Читать книгу Nalanthia - Bianca Maria Panny - Страница 8

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Das Erste, was Isabelle auffiel, als sie hustend wieder zu sich kam, war die nicht zu bestreitende Tatsache, dass sie immer noch fähig war zu atmen. Natürlich war die Eiswächterin zunächst davon überzeugt, dass es sich dabei um bloße Einbildung handeln musste, da kein ihr bekanntes Lebewesen einen derartigen Sturz überleben konnte. Der stechende Schmerz, der ihr im nächsten Moment in sämtliche Glieder fuhr, brachte sie allerdings rasch wieder in die Realität zurück und ließ jegliche Zweifel an ihre wie durch ein Wunder noch bestehende Lebendigkeit verfliegen.

„Wir sind nicht tot“, sprach sie die erfreuliche Erkenntnis leise aus; sie brauchte sich gar nicht erst umzudrehen, um zu wissen, dass Philipp direkt neben ihr saß. Die beiden Wächter befanden sich am Ufer eines großen Sees, dessen schimmernde Oberfläche fast die gesamte Höhle einnahm. Erst jetzt bemerkte Isabelle, dass ihre Kleider von oben bis unten durchnässt waren, und sie zuckte unwillkürlich zusammen, als ein paar einzelne Wassertropfen ihren Rücken hinunter rannen. Immer noch ungläubig sah sie zu Philipp hinüber, dem ebenfalls Wasser von seinem Haar und seinem roten Umhang tropfte, doch er hatte bereits eine Flamme in seiner Hand entstehen lassen, um sie beide einigermaßen aufzuwärmen. Stirnrunzelnd starrte Isabelle auf den makellos daliegenden See zurück, der ihren Sturz ins Nichts erfolgreich abgefangen hatte. Es ließ sich unmöglich sagen, wie tief er war. Tief genug jedenfalls, um ihr Leben noch ein wenig verlängert zu haben.

Und das genügte Isabelle für den Augenblick völlig.

„Hast du mich aus dem Wasser gezogen?“, fragte sie schließlich an den Feuerwächter gewandt, da sie sich nicht daran erinnern konnte, sich selbst ans Ufer gehievt zu haben.

„Ich dachte, hier draußen gefällt es dir vielleicht besser“, erwiderte der Zauberer mit seinem gewohnt charmanten Lächeln, ehe er sich langsam aufrichtete und auch seiner Freundin auf die Beine half. Zahlreiche Stalaktiten, die auf der glasklaren Oberfläche des Sees deutlich zu erkennen waren, warfen über ihnen ein seltsam fluoreszierendes Licht auf sie herab. In der Nähe der steinernen Wände dagegen herrschte vollkommene Dunkelheit.

„Alles in Ordnung bei dir?“, fragte Philipp besorgt, da ihm Isabelles seltsame Haltung aufgefallen war.

„Klar“, erwiderte die Wächterin gereizt. „Warum auch nicht, wenn einem gerade der beste Freund in den sicheren Tod nachgesprungen ist.“

„Isabelle…“, begann er, doch sie verpasste dem Wächter auch schon einen kräftigen Stoß in die Rippen.

„Autsch“, entfuhr es Philipp, der verständnislos ein paar Schritte zurückwich. „Was sollte denn das?“

„Du bist so ein Idiot!“, schrie sie ihn an. „Wieso hast du mich nicht einfach losgelassen?!“

„Jetzt sei doch nicht gleich sauer deswegen…“

„Du hättest hier unten genauso gut sterben können, und dann wärst du keinem in Nalanthia mehr eine große Hilfe gewesen! Was hast du dir dabei gedacht, dein Leben so leichtsinnig wegzuwerfen? Das war einfach nur unbeschreiblich dumm von…“

„Das wäre immer noch besser gewesen“, unterbrach er sie bestimmt, „als mit dem Wissen zu leben, dich losgelassen zu haben.“ Darauf wusste sie keine Antwort. Eine Weile sahen die beiden einander schweigend an, ehe Isabelle verlegen auf das gegenüberliegende Flussufer hinüberstarrte. Die Eiswächterin wollte etwas erwidern, suchte verzweifelt nach den richtigen Worten und fuhr abrupt zusammen, als ein grauenerregendes Knacken und Knistern von den Höhlenwänden widerhallte.

„Hast du das auch gehört?“, flüsterte Philipp nicht weniger erschrocken. Alle Selbstsicherheit war aus seiner Stimme gewichen. Wieder vernahmen sie das bedrohliche Knistern. Ein eiskalter Schauer lief Isabelle über den Rücken, und zwar von der Art Kälte, die sie stets mit dem Schlimmsten rechnen ließ. Ganz so, als wären sie lebendig, tasteten sich die Geräusche aus der unerforschten Dunkelheit an die Zauberer heran, dem unstillbaren Drang folgend, sie zum Näherkommen zu bewegen. Unheilvolle Stimmung lag in der Luft, die mit jedem Schritt noch unangenehmer wurde, der die beiden Wächter von dem schimmernden Gewässer wegführte. Philipp, der erneut eine lodernde Flamme in seiner Hand entfacht hatte, ging wortlos voraus auf eine schmale Kluft in der Felswand zu, Isabelle dicht auf den Fersen. Zusammen mit dem Zentrum der Höhle ließen sie auch die Licht spendenden Stalaktiten zurück, deren Abwesenheit ihnen immer deutlicher als Warnung vorkam, je weiter sie sich durch den engen Spalt in die Finsternis hineinwagten. Philipps Flamme war nun das einzige, was ein mehr als ungemütliches Stolpern über Schutt und Geröll verhinderte und ihnen sicher den Weg leuchtete. Die seltsamen Laute schienen bald zum Greifen nah und zogen die fremden Besucher mit ihrer geheimnisvollen Unbekanntheit in ihren Bann, als wüssten sie nur zu gut, wie man neugierige Zauberer ins sichere Verderben lockte. Die schlagartige Hitze, die sie beim Verlassen des Tunnels umfing, raubte Isabelle fast den Atem. Unwillkürlich taumelte sie ein paar Schritte zurück, doch als sie Philipp im Schein seines magischen Feuers dabei beobachtete, wie er sich in der neu entdeckten Kammer bereits vorsichtig an den Wänden entlangtastete, riss die Wächterin sich zusammen und zwang sich dazu, seinem Beispiel zu folgen. Während Isabelle die drastische Temperaturveränderung angestrengt zu ignorieren versuchte, schien Philipp sie gar nicht bemerkt zu haben. Typisch Feuerwächter, dachte die Zauberin bei sich. Sie widerstand dem Drang, jene Kammer unter dem Wolkenturm in einen netten kleinen Eispalast zu verwandeln, doch das änderte nichts an dem unguten Gefühl, ihre magischen Kräfte ohnehin schon sehr bald gebrauchen zu müssen. Wenigstens konnte die Wächterin über sich wieder einige fluoreszierende Gesteinsformen ausmachen, die es ihr gerade noch ermöglichten, die Hand vor Augen zu erkennen. Der Rest der Höhle lag in tiefschwarzer Dunkelheit.

„Es hat aufgehört“, stellte Philipp überrascht fest, der vergeblich versuchte, im spärlichen Schein seiner Flamme den Ursprung der seltsamen Geräusche zu ergründen. Trotz seines Flüsterns drangen die Worte des Feuerwächters deutlich zu Isabelle herüber, die sich auf der anderen Seite der Kammer parallel zu ihm bewegte, und mit einem Mal wurde der jungen Frau bewusst, wie ungeheuer still es um sie herum geworden war. Sie wollte sich erneut an den steinernen Felswänden zu ihrer Rechten abstützen und stieß einen Fluch aus, als sie sich an der plötzlich glühenden Oberfläche die Finger verbrannte.

„Isabelle?“ In nur wenigen Schritten hatte der Feuerwächter die Dunkelheit durchquert und war zu seiner Begleiterin geeilt. „Alles okay bei dir?“ Die Wächterin hatte bereits eine hauchdünne Eisschicht wie einen kühlenden Handschuh um ihre Verbrennungen gezaubert, die den Schmerz rasch in Vergessenheit geraten ließ. Ihre finstere Miene behielt sie jedoch.

„Halb so wild“, versicherte sie Philipp kurz angebunden. „Hab mich nur ein wenig verbrannt. Diese Wände scheinen offenbar nicht ganz so normal zu sein wie wir dachten.“ Der Feuerwächter schnaubte verächtlich.

„Wir sind hier im Heiligtum der Miliposkis, Isabelle. Die können das Wort normal noch nicht einmal buchstabieren.“ Die Eiswächterin lachte herzlich, doch als sie sich wieder zur Wand drehte, machte sie mit einem entsetzten Aufkeuchen einen Satz zurück. Jetzt erkannte auch Philipp, dass von dem Felsgestein jener Höhle ein unnatürlich warmes Leuchten ausging, das ihre Umgebung in wenigen Sekunden in alle erdenklichen Rottöne tauchte und wie glühende Lavaströme im Inneren der Wände pulsierte.

„Was in aller Welt…“, begann der Wächter leise, während er mit Isabelle einige Schritte zurückwich, ohne den Blick von den unheilvoll schimmernden Felsen zu wenden. Das ihnen nur allzu vertraute Knistern hatte inzwischen wieder eingesetzt und bahnte sich wie ein neckisches Flüstern seinen Weg durch die kohleartigen Steinwände. Die Eiswächterin wagte kaum zu atmen. Die sich rasch verbreitende Hitze wurde noch eine Spur unerträglicher und schien sie allmählich unter sich erdrücken zu wollen. In der Mitte der Höhle angelangt, brachte die beiden schließlich etwas ins Straucheln, und nur Philipps Reflexen war es zu verdanken, dass sie keine ungemütliche Landung auf ihre Hintern vollführten. Sofort wirbelten die Zauberer herum, und Isabelle entfuhr ein Schrei, als sie erkannte, was sie beinahe zu Fall gebracht hätte: Da lagen Knochen. Ein ganzes Skelett aus gewaltigen Knochen, die - nun im pulsierenden Rot der Wände gut sichtbar - einen beträchtlichen Teil des Höhlenbodens bedeckten. Obwohl Philipp und Isabelle zuvor nie etwas Derartiges zu Gesicht bekommen hatten, stand für sie beide augenblicklich fest, dass es sich dabei um die Überreste eines der mächtigen Feuerdrachen handeln musste, die vor so vielen Jahren den Himmel Nalanthias beherrscht hatten. Alles nur, um an einem kalten und trostlosen Ort wie diesem zu enden, ging es der Eiswächterin durch den Kopf, die immer noch fassungslos auf die riesige Ansammlung von Knochen starrte und keinen Ton herausbrachte. Als sie ihren Blick schließlich in die hinteren Bereiche der Kammer schweifen ließ, war bereits alle Farbe aus ihrem Gesicht gewichen. Auch Philipp packte unbeschreibliches Grauen, als er ihrem Blick über ein regelrechtes Meer aus Knochen folgte, die unmöglich nur von einem einzigen Drachen stammen konnten.

„Wo sind wir hier?“, brachte Isabelle mühevoll heraus. Die Stimme drohte ihr zu versagen. „Was hat das alles nur zu bedeuten?“

„Ich weiß es nicht“, erwiderte Philipp leise und bückte sich langsam, um die kläglichen Überreste eines der früher einmal so stolzen Geschöpfe näher zu untersuchen. „Es bedeutet auf jeden Fall nichts Gutes.“ Das Leuchten im Inneren der Felsen wurde unruhiger, und das von ihm verursachte Knistern und Flackern hallte nun bedrohlich laut von den Wänden wider. Die Eiswächterin wollte ihren Freund davor warnen, dem gewaltigen Knochen des Drachens zu nahe zu kommen. Doch als Philipp mit seiner Hand auch schon den nächstbesten berührte, war es dafür bereits zu spät. Erschrocken stolperten die beiden Zauberer einige Schritte zurück, als sich ein ohrenbetäubendes Fauchen einen Weg durch die tiefschwarzen Felsen bahnte und einen Schwall kochend heißen Dampfes mit sich an die Oberfläche brachte, der sich rasch in der gesamten Höhle ausbreitete. Wie todbringende Nebelschwaden, die inzwischen den gleichen blutroten Farbton der Wände angenommen hatten, waberten die Dämpfe im Rhythmus des nicht enden wollenden Knackens und Knisterns in dem Raum auf und ab. Allein Isabelles Fähigkeit, magische Eisschichten wie eine schützende zweite Haut zu erzeugen, war es zu verdanken, dass die Wächterin nicht bei lebendigem Leibe verbrannt wurde. Sie wäre auch ihrem Freund sofort damit zu Hilfe gekommen, hätte dieser als Feuerwächter nicht eine natürliche Begabung dafür besessen, seinen Körper der gefährlich zunehmenden Hitze in seiner Umgebung anzupassen. Doch Isabelle wusste: selbst für jemanden wie Philipp gab es Grenzen für seine Magie, und wenn sie nicht schleunigst von hier verschwanden, würde ihr das kräftezehrende Herbeizaubern einer Wärme absondernden Schutzhülle auch nicht mehr allzu viel helfen.

„Wir müssen zurück zum See, und zwar sofort!“, brüllte Philipp über den fürchterlichen Lärm hinweg, bei dem man meinen konnte, ein ganzer Wald aus knacksendem Geäst stünde lichterloh in Flammen. Es war kaum noch auszuhalten. Doch es sollte noch weitaus schlimmer kommen. Aus den Augenwinkeln sahen sie sie: schattenhafte, aus schwarzem Rauch und züngelnden Flammen bestehende Wesen, die sich aus dem lavaartig schimmernden Gestein lösten und zu schlangenförmigen Linien aus purem Feuer verschmolzen, die sich wild auf und ab tanzend dem gewaltigen Knochenhaufen im Zentrum der Höhle näherten. Selbst das Fauchen dieser winzigen und dennoch etwas ungemein Teuflisches ausstrahlenden Kreaturen klang in Isabelles Ohren wie das Geschrei eines tosenden Flammenmeeres, das in Sekundenschnelle die deutlich erkennbaren Überreste jenes längst verstorbenen Drachens in Brand steckte und das riesige Skelett vor den Augen der beiden Wächter zum Leben erweckte. Das Herz drohte Isabelle vor Angst zu bersten, als sich das gigantische, vollständig in Flammen stehende Knochengerüst mit einem Ruck aufrichtete und feindselig auf die mächtigen Zauberer Nalanthias herabblickte. Der ebenso sprachlose Feuerwächter hatte sich bereits schützend vor die junge Frau gestellt und sein Schwert aus der Scheide an seinem Gürtel gezogen, dessen Klinge das gleißend rote Licht der Felswände reflektierte. Vor Anspannung bebend, wartete er darauf, dass diese Ausgeburt der tiefsten Hölle den ersten Schritt machte. Das knöcherne Ungetüm schien seinem Beispiel zu folgen.

Nicht besonders hilfreich, dachte Philipp genervt.

„Mach, dass du hier verschwindest!“, schrie er seiner Freundin noch zu, bevor das von knisternden Flammenwesen gesteuerte Drachenskelett auch schon seine feurigen Schwingen ausbreitete und sich gefährlich schnell in Bewegung setzte. Da sich die vor Entsetzen wie gelähmte Eiswächterin immer noch nicht von der Stelle rührte, schubste Philipp sie rasch auf den engen Tunnel in der Felswand zu, der sie von jenem idyllischen Seeufer ins sichere Verderben geführt hatte. Mehr brauchte es nicht, um ihren Körper wieder einigermaßen unter Kontrolle zu bringen. Ihre Beine gehorchten ihr allmählich wieder, doch Isabelle blieb, wo sie war. Sie dachte nicht daran, ihren Freund so einfach im Stich zu lassen, schon gar nicht, wenn er sich einen so aussichtslosen Kampf wie diesen in den Kopf gesetzt hatte. „Philipp, pass auf!“

Der hell lodernde Schwanz des knöchernen Drachen peitschte Funken sprühend durch die Luft und hätte um ein Haar den Umhang des Feuerwächters in Brand gesteckt, wäre dieser nicht rechtzeitig auf die Seite gesprungen. Blutrote Flammen drangen aus den gewaltigen Nüstern der Bestie; in deren leeren Augenhöhlen tobte ebenfalls unbändiges Feuer. Bei den darauffolgenden peitschenden Hieben musste Isabelle sich flach zu Boden werfen, um nicht mit den sengend heißen Knochen in Berührung zu kommen. Mit erhobenem Schwert rannte Philipp im nächsten Moment schnurstracks auf den Drachen zu und entkam gerade noch einem allmächtigen Schlag dessen feuriger Pranke, indem er mit einem waghalsigen Hechtsprung darunter hindurchtauchte, wo er das enorm große Knochengerüst aus Feuer und Rauch mit seiner Waffe bearbeitete. Vergeblich rang Isabelle nach frischer Luft, als die in der Höhle wabernde Hitze sie erneut zu überwältigen drohte. Mühsam rappelte sich die Zauberin auf die Beine und nutzte die vorübergehende Ablenkung des Ungeheuers, um ihre gesamten magischen Kräfte darauf zu konzentrieren, die pulsierende Glut im Inneren der Felsen hinter einem Wall herrlichster Kälte zu versiegeln. Hoffnung durchströmte sie, als die sich langsam über die Wände ausbreitenden Eisschichten dem Gestein ein hörbares Zischen entlockten und der um sie herum wabernde Dampf sich wieder in die Felsen zurückzuziehen begann. Für kurze Zeit sah es tatsächlich so aus, als würde das zum Leben erwachte Tierskelett erheblich an Feuerkraft und somit auch an Stärke verlieren, doch Isabelle hatte nicht mit jener ungeheuren Macht gerechnet, die dem glühenden Felsgestein innewohnte. Ein wütendes Gebrüll ertönte, als der flammende Drache sich mit einem Mal aufbäumte und den immer noch um sich schlagenden Feuerwächter mit einem kräftigen Hieb seines Flügels durch die von rotem Licht durchtränkte Dunkelheit schleuderte.

Verzweifelt schrie Isabelle seinen Namen, als der Zauberer ungebremst gegen eine der Felswände prallte und bewusstlos am Boden liegen blieb. Kochend vor Wut verstärkte sie die Energie, die sie auf die magischen Eisschichten um das pechschwarze Gestein verwendete. Doch die sich wehrende Hitze im Herzen der Felsen war einfach zu stark für sie, und die plötzlich wieder daraus hervorbrechenden Dämpfe sprengten das Eis in tausend winzige Stücke. Die Wucht der auf sie zurückprallenden Magie warf Isabelle schmerzvoll zu Boden, wo sie sich mehrmals überschlug, ehe sie stöhnend auf dem Rücken liegen blieb. Es half alles nichts. Die untertägliche Hitze des Raumes wurde ganz offenbar von diesen teuflischen Flammenwesen kontrolliert, die immer noch um die Knochen des gewaltigen Drachens herumzüngelten, ohne sie dabei zu beschädigen. Sie musste sich also das höllenartige Tier selbst vornehmen. Noch während sich die Zauberin aufrichtete, streckte sie eine Hand aus und versuchte angestrengt, die Beine des toten Ungeheuers mit ihren magischen Fähigkeiten am Boden festzueisen. Der Drache geriet für einen Moment ins Stocken und brüllte seine Wut hinaus. Kleine Flammenwesen kamen aus dem weit aufgerissenen Maul geschossen und stoben in einem Wahnsinnstempo auf die Eiswächterin zu. Sofort streckte sie ihnen beide Arme entgegen und feuerte funkelnde Eiszapfen auf sie ab. Kaum, dass die züngelnden Angreifer mit dem Eis in Berührung kamen, lösten sie sich mit einem hörbaren Puff kreischend in Luft auf. Das in bedrohlichen Rot-und Orangetönen flackernde Skelett bewegte sich bereits wieder auf Isabelle zu. Ein Blick über die Schulter verriet der jungen Zauberin, dass Philipp immer noch reglos neben der Felswand dalag, und die Sorge um ihn versetzte ihr einen brennenden Stich ins Herz. Sein roter Umhang war halb zerfetzt, Wange und Stirn mit Blut und Ruß bedeckt. Am liebsten wäre sie auf der Stelle zu ihm hingelaufen, doch das rasch näher kommende Knochengerüst zwang die Wächterin schließlich dazu, ihr eigenes Schwert zu zücken und Kampfstellung einzunehmen. Als ob mir dieses lächerliche Spielzeug bei einem solchen Gegner viel nützen würde, schoss es Isabelle frustriert durch den Kopf. Plötzlich hatte sie eine Idee. Doch bevor sie diese in die Tat umsetzen konnte, wurde die blonde Frau mit Ruck zu Boden gezerrt, wo sie entsetzt feststellen musste, dass der Drache seinen brennenden Schweif um ihren rechten Knöchel geschlungen hatte und sie nun schmerzhaft über kohlenschwarzen Schutt und andere, zum Glück nach wie vor leblose Knochen in seine Richtung geschleift wurde. Wäre in ihr nicht ein letzter Rest Energie für die hauchdünne Schutzschicht aus Eis um ihren Körper übrig gewesen, hätte es für ihr Bein äußerst schlecht ausgesehen. Schockiert schrie Isabelle auf, als sie im nächsten Moment in die Luft gehoben wurde und direkt über dem weit aufgerissenen Rachen des geflügelten Riesenskeletts baumelte. Ein endloser Strom aus Feuer schien in dieser seelenlosen Bestie zu toben, gierig darauf wartend, sie mit Haut und Haaren zu verschlingen. Das Schwert war der hübschen Eiswächterin aus der Hand gefallen, und so konnte sie mit zusammengekniffenen Augen nur mehr darauf warten, dass der Drache sie in sein hungriges Maul fallen ließ…

Und dann tauchte Philipp neben dem Ungeheuer auf, schickte ihm einen gewaltigen Schwall magischen Feuers entgegen, das dem Tier zwar nichts anhaben mochte, es dafür aber gehörig ins Schwanken brachte. Der feste Griff feuriger Knochen um Isabelles Knöchel verschwand augenblicklich, und sie fiel in die unter blutroten Dämpfen verborgene Tiefe. Gerade noch rechtzeitig fing der Feuerwächter sie auf, nur um sich gleich darauf mit ihr auf den Höhlenboden zu pressen, als der meterlange Schweif haarscharf über ihre Köpfe hinwegfegte. Wütend sprang Philipp zurück auf die Beine, trieb das Tier mit Feuerbällen zurück und verteilte kräftige Hiebe mit seinem Schwert. Isabelle kroch währenddessen auf ihre eigene Waffe zu, viel zu langsam für ihren Geschmack. Rasch leitete sie den letzten Funken an Eismagie in die glänzende Klinge, die sie in ihrem erschöpften Zustand noch aufbringen konnte, rief Philipps Namen und warf ihm das von Frost und Kälte durchtränkte Schwert zu. Dieser fing es geschickt auf, wirbelte zu dem knöchernen Drachen herum und rammte es ihm tief in eine der Lücken seines brennenden Brustkorbs, genau dorthin, wo bei einem noch lebenden Tier das Herz gesessen hätte. Die Luft vibrierte um sie herum, als die Flammenwesen ein markerschütterndes Kreischen ausstießen und in der sich rasch ausbreitenden Kälte zu kraftlosen Rauchschwaden verdampften. Das Skelett brach zu einem gewaltigen Knochenhaufen zusammen und rührte sich nicht mehr. Philipp und Isabelle flüchteten in den engen Tunnel, aus dem sie gekommen waren und wagten erst wieder einen Blick in die Höhle zurück, als das Kreischen und Beben endgültig verstummt war. Ein Lächeln breitete sich auf Isabelles Gesicht aus, als die herrliche Eiseskälte sie umfing, die mit einem Mal an diesem unheilvollen Ort weit unter dem Wolkenturm herrschte. Jetzt war die Höhle tatsächlich zu einem netten kleinen Eispalast geworden. Philipp schien nicht ganz so begeistert darüber, beschwerte sich aber auch nicht. Sein keuchender Atem ließ, wie ihr eigener, frostige Eiswolken vor dem Gesicht aufsteigen. Verblüfft warfen beide einen Blick an die Decke, wo die zuvor fluoreszierenden Stalaktiten nun als riesige Eiszapfen herabhingen. Das gefrorene Felsgestein machte den Eindruck, als gäbe es darin einen längst vergessenen Schatz aus Diamanten und gläsernen Kristallen zu entdecken.

Der Feuerwächter drehte sich lächelnd zu Isabelle um.

„Ich vergesse immer wieder, wie brillant du eigentlich bist“, sagte er.

„Ehrlich gesagt hatte ich nur wenig Hoffnung, dass überhaupt was passiert“, gestand sie.

„Gut zu wissen“, meinte Philipp amüsiert, zog die Eiswächterin an sich und küsste sie. Isabelles Herzschlag machte einen Satz, und im nächsten Moment schmiegte sie sich auch schon an ihn und schlang ihre Arme um seinen Hals, als sie den Kuss erwiderte und Schmetterlinge in ihrem Bauch herumtobten. Zum ersten Mal im Leben fand Isabelle die wohlige Wärme, die sich in ihrem Inneren ausbreitete, tausendmal schöner als jeden noch so kalten Wintertag.

Nalanthia

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