Читать книгу Mörder meines Vertrauens - Birgit Vobinger - Страница 6

3

Оглавление

„Bist du sicher, dass du alles hast? Ich kann auch einen Anhänger mieten“, scherzte Peter. Sie wollten ihr erstes Wochenende in Werlow verbringen und Kerstin hörte gar nicht mehr auf, zu packen.

„Das brauche ich alles. Ich will, dass das Haus schön wird.“

„Ich wusste es“, dachte Peter und packte ohne Widerspruch die Kisten ein.

Während der 1 ½ stündigen Autofahrt, fing Kerstin bereits mit der Planung an. Sie redete pausenlos darüber, was man alles verändern könnte. Langsam fuhr Peter den Kiesweg entlang, vorbei an dem kleinen Wäldchen, zu dem weißen Haus. Im Hintergrund sah man bereits den Werlower See. Er war einige Monate nicht mehr hier gewesen. Sofort kamen die Erinnerungen, was damals hier geschah, wieder hoch. Die Haustür knarrte noch immer, als er sie öffnete. Eigentlich hatte er sich bereits nach dem ersten Öffnen, vor einem Jahr, vorgenommen einen Tropfen Öl an das Scharnier zu geben. Er stellte die Kiste auf dem Flur ab und erledigte das umgehend.

„Was machst du?“, fragte Kerstin.

„Wenn ich die Tür jetzt nicht öle, dauert das noch ein Jahr.

„Machst du danach die Heizung an? Es ist kalt hier drin?“

Als Peter alles erledigt hatte und auch die letzte Kiste endlich im Haus angekommen war, ging er auf die Veranda. Mit verschränkten Armen stand er da und blickte, in Gedanken versunken auf den See.

Bei dem Anblick der Veranda schnürte sich Kerstin die Kehle zu. Hier hatte Peter gelegen. Sie selbst hatte es nicht gesehen, aber man hatte ihr jedes Detail erzählt. In diesem idyllischen Haus wurde er von dem Serientäter niedergestreckt. Fest nahm sie ihn in die Arme.

„Du erdrückst mich ja. Was ist denn los?“

„Wenn ich daran denke, dass du hier fast gestorben wärst, oh Schatz. Ich hoffe, dieser Mistkerl bleibt den Rest seines Lebens im Knast.“

„Er sitzt in der Psychiatrie. Es ist nicht damit zu rechnen, dass er noch mal raus kommt.“

„Stell dir vor, Helmut und Paul wären nicht zu dir gefahren, oder eine ½ Stunde später gekommen. Peter, dann wärst du tot!“

„So sollte man nicht denken. Das ist im Leben immer so. Eine Minute später mit dem Auto losfahren und der Geisterfahrer rauscht in einen rein. Einen Tag später als sonst zur Bank gehen, weil man am Tag zuvor Kopfschmerzen hatte und man steckt mitten in dem Überfall und endet als Geisel. Gut, dass man nicht weiß, wann es einen trifft.“

„Es muss dein Job sein, dass du so nüchtern darüber denkst. Empfindest du eigentlich noch etwas, wenn dir die Toten in die Gerichtsmedizin gebracht werden?“

„Sicher, aber ich breche nicht in Tränen aus, weil jemand gestorben ist. Wer die berufliche Barriere nicht aufbauen kann, bleibt nicht lange. Du kannst nicht mit jedem trauern. Es gibt aber auch Fälle, da fällt es selbst mir schwer.“

„Ich könnte das nicht.“

„Wie ist es denn bei dir. Jemand steht an deinem Schalter und jammert, weint vielleicht sogar, dass er dringend den Kredit braucht oder vom überzogenen Konto noch Geld. Überschreitest du die Grenzen oder zückst dein Portemonnaie? Das geht nicht, das blendest du auch aus.“

„Du hast, wie immer, recht. Ich mache uns jetzt was zu essen.“

Das Paar verbrachte den Abend vor dem Fernseher. Viel bekam Peter jedoch nicht von dem Film mit. Kerstin hatte wieder in den Dekomodus geschaltet. Das Gäste-WC müsste unbedingt neu gefliest werden. Das Grün ginge gar nicht und ob die Töpfe unbedingt unter dem Regal hängen müssten. Abends im Bett gab Peter ihr einen gute Nacht Kuss.

„Schatz richte das Haus so ein, wie du möchtest. Du machst das auf jeden Fall besser als ich. Aber bitte lass wenigstens die Kupferpfanne unter dem Regal hängen.“

„Alle anderen packe ich aber weg.“

Peter schlief mit dem Wissen, dass sie sich in ein paar Tagen beruhigen würde, fest ein.

*

Von ihrem Frühstückstisch aus konnten sie auf den See blicken. Es sollte ein schöner Tag werden. Der Himmel war fast wolkenlos und die Wasserfläche wie gebügelt.

„Was ist eigentlich auf dem Dachboden?“, fragte Kerstin, während sie sich etwas Konfitüre auf ihr Brötchen strich.

„Keine Ahnung. Ich war noch nie oben.“

„Noch nie? Du kaufst ein Haus und hast noch nicht alles gesehen?“

„Bisher brauchte ich den Platz ja nicht. Ich fahre nachher kurz bei Helmut vorbei. Du hast also ausreichend Zeit zum Stöbern.“

„Du kannst gleich fahren, ich kümmere mich um alles. Macht euch einen schönen Tag.“

„Soll ich nicht erst einmal mit aufräumen?“

„Nein, fahr mal ich mach das.“

Peter machte sich fertig. Kerstin saß im Schlafanzug am Küchentisch und trank noch ihren Milchkaffee. Er gab ihr einen Kuss und verabschiedete sich. Kerstin musste sich nicht zweimal sagen lassen, dass sie ja Zeit zum Stöbern hatte. Sofort flitzte sie die Treppe hinauf, öffnete die Dachluke, zog die Leiter aus und stieg hinauf. Als sie den Lichtschalter betätigte, bekam sie große Augen. Der Boden war vollgepackt mit alten Sachen. Auf der linken Seite entdeckte sie einen barocken Schminktisch mit einem kleinen Hocker darunter. Die Beine waren geschwungen, das Holz teilweise mit goldener Farbe bemalt. Sie setzte sich auf den Hocker, wischte mit der flachen Hand Staub und Spinnweben vom Spiegel ab. Der Spiegel war teilweise blind geworden, aber es war aufregend. Sie fühlte sich, wie ein junges Mädchen auf Entdeckungstour. In der rechten Schublade des Tisches befanden sich eine Haarbürste und eine alte Puderdose. Ein rosafarbener Lippenstift in einer goldenen Schatulle, bei der sich auf Knopfdruck ein kleiner Spiegel ausklappte. Sie überlegte, ob man den Schminktisch nicht ins Schlafzimmer stellen sollte. Der Spielgel könnte restauriert werden. Weiter rechts stand eine Kunststoff Kiste. In ihr befanden sich alte Kleidungsstücke. Neben Winter Pullovern und einem grauen Kostüm kam ein grünes, glänzendes Abendkleid zum Vorschein. In der Ecke standen einige Bilder. Unter anderem das Jagdmotiv mit dem röhrenden Hirsch. Dasselbe, hässliche Bild hing bei ihrer Oma über dem Sofa. Ein paar alte, leere Koffer und ein Schuhkarton standen auf der anderen Seite des Raumes. Als sie den Karton öffnete, war die Überraschung groß. Stapel voller alter Fotos. Fotos, die ihr die Geschichte dieses Hauses erzählen würden. Im Erdgeschoss hörte sie, wie Peter die Haustür aufschloss. Schnell stellte sie den Karton wieder an die Seite und eilte ihrem Mann entgegen. Sie hatte völlig die Zeit vergessen. Seit drei Stunden war sie hier oben. Noch immer im Schlafanzug, der Frühstückstisch, den sie abräumen wollte, war noch gedeckt.

„Peter, du glaubst nicht, was du verpasst hast. Der Boden ist voll mit Sachen. Mit Sachen, von den Leuten, die früher hier gelebt haben.“

„Lass dich ansehen. Ja, muss toll gewesen sein. Du bist noch im Schlafanzug. Hast du ein neues Abenteuerland entdeckt?“

„Ich mache mich gleich fertig, aber ich muss alles über dieses Haus erfahren.“

„Frage am besten heute Abend Helmut. Ich habe ihn zum Essen eingeladen. Ziehst du dir bis dahin was anderes an?“, fragte er und lachte sie aus.

*

Kerstin fühlte sich bereits zu Hause. Wenn Helmut heute Abend zu Besuch käme, würde alles perfekt sein. Schließlich wollte sie alles über dieses Haus erfahren und in gemütlicher Umgebung plaudert es sich am besten. Als sie den Lebensmittelladen betrat und die korpulente Frau an der Kasse sah, bemerkte sie, wie sehr sich alles verändert hatte, seit sie das letzte Mal in Werlow waren. Sonja war in Berlin, hatte alles hinter sich gelassen. Wie sehr hatte es die Menschen in Werlow, nach den Gräueltaten des Serientäters, noch verändert? Waren heute, ein Jahr später, alle zum normalen Alltag herüber gegangen, oder waren sie misstrauisch geworden? Kerstin war sich sicher, dass sie jedem hier offen entgegenkommen wollte. Langsam schob sie den Einkaufswagen durch die Gänge. Sie bestellte bei Frau Völker das Fleisch und nahm sich die Zeit für ein kleines Pläuschen. Kerstin hatte den ersten Schritt getan, ein Teil dieser Gemeinde zu werden.

Der Duft eines guten Essens durchflutete das Haus. Im Ofen brutzelte ein Roastbeef, unter der Roste stand das Kartoffelgratin. Der herabtropfende Fleischsaft gab dem Gratin die besondere Note. Der Tisch war bereits gedeckt und ein Garnelencocktail in Cognacsoße als Vorspeise stand auf jedem Platz. Peter hatte einen guten Rotwein aus dem Keller geholt.

„Du wirst immer hübscher, Kerstin. Wie machst du das bloß?“, grüßte Helmut und nahm Kerstin in die Arme.

„Warte mal, ich nehme das mit meinem Smartphone auf und lasse es mit meinem Spiegel koppeln. Dann wird das immer abgespielt, wenn ich morgens völlig zerknittert aufstehe.“

„Du und zerknittert. Das halte ich aber für ein Gerücht.“

Kerstin konnte kaum warten und fragte bereits während des Essens nach den Vorbesitzern. Helmut erzählte, dass eine Alleinstehende Frau hier gelebt hatte. Elisabeth Brune. Sie müsste heute 78 Jahre alt sein. Die Frau hatte zurückgezogen gelebt. Sie hatte nie viel von sich erzählt. Während der Allgemeinmediziner daran gewöhnt war, dass ihm die Patienten ihr ganzes Privatleben zu Füßen legten, erfuhr er von Frau Brune kaum etwas.

„Ist sie gestorben? Etwa hier im Haus?“

„Nein. Sie ist weggezogen. Es tauchte vor zwei Jahren ein Verwandter auf. Wenn ich mich recht erinnere, der Enkel ihrer verstorbenen Schwester. Er hat ein paar Wochen hier bei ihr gelebt und sie dann, ich glaube nach Köln, mitgenommen. Sie hat das Haus zum Verkauf angeboten. Es stand ein Jahr leer, bis Peter es gekauft hat.“

„Ich habe noch Sachen auf dem Boden gefunden. Die haben bestimmt Elisabeth gehört.“

„Ich bezweifle, dass sie in den letzten Jahren auf den Speicher geklettert ist. Sie hatte ihr Schlafzimmer hier unten, weil sie die Treppe kaum hinaufkam. Ein Junge aus dem Dorf hat ihr bei der Gartenarbeit geholfen.“

„Meinst du, sie hat die alten Sachen vergessen?“

„Gut möglich.“

„Peter sollten wir nicht herausfinden, wo sie wohnt und ihr die Sachen schicken.“

„Bei all deiner Fürsorge. Sie hat sich seit mehr als 2 Jahren nicht um den Krempel gekümmert. Ich habe ehrlich gesagt keine Lust, den Boden zu entrümpeln. Vor allem, wo wir den Platz nicht benötigen.“

„Ihr habt ja recht, aber seit ihr denn nicht neugierig?“

Die Männer schauten sich fragend an und antworteten gleichzeitig.

„NEIN.“

Peter genoss es, mit Helmut über die alten und neuen Geschichten in Werlow zu plaudern. Kerstin hatte sich längst entschuldigt und ist tot müde in ihr Bett gefallen. Es war bereits früher Morgen, als er sich zu ihr legte.

„Peter!“, sie rüttelte ihn. „Peter, wach auf!“

„Was ist denn? Wie spät ist es?“

„Gleich ½ drei Uhr. Draußen tobt ein Gewitter!“

„Ist doch gut, wenn es draußen ist und nicht hier drinnen. Schlaf weiter, Schatz.“

„Aber ich habe Angst!“

„Komm unter meine Decke.“ Peter nahm Kerstin in den Arm. Er schlief sofort wieder ein. Schließlich war er vor einer halben Stunde erst ins Bett gegangen.

„Peter, lass uns aufstehen und in die Küche gehen. Das Gewitter ist direkt über uns. Ich habe Angst, dass der Blitz einschlägt.“

„Die statistische Chance ...“

„Erzähl mir jetzt nichts über Statistiken!“

Er rieb sich durchs Gesicht. „Ist ja gut. Wenn du dich wohler fühlst, stehen wir auf. Machst du mir einen sehr, sehr starken Kaffee?“

In Windeseile war Kerstin angezogen und in der Küche. Peter hatte sich eine Jogginghose über seinen Schlafanzug gezogen und schlich die Treppe, wie betäubt, herunter. Müde lies er sich auf den Küchenstuhl fallen. Kerstin hatte den Kaffee bereits fertig. Sie gab ihm einen Kuss auf den Kopf, während sie den Becher schwarzen Kaffee auf den Tisch stellte.

„Danke, Schatz.“

Peter nickte: „Hauptsache du fühlst dich besser. Ist schon gut.“

Bei jedem Blitz wollte Kerstin zählen, bis der Donner folgte, um endlich festzustellen, dass es wegzog. Doch es knallte und blitzte unaufhörlich. Das Gewitter tobte über ihnen. Plötzlich wurde es taghell im Haus. Ein ohrenbetäubender Knall ließ das Paar zusammenzucken. Kurz darauf knallte etwas auf die Veranda. Peter sprang auf, um nachzusehen, was passiert war. Der Blitz hatte in die Tanne vor dem Haus eingeschlagen. Der Baum war im oberen Drittel abgebrochen und hatte einen Teil des Verandadaches abgerissen. Der Baum stand hell in Flammen. Hastig rannte Peter hinaus in den Garten, schnappte sich den Gartenschlauch und fing mit den Löscharbeiten an. Kerstin alarmierte sofort die Feuerwehr. Es dauert zum Glück nicht lange, bis die Rettung mit lauten Sirenen den Kiesweg entlang raste. Werlow war eine Kleinstadt, aber sie hatten eine freiwillige Feuerwehr. Die Löscharbeiten dauerten zwei Stunden. Um fünf Uhr fuhren die Helfer wieder ab und das Paar sank erschöpft Bett.

*

„Sieht schlimmer aus, als es ist“, sagte der Tischler am nächsten Morgen. „Ich kann das Verandadach zwar heute nicht vollständig reparieren, aber wir stützen es provisorisch mit einigen Dachlatten ab.“

„Was meinen Sie, wann sie den Schaden reparieren können?“

„Im Laufe der nächsten Woche mache ich das fertig.“

Peter zog seinen Arbeitsanzug an und holte die Kettensäge aus dem Keller. Als er das Haus gekauft hatte, legte er sich gleichzeitig ein gutes Sortiment an Werkzeug an. Bisher hatte er nur wenig davon gebraucht. Peter zerlegte Stück für Stück des Baumes. Auf eine eigenartige Art genoss er die ungewohnte Arbeit. Es gab Tage, an denen er vermisste keinen Beruf gewählt zu haben, an dem er abends ein Produkt seiner Tätigkeit vorweisen zu können. Er produzierte nur Fakten. Später am Tag kam Helmut vorbei, um zu sehen, welchen Schaden das Gewitter hinterlassen hatte. Er schlug vor, für nächsten Samstag einen Bauern zu mobilisieren, der mit einem Trecker die Wurzel der Tanne ziehen könnte. Peter blieb genug Zeit, am Freitag die Wurzel freizulegen. Mit Kerstins und Helmuts Hilfe gelang es, bis zum Abend den größten Teil des Baumes zu zerlegen und das Holz am Rand der Wiese zu stapeln. Gegen 18 Uhr machte sich das Paar auf den Weg nach Berlin. Das Wochenende war aufregend aber keinesfalls erholsam gewesen.

Mörder meines Vertrauens

Подняться наверх