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Schatulle

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Nichts wie heim! Jakob Kramer eilte die Rosenheimer Straße entlang, tastete verstohlen nach der prall gefüllten Geldkatze unter seinem Wams. Bei dem Gesindel, das sich in der Stadt herumtrieb, hieß es Obacht geben.

Immer mehr Bauern, Landarbeiter und Tagelöhner strömten nach München. Hofften auf ein besseres Auskommen, ein Sattwerden jeden Tag. Mit der Hoffnung war es schnell vorbei. Arbeit gab es nur zum Hungerlohn, eine Unterkunft schon gleich gar nicht. Die Männer bettelten um eine Anstellung in einer Fabrik. Viele marschierten schon vor Tagesanbruch in die Hirschau. Schufteten in der Lokomotivfabrik in säuregiftiger Luft. Kehrten abends heim und fielen in einer üblen Kammer, zusammengepfercht mit anderen Tagelöhnern, in bewusstlosen Schlaf. Nicht jeder hielt das aus. Manch einer endete als Dieb oder Beutelschneider, lungerte auf der Straße herum, spähte aus, bei wem sich der Griff in die Tasche lohnte.

Kramer durchschritt das Isartor und durchquerte das Tal. Schlängelte sich hindurch zwischen Ochsenkarren und Pferdefuhrwerken, fluchte, als er in einen Kuhfladen tappte. Heftiger Bierdurst plagte ihn. Sollte er auf eine Maß ins Dürnbräu? Zu riskant mit dem ganzen Geld. Er eilte zurück zu seinem Haus am Lueg ins Land. Blickte sich misstrauisch um, stocherte den Schlüssel ins Schloss, trat ein und rief nach seiner Frau: „Agnes, was gibt’s zum Essen?“ Keine Antwort. Bestimmt kniete sie wieder in der Kirche, die bigotte Matz. Fünf elende Jahre war er schon mit ihr verheiratet, der Bauerstochter, die froh gewesen war, doch noch einen Hochzeiter zu finden. Mit schönen Worten und süßem Lächeln hatte sie ihn herumgekriegt. Nach der Hochzeitsnacht war es verschwunden, das Lächeln.

Verdrießlich stieg er die Treppe hinauf in die Schlafkammer, um sein Geld in Sicherheit zu bringen. Rückte schnaufend die wuchtige Eichentruhe von der Wand und löste mit seinem Hirschfänger ein Brett des Dielenbodens. Unter der Diele befand sich, sorgfältig mit einem Tuch ausgelegt, ein Hohlraum. Vorsichtig hob er die silberne Schatulle aus dem Versteck und ließ die Finger über die in Silber geschlagene Figur auf dem Deckel gleiten. Den heiligen Martin, der alles hergegeben hatte für die Armen. Er würde nichts hergeben von seinen Gulden, so wahr er Jakob Kramer hieß.

Er öffnete das Kästchen, setzte sich aufs Bett und dachte mit Grausen an seine Kindheit. Die Geschwister an Auszehrung gestorben, die abgearbeiteten Eltern tot. Als Kostkind hatten sie ihn herumgeschoben. Jeden Tag bei einer anderen Familie essen, jeden Tag bei einer anderen Familie schlafen. Alles hatten sie aus ihm herausgepresst, dem Balg. Stallausmisten, Kühe melken, die schweren Milchkübel schleppen. Und wehe, wenn die Milch überschwappte. Die vernarbten Striemen auf seinem Rücken sah man noch heute.

Dann war der Schmied gekommen. „Schaust kräftig aus, Bub. Wennst hinlangen kannst, dann darfst bei mir anfangen.“

Hinlangen konnte er. Und das Feuer gefiel ihm, in dem er die Eisenstäbe drehte, bis das Metall rot glühte. Glücklich war er, wenn er den funkensprühenden Stab auf den Amboss legte, ihm mit dem wuchtigen Hammer eine Form gab, für Eisenstreben, Türbeschläge, Riegel. Als der Schmied den Schlagfluss erlitt, konnte er die Werkstatt übernehmen. Jeden Kreuzer, jeden Gulden hatte er zurückgelegt, bis das Geld reichte. Für den Kauf von zwei Zimmern in einem Herbergshaus hinten am Gasteig, die er weitervermietete, für gutes Geld.

Er nestelte die Geldkatze vom Gürtel und zog die Gulden hervor. Streichelte jeden einzelnen, flüsterte: „Reich werdets mich machen. Richtig reich.“ Er legte die Münzen in die Schatulle, verstaute diese wieder im Hohlraum, passte das Dielenbrett akkurat ein und wuchtete die Eichentruhe zurück.

Die Haustür fiel ins Schloss. Kurz darauf hörte er die Agnes in der Küche hantieren. Sein Magen knurrte. Er stieg die Treppe hinunter und raunzte an der Küchentür: „Wann gibt’s was zum Essen?“ Missmutig ließ er sich auf die Küchenbank fallen.

„Wirst es noch derwarten können.“

„Wo warst?“

„Geht’s dich was an?“ Agnes rührte den Eintopf um, schnitt Geselchtes klein und gab es in den Kupferkessel. Schöpfte eine große Portion in einen Teller und stellte ihn dem Kramer hin. Der würzige Fleischduft stimmte ihn gleich versöhnlicher.

„Setz dich her zu mir. Pläne hab ich.“

„Wird schon was Gescheites sein!“

„Jetzt hab ich bald das Geld beisammen, dass ich noch ein Zimmer kaufen kann.“

„Kriegst den Wanst immer noch nicht voll?“ Hämisch verzog Agnes den Mund. „Der Pfarrer hat’s auch gesagt: Auspressen tust die Leut. Viel zu viel verlangst für die windigen Zimmer.“

„Und du, von was lebst du?“ Kramer klatschte den Löffel in die Suppe, das Geselchte pflatschte über den Tisch. „Von dem Geld, das ich heimbring!“

Agnes reckte ihr spitzes Kinn. „Eine Schand bist für anständige Christenleut!“

Er sprang auf, zog die Agnes vom Stuhl und drückte sie gegen die Wand. „Wennst das noch einmal sagst, dann bring ich dich um. Ich schwör’s bei Gott: Dann bring ich dich um.“

Er stürmte aus der Tür. Grad zum Fleiß würde er seinen Mietern aufs Dach steigen. In seinem Herbergshaus droben in Haidhausen. Vor allem der Elsbeth, deren Mietzins längst fällig war.

In ihrer zugigen Kammer warf Elsbeth die durchgeschwitzte Bettdecke zurück und würgte grünen Schleim in ein Tuch. Sie wickelte zwei Chinintabletten aus gilbigem Papier und zwang sie mit einem Glas Wasser hinunter. Erschöpft lehnte sie sich ins Kissen zurück und schloss die Augen.

Ihr Emeran fehlte ihr. In der Lehmgrube hatte er gearbeitet, bei Wind und Wetter Ziegel hergestellt. Der Lohn war knapp gewesen. Aber für ein warmes Essen am Tag hatte es gereicht. Bis die Itaker kamen. In Hundertschaften waren sie angerückt. Hatten ihre Schubkarren, Hacken und Schaufeln über die Alpen gebracht, im Akkord gearbeitet, für halb so viel Lohn wie die Einheimischen. Die konnten nicht mehr mithalten, mussten sich eine andere Arbeit suchen, wenn ihre Kinder nicht verhungern sollten. Ihr Emeran hatte ausgehalten. Bis ihn das Fieber erwischte. Und dann die tödliche Lungenentzündung.

Mit klopfendem Herzen horchte sie auf die Schritte im Treppenhaus. Die Tür flog auf. „Elsbeth, meinen Mietzins will ich.“ Drohend, die Daumen in die Ärmellöcher seiner Weste gehakt, stand der Kramer vor ihr.

„Nächste Woche zahl ich ganz bestimmt. Wenn ich wieder auf Arbeit bin.“

„Ich wart nicht ewig auf mein Geld. Drei Tag lass ich dir noch. Wennst dann nicht zahlst, fliegst raus. Warten genug andre auf das Zimmer.“

„Aber, wenn ich doch krank bin.“

„Meinst, ich hab die Spendierhosen an? Drei Tag und keinen Tag länger.“ Schon war der Kramer draußen bei der Tür und donnerte die Treppe hinunter.

Draußen schaute er, von dem vermatschten Weg aus, hinauf zum Haus. Der Anstrich großflächig abgeblättert, lehnte es windschief am Nachbarhaus. Sah auch nicht besser aus als die anderen armseligen Behausungen. Aber Geld brachten die Zimmer. Wenn man schlau war und wie er Spezln im Magistrat hatte. Dann konnte man sie umgehen, die Verordnung gegen die Wohnungsnot, die es Arbeitern erlaubte, für wenig Geld ein Zimmer in einem Herbergshaus zu kaufen. Konnte Zimmer erwerben und sie teuer vermieten. Er feixte. So marod, wie die Elsbeth ausschaute, würde sie nie und nimmer zahlen, schon gar nicht bis in drei Tag. Und wenn er sie draußen hatte, würde er statt einem Bett drei Betten hineinstellen in die Kammer. Würden sich schnell Aftermieter finden. Wo so viele ein Dach über dem Kopf suchten.

Elsbeth in ihrer Kammer atmete schwer. Mühsam stand sie auf und betrachtete sich im Spiegel über dem Waschtisch. Ihre grünen Augen blickten ihr matt entgegen, ihre vollen Lippen hatten jede Farbe verloren. Sie band ihr Haar zusammen, wechselte das durchgeschwitzte Hemd gegen eine frische Bluse und machte die Rollgerste3, die seit gestern auf dem Herd stand, noch einmal warm. Löffelte lustlos den faden Brei. Gesund musste sie werden. Sonst war sie weg, die Stelle bei der Frau Magistratsrat, bei der sie jede Woche einen halben Gulden bekam fürs Putzen, Waschen und Bügeln. Und bei der sie, wenn Besuch kam, sogar in der Küch helfen durfte. Beim Gedanken an den Kalbsrollbraten, die sauren Nierchen, an die fein geschabten Butterspatzen brachte sie die Rollgerste nicht mehr hinunter.

Es klopfte. Marei, die Bedienung vom Schleibingerbräu trat ein und blickte die Elsbeth prüfend an. „Schlecht schaust aus.“

„Was Gscheits zum Essen bräucht ich. So komm ich nie auf die Füß.“

Marei strich Elsbeth übers Haar. „Komm doch runter zu uns. Ich hab was aus der Wirtschaft mitgebracht.“

Elsbeth schlurfte hinter der Marei die ausgetretene Stiege hinunter. Kam kaum hinein in die Kammer, in der die Marei mit noch drei Bedienungen hauste. Die Kleider hingen an rostigen Haken, für einen Tisch oder Stuhl war kein Platz. Die Bedienungen saßen auf den Betten, hielten die Teller fest auf den Knien.

Elsbeth setzte sich zu ihnen, verschlang gierig das Wammerl, das sie ihr hinschoben. „Grad war der Kramer bei mir.“

Zornig stieß die Marei hervor: „Bei uns war er auch, der Sauhund. Will nächste Woche noch drei Bedienungen bei uns einquartieren. Sagt, es könnten leicht zwei in einem Bett schlafen.“

Elsbeth schleckte das Messer ab. „Wissts, von was ich träum? Von einem Klo im Stiegenhaus. Damit ich mich nicht immer so fürcht, wenn ich nachts raus muss in den stinkigen Verschlag.“

„Schauts die Elsbeth an“, kicherte die Marei. „Willst vielleicht auch noch ein fließendes Wasser wie in den feinen Häusern?“

„Mir tät’s schon reichen, wenn der Brunnen nicht so weit weg wär.“

Marei zog die Plane vom Fenster und ließ frische Luft herein. „Wissts was? Der Baurat Gruber ist Stammgast bei uns. Den frag ich. Vielleicht weiß der eine Wohnung für uns.“

Das süße Gift des Geldes

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