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3. Engel

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Als ich wieder aufwachte, stellte ich fest, dass ich tief und traumlos geschlafen hatte. Mich irritierte, dass ich zuerst nicht wusste, wo ich mich befand. Orientierungslos blickte ich mich um und als ich die Hütte erkannte, fielen mir alle Zusammenhänge sofort wieder ein. Nein, ich dachte nicht, dass ich alles nur geträumt hatte, es war mir mittlerweile bewusst, dass alles viel ernster und echter als in einem Traum war. Am Tisch, den ich vor meinem tiefen Schlaf wahrgenommen hatte, saß Don‘kar und betrachtete etwas intensiv. Das Bild kam mir bekannt vor, doch ich konnte mich nicht erinnern, wo ich es schon einmal gesehen hatte. Ich verhielt mich zunächst ruhig und musterte verstohlen den Raum. Er war sehr einfach eingerichtet: ein Tisch, zwei Stühle, neben dem Kamin ein Holzhaufen, davor ein großes Fell. Gegenüber dem Bett, in dem ich lag, befand sich ein Regal mit Holztellern, -besteck und -bechern. An der Innenseite der Tür nach draußen waren ein paar Haken eingeschlagen. An ihnen hing das Fell, das Don‘kar um mich geschlungen hatte, damit ich nicht erfror und daneben zwei seiner eigenen Felle. Im nächsten Moment betrachtete ich Don‘kar genauer. Ich sah, dass er unter dem Fell nicht nackt gewesen war, sondern ein weit geschnittenes, braunes Hemd trug, das von seiner behaarten, muskulösen Brust viel zeigte und eine Hose in der gleichen Farbe.

Don‘kar hatte meine Blicke gespürt, er drehte sich langsam zu mir um. Ich erkannte Besorgnis in seinem Blick, aber durch die unzureichende Beleuchtung in der Hütte konnte ich mir nicht sicher sein.

„Schön, dass du wach bist. Geht es dir besser?"

Ich richtete mich ein wenig in den Fellen auf und lächelte ihn an: „Ja. Danke, dass du mir das Leben gerettet hast."

Mehr fiel mir in diesem Moment nicht ein. Ich konnte es sowieso nicht wieder gut machen, aber ich wusste irgendwie, dass er das nicht verlangte. Er stand auf und kam zu mir herüber. Da erkannte ich erst, wie groß er war! Er überragte mich wohl um mehr als dreißig Zentimeter. Als er am Bett angekommen war, machte ich Anstalten aufzustehen - es wollte mir noch nicht gelingen. Ich hatte mich noch nie in meinem Leben so schwach gefühlt. Don‘kar setzte sich auf den Bettrand und drückte mich mit sanfter Gewalt zurück in die warmen Felle.

„Du musst dich ausruhen. Es ist ein Wunder, dass du noch lebst und wieder wach bist. Ich dachte schon, dass ich zu spät gekommen war und dich nicht mehr rechtzeitig erreicht hatte."

Das gab mir zu denken. Denn wenn er auf der Jagd gewesen war, was er vorher erwähnt hatte, konnte er mich auf diese Distanz kaum als menschliches Wesen erkannt haben! Ich gestand ihm meine Überlegungen mit einem Fragezeichen in meiner Stimme.

„Ich lebe schon lang hier und bin oft auf der Jagd. Ich kann selbst auf weite Entfernung hin ein Tier und einen Menschen auseinander halten."

Nun las ich wirklich Besorgnis in seinem Gesicht, denn ein anderer Gedanke zwängte sich ihm auf: "Ich dachte, als ich dich fand, dass du entführt und zum Sterben in der Eiswüste zurück gelassen wurdest."

Er wollte eine Antwort, das konnte ich in seinen Augen lesen. Ob sie ihm gefallen würde?

„Nein, ich bin nicht entführt worden, aber gestorben wäre ich, wenn du mich nicht gefunden und mitgenommen hättest. Ich...war auf der Suche nach jemandem und wurde hierher verschlagen. Ich hab keine Ahnung, wie ich an diesen Ort gekommen bin."

Ob er mir glaubte?

Ich hörte seine Gedanken: ‘Vielleicht haben sie deine Erinnerungen gelöscht. Wer weiß, wozu sie fähig sind.‘

Ich hatte das dumpfe Gefühl, dass er mit „sie" eine bestimmte Personengruppe meinte, deren Bekanntschaft man besser nicht machte. Vorerst wollte ich wirklich nicht wissen, von wem er so etwas Übles dachte - in mir stieg erneut Entsetzen auf. Dies war kein lockeres Abenteuer, das mit einem Happy-End aufhörte, keine Geschichte, die mit dem Zuklappen des Buches endete. Dies war bittere Wirklichkeit, echte Gefahr, der Ausgang ungewiss. Ob ich wenigstens Don‘kar vertrauen konnte? Ich glaubte schon.

„Hast du Hunger?", unterbrach seine Stimme meine Gedanken und ich war ihm dankbar dafür.

„Oh ja, aber noch viel mehr Durst!", antwortete ich brav.

Don‘kar ging zum Tisch und hatte dort alles für mein Aufwachen vorbereitet. Er nahm einen Holzbecher und gab ihn mir. Ich setzte mich langsam auf, roch an dem Inhalt und kostete einen kleinen Schluck. So sehr die Flüssigkeit im Becher nach Kräutern gerochen hatte, so bitter schmeckte sie auch.

„Trink alles leer. Es wird dir helfen schneller gesund zu werden", versprach mir Don‘kar.

War ich krank? Ich nahm noch einen Schluck und genoss das Brennen in meinem Hals, fühlte, wie es sich meine Speiseröhre hinunterzog und in meinem Magen eine wohlige Wärme erzeugte. Nachdem ich den Becher bis auf den letzten Tropfen geleert hatte, fühlte ich mich tatsächlich ein wenig besser, entnahm dem schwindeligen Gefühl, das meinen Kopf ergriff, dass etwas Alkoholhaltiges dem Kräutertrank beigemengt war. Don‘kar hatte mich die ganze Zeit über interessiert betrachtet und war enttäuscht, dass ich bei dem bitteren Geschmack und dem Brennen im Hals keine Miene verzogen hatte.

„Was war das für ein Getränk, es hat sehr gut geschmeckt", fragte ich ihn und schmunzelte innerlich, dass ich ihn ein wenig angeschwindelt hatte.

„Ein Kräuterwein. Ich habe ihn selbst gemacht."

Fast hatte ich diese Antwort erwartet. Ich fühlte mich nun stark genug, um aufzustehen, schlug die Felle zurück und erhob mich langsam. Mein Kleid war zerknittert, meine Beine fühlten sich wachsweich an, mein Kopf dröhnte, es drehte sich alles um mich herum - ansonsten ging es mir recht gut, redete ich mir lakonisch ein und versuchte, mir nichts anmerken zu lassen. Don‘kar fixierte mich immer noch, als ob er jeden Moment damit rechnete, dass ich umfallen und er mich mit seinen starken Armen auffangen müsste. Aber den Gefallen tat ich ihm nicht.

Ich blieb noch einen Moment ruhig stehen, versuchte das schwindelige Gefühl in meinem Kopf zu ignorieren und drehte mich schnell um, als ich Don‘kars Frage hörte: "Wie ist dein Name?"

Seine Augen leuchteten so blau wie die Don‘kars, sie strahlten das gleiche warme Licht aus, sein Haar war so weich, wie von dem Mann, den ich auf der Erde als „Bewohner" des blauen Himmelssternes kennengelernt hatte und doch - er wusste nicht wer ich war!

„Crisca."

„Ein sehr schöner Name."

Ich las die Frage in seinen Augen, woher ich seinen Namen kannte. Oh Don‘kar, was war nur geschehen?

Er erinnerte sich an sein Angebot vor meinem Erholungsschlaf und führte mich zum Holztisch. Ich setzte mich auf einen der Holzstühle und Don‘kar nahm mir gegenüber Platz. Vor mir stand ein Holzteller und darauf lagen zwei Scheiben dunkles Brot, eine große Scheibe Käse, die goldgelb glänzte und mir das Wasser im Mund zusammenlaufen ließ sowie ein großes Stück gepökelten Fleisches. Daneben stellte Don‘kar meinen Becher und schenkte mir aus einer Holzkaraffe noch Kräuterwein ein.

„Du kannst ruhig essen, ich habe schon. Entschuldige, ich hatte großen Hunger und wollte nicht mehr warten."

„Du brauchst dich nicht zu entschuldigen, ich habe schließlich keinen Anspruch darauf und bin dir sehr dankbar, dass du mich bei dir aufgenommen hast", beschwichtigte ich ihn.

Dann probierte ich von dem Fleisch: der salzige, leicht rauchige Geschmack tanzte auf meiner Zunge, der Käse schmeckte herrlich reif und das dunkle Brot bot eine passende Ergänzung zu dem kalten Mahl an. Ich hatte großen Hunger und binnen weniger Minuten war alles aufgegessen, ich trank in großen Schlucken den Becher Kräuterwein leer und genoss die wohlige Wärme und das angenehm satte Gefühl in meinem Magen.

Behaglich lehnte ich mich an die Stuhllehne: "Wie lange habe ich geschlafen?"

Wieder wusste ich nicht, welche Antwort ich zu erwarten hatte, aber ganz sicher nicht seine Offenbarung: "Zwei Tage."

Ich fiel aus allen Wolken. Nahmen die Unglaubwürdigkeiten, die schockierenden Ereignisse nicht mehr ab, wurden sie immer größer?

Ich musste ziemlich entsetzt ausgesehen haben, Don‘kar schritt sofort um den Tisch herum, nahm meine Hände in seine und beugte sich zu mir herunter: "Der Schlaf hat dir gut getan, du hast dich schneller erholt, als ich angenommen hatte. Normalerweise sterben Menschen an so hohem Fieber."

„Ich hatte Fieber? Ich hätte sterben können?"

Und das sagte er mir einfach so? Ich stand auf, wankte zum Bett hinüber und setzte mich auf die weiche Kante. Das musste ich erst einmal verdauen!

„Don‘kar. Ich hab eine Bitte an dich. Erzähl mir jetzt genau der Reihe nach, was alles passiert ist, bevor du mich mit weiteren Aussagen von einem Entsetzen ins nächste stößt."

Es war übertrieben, aber ich wollte es einfach wissen und nicht weiter wirren Vermutungen in Gedanken nachhängen.

Don‘kar tat mir den Gefallen:

Er war auf der Jagd in der Eiswüste gewesen, als sein Pferd Ralin aufgeregt wieherte. Es hatte ein gutes Gespür für Beutetiere, was die Jagd erleichterte. Also ritt er in die Richtung, die Ralin anstrebte. Je mehr er sich dem dunklen Punkt näherte, den er am Horizont erblickt hatte, umso merkwürdiger kam ihm das Aussehen und Verhalten des vermeintlichen Beutetieres vor. Es war untypisch in seiner Farbe - jedes Lebewesen in der Eiswüste verfügte zur Tarnung über ein helles Fell. Ihm fiel auf, dass das Tier nicht versuchte wegzulaufen. Dabei musste es längst die Witterung von ihm und Ralin aufgenommen haben. Sein erster Verdacht war, dass das Tier verletzt, krank oder tot war. Er trieb sein Pferd zu immer größerer Eile an und erkannte endlich, dass es sich bei dem Tier um einen Menschen handelte.

„Soviel dazu, dass du mich schon von Weitem als Mensch erkannt hast!", feixte ich.

Don‘kar schmunzelte ertappt, äußerte sich aber nicht weiter dazu, sondern fuhr in seinem Bericht fort: „Was sucht ein Mensch in dieser Wüste, noch dazu ohne Fell?"

Der Mensch fiel zur Seite und tauchte beinahe ganz im Schnee unter.

‚Hoffentlich erreiche ich ihn noch rechtzeitig‘, dachte er voller Entsetzen, als er sich vor seinem inneren Auge ausmalte, dass er den Menschen nur noch tot bergen würde.

Als er sein Pferd neben dem Menschen zügelte, stieg er rasch ab und ihn traf erneut das Entsetzen: "Eine Frau!"

Schnell zog er sein Fell aus, hüllte sie von Kopf bis Fuß darin ein, nahm von Ralins Rücken sein Ersatzfell und warf es sich selbst über. Nachdem er die Frau auf Ralins Rücken gezogen hatte und selbst hinter ihr aufgestiegen war, überlegte er nicht lang, sondern beschloss, sie mit zu sich nach Hause zu nehmen.

Ihn quälten auf dem langen Ritt viele schwere Gedanken: ‘Vielleicht ist sie entführt worden und hier zum Sterben ausgesetzt worden oder sie ist geflohen und bekam das Fell geraubt? Oder wollte sie hier sterben? Wie ist sie dann so weit gekommen und wo ist das Fell? Ob sie es vergraben hat?‘

„Dann bin ich mit dir hierher geritten, das weißt du noch, oder?", beendete Don‘kar seine Erzählung.

„Ja, das weiß ich noch", bestätigte ich ihm.

„Du fielst in einen tiefen Schlaf mit hohem Fieber, hast ständig meinen Namen gerufen - dass ich nicht weggehen soll. Dabei war ich die ganze Zeit über bei dir. Am ersten Tag dachte ich, du würdest innerlich verbrennen. Ich hab versucht, das Fieber mit Hilfe von Schnee zu senken, allerdings ohne Erfolg. Ich dachte, du würdest es nicht überleben. Am zweiten Tag sank das Fieber schnell - nun bist du wieder gesund", erzählte er ungläubig.

Naja, gesund fühlte ich mich noch lange nicht.

„Warum hast du meinen Namen gerufen?", wollte er wissen.

Ich schüttelte bedauernd den Kopf: "Ich weiß es nicht mehr. Ich kann mich an keinen Traum erinnern."

Mir wurde richtig schwindelig, doch an diesen Zustand hatte ich mich schon gewöhnt. Nur diesmal wusste ich, warum mir schwindelig war: Es war die Wirkung des Kräuterweines und Don‘kars Blick, der mir durch und durch ging und wenn ich Don‘kars Gedanken zeitweise hörte, wusste ich, dass es ihm genauso erging.

„Jetzt ruh dich noch ein wenig aus. Leg dich hin. Ich brauch auch ein wenig Schlaf, ich war die ganzen zwei Tage wach."

Der Wein musste wohl hochprozentiger gewesen sein als vermutet, denn bei diesen Worten brach ich vor Rührung beinahe in Tränen aus vor Dank, dass Don’kar mich vor dem Tod gerettet hatte.

Ich legte meine Hand in seine, küsste ihn auf die Wange und sagte liebevoll und warmherzig: "Ich danke dir, ich steh tief in deiner Schuld."

Das Feuer des Kamins zog meinen Blick magisch an. Es loderte kaum mehr und die Schatten in dem Raum bewegten sich langsamer, wie in Trance. Es war bis auf das Licht aus dem Kamin dunkel in der Hütte und ich fühlte mich geborgen. Don‘kar stand auf und zog sich sein Hemd aus. Ich blinzelte in seine Richtung. Er löste das Band seiner Hose und zog diese ebenfalls aus. Darunter trug er einen Lendenschurz. Don‘kar bewegte sich ganz natürlich vor mir, ließ weder Scheu noch Scham erkennen und ich war froh, dass es in der Hütte dunkler war, weil ich spürte, dass mir das Blut in den Kopf schoss. Nicht, dass ich noch nie einen nackten Mann gesehen hatte, Don‘kar trug zudem noch die nötigste Bedeckung, aber die Situation war eine andere, als ich sie vorher mit anderen Männern erlebt hatte. Ich schüttelte meine Bedenken von mir ab. Wenn er sich natürlich und ungehemmt fühlte, musste ich nicht an Anstand und Sitte denken. Mir fiel ein, dass ich mein Kleid seit drei Tagen ununterbrochen trug und konnte das Gefühl des Stoffes auf meiner Haut nicht mehr ertragen. Ich roch den Schweiß und das vergangene Fieber darin und wollte es ausziehen, den Geruch des besiegten Todes nicht mehr an mir haften haben. Schnell zog ich mir das Kleid über den Kopf, legte es auf den Boden und bemerkte, dass mich Don‘kar beobachtete. Er nahm das Kleid vom Boden auf und hängte es an einen der Haken an der Tür. Unterdessen betrachtete ich ihn näher - ohne dass er es bemerkte. Was ich sah, gefiel mir sehr. Seine Muskeln saßen an den richtigen Stellen und waren denen eines Mannes angemessen. Ein Bild von einem Mann! Plötzlich drehte er sich um, sein Blick traf mich, wie ich nur mit einer Unterhose bekleidet auf dem Bett saß. Seine Augen glänzten und leuchteten, sie verbreiteten dazu einen verträumten Schimmer…

‚Eine Nacht mit diesem Engel‘, fing ich einen seiner Gedanken auf.

Don‘kar ging um das Bett herum und legte sich neben mich. Ich kuschelte mich tief in die Felle ein, legte mich auf den Rücken und begann bald darauf unbewusst die Astlöcher in der Holzdecke zu zählen. An Einschlafen war nicht zu denken. Ob es daran lag, dass ich zwei Tage ununterbrochen geschlafen hatte? Oder lag es daran, dass Don‘kar neben mir lag? Ich verschränkte meine Arme hinter dem Kopf und entnahm eine Weile danach dem unregelmäßigen Atem Don‘kars, dass auch er nicht schlafen konnte.

„Bist du noch wach?", fragte er leise.

„Ja."

Ich drehte mich auf die Seite und blickte ihm in die Augen. Sie lagen vollständig im Schatten, leuchteten von sich heraus - ein inneres Glänzen.

„Warum kannst du nicht schlafen, du warst doch so lang wach?"

„Ich fürchte, ich bin übermüdet. Oder zu aufgeregt."

„Aufgeregt? Warum das?"

Ein Seufzen war die Antwort.

Ich streichelte ihm über das Haar. Er richtete sich halb auf, stützte sich auf seinem Arm ab und wandte seinen Blick nicht von mir. Ich fuhr ihm in zärtlicher Geste über seine Wangen, sein Kinn und Hals bis hinunter zur Brust. Als mir plötzlich bewusst wurde, was ich da tat, hörte ich abrupt auf. Don‘kar unterdrückte ein Seufzen, rückte zu mir herüber, legte sich halb auf mich, schob seinen Arm unter meinen Rücken und küsste mich mit einer Heftigkeit, die mir den Atem nahm. Ich spürte sein Gewicht, seine Wärme, seinen Körper, seinen Atem, seine warme Zunge, seine vollen Lippen, sein langes Haar und plötzlich war alles vorbei.

Don‘kar drehte sich um, rückte ein Stück von mir ab, klang verwirrt: "Entschuldige, ich wollte dich nicht..."

Warum war er verstört? Es war nur ein Kuss gewesen. Ein wunderbarer Kuss, der unendlich hätte sein können…

Ich brannte innerlich, wollte, dass dieses Brennen nicht erlosch, doch ich blieb mit einem Sehnen liegen und flüsterte: "Don‘kar, es war schön, es gibt nichts zu entschuldigen."

Don‘kar drehte sich zu mir um, schaute mich leicht ungläubig an und lächelte schließlich. Ich rückte zu ihm herüber, bettete meinen Kopf auf seine Brust, er legte den Arm um mich und hielt mich fest, bis wir einschliefen.

Am nächsten Morgen erwachte ich in dem Bewusstsein, dass ich nicht zuhause war. Ich öffnete die Augen und fand mich allein in zahlreiche Felle gehüllt in einer Hütte, die aus einem Raum bestand. Ich wusste sofort, wie ich in diese Situation gekommen war und erhob mich träge. Wo war Don‘kar? Ich blickte zum Tisch, wo wir am Tag zuvor zusammen gegessen hatten und entdeckte, dass mein Frühstück darauf stand. Zumindest hoffte ich, dass es für mich bestimmt war, da ich einen entsetzlichen Hunger verspürte. Barfuß tapste ich zum Tisch, fröstelte, da das Feuer im Kamin erloschen war - es war kaum Glut zu erkennen. Ich huschte zurück zum Bett, ergriff ein Fell, schlang es um mich und inspizierte erneut den Tisch. Dass ich etwas erkennen konnte, lag an der kleinen Kerze, die neben dem Teller brannte. Wie romantisch! Das Frühstück bestand aus einer Scheibe Brot und einem großen Stück Käse. In einem Holzbecher entdeckte ich kristallklares, kühles Wasser. Ich aß und trank alles leer, begann mich müde zu fühlen, ging zurück zum Bett und legte mich hin. Wo blieb Don‘kar?

Energisch öffnete sich die Tür und Don‘kar schritt herein.

„Entschuldige, ich wollte hier sein, wenn du aufwachst."

Ich lachte: "Du kannst doch gar nicht wissen, wann ich aufwache."

Er lächelte mich an.

„Es hat sehr gut geschmeckt und ich wurde wieder müde", erklärte ich auf den Tisch deutend.

„Ich hab etwas für dich", weckte Don‘kar meine Neugier.

Er setzte sich auf den Bettrand, zog unter seinem Fell ein braunes Gebinde hervor und reichte es mir. Ich richtete mich auf, faltete den Stoff auseinander und entdeckte, dass es sich hierbei um eine Hose und ein dazu passendes Hemd handelte, ein bisschen groß zwar, aber besser als das Sommerkleid, das ich bei meiner Ankunft getragen hatte. Ich wollte ihm danken, als etwas anderes meine Aufmerksamkeit erregte. Im Hemd eingeschlagen lag ein Amulett eingebettet - vier Zentimeter lang, drei Zentimeter breit und oval geformt. In dem Amulett ragte ein Einhorn auf seinen Hinterläufen in die Höhe, sein gewundenes Horn, das der Stirn entsprang, endete auf dem Rand des Amulettes, ebenso waren seine Mähne und Schweif mit diesem verflochten. Es kam mir merkwürdig bekannt vor. War es das gewesen, was Don‘kar an dem Tag, als ich aus meinem Fieberschlaf erwachte, so intensiv betrachtet hatte? Es zog mich magisch an. Ich streckte meine Hand wie in Trance aus. Kurz vor der Berührung zögerte ich. Ich konnte es mir nicht erklären, was mich tief in meinem Inneren berührte. Wie die Saite eines Instrumentes, das sacht angezupft wurde, innerlich schwang und seinen weichen Ton in alle Bereiche meines Kopfes verströmte.

„Es ist sehr schön", erklärte ich tonlos.

„Es ist ein altes Erbstück."

War es das? Konnte ich seine Gefühle, die er mit diesem Amulett verband, wahrnehmen? Berührte ihn der Gedanke an seine Familie? Oder war es doch etwas anderes?

Ich berührte das Amulett mit meinen Fingerspitzen, vorsichtig, als hätte ich Angst, mich daran zu verbrennen. Es fühlte sich warm an, was wohl daran lag, dass es Don‘kar zusammen mit der Hose und dem Hemd unter seinem Vulkanfell verborgen hatte. Als ich es in die Hand nahm, war ich überrascht von seinem Gewicht und vermutete, dass es aus Zinn gegossen worden war. Beim genauen Hinsehen stellte ich fest, dass es so war, wie ich mir ein Einhorn in meiner Fantasie vorgestellt hatte. Lange, feingliedrige Beine, schmaler Körper, ein langes, gewundenes Horn und eine prächtige, im Wind wehende Mähne. Ich riss mich von dem Anblick los, in den ich minutenlang versunken war. Wäre das Einhorn nicht grau gewesen, hätte ich es als eine echte Miniaturausgabe angesehen. Ich gab Don‘kar das Amulett zurück, dankte ihm für die Kleidung und schlüpfte sofort hinein. Natürlich wäre ein Spiegel jetzt fantastisch – Hemd und Hose waren etwas zu groß für mich, aber in Don‘kars Augen erkannte ich, dass es ihn weniger amüsierte, als ich angenommen hatte. Das Amulett ließ mich nicht los. Ich hatte es in dem Moment vermisst, als ich es Don‘kar zurückgab. Dieser hielt mir das Amulett entgegen. Seine Hand war ausgestreckt und das Amulett baumelte an dem schwarzen Lederband verlockend hin und her. Ich ging auf ihn zu, streckte ebenfalls meine Hand aus und berührte es erneut. Ein Stromschlag durchfuhr meinen Arm, floss durch meine Beine und vibrierte in meinem Kopf. Ich stand einfach da, unfähig mich zu rühren.

Don‘kars Augen forderten mich auf: ‘Nimm es!‘

Er nickte mir aufmunternd zu: Ich sollte es anziehen.

Ich zog mir das Lederband über den Kopf, ließ es um meinen Hals baumeln, als mich der Stromschlag erneut traf, nur dieses Mal viel stärker, sodass alles schwarz um mich herum wurde. Alles ging zu schnell, ich konnte nicht einmal mehr vor Überraschung und Schmerz um Hilfe schreien. Wer sollte mir helfen? Don‘kar? Bestimmt nicht, er wollte, dass ich das Amulett trug. So fiel ich wieder einmal in eine dunkle, tiefschwarze Nacht.

Langsam erwachte ich und hatte das Gefühl, dass ich nicht mehr im Bett lag, sondern einen Meter darüber schwebte. Das war die angenehmste Ohnmacht gewesen, die ich je erlebt hatte, wenn man von angenehm sprechen konnte, wenn man innerhalb von vier Tagen drei Mal bewusstlos wurde!

Das Gefühl, über dem Bett zu schweben, verlor sich langsam. Ich öffnete vorsichtig die Augen und erkannte Don‘kar, der sich mit besorgtem Gesicht über mich beugte.

„Was ist geschehen?", hörte ich ihn sanft fragen.

„Ich bin wieder einmal bewusstlos geworden, das ist geschehen!"

Was für eine dumme Frage! Don‘kar schreckte zurück und sofort bedauerte ich meinen aggressiven Tonfall - ich war verständlicherweise überreizt!

Dann bemerkte ich, dass sich seine Frage nicht auf mich, sondern auf das Amulett bezogen hatte. Es hing immer noch um meinen Hals, er hatte es die ganze Zeit nicht aus den Augen gelassen. Ich legte meine Finger an die Stelle, wo das Amulett vor meiner Bewusstlosigkeit auf meiner Brust geruht hatte - dort fühlte ich es nicht mehr! Ich legte meine Hand an meinen Hals und spürte das Lederband, das sich plötzlich ganz anders anfühlte. Es war viel breiter! An dem Lederband herum tastend berührte ich das Einhorn. Das Band hatte sich mehrfach um meinen Hals gewickelt. Das hätte Don‘kar machen können, als ich im Reich der Träume weilte, aber ich spürte keinen Knoten im Band und es fühlte sich zu glatt an. Es war, so unglaublich sich das anhörte, um meinen Hals geschmolzen! Dennoch schockierte mich das nicht mehr - ich hatte in den letzten Tagen zu viel Unglaubliches erlebt, um mir noch den Kopf darüber zu zerbrechen. Ich betastete weiter das Einhorn. Der Stromschlag blieb aus, aber es behielt ein elektrisierendes Gefühl bei, das schwach durch meine Finger pochte. Es hatte eine Macht in sich, das wusste ich, aber ich wusste nicht, warum es Don‘kar noch nicht bemerkt hatte, eingehend wie er es in meinem Beisein mit Blicken und Fingern gemustert hatte. Auch wusste ich nicht, wie man die Macht in dem Amulett weckte, ob es eine gute oder böse Macht war, ob ich über sie herrschen konnte oder sie über mich. Ich hatte Don‘kar noch eine Menge Fragen zu stellen, aber gefühlsmäßig wusste ich, dass ich auf Antworten warten müsste, dass er meine Neugier nicht sofort befriedigen könnte.

„Don‘kar, was weißt du über das Amulett?", fing ich an, keinerlei Hoffnung, dass er auf mich eingehen würde oder es überhaupt wusste - schließlich war er genauso erstaunt über die Verwandlung des Bandes wie ich.

„Ich erhielt es von meinem Vater mit den Worten, dass ich es einem Engel zum Tragen geben sollte. Dieser würde mir in meinem Leben helfen. Du bist dieser Engel! Du kommst aus einer anderen Welt, bist allein und fremd hier."

Skeptisch runzelte ich die Stirn: "Ich habe dir nicht gesagt, dass ich aus einer anderen Welt komme."

Don‘kar schmunzelte: "Du wusstest nicht, dass du auf Randor bist, du kennst weder unsere Welt noch unsere Lebensweise, du musst von einer anderen Welt kommen."

Eins zu null für ihn. Daher hatte ich in seinen Gedanken den Begriff „Engel" für mich aufgegriffen. Dies hatte also nichts mit der mystischen Bezeichnung einer Person mit Flügeln, Heiligenschein und einem weißen Gewand zu tun. Vielleicht hatten die Menschen auf Randor eine andere Vorstellung von Engeln.

„Wen bezeichnet ihr hier auf Randor als Engel?"

„Eine Frau, die eine Wächterin ist oder auch einen Mann, der ein Wächter ist."

„Wächter vorüber?"

„Über die Magie in unserer Welt."

Magie? War ich in einem Fantasieroman gelandet? Oder sind meine geheimsten Wünsche in Erfüllung gegangen, bei denen ich letztendlich erkennen musste, dass man mit seinen Wünschen vorsichtig sein muss, weil sie eintreten könnten.

„Und das Amulett?"

"Das Amulett hält die Engel auf Randor und der Besitzer des Amulettes, der es einem Engel zum Tragen gegeben hat, hat somit wiederum Macht über den Engel."

„Moment! Hättest du mich dann nicht vorwarnen müssen? Ich meine, immerhin habe ich nun eine Sklavenkette an!"

Das musste ich erst einmal verdauen.

„Gut, ich komme aus einer anderen Welt, war in der Eiswüste, kenne Randor nicht, aber das allein kann dich nicht überzeugt haben, dass ich ein Engel bin, oder?", ließ ich nicht locker, nachdem er endlich mitteilungsfreudig war.

„Du warst allein in der Eiswüste, ohne Fell, du hattest Fieber, bei dem jeder Mensch gestorben wäre, du warst auf der Suche nach einem anderen Menschen", antwortete Don‘kar und innerlich seufzte ich, dass ich mich an diese Logik noch gewöhnen musste, wollte ich wenigstens einen Teil davon verstehen.

Ja, ich war auf der Suche nach Don‘kar gewesen, der mich in den blauen Himmelsstern geführt und dann allein gelassen hatte. Es erschien mir alles lange her, ein Erlebnis weit weg von der aktuellen Realität - unwirklich. Und doch war ich auf Randor, hatte Don‘kar gefunden, aber dieser erinnerte sich nicht mehr an mich. Sollte ich dieses Spiel weiter mitspielen?

Don‘kar stand auf, half mir vom Bett hoch, hielt mich in den Armen und fragte mich: "Wen hast du gesucht?"

„Dich. Ich kannte dich in meiner Welt, aber du hast mich vergessen."

„Vergessen? Ich war nie in einer anderen Welt."

„Du hast mich nach Randor gebracht."

Nachdenklich verschleierte sich sein Blick: "Dann hab ich doch nicht geträumt."

Jetzt kamen wir der Wahrheit näher!

„Was hattest du geträumt?"

„Ich hatte mir das Amulett um den Hals gelegt und bin in einen tiefen Schlaf gefallen. Was ich träumte, weiß ich nicht mehr, ich weiß nur noch, dass ich darin meinen Engel fand. Ich hielt dies für reines Wunschdenken."

„Nein, es war real. Du hast mich in meiner Welt besucht und hierher gebracht."

Aus seinen Gedanken konnte ich lesen, dass er mir nicht ganz glaubte, er hatte mich aus seinem Traum anders in Erinnerung. Strahlender, weißer, verklärter.

Ich schüttelte unwillig den Kopf: "Es ist egal, was ich gesucht hatte und was du geträumt hattest. Ich bin da, ich bin hier das, was man einen ‚Engel‘ nennt, du hast mir das Amulett gegeben, es hat bestätigt, dass ich ein ‚Engel‘ bin, nun habe ich die Macht und du hast sie über mich. Es ist alles, wie es sein soll."

Was redete ich da für einen Unsinn?!

Blauer Himmelsstern

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