Читать книгу Reinigen und Entgiften mit Ayurveda - Birgit Frohn - Страница 6
ОглавлениеDas Wissen vom guten Leben
„Ayus“, das Leben, „veda“, das Wissen – diese beiden Wörter aus dem Sanskrit lassen anklingen, was sich hinter dem Begriff Ayurveda verbirgt: Es ist das „Wissen vom guten Leben“. Dieses Wissen beinhaltet nicht nur eine medizinische Lehre, sondern auch eine Lebenslehre, ja sogar eine Lebenskunst. Ayurveda dient also nicht nur der Heilung, sondern es findet auch in gesunden Tagen Anwendung und erfasst alle Aspekte des täglichen Lebens – bis heute. Denn trotz ihrer Jahrtausende währenden Geschichte hat die ayurvedische Lehre nichts an Aktualität eingebüßt. Nachdem sie während der britischen Kolonialherrschaft unterdrückt worden war und einiges an Bedeutung verloren hatte, ist sie inzwischen wieder fester Bestandteil des indischen Gesundheitswesens geworden. Nahezu die Hälfte der indischen Mediziner praktiziert mittlerweile nach den Prinzipien der ayurvedischen Heilkunde. Viele der Vaidyas, wie die ayurvedischen Ärzte in Indien heißen, sehen in dieser Lehre das Potenzial für eine moderne Ganzheitsmedizin, die auch außerhalb Indiens Erfolg zeitigen kann. Denn Ayurveda ist eine Alternative für alle, die nach einer praktischen, einfachen und ganzheitlichen Form des Heilens suchen.
Die Mutter der Medizin
Ihr „goldenes Zeitalter“ erlebte die traditionelle indische Medizin mit der Verbreitung des Buddhismus im 6. Jahrhundert v. Chr. Die Wurzeln des Ayurveda aber scheinen bis weit ins 2. Jahrtausend v. Chr. zu reichen, als sich allmählich auch der Hinduismus entwickelte. Die Lehre vom guten Leben hat also eine überaus lange Geschichte und wirkte nachhaltig auf die Medizinsysteme außerhalb des indischen Subkontinents. Der gute Ruf, der sie umgab, war derart groß, dass sich die antike griechische Medizin und später auch die arabische von ihr inspirieren ließen. Der bedeutende altgriechische Arzt Hippokrates, der als Begründer der medizinischen Wissenschaft gilt, hat viel von den umfassenden und hervorragend recherchierten ayurvedischen Lehren übernommen. Er und seine Anhänger therapierten in enger Anlehnung an das Wissen der ayurvedischen Ärzte. Die altgriechische Medizin nahm erheblichen Einfluss auf die Heilkunst des arabischsprachigen Raums, und diese wiederum prägte die abendländische Medizin. Auf diesem Wege floss Ayurveda in unseren Kulturraum ein und darf daher wohl mit Recht als die „Mutter der Medizin“ bezeichnet werden.
Die Veden
Die Anfänge des Ayurveda lassen sich bis in die vedische Kulturepoche Indiens zurückverfolgen. Die ersten Abhandlungen über Hygiene, Diagnose und Therapie finden sich in den Veden, deren Niederschrift in die Zeit vom 2. Jahrtausend bis zum 8. Jahrhundert v. Chr. datiert wird. Die vier Veden gelten als die ältesten Belege der indischen Kultur, als Quellen ihrer Religion, Philosophie und aller anderen Wissenschaften, einschließlich der Heilkunde. Bei den in Sanskrit verfassten Texten handelt es sich nicht um ein einzelnes Werk, sondern um eine umfassende Sammlung. Wie alle anderen Veden besteht auch der Ayurveda aus mehreren Schriftsammlungen, den Samhitas.
Ayurveda nimmt unter den ganzheitlichen Heilverfahren eine ganz besondere Stellung ein. Denn er ist die älteste ganzheitliche Lehre für Gesundheit und Langlebigkeit und hat sich über die Jahrtausende bis heute bewährt. Seine Prinzipien sind universal und unvergänglich.
Umfassende Lebenslehre
Ayurveda hat weder etwas mit Esoterik zu tun, noch ist er ausschließlich eine Heilkunde. Letztere stellt vielmehr einen, wenn auch bedeutenden Aspekt von vielen dar, die in der allumfassenden Lebenslehre und der ganzheitlichen Lebenssicht des Ayurveda beleuchtet werden. Denn in erster Linie ist der Ayurveda eine religiös inspirierte Philosophie. Nach ihr bilden der Kosmos und die Natur, in und mit der der Mensch lebt, die Rahmenbedingungen für jegliche pflanzliche, mineralische, tierische und menschliche Existenz.
Ayurveda ist aber auch eine Lebenskunst. Denn unser Leben ändert sich unentwegt und ist immer neuen Reizen und Einflüssen ausgesetzt: dem Wechsel der Tageszeiten, der Temperatur, der Luftfeuchte, der Jahreszeiten und des Lebensalters. Ständig begegnen wir anderen Menschen und deren Stimmungen, müssen uns auf Aggression, Freundlichkeit, Aktivität und Ruhe einstellen. Auf diesen Wechsel gehen alle ayurvedischen Empfehlungen ein.
Ayurveda in der indischen Mythologie
Getreu der altindischen Schöpfungsmythologie ist der Urheber des Ayurveda kein Geringerer als der Gott Brahma, der Alloberste im indischen Pantheon. Er soll die umfassenden Schriften des Ayurveda auf Bitte der Rishi, der sieben Weisen, verfasst haben. Denn die erleuchteten Weisen konnten das Leiden der Menschen nicht mehr mitansehen. Als verantwortungsbewusster und kluger Herrscher über die Welten schrieb Brahma nun auf, wie man im Einklang mit den Gesetzen des Kosmos besser und gesünder leben könne. Dazu beschrieb er auch praktische Anwendungen, die zur Erhaltung des geistigen und körperlichen Wohlbefindens beitragen. Dhanvantari, der Schutzpatron der Ärzte, verbreitete dann – so die Legende weiter – die Lehre von der Bewahrung und der Wiederherstellung der Gesundheit unter den Sterblichen.
Die Samkhya-Philosophie
„Die Hymnen des Veda gründen im unzerstörbaren Feld, im reinen Bewusstsein, in dem sich alle Impulse der Naturgesetze, die das gesamte Universum regieren, befinden. Der dies kennt, bewegt sich in Ausgeglichenheit, in der Ganzheit des Lebens.“
Aus dem Rigveda
Die ayurvedischen Schriften weisen stark religiöse Züge auf: Abgesehen davon, dass bereits der höchste Gott als Verfasser verantwortlich zeichnen soll, findet auch die altindische religiöse Samkhya-Philosophie Eingang in die Lehre. Deren Schöpfungsgedanke zufolge liegt der Ursprung allen Lebens im Zusammenspiel von Purusha und Pakruti. Purusha verkörpert das Ewige. Es ist die formlose männliche, weil unmanifestierte Energie, die allem Seienden innewohnt. Pakruti ist die schöpferisch-aktive weibliche Energie, die Veränderungen und Wachstum bewirkt. Purusha und Pakruti bedingen einander – eine immerwährende Wechselbeziehung. Demgemäß kann nichts im Universum, ob organisch oder anorganisch, Mensch oder Tier, Pflanze oder Stein, für sich alleine bestehen. Jeder Organismus wird ständig von der Umwelt beeinflusst und erreicht nach Möglichkeit einen Zustand absoluter Ausgeglichenheit, denn der ist die Basis umfassender Gesundheit. Entsprechend konzentriert sich die ayurvedische Medizin auch nicht einzig auf die aktuelle Verfassung eines Menschen. Vielmehr bezieht sie stets alle Umstände, die zu einer Erkrankung geführt haben, in die Behandlung mit ein – vom psychischen Befinden über Lebensstil und Ernährung bis hin zum klimatischen Umfeld des Betreffenden.
Festgeschrieben in Tausenden von Versen
Die Blütezeit der ayurvedischen Lehre reichte vom 6. Jahrhundert v. Chr. bis etwa 1000 n. Chr. In dieser Epoche wurden deren wichtigste Schriften verfasst: Das sogenannte „große Trio“, bestehend aus Caraka Samhita, Sushruta Samhita und Ashtanga Sangraha Samhita. Die Samhitas sind umfassende Kompendien an Wissen und bilden die älteste Grundlage ayurvedischer Konzepte und Therapieverfahren. Dabei zeichnen sich diese Schriften durchweg durch eine besondere Bodenständigkeit aus. Die darin festgehaltenen Empfehlungen und
Zeitloses Heilwissen
Die ayurvedische Heilkunde ist zeitlos und umfasst verschiedene medizinische Ansatzpunkte, die bereits in den Samhitas festgehalten wurden:
→ | Erhaltung der Gesundheit |
→ | Diagnose und Pathogenese |
→ | Heilung von Krankheiten |
→ | Medikation |
→ | Begleitung bei Schwangerschaft und Geburt |
→ | Gesundheitsprognose |
→ | begleitende therapeutische Maßnahmen |
Rezepturen haben alle einen praktischen Nutzen und verlieren sich nicht in bloßer Theorie. Schon zur Entstehungszeit der Samhitas baute Indien auf der Grundlage des Ayurveda ein gut organisiertes Gesundheitssystem auf, das weltweit einzigartig war. Dank ihrer methodischen, sehr klaren Vorgehensweise sind die alten ayurvedischen Schriften auch heute von großem Wert, und für jeden Ayurveda-Arzt ist ihr Studium nach wie vor unerlässlich.
Caraka Samhita
„Du sollst nach dem Glück aller Menschen streben. An jedem Tag, ob sitzend oder stehend, musst du mit ganzem Herzen den Kranken behandeln.“
Aus der Caraka Samhita
Diese Samhita ist der älteste bis heute erhaltene medizinische Text. Obwohl das ursprüngliche Manuskript seit langer Zeit verschollen ist, sind praktisch alle Kapitel noch vollständig überliefert. Das verdanken wir der seit der Antike währenden Tradition, klassische Werke zu kopieren und mit Kommentaren zu versehen. Die Caraka Samhita ist das Werk von mindestens vier Verfassern. Dabei deutet der Name Caraka nicht auf einen bestimmten Autor hin, sondern er steht für die damals populären wandernden Mediziner. Insgesamt nennt die Caraka Samhita 341 pflanzliche, 177 tierische und 64 mineralische Medikamente. Daneben finden sich darin philosophische Einsichten und geografische sowie anthropologisch-medizinische Informationen.
Sushruta Samhita
Die zweite wichtige Schrift des Ayurveda, die Sushruta Samhita, besteht aus sechs Büchern mit 184 Kapiteln. Ihr Autor Sushruta befasste sich vorwiegend mit Chirurgie, und so ist sein Werk auch zum Lehrbuch dieses medizinischen Fachbereichs geworden. Insgesamt stellt Sushruta 1120 Krankheiten, 700 Heilpflanzen, 57 tierische und 64 mineralische Medikamente vor.
Ashtanga Sangraha Samhita
Die dritte Schrift im Bunde der Ayurveda-Klassiker und zugleich die jüngste ist die Ashtanga Sangraha Samhita, verfasst von einem Arzt namens Vagbhata aus dem heutigen Pakistan. Er wurde von seinem Vater und einem buddhistischen Mönch namens Avaloka in Ayurveda unterwiesen. Vermutlich war auch Vagbhata Buddhist. Das Datum der Entstehung dieser Samhita variiert je nach Quelle zwischen 200 v. Chr. und 800 n. Chr. In seinem Textwerk beschreibt Vagbhata acht eigenständige Bereiche: innere Medizin, Toxikologie, Chirurgie, Augenheilkunde, Kinderheilkunde, Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde, Gynäkologie und Geburtshilfe. Die Ashtanga Sangraha Samhita war nicht nur in Indien populär, sondern fand ihren Weg auch nach Tibet, China und Japan.
Derselbe Autor hat auch die „Ashtanga Hridaya“ geschrieben. Dieses Lehrbuch erfreut sich auf Grund seiner Klarheit und der in Versform gefassten Texte bis heute größerer Popularität als die umfangreichere Ashtanga Sangraha Samhita. Es besteht aus sechs Büchern, 150 Kapiteln und 9241 Versen, darunter erstmals ein eigenes Kapitel über die Kräuterheilkunde.
Zwischen Tradition und Moderne
Noch lange nach seiner eigentlichen Blütezeit, während der ein Großteil der heilenden Anwendungen entwickelt wurde, gehörte Ayurveda zum Standardrepertoire indischer Ärzte und beeinflusste die Staatsmedizin in wesentlichen Punkten. Allerdings wurde er nicht mehr weiterentwickelt: Der Einfachheit halber griff man auf die jahrtausendealten Rezepturen und Behandlungsweisen zurück, ohne sich um Verbesserungen zu bemühen.
Erst in den 70er-Jahren des 20. Jahrhunderts erlebte der Ayurveda in seinem Heimatland Indien eine Renaissance. Freilich bezog sich diese auf das medizinische Wissen, mit dem der Ayurveda in erster Linie verbunden wird. Denn das marode indische Gesundheitssystem sollte durch eine Verbreitung der traditionellen Volksmedizin und vor allem durch die weitere Erforschung der ayurvedischen Heilmittel wieder auf Vordermann gebracht werden. Für angehende Mediziner wurde daher die ayurvedische Heilkunde zum wesentlichen Bestandteil ihrer Ausbildung.
Ayurvedisches Wissen erobert den Westen
Nur wenige Jahre, nachdem sie in ihrem Ursprungsland ein Comeback erlebte, wurde der „Mutter der Medizin“ auch im westlichen Kulturkreis mehr und mehr Aufmerksamkeit geschenkt: Im Zuge sogenannter „exotischer“ Wissenschaften aus dem asiatischen Raum erreichte das „ursprüngliche Wissen um die natürlichen, gesunden Lebensvorgänge“ auch Europa und die USA. Hier fand sie eine zunächst kleine, aber stetig wachsende Fangemeinde, die sich in ihrer Lebensführung von dem ganzheitlichen Konzept inspirieren ließ. Der eigentliche Ayurveda-Boom setzte schließlich in den ausgehenden 1980er-Jahren ein. Ayurveda wurde nun zum Synonym für die ideale körperlich-geistig-seelische Kur, die sich erholungsbedürftige Erfolgsmenschen der westlichen Industrieländer leisteten. Top-Manager und gestresste Gutverdienende strömten zuhauf in flott darauf spezialisierte Kliniken und Gesundheitszentren, um sich ayurvedische Ölmassagen und -güsse angedeihen zu lassen. Um seine körperliche und geistige Leistungsfähigkeit zu erhalten, buchte man nun anstatt einer längeren Urlaubsreise einen kürzeren Aufenthalt in einem Ayurveda-Therapiezentrum.
Auch sonst ließ sich gut verkaufen, was das Etikett „ayurvedisch“ trug. Das enorme Potenzial der traditionellen indischen Medizin drohte angesichts solcher kommerzieller Aspekte mitunter jedoch in Vergessenheit zu geraten.
Glücklicherweise besinnt man sich seit einigen Jahren darauf, dass Ayurveda weit mehr ist als ein schicker neuer Gesundheitstrend. Der eigentliche Wert, den die ayurvedische Lehre in sich birgt, rückt nun zusehends ins Zentrum des Interesses – sowohl der Laien als auch der Mediziner und Wissenschaftler. Denn dringend gesucht sind Alternativen zu einer Medizin, die sich viel zu oft auf die einseitige Diagnose körperlicher Symptome fixiert und sich in der Gabe starker Medikamente und apparativer Therapien erschöpft. Dass die ayurvedische Heilkunde hier wirksame Möglichkeiten – auch und vor allem in Ergänzung der modernen westlichen Medizin – eröffnet, wird mehr und mehr erkannt.
Im Fokus der Wissenschaft
Der Siegeszug, mit dem Ayurveda den Westen erobert hat, gründet zweifelsohne im wachsenden Interesse an Heilmethoden, welche die Gesundheit auf ganzheitliche Weise erhalten und wiederherstellen. Die traditionelle indische Medizin fand jedoch keineswegs nur Eingang in Kreise, die sich in ihrer Lebensführung an einem Konzept, das Seele, Geist und Körper gleichermaßen berücksichtigt, orientieren wollen. Auch seitens der modernen Wissenschaft wird dem Ayurveda großes Interesse entgegengebracht. Forscher an vielen Universitäten in und außerhalb Indiens bemühen sich seit Jahren darum, die ayurvedischen Therapiekonzepte zeitgemäß zu interpretieren. Um das traditionelle empirische Wissen allgemein zugänglich zu machen, versucht man, die ayurvedischen Heilmittel entsprechend modernen naturwissenschaftlichen Kriterien zu analysieren – in Begriffe zu übersetzen, die heutigen Ansprüchen genügen und dabei unter anderem sowohl molekularbiologische, immunologische wie phytochemische Aspekte abdecken. Die Ergebnisse dieser Untersuchungen belegen eindrucksvoll: Was bis heute nach jahrhundertealten überlieferten Rezepten und traditionellen Verfahren hergestellt wird, birgt in sich das Potenzial für eine moderne Ganzheitsmedizin. Für Therapien, die auch außerhalb Indiens Erfolg haben und die westliche Medizin sinnvoll ergänzen können.