Читать книгу Das süße Gift des Geldes - Bhavya Heubisch - Страница 12
Locken
Оглавление„So ein bigottes Weib, so ein bigottes!“ Wütend schnarrte Jakob Kramer die Spitze seines Regenschirms übers Kopfsteinpflaster. „Unchristlich bist!“, hatte ihn die Agnes geschimpft. „Immer denkst nur ans Geld.“ Die scheinheilige Matz, die scheinheilige. Das Essen, für das er das Geld heimbrachte, fraß sie trotzdem.
Dass ihm sein Herbergshaus nicht noch mehr einbrachte, wurmte ihn zusätzlich. Zu seinem Verdruss war die Elsbeth gesund geworden. Draußen haben wollte er sie trotzdem, einer Taglöhnerin mit ihren vier Kindern die Kammer zu einem höheren Preis vermieten.
„Mich auf die Straße setzen, jetzt, wo du deinen Mietzins bekommen hast?“, hatte sich die Elsbeth gewehrt.
Die Bedienungen aus dem unteren Stockwerk waren ihr zu Hilfe geeilt. Die Marei war besonders renitent.
„Kramer, wenn du die Elsbeth nicht weiter hier wohnen lasst, erzähl ich überall herum, was du für einer bist.“ Mit bösen Augen hatte sie ihn angefunkelt. „Und dem Baurat Gruber sag ich, was für einen Wucher du mit uns treibst.“
Ärger mit den Behörden hätte ihm gerade noch gefehlt. Mehr Geld musste trotzdem her.
Schwarze Wolken verhüllten die Türme der Theatinerkirche, Regentropfen prasselten herab. Er spannte den Schirm auf und hastete die Ludwigstraße entlang. Bog ein in die Schönfeldstraße und suchte die Häuser ab. An der Ecke zur Kaulbachstraße fand er das blank polierte Messingschild, von dem sein Spezl Hartl ihm erzählt hatte.
Im ersten Stock klapperte ein Fensterladen. Zu sehen war niemand. Schussergroße Regentropfen trommelten auf seinen Schirm, das Wasser rann ihm hinten in den Nacken hinein. Durch knöcheltiefe Wasserlachen ging er auf die andere Straßenseite, zog die Eichentür auf und betrat die Wirtschaft „Wilhelm Tell“. Feuchtmiefiger Lodengeruch und Tabakqualm durchzogen den Gastraum. Auf den Bänken drängten sich Arbeiter in zerlöcherten Joppen, Kutscher in abgewetzten Lederwesten und sonstige Mannerleut. An einem runden Tisch ratschten ein paar Frauen.
„Servus miteinander. Habts noch Platz?“
Die Leute rutschten zusammen. Kramer schob sich auf die Bank und rief der Bedienung nach einem Bier.
Der neben ihm kaute an einem Rettichzipfel und rülpste: „Willst auch dein Geld anlegen?“
„Bloß erkundigen wollt ich mich. Hab gehört, die Spitzeder leiht sich Geld und zahlt zwanzig Prozent Zins im Monat. Wird ein schöner Schwindel sein.“
Der mit dem Rettich belferte: „Ich sag dir was, du Zehnmalgscheiter. Mit zwanzig Gulden hab ich angefangen. Jeden Monat die Zinsen gekriegt, genau, wie sie’s gesagt hat. Dann hab ich mir vom Schwager fünfzig Gulden geliehen und die auch angelegt. Kannst es dir ausrechnen. Jeden Monat zehn Gulden geschenkt.“
Kramer rechnete. Zehn Gulden. Das war mehr, als er an jedem Bett in seinem Herbergshaus verdiente. Obwohl er die Betten doppelt vermietete. An einen Arbeiter mit Früh- und an einen mit Spätschicht, damit sie sich abwechseln konnten beim Schlafen.
„Wird auch keine Heilige sein.“ Er zog sein Schnäuztuch heraus und trocknete sich den Nacken. „Wo will sie denn das Geld für die zwanzig Prozent herhaben? Wo’s sogar bei der Sparkass nur zwei Prozent gibt. Und das im Jahr.“
Der ihm gegenüber schlug mit der Faust auf den Tisch. „Pass auf, was du über das Fräulein sagst. Beleidigen lass ich sie fei nicht. Geh halt selber hin und schau’s dir an. Schon in Allerherrgottsfrüh stehn die Leut an, damit sie noch hineinkommen, bevor Schluss ist um zwei.“
Alle redeten durcheinander vom Reichsein, vom nicht mehr Hunger haben. Der Regen knallte gegen die Scheiben, immer mehr suchten Zuflucht im „Wilhelm Tell“.
Kramer, das Bierseidel in der Hand, riss die Augen auf. Sakra, sakra, kam da ein Weib herein. Schwarze Locken fielen ihr ins Gesicht, nass pappte ihr die Bluse am Busen. Er schmiss die Kreuzer fürs Bier auf den Tisch, rumpelte auf und wanzte sich heran an die Schöne. „Gnädiges Fräulein, wenn Sie nur Zuflucht vor dem Regen gesucht haben, könnte ich Ihnen meinen Schirm anbieten.“
Die Schöne mit einem verführerischen Augenaufschlag: „Da hätt ich aber ein Glück!“
„Schauts den an“, spöttelten die Männer leise. „Schöne Augen tät er ihr machen, der Afra. Wär nicht der Erste, der sich an der die Finger verbrennt.“
„Könnts euch noch an den Loibl Toni erinnern?“, fragte einer der Männer. „Wochenlang ist er ihr nachgestiegen. Hat ihr alles bezahlt, was sie haben wollt. Wie sie alles gehabt hat, hat’s ihn sitzenlassen.“
„Ja, ja, die Afra“, lachte ein anderer. „Die kenn ich schon von klein auf. Die weiß, wie man sich einen Vorteil verschafft.“
Der Kramer ließ nicht locker. „Ich könnt Sie sogar nach Hause begleiten.“
Die Afra lachte. „Ja, wenn’s so ist, dann gehen wir gleich.“
Mit einer Verbeugung öffnete Kramer die Tür und führte sie hinaus.
Zwei Tage nach dem Besuch im „Tell“ stand Kramer an der Hintertür des Spitzederhauses.
„Schnell, komm rein!“ Hartl, der aufpasste wie ein Schießhund, dass niemand über den Garten ins Haus schlich, zog den Kramer in den Flur. Zwei Maß und drei Paar Schweinswürschtl hatte der Kramer spendieren müssen, bis der Hartl versprochen hatte, ihn an der Hintertür ins Haus zu lassen, damit er sich vorn nicht ewig anstellen musste.
Kramer trat ein, nahm den Hut ab und schaute sich um im Flur. Setzte sich auf den letzten freien Platz auf der Bank an der Wand. Gereizt rutschten die Leute zusammen.
„Zinsen oder Kapital?“, herrschte ihn ein goldbetresster Lakai an.
„Wie meinen Sie das?“
„Frag nicht so saudumm. Willst Geld anlegen oder abholen?“
„Anlegen möcht ich, wenn’s recht ist.“
„Dann gehst da vorn in den Gang und stellst dich vor dem Kassiererzimmer an.“
Wieder musste Kramer warten. „Dauert’s lang, bis man drankommt?“
„Pscht!“, zischte eine Bäuerin, den Beutel mit dem Ersparten an die Brust gepresst. „Das gnädige Fräulein duldet keinen Lärm.“
Einer nach dem anderen wurde aufgerufen und verschwand hinter der Tür.
„Der Nächste!“, schnarrte der Lakai.
„Ich wär dran.“
„Dann schick dich! Meinst, wir haben ewig Zeit?“
Eingeschüchtert betrat Kramer das Zimmer. Traute sich kaum, die Spitzeder anzuschauen, die kerzengerade in einem wuchtigen Ledersessel saß. Er verkrumpelte seinen Hut und stierte auf das Bild mit dem aufgemalten Spruch: „Tue recht und scheue niemand.“
„Halt keine Maulaffen feil! Wie viel willst anlegen?“
„Zehn Gulden, wenn’s genehm ist.“
Mit geübten Fingern zählte sie sein Geld, legte es in den Korb, der vor lauter Münzen fast überquoll, und nahm einen Zettel zur Hand. „Name?“
„Der Kramer bin ich.“
„Vornamen hast keinen?“
„Jakob.“
Sie schrieb seinen Namen und den eingezahlten Betrag auf einen Zettel. Vermerkte auf einem anderen die zehn Gulden und schob ihn dem Kramer hin. „Da hast den Beleg. Und da hast zwei Gulden Zins für zwei Monat im Voraus. Für jeden weiteren Monat, den du das Geld bei mir lasst, kriegst weitere zwei Gulden. Und jetzt schau, dass du weiterkommst.“
Mit gesenktem Kopf schlich Kramer auf die Straße. Ein so ein rüdes Weib. Aber ein schnell verdientes Geld war es. Hitzig dachte er an die Afra. Eine Kette vom Juwelier Thomass würde er ihr schenken. Damit sie ihn heranließ, die Verheißungsvolle. Die so ganz anders war als die Agnes, die jedes Mal, wenn er auf ihr gelegen hatte, sich heulend neben die Bettstatt kniete und den Herrgott um Verzeihung bat für die Sünd.
Vorsichtig, damit er nicht ausrutschte auf den wackligen Bohlen, ging er den Weg am Pfisterbach entlang. Der Bach, der mit seinem Wasser die Pfistermühle speiste, floss träge an ihm vorüber. „Scheiß Vieh!“ Kramer war auf einen Ratzenkadaver getreten und schleuderte ihn mit der Schuhspitze zur Seite. Er wollte nur noch heim, die Gulden in die Schatulle legen.
Vor seinem Haus nestelte er nach dem Schlüssel, wunderte sich beim Aufschließen über den gerbsäurigen Geruch, der ihm in die Nase stieg. Misstrauisch schaute er sich um. Rasch trat er ins Haus und schlug die Tür hinter sich zu.