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Ich schreibe im Duett

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Es ist Sommeranfang, der längste Tag des Jahres. Die Sonne spendet eine erträgliche Wärme, ein leichter Wind weht von der Nordsee her und die ersten Federwölkchen zeigen sich am Himmel. Um mich herum nur Grün.

Nein, das stimmt nicht! Es ist nicht alles nur grün. Violett scheint die Farbe dieses Sommertages zu sein, zumindest rund um die Bank, auf der ich mich in einem Park zum Schreiben niedergelassen habe.

Ja, ich schreibe. Ich … schreibe. „Ich“ – das klingt nach einsamer Beschäftigung. Ist es aber nicht. Oder doch? Also, einsam bin ich nicht. Auch nicht allein. Auf den Wegen um mich herum laufen Urlauber und Senioren. Sie unterhalten sich ehrfürchtig leise, um das farbenfrohe Idyll, das uns alle umgibt, nicht zu stören. Ihre Stimmen kommen nur als leises Murmeln bei mir an, habe ich mir doch zum Schreiben eine abgelegene Nische gesucht, einen schmalen Pfad, der fernab der Hauptwege verläuft, ein lauschiges Plätzchen direkt an einem Gießwasserteich.

In das Murmeln mischen sich Naturgeräusche. Das Rauschen des Sommerlaubes, das Zirpen einiger Grillen, das fordernde Quaken zahlreicher Frösche, das eifrige Summen verschiedenster Insekten und ein Tohuwabohu aus Vogelstimmen in Bäumen und Sträuchern.

Meine Aufgabe lautet: „Ich schreibe im Duett.“ Im Duett – das bedeutet: zu zweit. Tatsächlich, ich bin nicht allein mit dieser Fülle an Natur um mich herum. Liz ist auch hier. Irgendwo. Nicht körperlich, dafür wohnt sie zu weit weg. Aber ich weiß, dass sie an mich denkt. Sie hat nämlich genau dieselbe Aufgabe zu lösen, die ich mir in diesen Park mitgebracht habe, und sie ist meine Duett-Partnerin.

Unser Vorhaben klingt vielleicht im ersten Moment etwas geheimnisvoll. Denn auf der einen Seite behaupten wir, im Duett zu schreiben. Doch auf der anderen Seite schreibt jede für sich allein. Keine von uns weiß in dem Moment des eigenen Schreibens, was die andere schreibt. Und das soll auch so sein. Liz und ich arbeiten also – das ergeben meine forschenden Gedanken – an einem einsam-gemeinsamen Duett-Projekt. Allein – und doch zu zweit.

Wer kommt auf solche Ideen? Und was soll das bringen? Wird jemals jemand lesen, was hier geschrieben wurde?

Na, eines ist klar: Liz wird sich das hier zu Gemüte führen. Aber erst, wenn ihr selbst auch etwas zu der genannten Aufgabe eingefallen ist und sie diese Gedanken zu Papier gebracht beziehungsweise in eine Datei getippt hat. Erst wenn wir beide fertig sind, liest Liz aus dem südlichsten Bundesland die Zeilen des Nordlichts Louise. Und Louise liest, was Liz geschrieben hat.

Kommt dann der große Aha-Effekt? Werden sich unsere Texte ähneln? Wir kennen uns doch gar nicht, sind uns nie begegnet. Und doch sind wir uns sehr nah. Uns verbinden zehn Monate, sechs Romane, gefühlte fünftausend E-Mails über Jan, Julia, Gott und die Welt und eine Reihe von Telefonaten und SMS. Liz betreibt eine Romanfabrik und ich bin ihre Lektorin. In den sechs Projekten haben wir uns, was das Formulieren von Texten anbelangt, so angenähert, dass Liz meine Korrekturen größtenteils nicht einmal mehr bemerkt. Unsere E-Mails künden Übereinstimmung in vielen Bereichen, was sehr wohltuend ist. Klar, dass wir in dem Moment, wo die Zusammenarbeit beendet schien, nach einem Strohhalm suchten. Das konnte es doch nicht schon gewesen sein! Wir haben uns ganz sicher noch viel zu sagen. Diese Verbindung ist zu sehr ein Glücksfall, als dass man einen Schlussstrich ziehen sollte.

Sagt mal, ihr süßen kleinen Vögelchen da oben in dem Dreidornigen Lederhülsenbaum – oder wie ein Schild mir mitteilt, auch „Gleditsia triacanthos“ genannt (der Baum, nicht die Vögel …). Ich schreibe gerade das Wort „Glücksfall“ auf meinen Block und einer von euch Piepsern kackt mir ganz frech auf meine rechte Hand, die Schreibhand. Scheiß drauf! Und vielen Dank nach oben. Das war ein Wink des Himmels – ein Glücksfall.

Und hiermit sei angekündigt: Das Duo „Liz und Louise“ startet an diesem schönen Sommertag voll durch und wird einen Schlagabtausch hinlegen, der einiges zu bieten hat.

Liebe Leserin, lieber Leser, lassen Sie sich anstecken von unserer Vorfreude und der Schreiblust zweier Frauen um die fünfzig, die sich auf eine im Moment noch unbestimmte Reise begeben. Wenn Liz und ich eines Tages den letzten Beitrag für dieses Buch geschrieben haben, werden wir auf den Startschuss des heutigen Tages zurückblicken. Für mich und für heute gilt: Möge dieser Tag nie aufhören, denn es ist ein schöner Tag.

4.8.2011

Sehr geehrte Frau Löhmann, vielen Dank für Ihre Anfrage wegen eines Lektorats Ihres Manuskripts.

So begann die erste Mail, die Louise mir geschrieben hat. Danach flogen die Mails zwischen uns hin und her, gleich fünf waren es am ersten Tag. Irgendwann hat eine von uns den Hörer in die Hand genommen. Wir haben lange miteinander gesprochen, uns aus unserem Leben, vor allem unserem literarischen Leben erzählt. Als ich aufgelegt hatte, war ich sehr bewegt. Louise ging ebenso:

4.8.2011

Ich fand unser Gespräch auch sehr schön. Spannend, um genau zu sein. Schauen wir mal, was daraus wird …

Fast ein Jahr lang haben wir intensiv zusammengearbeitet. Louise meinte, es müssten mehrere Tausend Mails gewesen sein, die wir uns in dieser Zeit geschrieben haben. Unglaublich. Nun, da es vorbei ist, fehlt mir dieser tägliche Austausch, dieses Erinnern, die stille Freude beim Öffnen der morgendlichen Mails.

Kurz bevor ich Louise die erste Mail schrieb, hatte ich die Zusage für ein Romanprojekt bekommen, mehrere TV-Romane, für die ich pro Band nur wenige Wochen Zeit hatte und für die Handlung und Serienpersonal vorgegeben waren.

Überschwänglich hatte ich dem Verlag zugesagt und erst nachher begriffen, auf was ich mich eingelassen hatte: unter Zeitdruck alle sechs Wochen ein druckfertiges Buch abzuliefern.

Mit diesem Projekt war ich weitgehend auf mich gestellt. Rückfragen wurden vom Verlag zwar schnell und sehr freundlich beantwortet, aber an ein begleitendes Lektorat war nicht zu denken.

Also suchte ich mir selbst eine Lektorin.

Es war spät nachts, als ich mich an den Computer setzte und „Lektoren“ googelte – und auf Louises Website landete. Sie nannte sich Fehlerjägerin, das gefiel mir. Dass sie auch noch Autorin ist, erwies sich als Glückfall.

Es war, als hätte uns jemand zusammengeführt.

In den Romanphasen verging kein Tag, an dem wir uns nicht schrieben. Ich mailte ihr, oft erst nach Mitternacht, mein Tagespensum. Sie schickte es mir korrigiert und mit Anmerkungen versehen früh am Morgen zurück. Kurz vor Abgabe des ersten Romans, als es nur noch ums Fertigwerden und Durchhalten ging, haben wir es sogar geschafft, morgens um fünf Uhr beide am Computer zu sitzen. Bis heute hat Louise mir nicht verraten, ob sie die Nacht durchwacht hatte oder ob sie, in banger Erwartung des letzten Kapitels, besonders zeitig aufgestanden war.

Wir haben die Romane im Duett geschrieben. Ich gab den Text vor, Louise brachte ihn in Form. Bis dahin war ich der Meinung gewesen, ich beherrsche die Rechtschreibung aus dem Effeff, ebenso wie ich lässig die Tempi wechseln und geschmeidig Rückblenden schreiben könne. Plusquamperfekt? Korrekte Satzzeichen? Darüber verfügte ich nach Belieben. Bis ich Louise kennenlernte.

Durch sie habe ich gelernt, genau hinzusehen, detailliert zu beschreiben, den roten Faden im Auge zu behalten und mich immer wieder zu fragen: Ist die Szene, die ich gerade beschreibe, wichtig für die Handlung? Wird deutlich, was meine Protagonisten wollen? Treiben die Dialoge die Handlung voran? Nichts war schlimmer als ihr Kommentar: „Das verstehe ich nicht.“ Sie war meine erste und wichtigste Testleserin. Wenn sie den Text nicht verstand, dann hatte ich nicht sauber gearbeitet.

Louise hatte ein Herz für meine Witwen und Waisen, die Figuren, die ich groß eingeführt und irgendwann im Laufe des Romans verloren hatte. Sie achtete auf Details wie Haar- und Augenfarbe (eine Figur hatte am Anfang blaue, am Schluss braune Augen), auf verlorene Schlüssel (den hatte die Figur im letzten Kapitel noch in der Hand?) und erinnerte mich daran, dass das Fluchtauto, das ich meinem Helden vor die Tür gestellt hatte, immer noch am Flughafen stand.

Mittlerweile bin ich davon überzeugt, dass es für einen guten Text einen Autor und einen Lektor braucht – ein Duett. Wer das Glück hat, von einem großen Verlag einen Lektor zur Seite gestellt zu bekommen, ist fein raus. Schreiben muss zwar immer noch der Autor, doch ein guter Lektor steuert ihn sicher durch die Handlung.

Wenn, wie in unserem Fall, die Lektorin auch selbst schreibt, weiß sie außerdem, wie sich Schreibkrisen anfühlen, wie schwer es ist, einen guten Anfang zu finden, wie anstrengend, jeden Tag das festgelegte Pensum zu schaffen.

Schreiben im Duett bedeutet für mich auch das Ende der Einsamkeit. Jetzt habe ich eine Kollegin. Wir fragen uns gegenseitig, wie es geht, sind neugierig auf die Arbeit der anderen, seufzen oder lachen über Alltagsgeschichten und klagen, wie vermutlich alle Autoren, über zu wenig Zeit. Doch wir sind mehr als Kolleginnen. Wir sind Seelenverwandte, verbunden durch die Leidenschaft für das Wort.

Auch diese Texte schreiben wir im Duett, diesmal beide als Autorinnen. Es ist spannend, wie Louise es am Anfang in ihrer Mail geschrieben hatte. Nur das Thema ist vorgegeben, keine weiß, was die andere dazu schreiben wird.

Schauen wir mal, was daraus wird …

Federspuren

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