Читать книгу Heimkehr - Блейк Пирс - Страница 9
KAPITEL DREI
ОглавлениеDanielle wusste, dass sie ein schlechtes Leben geführt hatte — ein Leben, welches durch ihren schlechten Geschmack in Männern, ihren Drang zu übermäßigem Genuss von Drogen und Alkohol und ihre Abneigung zu jeglicher Art von Autorität geprägt war. Sie wusste es und stand dazu. Dazu zustehen war, das wusste sie, ein wichtiger Teil des Bewältigungsprozesses. Aber ein positiver Faktor dieser schrecklichen Vergangenheit war, dass sie sie beweglich gehalten hatte – von Wohnort zu Wohnort, Bundesstaat zu Bundesstaat.
Von siebzehn bis fünfundzwanzig hatte sie in neun verschiedenen Städten in fünf verschiedenen Staaten gelebt. So kam es, dass sie Millseed in Texas kannte.
Millseed war ein Scheißort. Als sie vor vier Jahren hier gewohnt hatte, war die winzige Stadt schon am Ende gewesen. Die weniger als vierhundert Einwohner waren kaum genug, den Supermarkt und den Gemischtwarenladen zu unterhalten. Sie lagen in der Stadtmitte wie zwei zerquetschte Fliegen auf einer staubigen Windschutzscheibe.
Es gab nicht einmal ein echtes Wohngebiet in dieser Stadt. Häuser waren hier und dort entlang der unmarkierten zweispurigen Straßen platziert und kurz vor der Stadtgrenze, die eine bessere Welt versprach, lagen zwei Trailer-Parks. Danielle hatte in einem dieser Parks sieben sehr schwierige Monate lang gewohnt. Meth hatte den Park erobert und sie wusste nicht, wie sie es geschafft hatte, gerade dieser Droge zu widerstehen. Der Mann, mit dem sie zu der Zeit gelebt hatte, war abhängig und saß derzeit eine Haftstrafe wegen mehrfachen Drogenhandels ab.
Aber als sie vor etwas weniger als zwei Tagen in Millseed angekommen war, war sie direkt an dem Trailer-Park vorbeigefahren. Sie war tatsächlich überrascht, dass der Park noch nicht zusammengefallen war. Sie war ungefähr eine halbe Meile weiter gefahren zu einem Gebäude, welches, so hatte sie gehört, mal ein Schlachthaus gewesen war. Es war ein unauffälliges Gebäude, das sich hinter einem leeren, von Unkraut, Ranken und stacheligen Büschen bedeckten Gelände versteckte. Das Gebäude sah noch schlimmer aus, als sie es in Erinnerung hatte. Das schmucklose und schmutzige Aussehen sprach von ruchlosen Geschehen in der Vergangenheit. Nach der Schlachtung von zahllosen Schweinen, war es zur Herstellung von Meth und zweitklassigem Ecstasy genutzt worden. Sie wusste dies, wegen der Gesellschaft, die sie früher gepflegt hatte. Die gleiche lahmarschige Gruppe, die sie nach Millseed geführt hatte.
Aber jetzt fragte sich Danielle, ob sie aus einem anderen Grund nach Millseed geleitet worden war – vielleicht war es göttliche Fügung. Sie hasste die Tatsache, dass dieser Ort der erste gewesen war, der ihr eingefallen war als sie die Idee gehabt hatte. Aber er war perfekt.
Während sie vor dem Schlachthaus stand und das überwachsene Feld betrachtete, dachte sie darüber nach, dass das Leben manchmal wie ein Kreis erschien, der sie zu einem Ort zurückgebracht hatte, dem sie nur knapp entkommen war. Sie rauchte eine Zigarette, etwas, dass sie nicht mehr getan hatte, seit sie dieser traurigen Stadt entkommen war, und dachte über den nächsten Schritt nach.
Sie hatte ihren Vater hierhergebracht, um ihn umzubringen und jetzt hatte sie den Punkt, von dem es kein Zurück mehr gab, erreicht. Ein sehr großer Teil von ihr wollte Chloe anrufen und ihr alles erzählen. Zumindest wollte sie ihre Schwester wissen lassen, dass sie in Sicherheit war. Sie fand, dass sie Chloe zumindest das schuldig war.
Außerdem…was sie getan hatte, hatte Auswirkungen auf sie beide. Danielle nahm an, dass sie den Folgen ihrer Tat nie entkommen würde.... dass sie die Konsequenzen für den Rest ihres Lebens tragen würde. Für Chloe würde es etwas Anderes sein. Sie würde das Trauma, zu versuchen, die Tat ihrer Schwester verstehen zu können, ihr Leben lang mit sich herumtragen.
Danielle gefiel es nicht, dass sie Chloe vermisste. Sie hatte fast zehn Jahre sehr gut ohne ihre Schwester gelebt. Nur... sehr gut war eine echte Übertreibung. Sie hatte während dieser Jahre überlebt - mehr nicht.
Sie nahm einen letzten Zug von ihrer Zigarette, ließ sie fallen und trat sie aus. Sie hasste den Geschmack, aber die gewohnte Handlung schien irgendwie passend. Sie hatte eine halbe Packung verpafft während des letzten Tages und es hatte geholfen, sie zu beruhigen. Sie war jedoch immer mehr davon überzeugt, dass sie nach Abschluss dieser Affäre nie mehr ganz zu der Angewohnheit zurückkehren würde.
Es war, als beträte sie eine andere Welt, als sie zurück ins Schlachthaus trat. Vielleicht eine dieser postapokalyptischen Welten, die im Fernsehen so populär waren. Irgendwann war das Büro-Ende des Gebäudes abgerissen und in Stücken abtransportiert worden. Man konnte noch kleinere Beton- und Metallstücke am Ende des Feldes entdecken, welche fast schon von der dichten und unnachgiebigen Vegetation eingenommen worden waren. Nur das große Rechteck aus Beton, welches die Schlachtungen beherbergt hatte, war zurückgeblieben. Der Boden war voller Flecke, die alle in Richtung der eingelassenen rostigen Metallgitter verliefen. Selbst mit ihrer derzeitigen Laune konnte Danielle sich nicht vorstellen, was alles durch diese Gitter gelaufen war.
Sie überquerte, was sie den “Boden des Todes” nannte in Richtung eines der zwei großen Räume am hinteren Ende des Gebäudes. Sie waren nur durch eine halbe Wand vom Boden des Todes getrennt, zwei separate Räume mit direktem Zugang.
In einem Raum hing Aiden Fine an seinen Armen an einem Seil, das mit einer Metallschiene in der Decke verbunden war. Danielle vermutete, dass die Schiene und Seile früher dazu gedient hatten, angebundene Schweine langsam ihrem Tod zuzuführen. Aber derzeit hielten sie ihren Vater fest. Die Arme wurden durch das Seil, welches um seine Gelenke gebunden war, fast perfekt senkrecht gehalten.
„Danielle” sagte er. „Bitte…denk nach. Du musst dies nicht tun.” Seine Stimme klang verstört und trocken. Wenigstens weinte er nicht mehr. Gott, sie hatte es gehasst, als er bei der Überquerung der Grenze zu Texas geweint hatte. Selbst die laute Musik hatte sein Weinen im Kofferraum nicht ausblenden können.
„Das wieder?” fragte sie. Sie saß auf einem niedrigen Haufen hölzerner Paletten, die in die Ecke geworfen worden waren. Sie sah ihren Vater an, sie verstand, dass sie ihm dies angetan hatte und fragte sich, was für eine Art Monster aus ihr geworden war.
„Danielle, ich…”
„Was?”
„Es tut mir leid”
Sie trat auf ihn zu und sah ihm in die Augen. Die Art, mit der seine Arme nach oben gezogen waren fügte ihm Schmerzen zu und er war offensichtlich müde. Seine Füße standen fest auf dem Boden aber der Winkel, in den seine Arme gezwungen waren, tat ihm sicher mehr als nur ein wenig weh.
„Was tut Dir leid?” fragte Danielle.
Er schien einen Moment darüber nachzudenken. Sie fragte sich, ob er tatsächlich darüber nachdachte, alle seine Verbrechen zuzugeben. Aber am Ende schwieg er. Danielle nickte, die Stirn in Falten gezogen, und ging zu einer kleinen Plastiktüte, die sie an der Seite des Raumes aufbewahrte. Die Tüte beinhaltete Plastikflaschen mit Wasser und Kräcker. Sie öffnete eine der Wasserflaschen und ging zu ihm zurück.
„Aufmachen”, befahl sie.
Er kniff die Augen zusammen und für einen kurzen Augenblick glaubte sie, Wut in ihnen zu erkennen. Aber schnell veränderte sich der Ausdruck in eine Art unterschwelligen Mitleids, als er den Mund für das erste Wasser in über vierundzwanzig Stunden öffnete.
Sie goss die Flüssigkeit langsam in seinen Mund und er trank gierig. Sie hörte nicht auf zu gießen bis er anfing, zu husten. Als sie fertig war schraubte sie den Verschluss auf die Flasche und ging zurück zu den Paletten.
„Was willst Du?” fragte Aiden. „Ich weiß nicht, was Du glaubst, dass ich getan habe, aber...“. „Lass uns nicht herumspielen, Dad. Es war nur eine Frage der Zeit. Ich weiß, es bricht Dir das Herz, dass ich nicht mehr das acht Jahre alte Mädchen bin, das Du schikanieren und herumschubsen kannst. Es muss Dich treffen, dass Du nicht mehr auf mich herunterblicken kannst. Gott... was hätte ich dafür gegeben, wenn ich Dir dies damals hätte antun können…“. „Es geht um Deine Mutter?” Er hörte sich fast überrascht an und das verärgerte Danielle noch mehr.
„Teilweise. Zum größten Teil. Wir wissen es, Dad. Wir haben das Tagebuch gesehen.”
“Welches Tagebuch?”
Danielle stand langsam von ihrem Sitz auf den Paletten auf, ging auf ihn zu und schlug ihn hart ins Gesicht. Sein Körper schwang ein wenig, das Seil und die Schiene knarrten.
„Versuch es nochmal,” sagte sie.
Aiden Fine sah sich erschrocken in dem leeren Raum um und versuchte offensichtlich, sich irgendeinen Quatsch auszudenken, der sie glücklich machen würde. „Lass es” sagte sie. „Ich will die Wahrheit. Wir haben das Tagebuch und wir haben es gelesen. Wir wissen es, Dad. Wir wissen alles.”
Sie sah zu, wie seine Augen versuchten, sich auf sie einzustellen. Sie sah zu, wie er sich durch einen Strudel von Emotionen arbeitete – von Verärgerung über Angst zu Ablehnung. Am Ende wählte er Hilflosigkeit.
“Bitte, Danielle, denk darüber nach.”
„Habe ich,” sagte sie und drehte ihm den Rücken zu. „Vielleicht etwas zu viel.”
Sie ging zu der Plastiktüte zurück und fischte zwei weitere Gegenstände heraus: Ein unbenutztes Tuch und das Tagebuch ihrer Mutter. Sie legte das Tagebuch auf die Paletten und brachte das Tuch zu ihrem Vater. Langsam presste sie es gegen seinen Mund und drückte hart. Als genug Spannung erreicht war, knotete sie die beiden Enden hinter seinem Kopf zusammen, jetzt hatte sie einen einfachen, aber effektiven Knebel.
Sie ging zurück zu den Paletten, setzte sich und öffnete das Tagebuch. „Welche Teile möchtest Du zuerst hören?” fragte sie. „Die Teile, in denen Mum ziemlich sicher war, dass Du es in ihrem Bett mit einer anderen Frau triebst – Rughanne Carwile, solltest Du es vergessen haben – oder die, wo sie ehrlich davor Angst hatte, dass Du sie umbringen würdest?”
Sie genoss die klagenden Töne, die ihr Vater durch den Knebel machte. Sie brachten sie dazu zu denken, dass ihr Plan funktionieren könnte. Sie hatte ihr Telefon irgendwo im ländlichen Virginia aus dem Fenster geworfen. Ihr Auto war hinter dem alten Schlachthaus im Gestrüpp auf dem Platz, der wohl früher der Wendeplatz für Lieferwagen gewesen war, geparkt.
Sie war im Grunde derzeit unsichtbar. Sie hatte einen Kassettenrekorder, um sein Geständnis aufzunehmen und eine Pistole, um ihm eine Kugel zwischen die Augen zu jagen. Sie glaubte nicht, dass er ihr einfach ein Geständnis ablegen würde, und das war okay. Sie hatte nichts dagegen, ihn schwitzen zu lassen. Die einzige Frage war, wie lange sie Geduld beweisen würde.
Sie fing an, zu lesen. Sie las schelmisch, als ob sie einem Kleinkind eine Gute-Nacht-Geschichte vorlas. Sie beobachtete ihn, wollte sehen, ob die Worte ihn trafen. Ja, sie wollte ihm weh tun, sie war bereit, das zuzugeben. Sie fragte sich, ob sie sich zu weit aus dem Fenster gelehnt hatte – ob sie sich letztendlich so weit von der Logik entfernt hatte, dass es kein Zurück geben würde.