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KAPITEL FÜNF

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Es war 10:10 Uhr, als sie in die Polizeistation kam. Der Ort war völlig still, die einzige Bewegung kam von einer gelangweilt aussehenden Frau, die hinter einem Tisch saß, der – wie Mackenzie annahm, als Abfertigung der Kingsville Polizei diente – und zwei Beamte, die animiert auf dem Flur hinter dem Abfertigungstisch über Politik sprachen.

Trotz der glanzlosen Atmosphäre des Ortes schien es gut zu laufen. Die Frau an der Abfertigung hatte bereits alle Akten kopiert, die Sheriff Tate erwähnt hatte und hatte alles in einen Aktenordner geheftet, als Mackenzie ankam. Mackenzie dankte ihr und fragte dann nach einer Motel Empfehlung in dieser Gegend. Wie es sich herausstellte, hatte Kingsville nur ein einziges Motel, weniger als drei Kilometer von der Polizeistation entfernt.

Zehn Minuten später schloss Mackenzie die Tür zu ihrem Raum im Motel 6 auf. Sie war schon an schlimmeren Orten gewesen während ihrer Anstellung im Büro, aber sie wollte ja auch keine tollen Yelp oder Google Berichte schreiben. Sie schenkte dem Zustand ihres Zimmers wenig Aufmerksamkeit, legte die Akten auf den kleinen Tisch neben dem Einzelbett und verschwendete keine Zeit damit, sich darin zu vertiefen.

Sie machte sich eigene Notizen, während sie sich durch die Akten las. Das Erste und vielleicht Alarmierendste, was sie entdeckte, war, dass von vierzehn Selbstmorden, die in den letzten drei Jahren aufgetreten waren, elf von ihnen an der Miller Moon Brücke passiert waren. Die anderen drei beinhalteten zwei Suizide in Verbindung mit einem Gewehr und ein einzelner, hatte sich am Dachbalken erhängt.

Mackenzie wusste genug über Kleinstädte, um den Reiz dieses ländlichen Merkmals, wie die Miller Moon Brücke zu verstehen. Die Geschichte und der insgesamt vernachlässigte Zustand waren ansprechend, besonders bei Teenagern. Und wie die Aufzeichnungen vor ihr zeigten, waren sechs der vierzehn Selbstmörder unter 21 Jahre alt gewesen.

Sie grübelte über den Aufzeichnungen; sie waren nicht so genau detailliert dargestellt, wie sie es gerne gehabt hätte, sie waren über dem Nennwert von dem, was sie bei den meisten Kleinstadtpolizeibehörden gesehen hatte. Sie schaute sich ihr Geschriebenes an und fand eine umfangreiche Liste mit Details, die ihr dabei half, besser zu dem Grund der zahlreichen Tode zu kommen, die mit der Miller Moon Brücke in Verbindung standen. Nach ungefähr einer Stunde hatte sie genug, um ein paar grobe Meinungen zu begründen.

Erstens hatte genau die Hälfte der vierzehn Selbstmörder einen Abschiedsbrief hinterlassen. Die Briefe machten klar, dass sie die Entscheidung getroffen hatten, ihre Leben zu beenden. Jede Aufzeichnung hatte eine Fotokopie des Briefes dabei und alle von ihnen drückten in der einen oder anderen Form Reue aus. Sie sagten ihren Liebsten, dass sie sie liebten und drückten Schmerz aus, den sie nicht überwinden konnten.

Die anderen sieben konnte man schon fast als typische mutmaßliche Mordfälle sehen: Leichen, die aus dem Nichts entdeckt wurden, in schlimmen Zustand. Einer der Selbstmörder war eine siebzehnjährige Frau, die Hinweise auf eine kürzlich stattgefundene sexuelle Handlung gezeigt hatte. Als die DNA ihres Partners an und in ihrem Körper gefunden wurde, hatte er Beweise in Form von Textnachrichten erbracht, dass sie zu ihm nach Hause gekommen war und sie Sex gehabt hatten und sie dann gegangen war. Und so wie es aussah, hatte sie sich ungefähr drei Stunden später von der Miller Moon Bridge gestürzt.

Der einzige Fall von den Vierzehn bei denen sie sehen konnte, dass es ein näheres Hinsehen gerechtfertigt hätte, war der traurige und bedauernswerte Selbstmord eines sechzehnjährigen Jungens. Als er auf diesen blutigen Brocken unter der Brücke entdeckt wurde, hatte er Prellungen auf seiner Brust und Arme, die nicht zu den anderen Verletzungen passten, die er vom Fall selbst hatte. Innerhalb von ein paar Tagen hatte die Polizei entdeckt, dass der Junge regelmäßig von seinem alkoholkranken Vater geschlagen worden war, der trauriger weise drei Tage nach der Entdeckung der Leiche seines Sohns einen Selbstmordversuch unternahm.

Mackenzie beendete ihre Ermittlungen mit der neu zusammengestellten Akte über Malory Thomas. Ihr Fall stand ein wenig heraus von den anderen, weil sie nackt gewesen war. Die Berichte sagten, dass ihre Kleidung auf einem ordentlichen Haufen an der Brücke gefunden worden war. Es gab keine Anzeichen von Missbrauch, kürzlicher sexueller Aktivität oder Fremdeinwirkung. Aus irgendwelchen Gründen sah es so aus, als wenn Malory Thomas entschieden hatte, diesen Sprung so zu machen, wie sie auf die Welt gekommen war.

Das scheint merkwürdig, dachte Mackenzie. Fehl am Platz, sogar. Wenn man sich umbringen wollte, warum will man sich so darstellen, wenn die Leiche gefunden wird?

Sie grübelte einen Augenblick und erinnerte sich dann an diese Psychologin, die Sheriff Tate erwähnt hatte. Natürlich war es jetzt wo es Mitternacht war, zu spät um anzurufen.

Mitternacht, dachte sie. Sie sah auf ihr Handy und war überrascht, dass Ellington nicht versucht hatte, sie zu erreichen. Sie nahm an, er spielte den Schlauen – wollte sie nicht stören, bis er dachte, dass sie in einem guten Zustand war. Und ehrlich gesagt, war sie sich nicht sicher, in was für einem Zustand sie war. Er hatte also mal einen Fehler in seinem Leben gemacht, lange, ehe er sie kennengelernt hatte … warum zum Teufel war sie so verärgert darüber?

Sie war sich nicht sicher. Aber sie wusste, dass sie es war … und in dem Moment war das alles, was zählte.

Ehe sie sich ins Bett legte, schaute sie auf die Visitenkarte, welche die Frau in der Polizeistation in die Akte gelegt hatte. Es war der Name, die Nummer und die E-Mail-Adresse der einheimischen Psychologin Dr. Jan Haggerty. Da sie so gut vorbereitet wie möglich sein wollte, schrieb Mackenzie eine E-Mail und ließ Dr. Haggerty wissen, dass sie in der Stadt war, warum sie hier war und forderte so schnell wie möglich ein Treffen. Mackenzie dachte, wenn sie morgen nach 9 Uhr noch nichts von Haggerty gehört hatte, würde sie anrufen.

Ehe sie das Licht ausmachte, dachte sie daran Ellington anzurufen, nur um zu sehen, wie es ihm ging. Sie kannte ihn gut genug; er badete wahrscheinlich im Selbstmitleid und trank mehrere Biere, um hinterher auf der Couch einzuschlafen.

Ihn sich in diesem Zustand vorzustellen, machte die Entscheidung für sie leichter. Sie machte die Lichter aus und in der Dunkelheit hatte sie das Gefühl, das sie in einer Stadt war, die dunkler als andere war. Die Art von Stadt, die hässliche Narben versteckte, für immer im Dunkeln, nicht wegen der ländlichen Lage, sondern wegen eines bestimmten Flecks auf einer Schotterstraße etwa sechs Meilen von dort, wo sie derzeit ihren Kopf ruhte. Und obwohl sie sich Mühe gab, die Gedanken zu beseitigen, schlief sie mit den Bildern von Teenagern ein, die von der Miller Moon Brücke in den Tod sprangen.

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