Читать книгу Mörder meines Vertrauens - Birgit Vobinger - Страница 4

1

Оглавление

Niemals hätte sie gedacht, dass sich ihr Leben in ihrem Alter noch einmal ändern würde. Einsamkeit war längst zur Normalität geworden. Ihr Mann Egon starb unerwartet vor 12 Jahren. Es gab keine Zeit des Abschieds. Sie hatten Pläne für diesen Tag. Nach der Tristesse des Winters wollten sie den sonnigen Frühlingstag im botanischen Garten genießen. Sie machte schnell die Betten, als Egon noch im Bad war. Ein dumpfes Geräusch ließ sie erstarren. Ein Geräusch, das sich für immer im Gedächtnis einprägen würde. Noch einen Augenblick hielt sie inne, die Ecken der Oberbetten in der Hand. „Egon?“, rief sie. Ihr Herz raste in ihrer Brust. Tief im Innersten wusste sie, dass nun der Moment gekommen war, wovor sie immer schon Angst hatte. Der Tag, an dem sie keine Antwort von ihrem Ehemann bekam. Sie schloss die Augen, atmete tief durch und ging zitternd zum Bad. Mit jedem Schritt, der sie der Realität näher brachte, ahnte sie, dass nun der Tag gekommen war, vor dem sie sich immer gefürchtet hatte. Sie spürte, dass sie sein Lächeln und seine sanfte Stimme nie wieder erleben würde. Ihre Knie wurden weich, als sie in Richtung lebenslanger Einsamkeit ging. Er lag regungslos auf dem Boden, den Kamm noch in der Hand. Egons Blick war friedlich. Er lag da, als wäre er auf der Badezimmermatte eingeschlafen. Später erinnerte sie sich nicht mehr daran, den Notruf gewählt zu haben. Die Stimmen der Menschen, die in ihrer Wohnung waren, schienen weit entfernt zu sein. Ähnlich einer nachlassenden Vollnarkose. Der Notarzt hatte ihr gesagt, dass Egon vom Tod überrascht wurde und nichts gespürt hatte. Später teilte man ihr mit, das eine Aorta vom Herzen abgerissen sei. Allein zurückgeblieben in erdrückender Stille. Ohne Kinder, ohne Geschwister und ohne Freunde. Der Preis der Zweisamkeit.

Seit einigen Jahren plagte die inzwischen 78 jährige eine starke Arthrose, die es ihr immer schwerer machte, den Alltag zu bewältigen. Das kleine Haus sauber zu halten dauerte den ganzen Tag. An die Gartenarbeit kaum zu denken. Der junge Mann war ein Segen. Die Zeiten, an denen sie auf dem Sofa saß und all die Ecken und Kanten sah, die geputzt werden müssten, waren vorbei. Sie konnte wieder im Garten sitzen und den Tag genießen und der Rasen war bereits gemäht. Er hielt alles in Ordnung. Das Geld war gut investiert. Nach der Arbeit hatte die alte Dame immer ein Stück Kuchen und eine Tasse Kaffee für ihren Helfer. Konversation. Wie sehr hatte sie ein einfaches, lockeres Gespräch vermisst. Sie war wieder da, wieder ein Teil der Welt geworden. Er brachte frischen Wind in ihr Leben. Natürlich hatte sie Angst, ihre Sachen zu packen und noch einmal umzuziehen aber die Idee war zweifellos grandios. Eine Wohngemeinschaft mit anderen Senioren war eine perfekte Lösung. Die Angst davor, in ein Altenheim zu müssen, um den Tag um 17 Uhr mit dem Abendessen zu beenden, war vorbei. Eine private Wohngemeinschaft, in der jeder jedem hilft und für den Rest teilte man sich die Kosten für einen Pfleger. Gedankenversunken saß sie auf dem Sofa. Den Teller mit der Donauwelle auf dem Schoß und blickte, mit einem leichten Lächeln zu Egons Bild auf dem Sideboard.

„Du bist mit deinen Gedanken weit weg, oder?“, fragte der junge Mann.

„Wir haben es wirklich getan. Mein Egon hätte mich ausgelacht. Als damals die jungen Leute in eine WG, oder Kommune, gezogen sind, hat jeder gesagt, dass es abartige Typen sind. Jetzt ziehe ich selber in eine.“

„Was ist an einer WG denn abartig?“, fragte der junge Mann schulterzuckend.

Sie nippte noch einmal an ihrem Sekt und schwelgte in Erinnerungen.

„Es gab in den 70ern die Kommune 1. Alles Hippies. Alle liefen nackt herum und hatten“, sie hielt sich die Hand vor den Mund. Das tat sie immer, wenn sie etwas Schlimmes sagen wollte. „Die hatten Gruppensex.“

Der junge Mann lachte, nahm sein Glas und stieß noch einmal mit der alten Dame an. Dann deckte er den Kaffeetisch und legte ein Stück Kuchen auf.

„Naja, nicht alle WGs haben Gruppensex, aber wer weiß, vielleicht treffen sie ja einen ganz feschen Rentner.“

Die alte Dame kicherte wie ein junges Mädchen und winkte ab. Sie saßen noch ein paar Stunden zusammen und redeten über Vergangenes und über die aufregende Zukunft.

„Ich glaube, ich habe zu viel Kuchen gegessen.“ Sie lehnte sich in ihrem Sessel zurück und rieb sich den Bauch. Sie fragte nach den Renovierungsarbeiten. Mahnte zur besonnenen Wahl der Handwerker. Sie nahm ihr besticktes Taschentuch und wischte sich Schweiß von der Stirn. Immer wieder rieb sie sich den Bauch. Ihr Gesprächspartner ignorierte die Symptome der Frau. Es dauerte nicht lange, bis sich die alte Dame vor Schmerzen krümmte. Der Schweiß lief in Strömen über ihr Gesicht. Ihr Bauch rumorte. So schnell es ihr möglich war, suchte sie die Toilette auf. Die Krämpfe wurden unerträglich. Heftiger Durchfall setzte ein. Im letzten Augenblick schnappte sie sich den kleinen Mülleimer, der unter dem Waschbecken stand, und übergab sich. Wankend ging sie zum Wohnzimmer zurück und sank kraftlos in den Sessel.

„Ich glaube, du solltest mir einen Arzt rufen. Ich habe mich gerade übergeben. Mein Bauch schmerzt so und schwindelig ist mir auch.“ Sie wischte sich den Schweiß wieder von der Stirn. „Ich glaube ich habe Fieber. Ob der Kuchen verdorben war? Wie geht es dir? Ist dir auch schlecht? Dann war es der Kuchen.“

Kein Funke Mitgefühl spiegelte sich auf dem Gesicht des jungen Mannes. Er lächelte sogar.

„Nein, mir ging es nie so gut wie jetzt. Ich sollte dir eine Geschichte erzählen.“

„Später. Ich brauche wirklich einen Arzt. Bitte ruf Dr. Bensch an.“

„Du hast keine Ahnung, was hier los ist? Glaubst wirklich an ein verdorbenes Stückchen Kuchen? Ich habe lange auf diesen Augenblick hin gearbeitet. Heute, meine Liebe hörst du mir zu. Hörst dir eine gute Geschichte an. Soviel Zeit habe ich noch. Du wirst alles erfahren und dann“, er machte eine theatralische Pause, „Dann stirbst du.“

Der pure Hass blickte aus den vertrauten Augen. Pausenlos redete er auf die sterbende Frau ein. Wort um Wort schwand ihre Hoffnung, diesen Tag noch zu überleben. Es würde keine WG geben. Alles Lügen. Alles bis ins Detail geplant um sie heute am Boden zu sehen. Ihre Einsamkeit nahm ein unerwartetes Ende. Erst als es an der Tür klingelte, hörte der Redeschwall ihres Peinigers auf. Sofort presste er der Frau die Hand auf den Mund. Sie wehrte sich und versuchte mit aller Macht sich aus dem unerbittlichen Griff ihres Peinigers zu befreien. Mit dem Fuß trat sie die Kaffeekanne von Tisch. Der Knall des zerschmetternden Glasgefäßes ließ den Peiniger kurz unaufmerksam werden. Für den Bruchteil einer Sekunde gelang es Frau Hindenburg, das Gesicht zu drehen.

„Hilfe!“, schrie sie, bevor er sie wieder im Griff hatte.

„Machen Sie auf!“, rief jemand laut. Kurz danach wurde mit einem lauten Knall die Vordertür aufgebrochen. Der Mann floh zur Hintertür hinaus.

Mörder meines Vertrauens

Подняться наверх