie es endlich weg, das Geld.“
„Wo soll ich’s denn hintun?“
„In den großen Wandschrank im Flur. Da lassens ein Schloss anbringen und räumen alles hinein.“
Seitdem lag das Geld weggesperrt im Wandschrank.
Bei den Bediensteten hatte die Kathi ausgeschissen. Weil die Büglerin an allen Türen lauschte, rumtratschte, was die alte Vettel so anrichtete. Aus war’s mit den Gulden, die sie tief versteckt in ihren Hosen- und Schürzentaschen aus dem Haus schafften. Sagen traute sich keiner was. Weil die Spitzederin nichts auf die Kathi kommen ließ.