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5. Drache

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Ich kann mich nicht mehr genau erinnern, wie ich in die Hütte und unter die warmen, weichen Felle gelangt war, aber ich fand mich zufrieden und schläfrig dort wieder und fühlte mich großartig.

Ich beobachtete Don‘kar wie durch einen Nebel geschäftig zwischen Kamin und Holzstelle hin und her eilend. Bald darauf tanzten tausend Schatten in der Hütte ihren Reigen an den Wänden und ich begann, die Wärme des Feuers in meinem Gesicht zu spüren.

"Möchtest du etwas essen?"

War ich hungrig? Ich roch den köstlichen Duft eines heißen Bratens und erinnerte mich, dass wir ein paar Hasen erlegt hatten. Wie viele Stunden war das jetzt her? Oh ja, ich hatte Hunger, in dem Augenblick, wo ich das Essen roch und das Wasser mir im Mund zusammenlief. Langsam kroch ich aus dem Bett, schlang ein großes Fell um meinen Körper, taumelte zum Tisch und spürte jeden Schritt wie durch Watte gedämpft. Ich schien zu schweben, fühlte mich wie unter Drogen gesetzt. Ich ließ mich mehr auf den Stuhl sinken, als dass ich mich aktiv setzte und sah, dass Don‘kar gegenüber Platz genommen hatte. Das Stück Fleisch auf meinem Teller roch verführerisch, ich dankte Don‘kar und fiel darüber her. Wir aßen schweigend, bis alles leer war. Das Fleisch war zart und mit verschiedenen Kräutern gewürzt, sodass es seinen typischen Wildgeschmack voll entfaltete. Nachdem wir noch einen Krug Kräuterwein geleert hatten, fühlte ich mich satt, zufrieden und endgültig berauscht. Auch Don‘kar löste der Wein die Zunge, doch er verlor kein Wort über die Verwandlung, die er mit eigenen Augen erlebt hatte. Wir erzählten viel und dabei erfuhr ich, dass Don‘kars Mutter schon lange gestorben war und sein Vater und Bruder weit weg wohnten. Er nannte mir die Namen der Orte - diese klangen fremd, wie eine schöne Musik in einer lauen Sommernacht - ich vergaß sie gleich wieder. Ich erzählte ihm ein wenig über mich, vor allem über Lebenssituationen, die ihn zum Lachen reizten und freute mich über seine gute Stimmung. Oh, er hatte ein wunderschönes Lachen!

Mit der Zeit wurde ich müde und wollte mich nur noch in die Felle kuscheln, meine Augen schließen, mich ausruhen, um neue Kräfte zu sammeln. Und neben Don‘kar liegen. Ich ging zum Bett und vergrub mich unter den Fellen.

Nachdem Don‘kar noch ein paar Holzstücke auf die glimmende Glut gehäuft hatte, tat er es mir gleich und Sekunden später lag er neben mir. Ich rutschte ganz nah an ihn ran, drehte mich auf die Seite, Don‘kar bettete sich hinter mich, legte seinen Arm um meine Hüfte und ich genoss die menschliche Nähe, den warmen Atem in meinem Nacken. Ich seufzte leise auf und während ich langsam in den Schlaf hinüberglitt, dachte ich noch, wie gut es war, dass ich kein Einhorn geblieben war.

Am nächsten Morgen fühlte ich mich wie neugeboren. Ich spürte keinerlei Nachwirkungen, weder vom Wein, noch von der Verwandlung. Don‘kar war schon vor mir aufgestanden und begrüßte mich mit seinem strahlenden Lächeln.

„Der Sommer kommt!", frohlockte er.

„Gestern war doch alles unter einer dicken Schneedecke begraben?", entgegnete ich ungläubig.

„Ich fühle, dass er kommt."

Ich zuckte mit den Schultern. Natürlich kannte er sich in seiner Welt besser aus. Ich zog mich an, hüllte mich zum Schluss noch in das Vulkanfell und ging vor die Tür. Draußen überkam es mich und ich begann zu rennen. Ich fühlte puren Übermut in meinen Gliedern, genoss das Spiel meiner Beinmuskulatur, rannte immer weiter der Eiswüste entgegen, stoppte am Rande des Waldes ab, der mir immer kleiner vorkam und trat die letzten paar Schritte unter den Tannen ehrfürchtig ins helle Licht, stellte mich dem eiskalten Wind entgegen. Ich witterte in alle Richtungen, schnupperte in jeder kalten Böe und roch es: Eine leichte Vorahnung lag in der Luft, eine Vorahnung von Blumen, sattem, grünen Gras, das Erwachen der Natur schwebte in der Atmosphäre unter dem strahlend blauen Himmel. Die Sonne schien mir ins Gesicht, wärmte es schwach, strafte den sichtbaren Atem eine baldige Lüge. Ja, der Frühling würde bald erwachen. Ich freute mich zutiefst darauf. Doch noch etwas anderes spürte ich in der eisigen Luft: Der Duft im Wind trug nicht nur die Ahnung eines herannahenden Frühlings in sich sondern auch das Aufkommen unabwendbarer Ereignisse.

Eine Weile trotzte ich dem eisigen Wind, ließ das Glücksgefühl, das mich gepackt hatte, in mir wirken, zerwühlte mit meinen nackten Füßen den Schnee und wunderte mich, dass diese noch nicht taub vor Kälte waren. Ich schloss die Augen, der Wind rüttelte an mir - ich vergaß völlig die Zeit.

Plötzlich verflüchtigte sich das Gefühl des Frühlings in mir und ich fror auf unerklärliche Weise von innen heraus. Erschaudernd öffnete ich die Augen und nahm in der Ferne, am Horizont, etwas Dunkles wahr, das am Himmel zu stehen schien. Nein, erkannte ich nach einer Weile, es stand nicht, es schwebte. Sofort verstärkte sich das eiskalte Gefühl in meinem Inneren und ich zitterte, als ob ich von einem Schüttelfrost gebeutelt wurde.

Was war das?

Es ängstigte mich! Ich drehte mich um - Don‘kar stand hinter mir. Ich war zu sehr mit dem Betrachten des schwarzen Punktes am Firmament beschäftigt gewesen, dass ich ihn weder gespürt noch gehört hatte.

„Was ist das?", fragte ich tonlos.

„Das ist ebenfalls ein Vorbote des Frühlings."

Seine düstere Miene verstärkte die Angst in mir. Was es war, wollte er mir nicht sagen, als ob die bloße Nennung des Namens sein Herannahen beschleunigen würde, aber ich fing einen Gedanken von ihm auf. Der Name allein erfüllte mich mit Ehrfurcht und Beklommenheit. Meine Beine vibrierten bis hoch in die empfindliche Magenspitze und das Gefühl fraß sich dort fest. Erschreckender weise wandelte sich jedoch Angst in Freude und einem Gefühl der Freiheit. Ich begann zu brennen, als ich den Namen noch einmal in Don‘kars Gedanken las: Der Schwarze Drache!

„Was ist er? Gut, böse?"

„Er ist, was er ist."

Er war, was er war? Was ist er, was dachten die Menschen über ihn? Er war ein Gefangener ihrer Gedanken, ein Sklave ihrer Ängste, Wünsche, Sehnsüchte. Was war er für mich? Ich musste es herausfinden. Er zog mich magisch an und ich hatte nicht die Kraft, dieser besonderen Magie zu widerstehen. Traumwandlerisch brach ich in die Richtung des schwarzen Schattens auf, als ich feststellte, dass mir Don‘kar hinterher lief.

„Wohin gehst du?"

„Ich muss ihn sehen, ihm gegenüber treten, mit ihm reden."

„Nein, er würde dich augenblicklich mit seinem Feuer verbrennen!", rief Don‘kar entsetzt.

Ich verharrte: "Nein, Don‘kar. Er wird nur das mit mir tun, was ich von ihm erwarte. Wenn ich erwarte, dass er mich tötet, wird er mich töten. Wenn ich erwarte, dass er mit mir redet, dann wird er mit mir reden."

Woher ich die Gewissheit nahm, konnte ich nicht sagen, doch ich empfand in dem Feuer, das in mir brannte, dass es der Wahrheit entsprach - an diesem besonderen Tag, zu dieser magischen Stunde. In Don‘kars Augen nahm ich wahr, dass er mich nicht verstand.

„Der Schwarze Drache ist ein Sklave unserer Gedanken. Er ist nicht frei. Er wird nur das tun, was ich mir wünsche oder was ich befürchte."

"Glaubst du, dass du bei seinem Anblick verhindern kannst, dass du befürchtest er wird dich verbrennen?"

In Don‘kars Augen blitzte etwas auf und ich schloss nachdenklich die Augen, drang in seine Gedanken ein. Das Bild, das daraufhin in meinem Kopf entstand, war kein Bild, das ich mit meinen eigenen Augen gesehen hatte. Ich sah, wie groß der Drache, wie unglaublich mächtig er war entgegen jeder romantischen Vorstellung eines Drachens auf der Erde. Im Vergleich dazu erschienen die Drachen in Zeichnungen oder Filmen wie Schmuse-Tiere. Auch ich war Sklave meiner Gedanken und Befürchtungen, meiner Bedenken und Wünsche. Ich wusste nicht mehr, ob ich dem Drachen gegenübertreten und alle Ängste beiseitelegen konnte. Ich öffnete die Augen, erkannte die Besorgnis in Don‘kars Blick und wusste, dass ich noch nicht bereit dazu war. Ich teilte Don‘kar meinen Entschluss mit. Dieser atmete erleichtert auf, legte seinen Arm um meine Schultern und wir marschierten schweigend zurück zur Hütte.

Am Tisch sitzend, den Kopf auf meine Hände gestützt, traute ich mich endlich die Frage zu stellen, die in meiner Seele brannte: „Don‘kar - kennst du ihn?"

„Er ist der stärkste Drache, den Randor je hatte, er ist böse, weil er in den Diensten der Opferer steht. Jeden Frühling bringen sie ihm Menschen als Opfer dar, damit er sie in den Machtkämpfen über den Sommer hinweg unterstützt."

Langsam begann ich zu verstehen, dass Don‘kar an die Opferern gedacht hatte, als er mich in der Eiswüste fand. Es war wie in einem Traum: Drachen, Einhörner, Menschen, die andere Menschen opferten. Aber es war kein Traum, es war die Welt, in der ich jetzt lebte! Es war Randor!

„Der Drache könnte seine Opfer selbst rauben, warum sollte er sich mit den Opferern einlassen? Warum sollte er ihnen eine Gegenleistung bringen?", begann ich laut zu überlegen.

Don‘kar zuckte mit den Schultern: "Sie haben die Macht über ihn."

„Du hast gesagt, dass er ist, was er ist."

„Sein Wesen ist durch die Macht der Opferer gefangen."

Nun war der Drache also nicht mehr Sklave der Gedanken, sondern eine böse Marionette der Opferer. Den Gedanken konnte ich, obwohl ich es mit aller Macht versuchte, nicht mehr loswerden.

„Don‘kar, ich muss ihn befreien."

„Glaubst du, dass du das könntest? Du bist verletzlich, sie würden dich opfern."

Ich beugte mich über den Tisch und packte ihn bei den Schultern, ich war angefüllt mit Emotionen, die in mir rissen, die mich bis zum Bersten an- und ausfüllten, die mich mit einer Macht erfüllten, wie ich sie noch nie in mir gespürt hatte. Das Mitleid mit dem Drachen rüttelte mein ganzes Bewusstsein durcheinander.

„Ich kann ihn befreien. Ich werde ihm in der Gestalt des Einhorns gegenüber treten."

Don‘kar hielt mich an meinen Armen fest, griff massiv zu, sodass ich vor Schmerz beinahe aufgeschrien hätte: "Du bist noch nicht so stark und vertraut mit deiner Macht, um sie sicher nutzen zu können. Die Verwandlung vom Einhorn in einen Menschen hat dich deine ganze Kraft gekostet. Weißt du, wie lange du die Gestalt aufrecht erhalten kannst, ohne dich wieder in einen Menschen zurückzuverwandeln? Wenn du als Mensch vor ihm liegst, kannst du dich nicht mehr wehren. Du bist dem Drachen hilflos ausgeliefert, auch, wenn du deine Angst vor ihm verdrängen kannst. Er würde dich töten, weil er von den Opferern beherrscht wird!"

Ein dicker Kloß engte meine Kehle so sehr sein, dass ich dachte, ich würde im nächsten Augenblick ersticken. Ich bebte vor Wut, vibrierte vor Schmerz der Erkenntnis. Ich wusste, dass er Recht hatte, dass ich meine Macht noch nicht kannte, dass ich nichts von ihr wusste. Heiße Tränen stiegen in mir auf. Ich riss mich von Don‘kars hartem Griff los, stürmte aus der Hütte und rannte durch den Wald. Während ich rannte, spürte ich, wie ich mich verwandelte, ich konnte auf vier Beinen weiter ausholen und schneller vorankommen, empfand das Brennen an meiner Stirn, als das Horn hervor trat, nahm wahr, wie sich mein Kopf verformte. Als ich die Eiswüste erreicht hatte, blieb ich kurz stehen und tänzelte spielerisch auf meinen vier Beinen. Ich war verwundert, dass die Verwandlung mitten im Laufen geschehen war. Ich stieß einen wiehernden Laut aus und wollte in die Eiswüste hinaus galoppieren, als ich hinter mir die Anwesenheit Don‘kars und Ralins spürte. Er hatte ihn weder gesattelt, noch gezäumt, so schnell hatte er auf meine Flucht reagieren müssen.

„Wie bist du so schnell hier gewesen?", fragte ich erstaunt.

„Deine Verwandlung hat dich Schnelligkeit gekostet."

Ich schüttelte meine Mähne. Jetzt war ich schnell, ich konnte mit dem eisigen Wind fliegen. Ich blickte in Don‘kars vor Ärger verzogenes Gesicht, doch ich konnte nicht bleiben - jetzt nicht mehr. Ich musste hinaus in die weiße Unendlichkeit und dem Drachen gegenüberstehen. Ihm in die Augen sehen und wenn es das Letzte wäre, was ich in meinem Leben getan hätte. Ich drehte mich auf meinen Hinterläufen um und stürmte los.

Ich hörte hinter mir das lange, schmerzerfüllte „Nein!" von Don‘kar, dann vergaß ich ihn und dachte nur noch an die Begegnung mit dem Drachen in weiter Ferne am Ende des Horizonts. Ich rannte mit und gegen den Wind, dem Horizont entgegen, ließ mich von meinem Gefühl leiten, wollte den Schwarzen Drachen finden. Ich rannte und rannte verbissen weiter. Ich brannte innerlich. Meine Sehnsucht, dem Drachen in die Augen zu schauen, wurde mit jedem Schritt größer. Mein ganzer Körper fühlte durch diese Sehnsucht einen Schmerz, der wie eine einzige, große Wunde schwelte.

Plötzlich empfand ich seine Nähe.

Ich blieb augenblicklich stehen, der weiße, stumme Schnee stieb um meine Fessel. Ich witterte in alle Richtungen, drehte meinen Kopf, meinen Hals, schnaubte verzweifelt. Seine Aura war so nah, dass ich es vor Schmerzen der Sehnsucht nicht mehr aushielt. Ich stieß einen langen, gequälten Schrei aus...

Er tauchte aus dem Nichts auf. Er streckte seinen langen, schwarzen Hals gegen den nun grauen, schneeschwangeren Himmel, ließ seine fledermausartigen Flügel beiderseits des Körpers in die Höhe schwingen, wieder sinken und auf halber Höhe still stehen, nur die Spitzen vibrierten leicht. Sein schwarzer, geschuppter Körper bebte, seine Hinterbeine stampften den Schnee, der fontänenartig vor der Masse wich und vom Wind in alle Richtungen verweht wurde. Was für eine Pracht er im direkten Gegensatz zum weißen Schnee ausstrahlte!

Seine goldenen Augen fixierten mich: durchdringend, warnend, flehend, hassend, liebend. Ich hielt seinem Blick stand, war mir meines Einhornkörpers durch und durch bewusst, wusste, dass diese klugen, alten, goldenen Augen durch meine Hülle hindurch schauen konnten und erkannten, dass sich in dem Körper des mächtigen Einhorns ein schwacher Körper verbarg. Meine Sehnsucht wuchs, der Wunsch, seinen Blicken nie wieder auszuweichen, wurde übermächtig. Ich konnte mir in diesem Moment nicht mehr vorstellen, dass ich je Angst vor ihm haben würde. Indes, seine Augen warnten mich. Sie flehten mich an zu fliehen. Ich wollte nicht fliehen. Er stand so dicht bei mir, dass ich die Wärme seiner brennenden, schwarzen Haut spüren konnte und wunderte mich, dass der Schnee nicht augenblicklich um ihn herum schmolz. Er schmolz nicht, da der Drache eins mit der Natur war - er war ein Teil davon und konnte ihr mit seiner Anwesenheit nicht schaden, sie nicht verändern, obwohl er als das Gegenteil in ihr auftrat. Sein heißer Atem wehte mir ins Gesicht - er duftete nach der warmen Erde eines herrlichen Sommertages.

Endlich sprach er zu mir mit einer tiefen, grollenden, dennoch wohltönenden Stimme: "Du bist mutig und ich kenne dich. Flieh vor mir, so schnell du kannst, sonst muss ich dich töten. Ich darf nicht anders. Flieh von mir! Es würde mich schmerzen, wenn ich dich töten müsste!"

Ich spürte die drohende Leere in mir aufsteigen, die Leere, die ich empfinden würde, wenn ich den Schwarzen Drachen verlassen hätte.

„Nein! Ich würde es auch nicht überleben, wenn ich jetzt von dir gehen müsste. Du bist nicht das, was du zu sein scheinst, auch, wenn ich es jetzt noch nicht sehen kann. Unser Schicksal verbindet uns. Ich würde lieber sterben, als jetzt vor dir zu fliehen", flehte ich den Drachen an und seine Augen nahmen einen warmen, weichen Schimmer an.

„Du darfst nicht sterben."

„Ich möchte dich erlösen."

„Dann geh!"

Ich spürte Verzweiflung in mir aufsteigen: "Nein, schick mich nicht weg! Ich will dich erlösen!"

Der Drache brüllte: "Dann geh! Du musst gehen! Du kannst mich nur erlösen, wenn du die Quelle des Bösen, die mich gefangen hält, vernichtest. Tatsächlich bist du zu schwach dazu. Geh! Ich kann dich nicht länger verschonen. Geh, bevor es zu spät ist. Der Verlust deiner Anwesenheit schmerzt mich genauso wie dich. Flieh!"

Ich blickte ihm tief in die Augen und erkannte den Schmerz, den er mir beschrieben hatte, wie meinen eigenen, er loderte in meinem Körper, ich konnte nicht mehr auseinander halten, wessen Schmerz es war. Das spielte auch keine Rolle, denn wir waren eins. Eins vom Ursprung an und er verschonte mich, damit ich ihm helfen konnte.

Von einem Augenblick zum nächsten veränderte sich der Schwarze Drache. Er schien größer zu werden, breitete seine Flügel weit aus, sein Körper bebte heftiger, er stieß sich mit seinen Hinterläufen vom vereisten Boden ab und schwang sich in den Himmel hinauf.

Ab diesem Zeitpunkt hatte eine andere Macht, groß und böse, von ihm Besitz ergriffen, überflutete ihn und ich wusste, wenn ich jetzt nicht fliehen würde, müsste er seine Drohung wahr machen. So drehte ich mich auf einem meiner Hinterläufe um und jagte in die Richtung, aus der ich gekommen war. Ich berührte mit meinen Hufen kaum den eisigen Boden; mit aller Kraft, die ich in meinem Körper mobilisieren konnte, rannte ich davon. Langsamer durfte ich nicht werden, sonst würde er mich einholen und töten, denn er jagte mir in der Luft nach. Er wehrte sich dagegen, aber die Macht, die ihn von nun an steuerte, war stärker als sein Wille. Doch ich fühlte, dass er an diesem Tag einen kleinen Sieg gegen diese Macht errungen hatte, einfach, indem er sich mit mir unterhalten und mich gewarnt hatte. Dass er mich entkommen ließ, war ein weiteres Indiz. Er musste zu seiner Befreiung ebenso viel beitragen wie ich. Und die Liebe zu dem Einhorn half ihm. Ich warf schnell einen Blick nach oben, nach hinten und erkannte erleichtert, dass sein schwarzer, majestätischer Körper im grauen Himmel hinter den Wolken verschwand. Ich war gerettet, er hatte einen Sieg errungen und beide trugen wir den Schmerz des Verlustes in uns.

Ich ließ mich in dem Schmerz treiben, rannte weiter, fühlte den eisigen Wind durch mein Fell brausen, litt, versuchte die Leere in meinem Inneren zu vergessen, doch sie brannte tief und unerbittlich. Ich verlangsamte meine Schritte, taumelte zum Schluss nur noch einem Schatten entgegen, den ich am Horizont entdeckt hatte. Erschöpft wie ich war, spürte ich den Schmerz des Verlustes bis ins kleineste Detail. Als dieser Schmerz allmählich nachließ, brach ich vor Schwäche zusammen. Der Schatten am Horizont näherte sich und ich konnte mich kaum mehr auf den Beinen halten. Die Verwandlung begann einzusetzen, ohne mein Zutun. Meine Beine konnten mich endgültig nicht mehr tragen und noch bevor die Verwandlung vollendet war, brach ich bewusstlos im Schnee zusammen.

Blauer Himmelsstern

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