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Kapitel 2

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Zwei Monate später war es so weit. Mila stand am Flughafen Frankfurt und verabschiedete sich von ihren Eltern und Julia. Sie würde drei Monate auf Tobago verbringen. Ihr Arbeitgeber hatte ihr für diese Zeit unbezahlten Urlaub gewährt.

„Guten Flug, mein Kind. Melde dich, sobald du gelandet bist. Und morgen skypen wir.“ Ihre Mutter nahm sie in den Arm und versuchte verzweifelt, nicht zu weinen.

„Mama, ich bin in drei Monaten wieder da. Also bitte keine Tränen.“

„Das sagst du so einfach“, jammerte Doris und schniefte in ihr Taschentuch.

„Mach’s gut, Töchterchen“, brummte Hans hinter ihr.

„Tschüss, Papa. Danke für alles!“

„Keine Ursache. Machen wir doch gern. So, ich bin dann mal …“ Mit diesen Worten drehte sich Hans um und verschwand in Richtung Ausgang.

Mila sah ihm lächelnd hinterher. Sie wusste, dass ihr Vater Abschiede hasste. Sie war schon überrascht gewesen, dass er überhaupt mit zum Flughafen gekommen war.

„Ruhige und entspannte Reise, Schnucki, und viel Erfolg! Melde dich, wenn du Hilfe brauchst. Ich komme sofort!“, sagte Julia, deren Augen ebenfalls verdächtig glänzten.

„Klar, mache ich.“

Mila winkte ihrer Mutter und Julia ein letztes Mal zu, bevor sie sich endgültig durch die Sicherheitsschleusen davonmachte.

Sie hatte einen Flug von knapp sechzehn Stunden vor sich. Anfangs hing ihr noch ein dicker Kloß im Hals, und sie musste sich anstrengen, um nicht zu weinen. Doch je weiter sie sich von Deutschland entfernte, desto mehr freute sich Mila auf das, was vor ihr lag.

Die Maschine landete in Port of Spain auf Trinidad um 13 Uhr Ortszeit. Mila schickte als Erstes eine WhatsApp nach Hause und besorgte sich anschließend einen Gepäckwagen, den sie mit Koffer und Taschen belud. Am Ausgang des Flughafengebäudes winkte sie sich ein Taxi heran, das sie zum Hafen bringen sollte. Nach einer halben Stunde Wartezeit an der Anlegestelle bestieg sie die Fähre nach Tobago, die drei Stunden später in Scarborough, der Hauptstadt der Insel, anlegen würde. Sie hätte auch einen Inlandsflug wählen können, aber sie hatte sich für den Schiffstransfer über das Karibische Meer entschieden. Das ließ ihr Zeit, nach dem langen Flug auch mental auf der Insel anzukommen.

Mila stützte ihre Ellbogen auf die mahagonifarbene, in der Sonne glänzende Reling, sog die warme karibische Meeresluft tief in ihre Lunge und genoss mit geschlossenen Augen den Fahrtwind, der durch ihre Haare blies. Endlich war sie angekommen – am Ort ihrer Träume. Die meiste Zeit der Überfahrt verbrachte sie damit, das Meer zu beobachten. Die Farben des Wassers wechselten von einem dunklen Blau über ein schimmerndes Türkis bis hin zu einem hellen, klaren Blau. In der Ferne kündigte ein Kreuzfahrtschiff mit lautem Tuten seine Ankunft in Trinidad an. Vereinzelt sah sie Fischerboote, die ihren Tagesfang in ein paar Stunden einholen würden.

Am Hafen von Scarborough wurde sie von Tianna erwartet, die ihr freudig zuwinkte, als sie Mila an der Reling entdeckte. Mila winkte aufgeregt zurück und bewunderte ihre Freundin, die heute, wie auch bei jeder anderen Gelegenheit, wieder umwerfend aussah. Helle Jeansshorts und ein kanariengelbes T-Shirt bildeten einen reizvollen Kontrast zu ihrer haselnussbraunen Haut. Das schwarze krause Haar hatte sie, passend zum T-Shirt, mit einem ebenso kanariengelben breiten Stoffband zu bändigen versucht. Tianna entsprach mit ihren fraulich proportionierten Rundungen genau der landläufigen Vorstellung einer karibischen Schönheit.

„Willkommen auf Tobago, Mila.“ Stürmisch fielen sich die beiden Frauen in die Arme. „Wie war der Flug?“

„Danke, Tianna. Lang und anstrengend. Aber jetzt bin ich ja hier. Und ich bin überglücklich.“

„Steig ein, ich habe zu Hause etwas Leckeres für uns vorbereitet. Du bist sicher hungrig“, bemerkte Tianna lachend und zeigte dabei ihre blendend weißen, ebenmäßigen Zähne.

„O ja, mir hängt der Magen schon in den Knien.“

„Vorausschauend habe ich dir eine Banane mitgebracht. Für den gröbsten Hunger.“

Mila genoss die knapp vierzig Kilometer lange Fahrt in Tiannas klapprigem Pick-up nach Charlotteville. Die Straße führte sowohl einige Kilometer am Meer als auch an sattgrünen Regenwaldausläufern entlang, und während der Fahrt erzählten sich die Freundinnen die Neuigkeiten der letzten Monate.

„Lass alles im Auto. Wir essen zuerst“, sagte Tianna, als sie den Pick-up vor ihrem Haus zum Stehen brachte.

Der Tisch auf der Terrasse war liebevoll gedeckt. In Mila machte sich ein warmes Gefühl der Dankbarkeit breit. Mit allem Geld der Welt war diese Verbundenheit zwischen ihr und Tianna nicht zu bezahlen.

Ihre Freundin hatte ein leckeres Curry mit Muscheln und Fisch, dazu Reis und einen frischen Salat vorbereitet. Mila aß mit großem Appetit.

Später setzten sich die beiden Frauen auf die Dachterrasse, von wo aus sie eine wunderbare Aussicht über den Strand und das türkisblaue Meer hatten. In diesem Moment war Mila wunschlos glücklich. Tag eins ihres neuen Lebens hatte begonnen. Sie schlürfte den Cocktail, den Tianna zubereitet hatte, und beobachtete die aufziehende Dunkelheit.

„Es ist so schön, endlich wieder hier zu sein.“ Mila sog die warme Tropenluft tief ein. „Wie gut es hier riecht. Das habe ich vermisst.“

Ein Lächeln zog über Tiannas Gesicht. Sie liebte ihre Insel genauso und hätte für nichts in der Welt woanders leben wollen.

„Das kannst du die nächsten drei Monate jede Minute genießen.“

„Das werde ich, und das ist der Wahnsinn. Ich kann das alles immer noch nicht richtig glauben“, erwiderte Mila verträumt. „Liegt für morgen schon irgendetwas an?“

„Morgen hast du noch Zeit, dich zu akklimatisieren“, antwortete Tianna. „Wenn du magst, fahren wir nach Roxborough und bummeln ein wenig, essen vielleicht ein Eis oder Kuchen. Ab übermorgen startet dann dein Programm. Als Erstes steht nachmittags ein Termin bei Rechtsanwalt Smith an.“

„Perfekt. Ich kann es kaum erwarten, endlich loszulegen. Ich muss in den drei Monaten so viel wie möglich erledigen.“

„Das wirst du. Aber jetzt genießen wir erst mal den Abend. Hast du noch Lust auf einen Strandspaziergang vor dem Schlafengehen? Oder bist du zu müde?“

„Ich bin total erledigt. Ich glaube, ich möchte jetzt einfach nur noch ins Bett.“

Mila schlief tief und traumlos. Erfrischt wachte sie am nächsten Morgen auf. Im Haus war alles still. Tianna schlief noch. Mila zog ihren Bikini an und lief zum Wasser hinunter, um ein wenig zu schwimmen. Dass sie jetzt den Strand praktisch vor der Haustür hatte, konnte sie kaum glauben. Welch ein Luxus.

Zurück im Haus duschte sie ausgiebig und kochte anschließend eine Kanne Kaffee. Der Duft des frisch gebrühten Getränks lockte Tianna aus ihrem Zimmer.

„Mh, das duftet aber verführerisch. Du hast schon Kaffee gemacht. Wie toll. Das ist ja mal ein schöner Morgen“, rief sie strahlend, als sie die Küche betrat. „Dann werde ich jetzt erst mal eine Tasse Kaffee trinken. Was hältst du davon, wenn du gleich draußen den Tisch deckst, und ich fahre Brötchen holen? Der deutsche Bäcker hat versprochen, für uns ein paar frische Brötchen zurückzulegen.“

„Perfekt. Kann ich das ab jetzt bitte jeden Morgen haben?“, witzelte Mila.

Nach einem reichhaltigen Frühstück begab sich Tianna ins Bad, und Mila räumte die Küche auf. Danach machten sie sich auf den Weg.

Nach einem ausgiebigen Bummel durch Roxborough gönnten sich die Freundinnen an einer Bar am Strand ein Eis. Dabei beobachteten sie die Urlauber, die sich hier vergnügten. Ein gut aussehender, braun gebrannter Mann mit blonden lockigen Haaren schlenderte am Strand entlang, drückte jedem, der ihm begegnete, etwas in die Hand und sprach kurz mit ihm.

„Bestimmt einer von denen, die Werbung für eine Tauch- oder Surfschule machen. Die laufen hier dauernd rum“, bemerkte Tianna und rückte ihre Sonnenbrille zurecht.

„Er hat zumindest eine Möglichkeit gefunden, hier zu sein. Jeder, der das schafft, hat meinen Respekt.“

„Darf ich mich zu euch setzen?“, vernahmen sie kurz darauf eine angenehme dunkle Stimme, und der Zettelverteiler stand neben ihnen.

„Klar. Setz dich“, gab Mila zurück.

„Ich bin Ben“, stellte er sich vor.

„Mila.“

„Tianna.“

„Habt ihr Lust auf eine Fahrt mit dem Korallenboot? Ich hab hier ein tolles Angebot für euch.“

„Nein, lass mal, ich hab für so etwas leider keine Zeit“, lehnte Mila ab.

„Du kommst aus Deutschland, Mila. Richtig? Man hört es an deinem Akzent. Unverkennbar.“ Ben grinste Mila an.

„Stimmt. Du aber auch, oder?“, antwortete sie auf Deutsch.

„Ja, ich komme aus Berlin. Und muss leider auch bald wieder zurück.“

„Wieso leider?“, fragte Mila neugierig.

„Ich würde viel lieber hierbleiben. Aber das Geld wird knapp, und vom Verteilen der Werbezettel hier“, er wedelte mit den Blättern, „kann ich auf Dauer nicht leben.“

„Gibt’s nichts anderes, was du machen kannst?“

Ben lachte kurz auf. „Ich habe schon alles Mögliche hier gemacht. Die Chancen, auf der Insel eine Arbeit zu finden, sind begrenzt.“

„Man muss an seine Träume glauben.“ Mila lächelte ihn an.

„Glauben reicht leider nicht immer. Man braucht Geld oder eine gute Idee, wie man hier seinen Lebensunterhalt verdienen kann. Meistens braucht man beides. Jetzt muss ich erst mal nach Deutschland zurück und ein bisschen Geld verdienen.“

„Dort musst du doch auch erst mal einen Job finden.“

„Richtig, ich habe in Berlin einen guten Freund. Ihm gehört eine Tauchschule. Wenn ich im Land bin, kann ich Anfängerkurse im Schwimmbad geben. Außerdem bin ich ausgebildeter Spinning-Trainer. Die werden immer gesucht. Wenn ich genug gespart habe, komme ich wieder für eine Zeit lang hierher.“

Mila betrachtete ihn. Von Sonne und Salzwasser ausgebleichte hellblonde Locken umrahmten sein gebräuntes Gesicht, aus dem sie strahlend blaue Augen ansahen. Er trug hellblaue ausgefranste Shorts, die ihm bis zur Hälfte der Oberschenkel reichten. Auf den muskulösen Beinen schimmerten blonde Härchen im Sonnenlicht. Ein ärmelloses Shirt ließ seine trainierten Oberarme erkennen. Mila fragte sich, ob Ben wohl ein Sixpack unter dem Shirt hatte.

„Was würdest du denn gern machen, wenn du hierbleiben könntest?“, fragte sie interessiert.

„Am liebsten würde ich hier auf Tobago eine eigene Tauchschule betreiben. Ich bin ausgebildeter Tauchlehrer. Das wäre mein Traum.“

„Kannst du nicht hier irgendwo als Tauchlehrer anfangen?“

„Ich habe schon überall gefragt. Keine Chance. Aber erzählt mal von euch. Was macht ihr hier?“

„Ich bin hier geboren“, erklärte Tianna. „Mein Mann arbeitet auf Trinidad und kommt nur alle paar Wochen nach Hause. Er verdient gut, und ich habe das Glück, mich hier nur um Haus, Familie und Freunde kümmern zu können.“ Dabei zwinkerte sie Mila zu.

„Klingt perfekt. Und du?“, fragte Ben Mila.

„Tja. Ich glaube, ich mache gerade genau das, wovon du träumst. Ich bin dabei, meine Auswanderung nach Tobago zu organisieren.“

„Das ist nicht wahr“, rief Ben. „Erzähl!“ Begeistert lehnte er sich nach vorne.

Mila erzählte in groben Zügen, was sie in den nächsten Monaten vorhatte. Ben hörte aufmerksam zu und machte ein nachdenkliches Gesicht.

„Habt ihr eventuell heute noch etwas Zeit? Ich würde mich gern näher über dein Projekt mit dir unterhalten, Mila.“

Fragend sah Mila Tianna an. Die zuckte mit den Schultern.

„Von mir aus gern. Wenn Mila keine anderen Pläne hat.“

„Nein, habe ich nicht“, antwortete Mila. Ben hatte ihr Interesse geweckt. Nicht unbedingt als Mann. Er war zwar extrem sexy und sah umwerfend gut aus, aber mit Männern hatte sie seit Bernd endgültig abgeschlossen. Es interessierte sie vielmehr, was er ihr zu sagen hatte.

„Wann und wo wollen wir uns treffen?“

„Was habt ihr denn jetzt noch vor?“, erkundigte er sich.

„Wir wollten nach Hause.“

„Das wo ist?“

„Charlotteville, gleich am Strand.“

„Echt? Direkt am Strand?“, fragte Ben ungläubig. „Das wird ja immer interessanter. Habt ihr was dagegen, wenn ich mitkomme?“

Mila sah Tianna an. Immerhin war es Tiannas Haus, in das Ben mitkommen wollte.

Ihre Freundin betrachtete Ben eine Weile, bevor sie nickte. „Okay, komm mit.“

Zu Hause begann Tianna, das Abendessen vorzubereiten. Mila und Ben schlenderten derweil am Strand entlang.

„Was genau hast du hier vor?“, fragte Ben.

„Ich habe seit einiger Zeit das Grundstück neben Tiannas Haus gepachtet und werde es in den nächsten Tagen kaufen. Dann möchte ich mir ein eigenes Haus bauen und fünf kleine Gästehäuser, die ich an Urlauber vermieten möchte.“

„Wow, das klingt gut. Mir scheint, du hast alles gut durchdacht, oder?“

„Ja, habe ich. Ich war im letzten Jahr zweimal hier, um alles vorzubereiten. Mein Rechtsanwalt hat vieles schon in die Wege geleitet. Behördlich ist auch schon einiges geregelt. Es kann also bald losgehen.“

„Mensch, Mila, ich beneide dich. Hätte ich das nötige Kleingeld – ich würde es dir gleichtun.“ Ben seufzte traurig. „Am liebsten hätte ich eine kleine Tauchschule, wie ich euch schon erzählt habe. Das Problem ist, man braucht eine Grundausrüstung, ein Boot und ein kleines Gebäude. Für die Dinge fehlt mir das Geld.“

„Mh …“, murmelte Mila nachdenklich.

„Was soll’s? Ich werde zurück nach Deutschland fliegen und ein bisschen Geld verdienen. Wenigstens kann ich dann ab und zu hierherkommen und eine Weile hier verbringen.“

„Wie lange bleibst du noch hier?“

„Noch drei Wochen.“

Mila schwieg. In ihr keimte eine Idee auf. Doch bevor sie etwas verlauten ließ, wollte sie zuerst mit ihrem Rechtsanwalt darüber sprechen.

Den Abend verbrachten Mila, Tianna und Ben auf der Dachterrasse. Sie verstanden sich prächtig, unterhielten sich angeregt und lachten viel. Mila war die Erste, die zu fortgeschrittener Stunde ein Gähnen nicht mehr unterdrücken konnte. Die Zeitumstellung und der lange Flug steckten ihr noch in den Knochen.

„So, Leute, ich muss ins Bett. Morgen habe ich einen anstrengenden Tag vor mir. Gute Nacht.“

„Gute Nacht. Schlaf gut.“ Ben stand auf und nahm Mila in den Arm. „Viel Glück morgen. Ich drücke die Daumen, dass alles so funktioniert, wie du es dir vorstellst.“

„Danke, Ben. Das ist lieb von dir.“ Wieder gähnte Mila. „Bis morgen.“

„Gute Nacht, Mila. Bis morgen“, erwiderte auch Tianna. „Wenn du magst, Ben, kannst du gern auf der Dachterrasse schlafen. Ich hole dir eine Liege und eine Decke. Oder du nimmst die Hollywoodschaukel.“

„Danke, das ist nett. Aber ich habe nichts zum Umziehen dabei. Ich glaube, ich werde besser gehen.“

„Mach nicht so einen Aufstand. Ich hol dir Shorts von meinem Mann. Das reicht für die warme Nacht. Morgen früh kannst du duschen.“

„Okay“, Ben grinste, „dann bleib ich gern hier.“

Mila lächelte vor sich hin, während sie das Gespräch der beiden im Weggehen hörte. Tianna war so herrlich unkompliziert.

Der nächste Morgen begann für Mila früh. Sie hätte zwar noch gut eine Stunde im Bett bleiben können, doch die Aufregung ließ sie nicht mehr schlafen. Schnuppernd stand sie auf. War das Kaffeeduft, der ihr in die Nase zog? Tianna war normalerweise eine Langschläferin. Dass sie schon um diese Uhrzeit durch die Küche huschte, machte Mila neugierig. Sie schlang sich einen Pareo um ihren nackten Körper.

„Morgen, Tianna, schon wach?“, rief sie, kurz bevor sie die Küche betrat.

„Nein, Tianna schläft noch. Ich bin’s, Ben.“

„Oh“, brachte Mila gerade noch über die Lippen, als sie Ben erblickte, der in nichts weiter als Boxershorts vor ihr stand. Für einen Moment hielt sie die Luft an. Er hatte ein Sixpack. Und was für eins.

„Na, genug gestaunt?“ Ben grinste verschmitzt, und Mila spürte, wie ihr Gesicht langsam rot anlief. „Dein Anblick ist aber auch nicht schlecht“, fuhr Ben fort und musterte sie eingehend.

Milas Blick glitt an ihr hinunter. Ihr Pareo ließ mehr durchscheinen, als er verbarg. Ohne ein Wort zu sagen, drehte sie sich um und lief so schnell sie konnte zurück in ihr Zimmer.

„Verdammt! Was war das denn jetzt?“, schimpfte sie vor sich hin. Ben hatte sie völlig aus der Fassung gebracht, und zu allem Übel hatte sie auch noch halb nackt vor ihm gestanden. Wie peinlich. Schnell zog sie sich ein Strandkleid über und prüfte vor dem Spiegel, ob der Stoff blickdicht war. Zufrieden mit dem Ergebnis machte sie sich wieder auf den Weg in die Küche.

Ben stand noch genauso da wie vorhin.

„Möchtest du dir nicht etwas anziehen?“, fragte Mila bissig.

„Wozu? Ich habe etwas an. Und es ist warm.“ Ben zog einen Mundwinkel nach oben. „Schade, der Pareo hat mir besser an dir gefallen.“

„Lass das bitte“, zischte Mila.

„Schon gut. Kaffee?“

„Ja, bitte.“

Mila versuchte, so viel Abstand wie möglich zu Ben zu halten. Sie hatte seit der Trennung von Bernd keinen Sex mehr gehabt. Vielleicht brachte Bens unvergleichlicher Körper sie deswegen so durcheinander.

„Lass uns das Frühstück vorbereiten. Tianna wird sich freuen.“ Mila wirbelte durch die Küche, hantierte herum und bemühte sich, Ben dabei nicht zu nahe zu kommen.

„Ich habe das Gefühl, ich stehe hier nur im Weg herum. Ich gehe duschen“, sagte er nach einer Weile und verschwand aus der Küche.

Mila seufzte erleichtert auf. Wie konnte es sein, dass er sie derart aus dem Gleichgewicht brachte? Sie kannte ihn doch kaum. Zugegeben, sein Anblick hatte etwas. Es musste am Sexentzug liegen. Sie nahm sich vor, ihn in Zukunft nicht mehr so genau zu betrachten.

Auf dem Weg zu Rechtsanwalt Smith hatte Mila den morgendlichen Vorfall mit Ben vergessen. Tianna hatte ihr angeboten, sie mit ihrem Auto in die Stadt zu fahren und zum Termin zu begleiten.

„Habe ich auch nichts vergessen?“, fragte Mila ihre Freundin zum wiederholten Mal und wedelte mit ihren Notizen vor ihrer Nase herum.

„Mila! Die Listen sind wir schon dreimal durchgegangen. Dein Anwalt weiß genau Bescheid über alles. Keine Sorge. Wir haben an alles gedacht. Und jetzt nimm den Zettel weg, ich sehe nichts.“

Am Ende der Besprechung mit Rechtsanwalt Smith stand ein Notartermin bezüglich des Kaufvertrages fest. Der Anwalt hatte gute Vorarbeit geleistet. In zwei Wochen würde das Grundstück Mila gehören, und sie konnte mit dem Hausbau beginnen.

„Legen Sie mir eine Liste der Firmen vor, die Sie ausgesucht haben. Ich werde sie überprüfen und das Bauvorhaben im Auge behalten“, bot ihr der Anwalt an.

„Das nehme ich gern in Anspruch. Ich bin in knapp drei Monaten wieder in Deutschland und brauche dann hier jemanden, der das ganze Vorhaben überwacht. Tianna möchte ich das nicht aufhalsen.“

„Das werde ich gern machen, Miss Seidel. Dann wären wir so weit mit allem durch. Oder haben Sie noch Fragen?“

„Da wäre noch etwas, das ich gern besprechen möchte.“

„Mila, wenn du nichts dagegen hast, gehe ich und erledige ein paar Einkäufe. Wir treffen uns später am Auto“, warf Tianna ein.

„Okay, bis gleich.“

Mila berichtete dem Anwalt von der Idee, ihr Resort um eine Tauchschule zu erweitern, und ihrer Überlegung, Ben in ihre Pläne zu involvieren. Nachdem der Anwalt Mila noch einige Fragen gestellt hatte und ihr verschiedene Möglichkeiten einer Partnerschaft mit Ben erklärt hatte, stand Milas Entschluss fest.

„Machen Sie den Vertrag fertig. Ich gebe Ihnen seine Daten heute noch telefonisch durch.“

„Alles klar. Ich denke, dass ich die Papiere in einigen Tagen fertig habe. Habe ich Ihre Handynummer?“ Der Anwalt blätterte in seinen Unterlagen. „Ja, hier ist sie. Ich rufe Sie an, Miss Seidel.“

Auf dem Weg nach Hause berichtete Mila ihrer Freundin von ihrem Plan, zusätzlich zu den Gästehäusern eine Tauchschule mit Ben als Tauchlehrer aufzumachen.

„Der Anwalt macht einen Angestelltenvertrag fertig, den Ben unterschreiben muss, wenn er das Projekt mit mir aufziehen möchte. Immerhin bin ich die Geldgeberin.“

„Bist du dir sicher, dass du das willst? Hast du gründlich darüber nachgedacht? Du kennst Ben doch gerade mal zwei Tage. Wer weiß, was er für ein Typ ist.“

„Das Risiko gehe ich ein. Aber mit einer Tauchschule würde ich wesentlich mehr Urlauber anziehen. Und Ben hätte einen Job. Er könnte hier arbeiten und leben. Das passt doch.“

„Wenn du meinst. Ich bin da eher skeptisch.“

„Es kann nichts passieren, Tianna. Ben wird nicht erfahren, wie ich alles finanziere. Darum geht’s dir doch, oder? Er wird denken, ich habe einen Riesenkredit laufen. Da bin ich schon vorsichtig, keine Sorge. Er wird erst mal mein Angestellter, nicht mehr und nicht weniger. Später sehen wir weiter. Wenn er mir nicht mehr passt, schmeiße ich ihn raus. Einen neuen Tauchlehrer finde ich jederzeit.“

„Na ja, du musst wissen, was du tust. Ich hoffe nur, dass alles gut geht.“

„Das wird es. Ganz bestimmt.“

Ben war begeistert, als Mila ihm von ihren Plänen erzählte. „Na klar mache ich das. Ich unterschreibe sofort. Wann geht’s los?“

„Erst mal brauche ich deine Daten, die muss ich dem Anwalt durchgeben. Er macht dann den Vertrag fertig und ruft mich an. Dann müssen wir allerdings noch warten, bis die Häuser gebaut sind. Es wird noch eine Weile dauern.“

„Das ist mir egal. So lange kann ich gerade noch warten“, witzelte Ben. „Mensch, Mila! Ich kann’s noch gar nicht glauben. Du bist mein Engel.“ Spontan schnappte er sich Mila und wirbelte sie herum. „Danke!“, flüsterte er ihr ins Ohr und küsste sie.

Den Bruchteil einer Sekunde war sie versucht, seinen Kuss erwidern. Wohlige Hitze durchströmte ihren Körper bei der Berührung seiner Lippen.

„Ben! Lass das“, hauchte sie und drückte ihn halbherzig von sich weg.

„Ach, Mila, das war doch nur ein Freudenkuss. Stell dich nicht so an.“

„Ich stelle mich nicht an“, fauchte sie. „Gib mir lieber deine Daten.“

Die Wochen vergingen in emsiger Betriebsamkeit. Ben unterschrieb den Vertrag und erwies sich als tatkräftige Hilfe bei allem, was an Arbeit anfiel. Schon nach zwei Wochen war Mila davon überzeugt, mit ihm eine gute Wahl getroffen zu haben. Allerdings vermied sie es nach wie vor, ihm zu nahe zu kommen. Er übte eine körperliche Faszination auf sie aus, die sie nur schwer unterdrücken konnte. Aber sie wollte das geschäftliche Verhältnis, das sie gerade aufbauten, nicht durch eine Unbeherrschtheit gefährden. Ben schien das zu akzeptieren, wenngleich sie oftmals bemerkte, wie er sie mit begierigem Blick ansah.

Die ersten Baumaßnahmen begannen. Mila bestellte Material, überwachte die Bauarbeiter und organisierte den Ablauf.

Der Tag des Abschieds von Ben kam viel zu schnell. Mila brachte ihn zum Hafen.

„Wir sehen uns in Frankfurt. Noch sechs Wochen, dann bin ich auch wieder in Deutschland.“

„Alles klar. Ich beneide dich um die sechs Wochen“, sagte Ben wehmütig, „ich habe jetzt schon wieder Sehnsucht.“

„Melde dich, wenn du gut angekommen bist, ja?“

„Klar. Mache ich.“

Mila schaute der Fähre hinterher, bis sie nicht mehr zu sehen war. Der Abschied von Ben machte ihr mehr aus, als sie sich eingestehen wollte. Sie hätte ihm einen weiteren Aufenthalt auf der Insel problemlos finanzieren können. Lange hatte sie darüber nachgedacht und sich schließlich schweren Herzens dagegen entschieden. Das wäre für ihn vielleicht ein Fingerzeig gewesen, der ihn zu Weiterem ermutigt hätte. Sie wollte auf keinen Fall, dass ihre Beziehung über die berufliche Ebene hinausging.

Die verbleibenden sechs Wochen vergingen wie im Flug. Milas Haus wuchs beständig. Das Untergeschoss sollte auf fünf Betonpfeilern stehen. Sie waren bereits gegossen und trugen die Bodenplatte des Untergeschosses. Darunter war Platz für zwei Wassertanks, die sowohl ihren eigenen Bedarf als auch den der Gästehäuser decken sollte.

Die Verfügbarkeit von Brauchwasser war eines der größten Probleme für Milas Vorhaben gewesen. Die Idee, große Wassertanks unter ihrem Haus unterzubringen und so die ständige Versorgung mit dem raren Gut zu gewährleisten, stammte von Ben. In der Regenzeit würden die Tanks immer komplett gefüllt sein, und in den trockeneren Monaten wäre die Kapazität rein rechnerisch ausreichend, um alle Ferienbungalows und ihr eigenes Haus mit dem nötigen Wasser zu versorgen. Zur Not konnten sie noch über die bis zum Haus verlegten öffentlichen Rohre Wasser ableiten.

An den städtischen Zuleitungen waren in Abständen von mehreren Kilometern Hydranten angeschlossen. An diesen Hydranten deckten die einheimischen Inselbewohner ihren Wasserbedarf – falls das Wasser lief. Das war nicht immer der Fall. Der Bürgermeister legte fest, zu welchen Zeiten die Leitungen geöffnet wurden. Doch wie auf Tobago üblich, konnte sich ein festgelegter Zeitpunkt durchaus um einige Stunden verschieben. Des Öfteren standen die Inselbewohner mit Eimern und Kanistern mehrere Stunden neben dem geöffneten Wasserhahn des Hydranten und warteten darauf, dass endlich Wasser heraussprudelte.

Nur die besser gestellten Einheimischen konnten sich eine Wasserleitung bis zum eigenen Haus leisten, und auch die wurden nur unregelmäßig von dem öffentlichen Wasserwerk mit dem lebensnotwendigen Nass gespeist. Um diesem Problem entgegenzutreten, hatte Mila die Wassertanks gekauft.

Mit unverhohlener Neugier beäugten die Einheimischen beim regelmäßigen Wasserholen das Treiben auf der Baustelle. Mila winkte ihnen anfangs freundlich zu. Doch statt den Gruß zu erwidern, wandten sie sich ab. Mila hoffte, dass sich das Verhältnis zu den argwöhnischen Nachbarn mit der Zeit entspannen würde.

Stürmische Zeiten auf Tobago

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