Читать книгу Ein Licht in der Dunkelheit - Bo R. Holmberg - Страница 8

Der Tanz-Band-Gitarrist

Оглавление

Papa hatte zwei Autos.

Das eine war ein Van, der hinten offen war. Dort lagen aufgerollte Teppiche und Maschinen, Messer und Kleber, alles, was Papa brauchte, wenn er arbeitete. Und das tat er fast ständig. Alles lag durcheinander. Das Auto war weiß, aber immer schmutzig. Es sieht aus wie Arvid Anderssons Zähne, dachte Agnes oft.

Arvid war ein alter Mann, der manchmal, wenn Papa zu Hause war, auf eine Tasse Kaffee hereinschaute. Er goss den Kaffee in die Untertasse und schlürfte ihn dann in sich hinein. Er blinzelte dauernd, und wenn er redete, sah man nichts als Zähne. Und die sahen aus wie Papas Van.

Das andere Auto war rot, ein alter Golf.

In dem saßen sie jetzt, Agnes und Stig.

So hieß er, ihr Papa.

Stig Lövstrand. Teppichverleger.

Er war zweiundvierzig Jahre alt.

Wenn seine Hände auf dem Steuer lagen, konnte Agnes die Kleberreste sehen. Und seine Fingerknöchel waren grauweiß.

Sie saß nicht vorn. Das durfte sie nicht.

Papa klopfte mit der einen Hand aufs Steuer, als ob er Musik hörte. Aber das tat er nicht. Agnes hörte Musik. Sie hatte ihren Walkman auf. Dabei sah sie Papas Hände und Nacken. Das Haar reichte ihm ein wenig über den Kragen, aber oben auf dem Kopf war er fast kahl.

Sie waren unterwegs, um Papas Bruder vom Flughafen abzuholen. Er lebte auch allein, aber er war geschieden. Er hieß Jörgen und war Gitarrist in einer Tanz-Band.

Jörgen trug einen schwarzen Hut, schwarze Stiefel und eine lange Lederjacke. Und in der Hand trug er eine kleine Reisetasche.

„Gammagnes!“, sagte er.

Er schleuderte Papa den Hut zu und hob Agnes für einen Augenblick auf seine Schultern. Dann stellte er sie wieder auf den Boden, drückte auf ihre Nase und schüttelte ihr so sehr die Hand, dass Agnes dachte, sie müsse kaputtgehen.

Er schlug Papa auf die Schulter.

„Schön, für ein Wochenende hier zu sein“, sagte er. „Was macht das Leben mit dir?“

„Immer dasselbe Elend“, antwortete Papa, aber er lächelte.

Agnes saß auf dem Heimweg hinten im Auto, ohne Walkman. Jörgens Haare waren lang und gelockt und hingen ihm weit über den Kragen. Manchmal drehte er sich zu ihr um, drückte auf ihre Nase und sagte: „Gammagnes.“

Dann pfiff er und schlug dazu den Takt auf dem Armaturenbrett.

„Hier liegt aber noch viel Schnee“, sagte er. „Nächste Woche fahr ich auf die Kanarischen Inseln. Dort hab ich einen Auftritt.“

„Manche haben’s gut“, sagte Papa.

Jörgen drehte sich zu Agnes um.

„Und wie geht es Gammagnes?“, fragte er.

Abends verschwand Martin. Papa und Jörgen saßen vorm Fernseher und tranken Drinks.

„Einen kleinen“, sagte Jörgen.

Drinks waren Gin mit Grapefruitsaft oder Wodka mit Apfelsinensaft. Jörgen hatte zwei Flaschen mitgebracht und hob sein Glas oft, um Papa zu zeigen, dass es leer war.

Agnes wurde ins Bett geschickt, aber sie stand bald wieder auf, setzte sich auf die Treppe und versuchte zu lauschen. Sie hatte ihre Decke mitgenommen und machte sich ein gemütliches Kuschelnest auf einer Treppenstufe.

Sie hörte Gläserklirren, die murmelnden Stimmen und das Geräusch vom Fernseher. Dabei döste sie ein, wurde aber jäh wieder wach. Der Fernseher rauschte. Sie hörte Papas Schritte, als er zum Apparat ging. Dann wurde es still. Jörgen hustete.

„Noch einen Kleinen?“, fragte er.

„Okay“, sagte Papa. „Wenn wir denn beide Flaschen leeren wollen, die du mitgebracht hast.“

Seine Stimme war laut und klang anders als sonst. Den Stimmen der Erwachsenen war leicht anzumerken, wenn sie Drinks genommen hatten. Bei Papa war das sofort zu hören. An einem Samstagabend, als sie bei Göran und Britta eingeladen waren, hatte er sich sogar übergeben. Er hatte mit dieser lauten anderen Stimme geredet, und dann war er zur Toilette gegangen, und Agnes hatte gehört, dass er sich immer wieder übergeben hatte.

„Ja, es ist nicht immer leicht“, sagte Jörgen. „Sind es jetzt fünf Jahre her?“

„Mehr als fünf“, sagte Papa. „Fünf Jahre und zwei Monate. Es war im August.“

Jetzt klang seine Stimme schwächer. Es war, als ob die Wörter nicht richtig herauswollten.

„Mehr als fünf Jahre, seit ...“

Und dann fing er plötzlich an zu weinen. Er weinte laut. Er weinte und weinte, und Jörgen versuchte ihn zu beruhigen und zu trösten.

Agnes stand auf, und in die Decke gewickelt floh sie in ihr Zimmer. In ihrem Magen knäulte es sich, als ob darin ein Schlangennest wäre.

Ein Licht in der Dunkelheit

Подняться наверх