Читать книгу Federspuren - Birgit Rentz - Страница 8

Ich sehe den Wolken zu

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Guten Morgen, neuer Tag! Schön, dass du mir ein Lächeln schenkst. Du schickst mir ein paar zaghafte Sonnenstrahlen durch träge dahinschwebende Wolken. Die Luft ist noch frisch und unverbraucht, sie hat aufgetankt in der Stille der Nacht. Morgentau bedeckt die Welt um mich herum, doch schon bald wird die Sonne so kräftig scheinen, dass sich die wenigen Wolken auflösen und die kühle Frische einer flimmernden Hitze weicht. Es ist Sommer, kein Zweifel.

So träge, wie die Wolken am Morgen über das Land gezogen sind, so fühle ich mich auch. Mir ist heiß, zum ersten Mal in diesem Jahr steigen die Temperaturen auf über dreißig Grad. Die Luft scheint stillzustehen und ich wünsche mir eine Abkühlung.

Ein Flugzeug erzeugt in mehreren Tausend Metern Höhe einen Kondensstreifen. Wie eine Wunde, denke ich, die einen Körperteil zunächst verunstaltet, dann aber schnell verheilt und wieder verschwindet – als wäre sie nie da gewesen.

Wer kommt denn auf die Idee, in einer Wolke eine Wunde zu sehen? Wer kommt überhaupt auf die Idee, irgendetwas zu sehen, wenn er die Wolken betrachtet?

Viele Menschen tun das.

„Schau mal, Mama, ein Hund!“, hörte ich vor einiger Zeit ein Mädchen zu seiner Mutter sagen.

Die Mutter betrachtete die Wolke, auf die ihre Tochter zeigte. „Das ist ein Drache.“ Sie lachte. Welcher Hund hat denn so einen langen Hals?!“

Ich sah weder den Drachen noch den Hund. Ich habe meine eigenen Fantasien.

Wenn Wolken wie Watte dahingetupft sind, federleicht, rein weiß und leuchtend, dann denke ich an Situationen in meinem Leben, die mich positiv geprägt haben. Es ist schön, wenn ich mich leicht fühle und leuchtend. Dann stimmt meine Laune und ich kann entspannen, einfach mal gar nichts tun. Leise sein und allein auf dieser Welt. Ich brauche dann niemanden. Das Leben ist vollkommen, es gibt nichts, was mir fehlt. Die Stille beflügelt mich und ich werde kreativ.

Es gibt Tage, da veranstalten die Wolken ein Wettrennen. Sie hasten, wirken rastlos, überholen sich gegenseitig, überschlagen sich fast. Der Wind bläst von hinten in sie hinein und verleiht ihnen den nötigen Schwung.

Nein, diese Wolken sind gar nicht rastlos, sie sind übermütig! Die grau-weißen Gebilde legen dabei ein sagenhaftes Tempo vor und verändern im Sekundentakt ihr Bild.

Verläuft unser Leben nicht manchmal auch so?

Wir hasten durch den Alltag, hetzen von einem Termin zum nächsten und schauen dabei ständig auf die Uhr.

„Keine Zeit, keine Zeit!“

„Mach Platz da, lass mich durch!“

Was für ein Tempo hält die heutige Zeit eigentlich parat? Und wie lange halten wir das aus? Immer wieder lesen wir diese oder ähnlich lautende Fragen in Zeitungen und Gesundheitsratgebern.

Ach was, warum sollte Leben nicht auch Tempo sein? Wenn ich liebe, was ich tue, dann darf es gern die große Portion sein. Dann arbeite ich mit Freude stundenlang und ohne Wochenende und stelle dabei fest: Mensch, Mädchen, du legst aber ein ganz schönes Tempo an den Tag. Daran wären andere längst zerbrochen.

Warum bleibe ich dabei so gelassen und fühle mich eher übermütig als gehetzt? Ist es einzig und allein die Liebe zu dem, was ich tue?

Ja, ich glaube, das ist die Erklärung. Das Glas ist halb voll und nicht halb leer – ihr wisst, was ich meine.

Nicht immer ist das Leben das sprichwörtliche Wunschkonzert. Nicht immer ist alles leicht, beschwingt oder gar übermütig. Stattdessen türmen sich Probleme auf wie Wolken in einem schweren Herbststurm. Das Leben wird zur grauen Masse und erscheint bedrückend, lähmend. Dunkel und bedrohlich lasten Probleme auf den Schultern derer, die keinen Ausweg sehen. Tränen sind wie Tropfen aus regenschweren Wolken, die sich unaufhaltsam ihren Weg suchen und ein erster Versuch sein können, Trost zu finden.

Ich hatte nie Angst vor Gewitter. Auch wenn es manchmal nur so kracht, blitzt und donnert. Ich muss mich der tödlichen Gefahr eines Gewitters nicht aussetzen und weiß, wo ich mich sicher fühlen kann. Wie oft schon habe ich mir, wenn ich vor stickiger Hitze nicht schlafen konnte, gewünscht, es würde endlich ein Gewitter kommen und der Luft die Schwüle nehmen, sie reinigen und abkühlen. Es ist faszinierend, der Urgewalt beizuwohnen, die sich entlädt und in Form eines Blitzes zur Erde zischt.

Was wäre denn unser Leben ohne Gewitter? Ein Leben ohne Streit, wäre das überhaupt denkbar? Wir Menschen sind zu verschieden, als dass wir stets und ständig in Frieden miteinander leben könnten. Meinungsverschiedenheiten werden lautstark ausgetragen und enden nicht selten in Handgreiflichkeiten, Schlägereien, Krieg. Auch mit Worten, Fäusten oder Waffen entladen sich Urgewalten oder besser gesagt: Aggressionen. Nicht selten herrscht anschließend eine nie geahnte Stille und die Luft ist gereinigt, alles ist gesagt. Die Basis für einen Neustart ist geschaffen, auch wenn der Weg aus den Trümmern mühsam erscheint. Mit dem ersten Zwitschern eines Vogels nach Blitz und Donner erwacht die Welt zu neuem Leben.

Wolken nehmen die kuriosesten Gestalten an. Sie ziehen über das Land und lassen sich nicht aufhalten. Wolken sind weder planbar noch vorhersehbar. Sie gehorchen eigenen Gewalten. Stets verändern sie ihr Bild und beflügeln die Fantasie des Betrachters. Nie wird er zweimal dasselbe sehen, wenn sein Blick gen Himmel geht.

Ich habe meine eigenen Fantasien, meine eigenen Träume. In einem dieser Träume werde ich vom Wind hinaufgetragen und stehe vor einer Wolke, die wie ein Fahrrad aussieht. Ich steige auf, trete in die Wolkenpedale und passiere Stationen meines Lebens.

Wo werde ich mein Wolkenfahrrad abstellen? Und wo wird meine Fahrt enden?

Ich sehe den Wolken zu und stelle fest, sie malen mein Leben an den Himmel …

Einen Augenblick nur

will ich ruhn

nichts wollen

nichts tun

Einen Augenblick nur

will ich bei mir sein

Ich sehe den Wolken zu

wie sie gemächlich

am Himmel ziehn

auf ihrer luftigen Reise

vom Woher zum Wohin

Für einen Augenblick

nehmen sie mich mit

und ich vergesse

mich zu sorgen

Federspuren

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