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KAPITEL DREI

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Als das FBI Flugzeug in Quantico startete, begann Riley die Unterlagen zum Fall auf ihrem Tablet Computer durchzugehen. Sie wollte gerade einen bestimmten Punkt kommentieren, als sie bemerkte, dass Jenn Roston, die neben ihr saß, nicht aufpasste. Jenn starrte aus dem Fenster, offensichtlich verloren in ihren eigenen Gedanken.

„Ich denke, wir sollten beginnen“, sagte Riley.

Doch sie erhielt keine Antwort von ihrer jungen Partnerin.

Riley sagte: „Hast du mich gehört, Jenn?“

Erneut bekam sie keine Antwort.

Riley sagte nun lauter: „Jenn.“

Jenn schaute sie aufgeschreckt an.

„Was?“ sagte sie.

Es erschien Riley fast so, als hätte Jenn vergessen, wo sie sich befand.

Was ist los mit ihr? fragte Riley sich.

Sie hatten sich vorhin beeilen müssen, um zum Flugzeug zu kommen. Meredith hatte die beiden Agentinnen nicht einmal in sein Büro eingeladen, um sie in den Fall einzuführen. Stattdessen hatte er sie neben dem wartenden Flugzeug auf der Landebahn getroffen. Kurz bevor sie ins Flugzeug gestiegen waren, hatte Meredith Riley hastig erklärt, wie sie die relevanten Polizeiberichte runterladen konnte. Sie hatte grade noch geschafft das zu tun, bevor das Flugzeug abgehoben war.

Jetzt, wo das Flugzeug an Flughöhe gewann, hatte sie die Erwartung, den Fall mit ihrer Partnerin besprechen zu können. Doch Jenn schien gerade nicht sie selbst zu sein.

Mit ihrer dunklen Haut, ihren kurzen glatten Haaren und ihren großen, eindringlichen Augen, hinterließ Rileys Partnerin den Eindruck einer Frau, die wusste, was sie tat. Und normalerweise stimmte das auch, doch heute schien Jenn abgelenkt zu sein.

Riley deutete auf ihren Computer und sagte: „Wir haben einen Fall, an dem wir arbeiten sollten.“

Jenn nickte hastig und sagte: „Ich weiß. Was haben wir bereits?“

Während sie die Polizeiberichte überflog, sagte Riley: „Nicht viel, zumindest noch nicht. Vor einer Woche gab es einen Mord in Petersboro, einem Vorort von Philadelphia. Justin Selves, Ehemann und Vater, wurde in seinem Haus ermordet. Ihm wurde die Kehle aufgeschnitten.“

„Was war das Motiv?“, fragte Jenn.

Riley sagte: „Zuerst hatte die Polizei angenommen, dass es ein missglückter Einbruch sei. Doch erst gestern wurde eine Frau namens Joan Cornell tot in ihrem Haus in Springett, einem anderen Vorort direkt neben Petersboro, aufgefunden. Auch ihr wurde die Kehle durchgeschnitten.“

Jenn neigte den Kopf zur Seite und sagte: „Vielleicht war das auch nur ein vermasselter Einbruch. Die Todesursache könnte bloßer Zufall sein. Sollte für die dortige Polizei doch auch ohne unsere Hilfe einfach zu klären sein. Klingt nicht nach einer Serie.“

Riley schaute die Berichte weiter durch und sagte: „Vielleicht auch nicht, außer einem merkwürdigen Detail. Von jedem Tatort wurde ein Stuhl geklaut.“

„Ein Stuhl?“, fragte Jenn.

„Ja, ein Esszimmerstuhl.“

„Was macht das denn für einen Sinn?“, fragte Jenn.

Riley sagte: „Bisher keinen vielleicht. Es ist unsere Aufgabe, dahinter zu kommen.“

Jenn schüttelte den Kopf und murmelte: „Stühle. Wir ermitteln wegen geklauten Stühlen.“

Dann zuckte sie mit den Schultern und sagte: „Ich wette, es ist nichts. Jedenfalls nichts, womit sich die Verhaltensanalyseeinheit befassen müsste. Bloß ein paar dumme und scheußliche Morde. Ehe wir uns versehen, werden wir wahrscheinlich auf dem Weg zurück nach Quantico sein.“

Riley wusste nicht, was sie sagen sollte. Sie hatte nicht die Gewohnheit sich eine Meinung zu bilden, bevor sie einen Fall überhaupt erst begonnen hatte. Und es sah auch Jenn nicht ähnlich, das zu tun, aber aus irgendeinem Grund schien Jenn gerade untypisch gleichgültig zu sein.

Riley fragte vorsichtig: „Jenn, stimmt irgendetwas nicht?“

„Nein“, sagte Jenn. „Wieso fragst du?“

Riley suchte nach den richtigen Worten.

„Naja, es ist nur so...dass du irgendwie...“

Riley hielt inne und sagte dann: „Du würdest es mir sagen, wenn irgendwas nicht stimmen würde, oder?“

Jenn lächelte schwach.

„Was soll schon nicht stimmen?“, fragte sie Riley. Dann drehte sie sich wieder weg und starrte erneut aus dem Fenster.

Riley bekam von Jenns ausweichender Antwort ein unruhiges Kribbeln. Sie fragte sich, ob sie auf der Sache beharren sollte. Jenn konnte sensibel reagieren, wenn Menschen zu viele bohrende Fragen stellten. Riley versuchte sich einzureden, dass alles in Ordnung war. Es war möglich, dass es nur eine vergängliche Laune von Jenns Seite aus war.

Und doch.

Riley wusste viel über Jenn –– besonders über ihre Vergangenheit. Sie wusste, dass Jenn in einer sogenannten „Pflegefamilie“ aufgewachsen war, die von einer genialen und bösen Frau, die sich „Tante Cora“ nannte, geleitet worden war. Tante Cora hatte alle ihre Pflegekinder auf Rollen in ihrem eigenen kriminellen Netzwerk abgerichtet.

Soweit war Jenn das einzige Pflegekind gewesen, das Tante Coras Klauen entkommen konnte. Mit ihrem scharfen Verstand und ihrem entschlossenen Charakter hatte sie sich zuerst als Polizistin und dann als Verhaltensanalyseagentin Respekt verschaffen. Doch Riley wusste, dass Tante Cora in der Zeit, in der sie miteinander gearbeitet hatten, mit Jenn Kontakt gehabt hatte. Dieser Kontakt schien die junge Agentin immer zu verstören, doch er hatte sie nicht davon abgehalten ihre Arbeit zu tun.

Was war jetzt los? Versuchte Tante Cora Jenn zurück in ihre Einflusssphäre zu locken?

Sie würde mir das sicherlich erzählen, dachte Riley sich.

Die zwei hatten einander misstraut, als sie zum ersten Mal miteinander gearbeitet hatten, doch einige gefährliche Fälle hatten sie einander sehr viel nähergebracht. Sie hatten einander einige ziemlich dunkle Geheimnisse anvertraut. Jenn wusste sogar besser Bescheid als Bill, was Rileys frühere Verbindung mit einem kriminellen Genie namens Shane Hatcher anbelangte.

Riley und Jenn hatten sich darauf geeinigt, nichts Wichtiges voreinander zu verbergen. Daher war Riley nun zurückhaltend, wenn es darum ging, Erklärungen einzufordern.

Nein, beschloss sie. Ich muss ihr vertrauen.

Riley verzog bei ihrem eigenen Gedanken sie Miene.

Ihre Trennung von Blaine beschäftigte sie immer noch. Das tat auch Aprils unverantwortlicher Umgang mit der Pistole und Jillys Eingeschnapptheit darüber, dass sie keine eigene Pistole bekommen hatte.

Riley seufzte und dachte: Mit dem Vertrauen ist es bei mir gerade knapp.

*

Das Flugzeug war gerade mal eine Stunde in der Luft, als es auch schon im Philadelphia International Airport landete. Dort wurden die Agentinnen von einem Polizisten empfangen, der sie nördlich nach Springett brachte, einem wohlhabenden Philadelphia Vorort. Das Auto hielt vor einem hübschen dreistöckigen Haus, vor dem bereits ein paar Dienstfahrzeuge geparkt waren.

Riley und Jenn stiegen aus dem Auto und gingen zum Haus. Ihr Fahrer stieg ebenfalls aus und folgte ihnen.

Ein weißhaariger uniformierter Mann verließ das Haus und bahnte sich den Weg an der Polizeiabsperrung vorbei und über die Veranda. Er stellte sich selbst als Jeremy Kree vor, der Polizeichef des nahegelegenen Petersboro, wo der erste Mord stattgefunden hatte.

Als sie seine Hand schüttelte, sagte Riley: „Agentin Roston und ich werden ein Fahrzeug brauchen, um in der Gegend rumzukommen.“

Kree nickte und sagte: „Sie können den Wagen benutzen, in dem sie hierhergekommen sind.“

Er wies den Polizisten, der sie gefahren hatte an, ihnen die Schlüssel für das in Zivil getarnte Auto zu leihen. Dann führe er sie hinein ins Haus und stellte sie Burton Shore vor, einem jüngeren Mann, der der Polizeichef von Springett war. Burton führte sie an die Stelle, wo der Mord geschehen war.

Das erste, was Riley auffiel, war der Esszimmertisch, der ein modernes quadratisches Design hatte und von drei Stühlen an jeweils drei der Enden umgeben war. Dem Bericht den sie gelesen hatte zufolge, war ein vierter Stuhl ursprünglich Teil der Garnitur gewesen, bevor er gestohlen wurde. Der Tisch selbst kam ihr klein vor für so ein großes Familienhaus. In dem großen Esszimmerbereich wirkte er ziemlich merkwürdig.

Wahrscheinlich ein bedeutungsloses Detail, dachte Riley.

Trotzdem störte es sie, und sie war sich nicht sicher, wieso.

Shore führte sie um einen Marmortresen herum, der einen verräterischen Blutfleck an der Kante hatte. Dort auf dem Küchenzimmerboden war der Umriss der Leiche abgeklebt, der zeigte, wie das Opfer gefallen war. Eine große Lache bräunlichen Blutes auf dem Fliesenboden war beinahe vollständig geronnen, schien jedoch noch etwas feucht zu sein.

Riley fragte Chief Shore: „Wann wurde die Leiche abtransportiert?“

„Der Bezirksgerichtsmediziner hat gestern Abend befohlen, sie mitzunehmen. Er wollte so bald wie möglich die Autopsie beginnen. Ich nehme an, dass das ok ist.“

Riley nickte. Sie hätte es bevorzugt, dass der Tatort vor ihrer Ankunft so unangetastet wie möglich geblieben wäre. Doch die Entscheidung des Gerichtsmediziners war nicht unvernünftig gewesen, insbesondere weil die Verbindung mit dem ersten Mord nicht sofort klar gewesen war.

Sie fragte beide Chiefs: „Was haben Sie an Fotos?“

Chief Shore öffnete eine Mappe, um die Fotos vom hiesigen Tatort zu zeigen, an dem Joan Cornells Leiche gefunden worden war und Chief Kree holte Fotos des anderen ermordeten Opfers hervor. Riley und Jenn schauten sich die Fotos einige Momente schweigend an.

Beide Opfer hatten Stirnwunden, was darauf hindeutete, dass sie beide geschlagen oder zumindest betäubt worden waren, bevor ihnen die tödlichen Wunden an ihrem Hals zugefügt wurden. Dem Fleck auf dem Tresen nach zu urteilen, vermutete Riley, dass der Mörder die Frau mit dem Kopf gegen die Kante gestoßen haben musste und ihr die Kehle durchschnitt, als sie bereits am Boden lag.

Riley verspürte ein gruseliges Gefühl des déjà vu beim Anblick der klaffenden Halswunden und der enormen Menge Blut. Sie erinnerten sie an den ersten Fall, an dem sie jemals gearbeitet hatte, noch bevor sie sich überhaupt überlegt hatte, FBI Agentin zu werden. Das war vor Jahren, damals war sie eine Studentin an der Lanton University gewesen. Ein Mörder hatte zwei ihrer Freundinnen umgebracht, indem er ihre Kehlen in ihren Studentenheimzimmern aufgeschlitzt hatte. Riley war wiederwillig in den Sog der Ermittlungen geraten und ihr Leben war danach nie wieder dasselbe gewesen.

Schnell schüttelte Riley das Gefühl ab.

Neuer Mörder, andere Zeit, sagte sie sich.

Sie fragte Chief Shore: „Was wissen wir über den Mord, der an dieser Stelle passiert ist?“

Der junge Chief sagte: „Der Name des Opfers war Joan Cornell, sie war eine geschiedene Mutter von vier Kindern. Drei ihrer Kinder leben weiter weg, aber ihr ältestes Kind, eine Tochter, lebt immer noch hier in Springett. Die Tochter ist immer regelmäßig vorbeigekommen, um nach ihrer Mutter zu schauen. Gestern Nachmittag hat sie sie genau hier tot aufgefunden.“

Jenn fragte: „Lebt der Ex-Mann des Opfers in der Nähe?“

Chief Shore schüttelte den Kopf und sagte: „Nein, er hat erneut geheiratet und lebt in Maine. Wir haben uns mit ihm in Verbindung gesetzt und uns von ihm Angaben über seinen Aufenthaltsort zur Tatzeit geben lassen. Wir werden sein Alibi überprüfen, aber ich bin mir ziemlich sicher, dass es niet- und nagelfest ist.“

Riley stimmte stillschweigend zu. Irgendwie sah dieser Mord nicht nach einer Tat eines zornigen Ex-Mannes aus, besonders eines, der so weit weg lebte. Und insbesondere dann nicht, wenn diese zwei Tode, die in zwei unterschiedlichen Familien passiert waren, so eng miteinander verbunden waren, wie es aussah.

Jenn schaute von den Fotos auf und sah den älteren Polizeichef an.

Sie fragte ihn: „Was ist über das erste Opfer bekannt?“

Chief Kree sagte: „Sein Name war Justin Selves und er arbeitete als Kundenberater in einer Bank in Petersboro. Sein Sohn ist eines Nachmittags vor ein paar Wochen nach Hause gekommen und hatte seinen Vater direkt in der Eingangstür tot vorgefunden.“

Jenn fragte: „Gab es irgendwelche Anhaltspunkte für einen Einbruch?“

Kree sagte: „Nein, es sieht danach aus, als hätte Selves einfach die Tür geöffnet, als der Mörder angeklopft oder geklingelt hatte. Dann trat der Mörder ein und vollbrachte seine Tat an Ort und Stelle.“

Riley zeigte auf ein Foto, das einen Blutfleck auf einem Türrahmen zeigte und sagte: „Es sieht so aus, als wäre er bewusstlos geschlagen worden, genau wie das Opfer hier.“

Kree nickte: „Ja, er war vermutlich mit dem Kopf gegen den Türrahmen gestoßen worden, wahrscheinlich als die Tür geschlossen war.“

Während Jenn mit der Befragung der beiden Chiefs fortfuhr, stand Riley einen Moment da und starrte auf den abgeklebten Umriss auf dem Boden. Ihre größte Stärke als Agentin war ihre beinahe unheimliche Fähigkeit in die Gedanken eines Mörders vorzudringen, während sie den Tatort untersuchte. Doch das passierte nicht immer, und gerade jetzt geschah gar nichts. Bisher blieben ihre Gedanken leer.

Jenn erschien nun durchaus engagiert und fragte die zwei Polizeichefs alle erforderlichen Routinefragen ab. Riley wusste, dass es unwahrscheinlich war, dass Jenn irgendwelche vielversprechenden Antworten bekommen würde. Riley beschloss, dass sie sich in diesem Moment genauso gut im Haus umsehen konnte, um zu versuchen irgendeine Art intuitiver Eingebung darüber zu bekommen, was hier vorgefallen war.

Während Riley im Erdgeschoss umherwanderte, spähte sie hinab in den Keller, in dem sich augenscheinlich ein großer Hobbyraum befand. Sie ging weiter durch ein Frühstückszimmer und ein großes Wohnzimmer mit einem schönen Kamin. Auf dem Klavier und anderorts waren mehrere Familienfotos aufgestellt –– alle bildeten die Mutter und die vier Kinder im unterschiedlichen Alter ab, doch keins davon zeigte ihren Ex-Mann.

Nicht gerade überraschend, dachte Riley.

Sie hatte auch keine Fotos von Ryan in ihrem eigenen Haus stehen.

Riley stieg hinauf in den ersten und zweiten Stock, wo sie feststellte, dass die Kinderzimmer seit den Jugendjahren der Kinder wohl ziemlich unverändert beibehalten worden waren.

Sie dachte an die von Chief Shore erwähnte Tochter, die in der Nähe lebte und das Opfer regelmäßig besucht hatte, und die auch die Leiche entdeckt hatte. Riley fragte sich, wie oft die Ermordete wohl ihre anderen Kinder gesehen hatte, nachdem sie erwachsen geworden und ausgezogen waren. Sie bezweifelte, dass in einer zerbrochenen Familie wie dieser, alle Familienmitglieder regelmäßig aufeinandertrafen.

Es war ein trauriger Gedanke. Obwohl das Haus um einiges größer war als Rileys eigenes Haus, fragte sie sich trotzdem: Wie wird es wohl sein, wenn April und Jilly weg sind?

Würden sie beide weit wegziehen und selten zu Besuch kommen?

Und natürlich würde auch Gabriela nicht ewig da sein.

Wie würde Rileys Leben dann aussehen?

Würde sie sich allein und vergessen fühlen?

Falls ihr zuhause etwas schreckliches passieren würde, wie lange würde es dauern, bis irgendjemand mal vorbeischaute und es feststellte?

Riley war nun wieder im Erdgeschoss und schaute ins Esszimmer hinein. Erneut kam ihr der kleine quadratische Esstisch mit seinen drei Stühlen viel zu klein für den Raum vor. Und erneut war es ein merkwürdig beunruhigender Anblick für Riley. Sie war sich sicher, dass er gekauft worden war, um einen viel größeren Tisch zu ersetzen, der zu viele Erinnerungen beherbergte, als dass Joan Cornell damit hatte leben können.

Riley spürte, dass sie einen Kloß im Hals hatte, als sie über Joan Cornells einsame Existenz nachdachte –– und darüber, wie schrecklich ihr Leben geendet war.

Ihre Gedanken wurden von Jenns scharfer Stimme unterbrochen, als diese sagte: „Sie wissen nicht, wovon Sie sprechen.“

Riley drehte sich um und sah, dass Jenn eine hitzige Diskussion mit Chief Shore führte, während sein älterer Kollege dastand und die beiden amüsiert beobachtete.

„Hier gab es keinen Kampf“, fuhr Jenn fort und lief in der Küche auf und ab. „Es gibt keinerlei Anzeichen eines Kampfes, überhaupt keine Beschädigungen von irgendwelchen Gegenständen in der Küche. Der Mörder hat sie komplett überrascht. Er hat sie plötzlich ergriffen –– an den Haaren vielleicht –– und hat ihren Kopf hier gegen den Tresen gerammt. Dann schnitt er ihr die Kehle durch. Sie hatte nicht einmal begriffen, was passiert war.“

„Aber wie ––?“, begann Chief Shore etwa.

Jenn unterbrach ihn: „Wie hat er es getan? Vielleicht so.“

Jenn ging um den Tresen und stellte sich auf die Seite in Rileys Nähe, welche ins Esszimmer hinausragte.

Jenn sagte: „Er hätte genau hier stehen können, wo ich stehe. Vielleicht hat er das Opfer um ein Glas Wasser gebeten. Sie ging rüber in den Küchenbereich und er griff über den Tresen und ...“

Sie spielte nach wie der Mörder die Frau an den Haaren gegriffen haben und ihren Kopf vorgezogen haben könnte, bevor er ihn gegen den Tresen schmetterte.

„Genauso ist es passiert, könnte ich wetten“, sagte Jenn. „Sie sollten den Gerichtsmediziner bitten, die Kopfhaut des Opfers genauer zu untersuchen, um zu sehen, ob ihr Haare ausgerissen wurden.“

Chief Shore blinzelte und sagte: „Was wollen Sie damit sagen? Dass das Opfer ihren Mörder gekannt hatte? Dass sie ihm vertraute?“

Jenn antwortete ungeduldig: „Ich weiß es nicht. Vielleicht ist das etwas, was sie versuchen sollten herauszubekommen. Vielleicht sollten sie in diese Richtung ermitteln.“

Der beißende Sarkasmus in Jenns Stimme alarmierte Riley. Sie hatte dieses Verhalten auch früher bei Jenn beobachtet und es war natürlich keine gute Art die Zusammenarbeit mit der lokalen Polizei zu beginnen. Riley wusste, dass sie das sofort unterbinden musste.

Bevor ihre jüngere Partnerin noch etwas sagen konnte, melde Riley sich scharf zu Wort: „Agentin Roston.“

Jenn drehte sich mit einem überraschten Gesichtsausdruck zu ihr hin.

Riley versuchte so zu tun, als würde sie das Gespräch nicht absichtlich unterbrechen und sagte zu ihr: „Ich denke, wir haben alles was wir brauchen gesehen. Gehen wir.“

Dann sagte Riley zu Chief Shore: „Ich würde gerne die Tochter des Opfers befragen –– diejenige, die die Leiche entdeckt hat. Wissen Sie, wo ich sie finden kann?“

Shore nickte und sagte: “Sie hat mir gestern gesagt, dass sie heute zuhause bleiben wird. Ich kann Ihnen ihre Adresse und eine Anfahrtsbeschreibung geben.“

Riley hörte ihm zu und notierte die Adresse und die Wegbeschreibung. Sie tauschte Nummern mit den Polizisten aus, damit sie alle im engen Kontakt bleiben konnten. Dann dankte Riley ihnen für ihre Hilfe und sie und Jenn verließen das Haus.

Als sie zu ihrem Leihfahrzeug liefen, fauchte Riley Jenn an: „Was sollte denn das eben werden?“

Jenn knurrte: „Ich wollte nur was klarstellen, sonst nichts. Die zwei Kerle haben keine Ahnung. Sie sollten in der Lage sein den Fall ganz alleine noch vor Tagesende zu lösen. Sie sollten unsere Hilfe gar nicht brauchen. Wir verschwenden hier nur Zeit und Steuergelder.“

„Wir sind die Verhaltensanalyseeinheit“, sagte Riley. „Der lokalen Polizei zu helfen ist ein großer Teil unserer Arbeit.“

„Ja, in ernsten Fällen, zum Beispiel bei echten Serienmördern“, sagte Jenn. „Das ist kein solcher Fall und ich denke wir wissen das beide. Es ist nur ein dummer Einbrecher, der sich verzetteln und auffliegen wird, noch bevor er es schafft, weiteren Schaden anzurichten.“

Als sie ins Auto stiegen und Riley den Zündschlüssel drehte, riss sie sich zusammen, um nicht zu sagen: „Ich weiß nicht, ob das stimmt.“

In Wirklichkeit hatte sie ein ziemlich starkes Gefühl, dass die zwei Morde bloß der Anfang von einer richtig grässlichen Geschichte waren.

Vermisst

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