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Es war gerade sechs Uhr Montagmorgen, als Peter seinen blauen OP-Anzug überstreifte. Seine Assistentin hatte ihm eine Nachricht auf die Mailbox gesprochen, dass es ein langer Tag werden würde. Er nahm sich die erste Fall Akte, die auf seinem Schreibtisch lag, und studierte die Details, die ihm die Kollegen notiert hatten. Name: unbekannt. Das bedeutete immer, dass man irgendwo einen toten Menschen ohne Papiere gefunden hatte. Geschlecht: männlich. Alter: ca. 8 Monate. Es waren genau diese Fälle, bei denen er seinen Beruf hasste. Er las weiter. Ein Jogger hatte am späten Sonntagabend ein Bündel in einer blauen Wolldecke neben einer Bank im Park gesehen. Als er die Decke entfernte, fand er das tote Baby.

„Guten Morgen Chef“, grüßte Veronika, Peters Assistentin. „Du bist aber früh.“

„Guten Morgen. Ja, ich habe deine Nachricht abgehört. Fängt ja gut an. So ein kleines Kerlchen. Es gibt doch so viele Paare, die ein Baby aufnehmen würden, wenn man keine Lust mehr darauf hat. Aber umbringen? Der Fall ist doch jetzt schon klar.“

„Das geht mir auch immer unter die Haut. Willst du, dass ich den Jungen vorbereite?“

Peter nickte. „Bringen wir es gleich hinter uns.“

Veronika hatte den Kleinen auf den Seziertisch gelegt. Der Tisch, der zur Untersuchung erwachsener Personen konstruiert war, wirkte fast leer, wenn ein Baby darauf lag.

„Hast du den Mageninhalt schon entnommen?“

Veronika nickte. „Er war leer.“

„Was ist mit der Windel?“

„Nach dem Zustand der Windel trug er sie schon mehrere Tage, aber sie war fast leer.“

„Haut und Augen zeigen, dass er ausgetrocknet ist. Wahrscheinlich war Mama ein paar Tage feiern und ihr Kind ist in der Zwischenzeit verhungert und verdurstet.“

„Also ist der Fall abgeschlossen? Keine Autopsie?“

Peter schwieg. Gedankenverloren fixierte er den kleinen, nackten, toten Körper.

„Peter?“

„Wir waren vor Kurzem bei Freunden. Die haben uns gesagt, dass sie ein Kind erwarten. Meine Bekannte hatte jahrelang alles versucht um schwanger zu werden aber es hat nichts genutzt. Sie hätte vermutlich ihren rechten Arm für ein Kind gegeben. Und dann sieht man so etwas. Da liegt ein kleiner, gesunder Mensch, den keiner wollte. Nun ist er tot.“

Veronika legte Peter die Hand auf die Schulter und blickte ihn mitfühlend an. Auch ihr zerriss es immer das Herz, wenn ein junger Mensch hier in ihrem Saal ankam, aber ein Baby. Eine derartige Barriere konnte man nicht aufbauen.

„Peter? Wie geht es weiter?“

„Ich öffne den Kleinen. Ich weiß, dass alles klar ist, aber wenn die Mutter gefunden wird, wird es nicht die kleinste Lücke in meiner Autopsie geben. Die gehört weg gesperrt.“

Mit unumstößlicher Entschlossenheit griff er nach dem Skalpell und setzte zum Y-Schnitt an.

„Veronika bereite alles für eine toxikologische Analyse vor.“

*

„Na, wie war dein Wochenende?“, erkundigte sich die Kollegin von Kerstin eher beiläufig und drückte die Taste für Cappuccino am Automaten.

Kerstin hörte gar nicht mehr auf, zu erzählen. Von dem Dachboden und den aufregenden Dingen, die sie gefunden hatte. Vom Gewitter und dem Schaden an der Veranda.

„Und die ganzen Sachen auf dem Boden gehören jetzt euch?“

Kerstin nickte. „Der barocke Schminktisch sieht so klasse aus. Ich lasse ihn wahrscheinlich restaurieren. Ob die alte Dame noch lebt?“

Die Kollegin grübelte. Geistesabwesend rührte sie ihren Cappuccino um. Dann blickte sie Kerstin lächelnd an.

„Habt ihr in Werlow eine Sparkasse?“

„Ja, wieso?“

„Sind da noch andere Banken?“

„Da ist ein Postamt.“

„Na, dann steht die Chance 50:50. Entweder hat sie ein Sparkassenkonto oder ist bei der Postbank. Sie ist zwar weggezogen, aber kaum jemand wechselt die Bank. Lass uns im Computer nachschauen.“

„Super! Du bist ja die geborene Spionin.“

„Wir bevorzugen Agentin. Angenehm Bond, Jamie Bond. 4711 mit der Lizenz zum Parfümieren.“

Die beiden lachten herzhaft und gingen an den Computer. Kerstin tippte in die Suchmaschine: Kontobesitzer Elisabeth Brune ein.

*

Peter nahm sich die zweite Akte vor:

Name: Anne Marie Schrage. Alter: 77. Fallbeschreibung der Kollegen vor Ort: Das Opfer wurde am Sonntag um 16 Uhr von der Nachbarin tot in der Wohnung gefunden. Die Frau lag in ihrem Erbrochenen. Todeszeitpunkt: 12 Stunden vorher. Die Fotos vom Tatort zeigten die Tote in gekrümmter Haltung am Boden liegend. Ein Zeichen dafür, dass sie unter starken Schmerzen gestorben ist. Nach Aussage der Nachbarin ging es ihr am Vortag noch gut. Keine Äußerung über Beschwerden. Peter begutachtet die Tote. Ihre Augen wiesen kleine geplatzte Äderchen, als Folge der Anstrengung, durch heftiges Erbrechen auf. Im Mund fand er noch Reste von blutigem Erbrochenem.

„Veronika, gib mir bitte das Endoskop. Bevor ich öffne, schaue ich in den Magen.“

Die Assistentin dehnte den Kopf der Toten nach hinten und setzte den Mundspreizer ein. Peter schob das Endoskop tief in die Speiseröhre der Frau. Auf dem Monitor begutachtete er zunächst die Speiseröhre. Die Schleimhäute waren blutig und stark gereizt. Die Magenschleimhaut war ebenfalls blutig.

Peter untersuchte noch den Darm der Toten. Dann nahm er sein Diktiergerät und lieferte die vorläufige Diagnose. Tot durch ausgeprägte Gastroenteritis. Vermutlich Kreislaufkollaps infolge starker Anstrengung nach Erbrechen und Diarrhöe. Auf Öffnung des Leichnams wird verzichtet. Toxikologische Untersuchung angeordnet, da die Tote angeblich am Vortag beschwerdefrei war. Zustand des Magens und Darms nach endoskopischer Untersuchung wiesen darauf hin, dass die Tote seit mehreren Tagen unter heftigen Beschwerden gelitten haben müsste. Proben für eventuell spätere Untersuchungen werden konserviert.

Es war ein langer Montag. Veronika hatte recht, als sie ihm auf die Mailbox gesprochen hatte, dass viel los sei. Es kam noch ein Suizid, ein Obdachloser, den man in einer Seitenstraße gefunden hatte und ein 30jähriger Allergiker, der an einem Schlaganfall gestorben war, nachdem er sich hat, piercen lassen. Schließlich fuhr er um 21 Uhr, völlig erschöpft, heim.

Kerstin lag auf dem Sofa und schaute fern. Sie hatte bereits gegessen, nachdem Peter sie angerufen hatte, dass er nicht wüsste, wann er Feierabend hätte. Als sie ihren Mann hörte, stellte sie sein Essen in die Mikrowelle.

„Schlimmer Tag?“, fragte sie ihn und gab ihm einen Kuss.

Peter nickte und erzählte, was er erlebt hatte.

„Und wie war es bei dir?“

„Sie lebt!“, sprudelte es aus Kerstin heraus.

Peter zuckte mit den Schultern „Wer?“

„Frau Elisabeth Brune. Die Frau, der früher dein Haus gehört hat. Sie lebt. Ich habe sie gefunden. Sie lebt in Köln, wie Helmut gesagt hat.“

Kerstin erzählte ihm, wie sie die Frau gefunden hatten.

„Du darfst also einfach nach jedem suchen?“

„Nein, darf ich eigentlich nicht. Ist doch egal. Ich habe sie.“

„Warum ist das wichtig für dich? Du kennst die Frau nicht. Wenn es um die Sachen auf dem Boden geht. Die gehören dir. Ich habe sie mit samt Haus gekauft.“

„Du verstehst das nicht. Jedes Haus hat eine Geschichte. Wir sind jetzt Teil davon und vorher Frau Brune. Das verbindet doch.“

„Finde ich nicht. Ich habe auch keine Verbindung zu all den Leuten, die vor mir ein Hotelzimmer gemietet haben.“

„Das kann man nicht vergleichen.“

„Ich muss das ja nicht verstehen. Willst du die Frau jetzt besuchen?“

„Nein, aber wenn ich herausbekomme, wer das Haus gebaut hat und wer mit wem in der Zeit darin gelebt hat, kann ich z. B. eine tolle Collage basteln. Wie ein Stammbaum des Hauses.“

„Auf so eine Idee ist bestimmt noch niemand gekommen.“

Mörder meines Vertrauens

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