Читать книгу Post für Dich aus Amora! - Birgit Cremer - Страница 8
Amora, den 19.11.2010
ОглавлениеGeliebte Nora, meine Traumfrau!
Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie scharf ich darauf war, deinen ersten Brief aus Amora zu lesen! Und das hat nichts mit der neuen Senfmarke zu tun, über die ich momentan einen Rundfunkspot texten muss. Und da mir bis dato nur ein regelrechter »Senf«, um nicht zu sagen »Schmarrn«, eingefallen war, hatte ich gerade eine schöpferische Pause ein- und unsere Lieblingsplatte von Glen Miller aufgelegt. Mitten in der »Moonlight Serenade« muss ich dann wohl, in bequemer Anlehnung an das mit dem Namenszug »Amora« bestickte Sofakissen von Tante Hella sowie in Anlehnung an meinen Vornamen, einge-nickt sein.
Das »Nick«-erchen wurde dann jäh beendet, als du vehement an die Tür des Gästezimmers klopftest, um mir die frohe Botschaft zu verkünden: »Nick, Hauspost für dich!« Na endlich! Wie eine Rakete bin ich hochgeschossen und ins Arbeitszimmer gedüst, um mir deinen frisch ausgedruckten Brief, den du mit einem Schokotrüffel als dekorativem Briefbeschwerer auf dem Schreibtisch deponiert hattest, geistig einzuverleiben.
Deine süßen Zeilen sind so köstlich, liebe Nora, da kann selbst der Schokotrüffel nicht mithalten!
Im Grunde genommen ist es mir damals, bevor wir uns kennen lernten, so wie dir gegangen: Ich war auf der Suche nach einem erfüllten, nach einem sinnvollen Leben! Möglichst mit einer Frau wie Nora Charles, denn wie könnte mein Leben sonst erfüllt und sinnvoll sein?!
Aber, wie kommt man dahin? Wo ist der Wegweiser, wo die Kompassnadel, die untrügerisch den richtigen Kurs anzeigt? Schon als Jugendlicher wusste ich, was ich beruflich alles nicht machen wollte, aber mir war nie wirklich eindeutig klar, was ich eigentlich werden wollte. Zunächst hatte ich nur einen Wunsch – den nach Befreiung! Befreiung aus den starren Konventionen eines erdrückenden Elternhauses.
Daher habe ich nach Abitur und Zivildienst zunächst die Flucht in ein Studium ergriffen. Und das sogar mit Unterstützung meiner Eltern, die mich unisono gerne als Priester, dieser Wunsch hatte bei ihnen die »Poleposition« inne, oder, zweite Startreihe, allenfalls noch als Lehrer am Gymnasium gesehen hätten. Um es weiter in der Formel-1-Sprache (als Kind wollte ich mal Rennfahrer werden!) zu formulieren: Beide elterlichen Wunschvorstellungen haben das »Qualifying« nicht überstanden. Das war »nicks« für Nick!
Doch zunächst hat mich das Rennen um einen Studienplatz aus dem Elterndomizil in Aschaffenburg direkt nach Würzburg katapultiert, wo ich mich 1977 für katholische Theologie und Germanistik einschrieb. Nun fühlte ich mich, ich gestehe es frank und frei, wie Gott in Frankreich, genauer gesagt:
wie Gott im »Unterfrankenreich«!
Der Start in die Freiheit war also geglückt, zumal ich meinen Eltern glaubhaft plausibel machen konnte, dass ich zwecks konzentrierten Lernens unbedingt eine eigene Studentenbude in Uni-Nähe benötigte, um nicht dauernd zwischen Aschaffenburg und Würzburg hinund herpendeln zu müssen. Die Miete für mein neues Zuhause habe ich mir an einigen Abenden in der Woche, gelegentlich auch am Wochenende, in dem Weinspital zusammengekellnert, das wir auch heute noch, bei Wochenendtrips nach Würzburg, so gerne aufsuchen, um bei erlesenen Tropfen in ausgewählten gemeinsamen Erinnerungen zu schwelgen.
Tja, »in vino veritas« – und was war die Wahrheit, meine Wahrheit? Morgens ausschlafen, gemütlich frühstücken, ab 11.00 Uhr Vorlesungen, Mittagspause im Café, selten in der Mensa, dann erneut Kurse, Seminare, Vorlesungen, bis spätestens 17.00 Uhr, dann neue Bekanntschaften knüpfen, mit Freunden trinken bis es »neblig« wird, und nach der Traumfrau Ausschau halten. Diesbezüglich herrschte leider Dauernebel, und das während der gesamten Studienzeit! Übrigens nicht nur in der theologischen Fakultät, was man fälschlicherweise womöglich noch für einleuchtend hätte halten können.
Nein, auch bei den Germanistinnen traf man eher auf unterkühlte Walküren als auf heiße sexy-Sirenen oder feurige Amazonen. Hätte ich im Paris des 19. Jahrhunderts studiert, wäre ich in meiner Verzweiflung ins »Maxim« geflüchtet, zu Lolo und Froufrou – Nora gab’s da leider noch nicht!
Ich aber war im Würzburg des 20.Jahrhunderts und – studierte deshalb brav weiter. Allerdings betrachtete ich mittlerweile diese gleichmäßig dahinplätschernde Studienzeit nur als längeren »Boxenstopp« in dem Rennen meines Lebens!
Ich glaubte weder an ein zölibatäres Priesterleben als Berufungs- und Lebensziel noch an den Deutsch- und Religionslehrer Nick Marchant. Und da ich nach dem erfolgreich bestandenen 1. Staatsexamen auf diesem für mich beruflich monotonen Rundkurs keine weitere Runde mehr drehen wollte, habe ich im Jahre 1983, also vor Beginn des Referendariats, eine regelrechte Vollbremsung hingelegt!
Als überraschendes »Bremsmittel« fungierte dabei ein Plakat des Klosters Marienfelde im Schaukasten der theologischen Fakultät, welches mir seinerzeit, direkt nach dem mündlichen Examen, beim Verlassen des Gebäudes ins Auge gefallen war: »Ora et labora – eine Woche der Sinnfindung«.
Sinnfindung – genau das war ja immer noch mein Problem!
Die Suche nach der Traumfrau und auch das Beten darum hatte ich übrigens schon seit längerem aufgegeben, und so suchte ich eines frostigen Wintertages im März, ohne große Hoffnung auf Sinnfindung, dafür aber mit meinem Lieblingsroman: »Mordsache ‚dünner Mann’« im Gepäck, Zuflucht hinter den dicken Klostermauern von Marienfelde.
War gar nicht so leicht, dorthin zu finden. Ich musste mehrere Anläufe unternehmen und kam mir vor wie die Hauptperson in einem Roman von Kafka.
Aber dann war’s endlich geschafft. Nun flugs aufs Zimmer, noch etwas frisch gemacht und die Klamotten gewechselt – und dann zur ersten von gefühlten tausend Vorstellungsrunden.
Mein Gott, in was für eine »Trauergemeinde« war ich denn da geraten: Schwarz dominierte dermaßen, dass man glauben konnte, der Raum sei abgedunkelt worden. Echt »kafkaesk«!
Ich war so ziemlich der Einzige, der modisch auf helle, freundliche Farben gesetzt hatte und mich nun, wie ich befürchtete, in der Außenseiterrolle wiederfand.
Doch dann geschah das Wunder von Marienfelde, und zwar exklusiv für mich: Eine bildschöne junge Frau, ganz in Weiß, mit strahlenden Augen und geheimnisvollem Lächeln, betrat den Seminarraum und »swingte« zum letzten freien Platz, genau mir gegenüber. »Das muss eine moderne Marien-Erscheinung sein«, schoss es mir unwillkürlich durch den Kopf, doch es sollte noch viel besser für mich kommen. Erstens war dieses bezaubernde, engelgleiche, mit natürlichem Charme nur so um sich sprühende Wesen völlig real und, dem Himmel sei Dank, aus Fleisch und Blut!
Und zweitens, das hat mich dann echt vom Stuhl gehauen, hieß dieser Wirklichkeit gewordene Traum von einer Frau doch tatsächlich: NORA!!! Welch ein Wahnsinn!
Weißt du noch, wie der Kursleiter, Pater Anselm, mich sorgenvoll fragte, ob es mir nicht gut gehe, weil ich vom Stuhl gekippt war? Mann, um nicht zu sagen: Mönch, war das peinlich! Ich erwiderte dann, mir sei »schwarz« vor Augen geworden (erschien mir logisch bei der tristen Teilnehmerschar!), es gehe aber schon wieder besser.
Was für eine Untertreibung! Es ging mir sogar bestens, so wie noch nie in meinem Leben! Ich hatte meine Traumfrau gefunden, und das zu einem Zeitpunkt, als ich mich bereits mit einem in Mode kommenden Single-Dasein abgefunden hatte!
Ach Nora, was waren das für herrliche Tage und Nächte, die dann folgten, zumal das Thema Sinnfindung nun für uns beide keines mehr war. Nick und Nora hatten ihren Sinn des Lebens gefunden! Nun lautete unser ganz persönliches Kurs-Motto:
»Ora et labora – mit Nick und Nora«!
Wir arbeiteten zusammen, wir beteten zusammen und genossen unsere Zweisamkeit, am liebsten in Einsamkeit.
Wie haben wir gelacht, als du den »Dünner Mann«- Roman auf meinem Bett erblickt hattest und wir uns dann gegenseitig als Nick und Nora Charles-Fans »outeten«.
Mein Gott Nora – was für eine Übereinstimmung zwischen uns!
Ich weiß noch, wie du mir eines Morgens, in aller Herrgottsfrühe, in der Klosterkapelle während des Laudes-Gebetes zugeflüstert hast: »Nick, du bist mein Amor.« Ich entgegnete dir dann ungefähr einen Psalm später:
»Und du süße Nora, bist meine Aurora, meine Morgenröte!«
Es war uns dann aber mehr nach Sonnenfinsternis zumute, als der Tag des Abschieds kam. Wie haben wir da zusammen geheult! Schon abends zuvor im Weinkeller – »nomen est omen« – brachen sich die ersten Tränen Bahn. Das waren die bisher schrecklichsten Stunden meines Lebens. Es wundert mich noch heute, dass ich auf der Rückfahrt nach Würzburg keinen Unfall gebaut habe – es war der reinste Höllenritt!
Nach der unvermeidbar letzten Umarmung und dem viel zu früh endenden Abschiedskuss habe ich dir zum Trost noch ein kleines Gedicht geschenkt. Ich hatte es tags zuvor verfasst, während des Küchendienstes, den Schwester Maria mir dankenswerterweise für die Zeit meiner kreativen Schaffenspause abnahm. Das Gedicht lautet:
»Amora«
Nick ist Amor, und Nora ist Aurora
Und wenn beide verschmelzen
Dann sind sie: »Amora«!
Heute hängt dieses Mini-Poem, dessen Titel auch unserem zweiten Zuhause in München den Namen gab, hübsch eingerahmt über unserem gemeinsamen Schreibtisch im Arbeitszimmer.
Nachdem ich – aus dem Paradies vertrieben – wieder in der kalten Wirklichkeit Würzburgs angekommen und doch nicht angekommen war(in Gedanken war ich ja bei dir!), begann für mich die Zeit des Fegefeuers:
Ich musste die Trennung von Dir verkraften und zudem die bohrenden Fragen meiner Eltern bezüglich meiner zukünftigen Lebens- und Berufsplanung über mich ergehen lassen. Was mich irgendwie am Leben hielt und immer wieder aufrichtete, waren weniger die tröstenden Worte der Krankenschwestern in der Quarantänestation des Würzburger Uniklinikums, als ich, wie du ja sorgenvoll mitbekommen hast, mit einer schweren Grippe zu kämpfen hatte. Nein, es waren vielmehr deine erotisch angehauchten Liebesbriefe, die meinen Selbsterhaltungstrieb reanimierten – übrigens: nicht nur den!
Kaum wieder auf den Beinen, nahm ich zunächst meine Kellnertätigkeit wieder auf, und zwar ganztags. Nebenher jedoch bewarb ich mich in München um einen Job im schreibenden Gewerbe: Redaktionen, Verlage, Werbeagenturen waren meine Adressaten. Den Rest kennst du ja: Nach exakt einem Vorstellungsgespräch bekam ich die Chance, bei einer renommierten Werbeagentur als Juniortexter zu debütieren. Was so vielversprechend begonnen hatte, fand tatsächlich sein »Happy End«. Die hässliche Hochhaussiedlung, in der wir nun wohnten, konnte einen zwar in tiefe Depressionen stürzen, aber nicht uns beide. Wir waren überglücklich, endlich vereint zu sein – Nick und Nora in »Amora«!
Bussi,
dein Nick
P.S.: Bin gespannt auf deinen nächsten Brief!