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Splitter im Sand

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Spiegel

wenn sie denn fallen müssen

zerspringen

blitzartig die Erhellungen

im Licht der kleinen und großen Splitter

jeder von ihnen eine Welt

*

Splitter im Sand aber

sind tückisch

glänzen

wie die Kristalle der Sandkörner auch

die winzigen sind die gefährlichsten

Sie vernarben unter der Haut und

ziehe ich weiter

schmerzen

ständig

Sicherlich bin ich eine ganz typische Lehrerin, nicht ganz freiwillig in diesem Beruf, der sich aber doch anbot für eine Frau Anfang der Siebziger, engagiert, immer bemüht, mehr zu wissen, und darum stets in der Gefahr, sich selbst für besser zu halten als andere in dem Bestreben, ›gut‹, wenn nicht gar ›perfekt‹ zu sein, immer neugierig auf Fremdes, um es in das eigene Weltbild einzuordnen – eben eine richtige Lehrerin. Und nun, nach fast 30 Jahren? Ein tiefsinniges, überaus vielschichtiges Weltbild, hart, massiv, schön gezeichnet wie eine geschliffene Marmorplatte, in der man sich wohlgefällig spiegeln kann: Das war’s, noch ein wenig der Vorlieben frönen, die Platte immer mal ein wenig polieren, gut nach außen kehren wie einen Schild, seht, wie ich glänze! Die Rückseite des Spiegels zeigt schon eher, wie es wohl wirklich aussieht, Risse, Schrunden, Verwerfungen, kein Schliff, keine Politur …

Ein Jahr Afrika, Arabien, Mittlerer Osten, ein Jahr Rucksack und Stiefel – zersplittert ist der Spiegel, hart die Lektion, aufgebrochen das Weltbild, zerronnen das Bild der eigenen Rolle wie der ständige Sand unter den Füßen, freigelegt ganz Anderes, lange Verschüttetes, eine harte, doch ersehnte Lektion in Demut. Oh ja, erst kommt das Fressen und dann die Moral, erst musst du fertig werden mit Hunger und Durst, Schmerz, Alleinsein, Fremdsein, Schuld und Scham, mit dem Versagen der eigenen Maßstäbe unter dem vielbesungenen afrikanischen Sternenhimmel. Aber ich wollte das ja so, wollte, ein Sabbatjahr nutzend, ausziehen in die Fremde und alles auf die Probe stellen, dabei mitbringen das Material für eine Arbeit in der Orientalistik, der ich mich seit Jahren verschrieben habe. Wie fadenscheinig ist mir heute mein Anliegen, vorgetragen bisweilen nur des schnellen Vorteils, der ersehnten Profilierung wegen, wie viel mehr lernte ich durch den freien Blick, den Blick der Zuneigung, nicht den des Pathologen mit Arbeitshypothese! Und so ist quasi unter der Hand etwas ganz Anderes daraus geworden als geplant, war dies doch ein Weg barfuß über die Splitter der eigenen Überheblichkeit hin zu Bescheidenheit, zu ganz anderem Wissen, das die Lehrerin in mir nicht zurückhalten möchte. Für diesen Weg bin ich vielen Freunden zu Dank verpflichtet, gerade auch den Menschen, die mir Steine in den Weg gelegt und mich von meinem Sockel herunter geholt haben.

So streben denn diese Aufzeichnungen keinerlei Ausgewogenheit an, Orte, Personen und Ereignisse sind durchaus nicht frei erfunden. Das Nach-Denken ist bestimmt von Begegnungen mit Lebenden und Toten, mit Göttern und Tieren, nicht mit Büchern, ist zudem wertend, noch dazu, da oft mit einem Schock verbunden, unvernünftig emotional wertend. Die Fülle der Begegnungen lässt aber doch erwarten, dass viele Splitter ein lebhaftes Kaleidoskop ergeben, und, liegt dieses erst einmal ruhig auf dem Tisch, so ist das Bild doch auch ein mögliches, ein richtiges von dieser Welt.

Herbst 2000

Splitter im Sand

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