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KAPITEL VIER

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Während Riley durch Springett fuhr, entschloss sie sich direkt zu sein. Sie sagte Jenn: „Du hast uns womöglich einen Rückschlag beschert.“

Jenn knurrte etwas unverständliches vor sich hin.

„Wir sind hier, um der örtlichen Polizei zu helfen, nicht um mit ihr zu streiten“, sagte Riley. „Gegenseitiges Vertrauen zu wahren kann unter den besten Umständen schwierig sein. Und es ist verdammt wichtig. Du hast die Grenze vorhin total überschritten.“

„Komm schon, Riley“, antwortete Jenn ungeduldig. „Shore hat sich klar geirrt darüber, was passiert ist. Hast du irgendwelche Spuren von einem Kampf in dieser Küche gesehen?“

„Das ist nicht der Punkt“, sagte Riley. „Wir müssen trotzdem mit ihnen zusammenarbeiten. Und außerdem, deinen eigenen Beobachtungen zufolge denke ich, dass deine Schlüsse falsch sind.“

„Ja? Wieso?“

Riley zuckte mit den Schultern. „Du hast selbst gesagt, dass der Mörder schnell reagiert hat und Joan Cornell komplett aus heiterem Himmel übermannt hat. Es ist wahrscheinlich genau so passiert, wie du gesagt hast. Er griff über den Tresen, nahm sie am Schopf und knallten ihren Kopf gegen die Platte.“

Sie folgte Chief Shores Wegbeschreibung und bog an einer Ampel ab. „Dann ging er hinter den Tresen“, fuhr sie fort, „und schnitt ihr die Kehle durch, als sie bewusstlos war. Und den Fotos vom Tatort in Petersboro nach zu urteilen, hat er Justin Selves auf die ziemlich gleiche Art und Weise umgebracht, überraschend und effizient. Wirkt das wirklich wie ein schiefgelaufener Einbruch auf dich?“

„Nein“, grummelte Jenn.

“Auf mich auch nicht”, sagte Riley. „Eigentlich wirkt es ziemlich kaltblütig, sogar vorsätzlich.“

Während Riley durch die wohlhabende Nachbarschaft fuhr, stellte sich ein Schweigen zwischen ihnen ein. Rileys Besorgnis wuchs.

Endlich sagte sie: „Jenn, ich habe dich vorhin gefragt und ich muss es dich nun noch mal fragen. Stimmt irgendetwas nicht, worüber ich Bescheid wissen sollte?“

„Was sollte nicht stimmen?“, sagte Jenn.

Riley verzog die Miene, als sie dieselbe ausweichende Antwort wie zuvor erhielt.

Ich sollte einfach direkt zum Punkt kommen, dachte sie.

„Hat dich Tante Cora kontaktiert?“, fragte sie.

Es war still, als Jenn sich zu Riley drehte und sie anstarrte.

„Was für eine Frage ist das denn?“, fragte Jenn.

Riley sagte: „Eine, die leicht zu beantworten ist, so eine Frage ist das. Ja oder nein. Entweder hast du von ihr gehört oder du hast es nicht.“

Sie spürte, dass Jenn kurz davor war zu protestieren und fügte hinzu: „Und sag mir nicht, dass es mich nichts angeht. Du und ich, wir wissen Dinge über einander, von denen wir vorziehen würden, dass sie sonst niemand weiß. Wir müssen beide über alles offen und ehrlich sprechen. Und du bist meine Partnerin und irgendetwas scheint dich zu bedrücken. Ich mache mir Sorgen, dass es deine Arbeit beeinflussen könnte. Somit geht es mich etwas an.“

Jenn starrte einen Moment lang zur Straße hinaus.

„Nein“, sagte sie endlich.

„Du meinst, nein, sie hat dich nicht kontaktiert?“, sagte Riley.

„Genau so ist es“, sagte Jenn.

„Und du würdest es mir sagen, wenn sie es hätte?“

Jenn schnaubte leicht entrüstet.

„Natürlich würde ich das“, sagte sie. „Du weißt, dass ich es tun würde. Wie kannst du was anderes denken?“

„Ok“, sagte Riley.

Sie schwiegen wieder und Riley fuhr weiter. Sie hatte das Gefühl, dass Jenn ganz aufrichtig geklungen hatte und sogar ein bisschen verletzt davon war, dass Riley sie anzweifeln konnte. Riley wollte ihr vertrauen. Doch trotz allem, was Jenn in ihrem jungen Leben erreicht hatte, war es schwer die Tatsache zu ignorieren, dass sie einst Schülerin einer Meisterkriminellen war.

Aber vielleicht reagiere ich zu übertrieben.

Erneut rief sie sich all das ins Gedächtnis, was gestern zuhause vorgefallen war. Nach Aprils Nachlässigkeit mit der Pistole, war Riley einfach nicht in einer sehr vertrauensvollen Stimmung. Vielleicht ließ sie gerade zu, dass ihre eigene schlechte Laune sie vereinnahmte. Sie sagte sich: Werde jetzt bloß nicht paranoid.

Trotzdem dachte sie, dass sie vielleicht darauf hätte bestehen müssen, Bill mitzunehmen, als Meredith sie angerufen hatte. Sie war sich sicher, dass Bill sehr viel schlimmere Krisen erlebt hatte, als die, die er gerade durchmachte. Bestimmt hätte er auch diese hier hinter sich lassen können, wenn Riley darauf bestanden hätte. Er war ihr ältester und bester Freund. Mit ihm an ihrer Seite fühlte Riley sich immer sicherer und stabiler.

Doch so wie die Dinge standen, musste sie einfach das Beste aus dem machen, was sie hatte.

Bald darauf kamen sie an der Adresse an, die man ihnen gegeben hatte. Riley parkte das Auto vor einem alten und eleganten Wohnhaus aus rotem Backstein. Sie stiegen aus dem Auto, liefen zum Eingang und klingelten bei der entsprechenden Wohnungsnummer. Als eine Frauenstimme sich über die Gegensprechanlage meldete, sagte Riley: „Ms. Tovar, ich bin Agentin Riley Paige vom FBI und hier mit meiner Partnerin, Jenn Roston. Wir würden gerne reinkommen und mit Ihnen sprechen, wenn sie nichts dagegen haben.“

Die Stimme stammelte: „FBI? Ich –– ich hatte nicht erwartet...“

Nach einer Pause drückte die Frau den Buzzer und ließ Riley und Jenn rein. Riley und Jenn stiegen die Treppen hoch in den zweiten Stock und klopften an die Wohnungstür. Die Tür ging auf und brachte eine Frau Mitte Zwanzig zum Vorschein, die vor ihnen in einem Morgenmantel und Hausschuhen stand. Von Lori Tovars ausgemergeltem Gesicht konnte Riley nicht ablesen, ob sie bis vor kurzem geschlafen oder geweint hatte. Die Frau warf nicht mal einen richtigen Blick auf ihre Ausweise, dann bat sie Riley und Jenn einzutreten und sich zu setzen.

Als sie zu einer Sitzgruppe aus Sofas und Sesseln hinüberschritten, schaute Riley sich in der geräumigen Wohnung um. Im Gegensatz zum ehrwürdigen äußeren Erscheinungsbild des Hauses, was das Interieur der Wohnung schnittig und modern und es war offensichtlich, dass die Wohnung vor einigen Jahren saniert worden war.

Ebenso kam Riley die Wohnung merkwürdig leer und streng vor. Das Mobiliar sah teuer und geschmackvoll einfach aus, doch es gab nicht viel davon, und auch gab es nur wenige Bilder oder Dekorationen. Alles schien so...

Vorläufig, dachte Riley.

Es fühlte sich beinahe so an, als wären die Menschen, die hier lebten, nie wirklich angekommen.

Als Lori Tovar sich gegenüber von Riley und Jenn setzte, sagte sie: „Die Polizei hat mir so viele Fragen gestellt. Ich habe ihnen alles gesagt, was ich wusste. Ich kann mir nicht vorstellen...was Sie noch von mir wissen wollen könnten.“

„Lassen sie uns ganz am Anfang beginnen“, sagte Riley. „Wie haben Sie herausgefunden, was ihrer Mutter zugestoßen ist?“

Lori holte abrupt Luft.

Sie sagte: „Es war gestern, am späten Nachmittag. Ich bin einfach vorbeigekommen, um nach ihr zu schauen.“

„Haben Sie sie oft besucht?“, fragte Jenn.

Lori seufzte und sagte: „So oft es ging. Ich –– Ich war so ziemlich die Einzige, die sie noch hatte. Dad hat sie vor ein paar Jahren verlassen und meine Brüder und Schwester leben alle zu weit weg. Gestern bin ich früh aus der Arbeit rausgekommen –– ich bin eine Krankenschwester im South Hill Krankenhaus hier in Springett –– also beschloss ich vorbeizufahren und zu sehen, wie es ihr geht. In letzter Zeit war sie ziemlich traurig.“

Lori starrte einen Moment lang ins Leere und fuhr dann fort: „Als ich dort angekommen war, habe ich die Haustür unverschlossen vorgefunden, was mich besorgte. Dann ging ich rein.“

Sie verstummte. Riley lehnte sich ein wenig zu ihr vor und sagte mit sanfter Stimme: „Haben Sie sie sofort entdeckt? Sobald Sie ins Haus gekommen sind, meine ich?“

„Nein“, sagte Lori. „Ich habe nach ihr gerufen, als ich reinkam, aber sie antwortete mir nicht. Ich bin hochgegangen, um zu schauen, ob sie ein Nickerchen machte, aber sie war nicht in ihrem Schlafzimmer. Ich habe gedacht –– gehofft –– dass sie mit ihren Freunden ausgegangen war. Ich bin wieder runtergekommen und...“

Lori runzelte nachdenklich die Stirn.

„Ich schaute ins Esszimmer und bemerkte, dass einer der Esstischstühle weg war. Das erschien mir merkwürdig. Ich habe einen Fleck am Küchentresen bemerkt und habe in die Küche geschaut und...“

Sie zuckte heftig zusammen und sprach angespannt weiter.

„Und dort lag sie auf dem Boden. Was danach geschah ist wie im Traum. Ich erinnere mich vage daran, den Notruf gewählt zu haben, dann gefühlt eine sehr lange Zeit gewartet zu haben, obwohl es wahrscheinlich nur ein paar Minuten waren. Dann war die Polizei da und...“

Ihre Stimme verstummte erneut.

Dann sprach sie ruhiger und sagte: „Ich weiß nicht, wieso ich in so einen Schockzustand geraten bin. Ich habe schreckliche Dinge in meiner Arbeit gesehen, besonders in der Notaufnahme. Schreckliche Wunden, viel Blut, Menschen, die in grauenhaften Schmerzen starben, oder sich wünschten zu sterben, bevor wir ihre Schmerzen lindern konnten. Ich habe immer damit umgehen können. Selbst als ich meine erste Leiche gesehen hatte, habe ich nicht so heftig reagiert. Ich hätte besser damit umgehen sollen.“

Jenn schaute verdutzt zu Riley rüber. Riley vermutete, dass Jenn von der scheinbaren Distanz in Loris Stimme überrascht war. Doch Riley konnte es ziemlich gut verstehen.

Über die Jahre hatte Riley es mit vielen Menschen zu tun gehabt, die mit noch frischen traumatischen Erfahrungen konfrontiert waren. Sie wusste, dass diese Frau immer noch versuchte die Realität dessen, was geschehen war, zu verarbeiten. Lori hatte bisher immer noch nicht ganz die Tatsache fassen können, dass ihre Mutter ermordet worden war, und nicht irgendein Notaufnahmepatient, den sie nie zuvor gesehen hatte.

Am allerwenigsten hatte Lori akzeptiert, dass ihr eigener Stoizismus Grenzen hatte.

Riley fragte sich, ob es wohl Menschen in Loris Leben gab, die ihr helfen würden, mit all dem klarzukommen.

Sie sagte zu Lori: „Soweit ich weiß, sind sie verheiratet.“

Lori nickte benommen.

„Roy ist Inhaber einer Wirtschaftsprüfungskanzlei hier in Springett. Er hatte mir angeboten, heute mit mir zuhause zu bleiben, aber ich habe ihm gesagt, dass ich auch alleine klarkomme und dass er zur Arbeit gehen soll.“

Dann fügte sie mit einem kleinen Schulterzucken hinzu: „Das Leben geht weiter.“

Riley schreckte hoch, als sie Lori dieselben Worte sagen hörte, die sie selbst laut ausgesprochen hatte, nachdem Blaine gestern das Haus verlassen hatte. Zu hören, wie jemand anders das sagte, war verstörend. Sie begriff, was für ein vollkommenes Cliché der Ausdruck war. Schlimmer noch, es stimmt nicht einmal.

Rileys ganzes Leben war um die schreckliche Tatsache herum aufgebaut, dass jedes Leben früher oder später mit dem Tod endete.

Wieso bestanden Menschen also auf dieser Redewendung?

Wieso hatte sie selbst sie gerade erst gestern verwendet?

Ich nehme an, es ist bloß eine dieser Lügen, an denen wir uns festkrallen.

Lori schaute hin und her zwischen Jenn und Riley und sagte: „Die Polizei hat mir gesagt, dass es vor einigen Wochen ein weiteres Opfer gegeben hatte –– einen Mann, drüben in Petersboro.“

„Das stimmt“, sagte Jenn.

Lori fügte hinzu: „Sie haben gesagt, dass aus seiner Esszimmergarnitur ebenfalls ein Stuhl abhanden gekommen sei, genau wie bei Mom. Ich verstehe es nicht. Was bedeutet das? Wieso würde irgendjemand einen anderen Menschen wegen einem Esszimmerstuhl umbringen?“

Riley antwortete nicht, Jenn auch nicht.

Wie konnten sie diese Frage auch beantworten?

War es möglich, dass sie tatsächlich nach einem Irren fahndeten, der Menschen wegen ihrer Möbel umbrachte? Es erschien zu absurd, um es glauben zu können. Doch sie wussten noch so wenig zu diesem Zeitpunkt ihrer Ermittlungen.

Jenn stellte die nächste Frage.

„Hatte ihre Mutter zufällig einen Justin Selves aus Petersboro gekannt?“

„War das das andere Opfer?“, fragte Lori.

Jenn nickte.

Loris Augen wurden schmal und sie sagte: „Der Name kommt mir nicht bekannt vor. Ich weiß nicht, ob sie Freunde oder Bekannte außerhalb von Springett hatte. Ich habe ihr immer wieder gesagt, dass sie nicht genug rauskäme. Sie verbrachte nicht genug Zeit mit Leuten.“

Riley sagte: „So wie ich verstehe, hat sie also nicht außerhalb des Hauses gearbeitet.“

Lori sagte: „Nein, sie lebte von den Zahlungen ihrer Scheidungsvereinbarung.“

Jenn fragte: „Ist ihre Mutter... mit jemandem ausgegangen?“

Lori kicherte traurig.

„Um Gottes Willen, nein. Ich glaube, sie hätte es mir gesagt. Sie hat das Haus selten verlassen, außer um ab und zu in die Kirche zu gehen. Oh, und sie ist auch zu den Bingoabenden an der Kirche gegangen. Die hat sie nie verpasst. Jeden Freitag gibt es einen Spieleabend in der Westminster Presbyterian Kirche. Sie hat mich mal mit Cupcakes bewirtet, die sie eines Abends dort gewonnen hatte. Sie hatte sich sehr darüber gefreut.“

Lori schüttelte den Kopf und sagte: „Sie verbrachte zu viel Zeit alleine. Das Haus war zu groß für sie. Ich habe ihr immer wieder gesagt, sie solle in eine kleinere Wohnung ziehen. Sie wollte nicht auf mich hören.“

„Was passiert nun mit dem Haus?“, fragte Jenn.

Lori seufzte und sagte: „Meine Schwester, meine Brüder und ich werden es erben. Das wird ihnen wohl nicht viel bedeuten. Da sie alle so weit weg wohnen, wird es jetzt wohl eigentlich mir gehören.“

Dann wurden ihre Augen schmal, so als ob ihr auf einmal ein besonders dunkler Gedanke gekommen war.

„Das Haus wird mir gehören“, wiederholte sie. „Und Roy.“

Sie erhob sich hastig aus ihrem Sessel.

„Wenn Sie nichts dagegen haben, würde ich jetzt gerne keine weiteren Fragen mehr beantworten.“

Riley spürte, dass sich Loris geistige Verfassung plötzlich verändert hatte. Sie schaute sich erneut in der großen, aber merkwürdig leeren Wohnung um und erinnerte sich dann an das geräumige Haus, in dem das Opfer ermordet wurde. Und da begann ihr etwas klar zu werden.

Jenn beugte sich vor und sagte: „Ma’am, wenn Sie uns nur noch ein paar Minuten Ihrer Zeit geben könnten ––“

„Nein“, unterbrach Lori. „Nein. Ich würde jetzt gerne allein sein.“

Riley konnte sehen, dass auch Jenn die Veränderung in Loris Verhalten bemerkt hatte. Riley wusste auch, dass ihre Partnerin auf Antworten drängen würde –– womöglich auf eine zu aggressive Art und Weise.

Riley erhob sich und sagte: „Wir danken Ihnen für ihre Zeit, Ms. Tovar. Unser herzliches Beileid.“

Die Frau seufzte und sagte: „Danke.“ Dann fügte sie erneut hinzu: „Das Leben geht weiter.“

Wenn das nur stimmen würde, dachte Riley. Oder zumindest nicht so kurzweilig wäre.

Als sie und ihre Partnerin die Wohnung verließen und die Stufen hinunterstiegen, beschwerte Jenn sich: „Wieso sind wir gegangen? Da war was, was sie uns nicht sagen wollte.“

Ich weiß, dachte Riley.

Doch sie hatte keinerlei Absicht Lori Tovar dazu zu zwingen ihnen zu sagen, was es war.

„Ich erkläre es dir im Auto“, sagte Riley.

Vermisst

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