Читать книгу Unsere innere Welt erkunden - Bonnie Weiss - Страница 9
ОглавлениеKAPITEL 3
Das Selbst
Glücklicherweise ist der Mensch nicht nur eine Ansammlung von Teilen. Wir sind viel mehr als das. Unser wahres Selbst ist reif und liebevoll, und es besitzt die Fähigkeit, unsere Teile zu heilen und zu integrieren.
In jedem von uns existiert ein Wesenskern, der unser wahres Selbst und unser spirituelles Zentrum ist. Wenn unsere extremen Teile nicht aktiviert sind und uns in den Weg geraten, haben wir Zugang zu diesem Kern, der das ist, was wir wirklich sind. Das Selbst ist entspannt und offen; es akzeptiert andere ebenso wie uns selbst. Wenn wir uns im Selbst befinden, sind wir geerdet, zentriert und reagieren nicht automatisch. Durch das, was andere tun, werden wir nicht provoziert. Selbst in schwierigen Situationen bleiben wir ruhig und gelassen. Das Selbst ist wesentlich größer und weiträumiger als unsere Teile und wird von Ereignissen, die den Teilen Angst machen würden, nicht eingeschüchtert. Wenn wir im Selbst sind, dann sind wir das leuchtende Zentrum des Systems, das jeder von uns darstellt.
Im IFS-Modell spricht man von acht wesentlichen Eigenschaften des Selbst. Das sind Mitgefühl, Neugier, Verbundenheit, Ruhe, Mut, Klarheit, Fürsorglichkeit und Kreativität. Für eine IFS-Sitzung sind die folgenden vier Eigenschaften am wichtigsten.
1. Das Selbst ist verbunden. Wenn wir im Selbst sind, fühlen wir uns anderen Menschen von Natur aus nahe und wollen auf harmonische, unterstützende Weise in Verbindung mit ihnen treten. Wir haben den Wunsch, Kontakt zu ihnen aufzunehmen und eine Gemeinschaft mit ihnen herzustellen. Verbunden sein will das Selbst auch mit unseren Teilen. Wenn wir im Selbst sind, haben wir Interesse daran, eine Beziehung zu jedem unserer Teile herzustellen, was diesen hilft, uns zu vertrauen, und einen Weg zur Heilung öffnet.
2. Das Selbst ist neugierig. Sind wir im Selbst, so sind wir auf offene, tolerante Weise neugierig auf andere Menschen. Wenn wir uns fragen, was sie antreibt, tun wir es, um sie zu verstehen, und nicht, um sie zu beurteilen. Neugierig ist das Selbst auch auf das, was in uns vor sich geht. Es will verstehen, wieso jeder einzelne Teil so handelt, wie er es tut, was seine positive Absicht für uns ist und wovor er uns beschützen will. Diese Neugier ist von Akzeptanz statt von Kritik geprägt. Wenn unsere Teile dieses echte Interesse wahrnehmen, wissen sie, dass sie willkommen sind, und haben keine Angst, sich uns zu zeigen.
3. Das Selbst ist mitfühlend. Mitgefühl ist eine Form von Freundlichkeit und Liebe, die entsteht, wenn andere Menschen Schmerz empfinden. Wir interessieren uns aufrichtig dafür, wie andere sich fühlen, und haben oft das Bedürfnis, sie in schwierigen Zeiten zu unterstützen. Wenn wir im Selbst sind, empfinden wir von Natur aus auch Mitgefühl für uns selbst. Sind Teile extrem, so reagieren sie auf Schmerz; Verbannte spüren ihn, während Beschützer versuchen, ihn zu vermeiden. Mitgefühl für uns selbst ist der wichtigste Aspekt, um unser Innenleben zu verstehen. Wir brauchen es, um unsere Teile zu akzeptieren, zu unterstützen und zu umsorgen, während wir unser System erforschen. Wenn unsere Teile das Mitgefühl des Selbst wahrnehmen, fühlen sie sich geborgen, weshalb sie sich öffnen und sich mitteilen wollen.
4. Das Selbst ist ruhig, zentriert und stabil. Nützlich ist das besonders, wenn wir mit einem Teil umgehen, der intensive Emotionen empfindet. Beispielsweise können heftiger Kummer und starke Scham erdrückend wirken, wenn wir nicht im Selbst geerdet sind. Beschützer meiden Teile, die sehr starke Emotionen haben. Aber wenn wir uns in der Ruhe des Selbst befinden, ist es nicht nötig, einen Teil mit intensiven Emotionen zu meiden. Wir bleiben dann im Selbst, während der Teil uns seinen Schmerz zeigt. Die Ruhe des Selbst unterstützt uns bei der schwierigen Aufgabe, dem Teil zuzuhören und ihn zu heilen.
Aus all diesen Gründen ist das Selbst das Mittel der psychischen Heilung in der IFS-Arbeit. Es hilft uns dabei, unsere Teile zu heilen und zu verwandeln, damit sie frei von ihren extremen Gefühlen und Verhaltensweisen werden und eine gesunde Rolle in unserem Leben übernehmen können.
Eine geführte Meditation, die Ihnen hilft, ins Selbst zu kommen, kann unter www.arbor-online-center.de/begleitmaterial/dn163e angehört und heruntergeladen werden; abgedruckt ist sie in Anhang B.
Die Struktur der Psyche
Das Selbst ist das natürliche Oberhaupt unseres inneren Systems. Ihm gehört von Natur aus der »Sitz des Bewusstseins«. Es hat den Mut, Risiken einzugehen, es hat einen klaren Blick auf die Realität und es verfügt über die Kreativität, gute Lösungen für Probleme zu finden. Das Selbst ist ausgeglichen und fair; in den meisten Situationen erkennt es, was geschehen muss. Sobald wir unsere Teile geheilt haben, wodurch sie uns vertrauen, lassen sie es endlich zu, dass das Selbst die Führung übernimmt. Idealerweise ist es das Selbst, das Entscheidungen trifft und das System vorwärts bringt. Als Dirigent des Orchesters sorgt es zum richtigen Zeitpunkt für den Einsatz der Holzbläser, sagt den Musikern, wann sie leise spielen sollen, und gibt das Zeichen für das Hornsolo. In jedem Moment wählt es das beste Vorgehen und ruft unsere gesunden Teile dazu auf, ihre Begabungen beizutragen. Unsere Teile vertrauen dem Selbst und verlassen sich auf seine Weisheit.
Ziel der IFS-Arbeit ist es, jeden unserer Teile zu entlasten, damit er eine gesunde Rolle übernimmt und es dem Selbst zutraut, die Führung zu übernehmen. Weil das Selbst das Oberhaupt des inneren Systems ist, können wir darauf vertrauen, dass es das System auf die Ganzheit zubewegt. Es kann jeden Teil dabei unterstützen, seine Last abzulegen und sich zu verwandeln.
Der Zugang zum Selbst
Die folgende geführte Meditation kann dazu dienen, Zugang zum Selbst zu finden. Sie können diese Meditation lesen und dabei ab und zu innehalten, um mit geschlossenen Augen dazusitzen, damit die gelesenen Sätze Empfindungen und Bilder hervorrufen können. Sie können den Text auch mit der eigenen Stimme aufnehmen oder sich von jemand vorlesen lassen. Eine weitere Meditation, mit der man ins Selbst gelangt, findet sich unter www.arbor-online-center.de/begleitmaterial/dn163e und ist in Anhang B abgedruckt.
Eine geführte Meditation ist eine Reise, die einen veränderten Bewusstseinszustand hervorruft. Bei einer solchen Übung setzt oder legt man sich am Besten in einer völlig entspannten, bequemen Position hin. Widmen Sie den Worten immer Ihre volle, ungeteilte Aufmerksamkeit. Lassen Sie sich Zeit, die Bilder auf der körperlichen und der emotionalen Ebene zu erleben. Vertrauen Sie darauf, dass alles, was auftaucht, genau das ist, was Sie in diesem Moment brauchen. Es gibt kein richtig und falsch – nur Erleben und Informationen. Genießen Sie es.
Meditation
Schließen Sie die Augen. Gehen Sie nach innen …
und konzentrieren Sie sich zuerst auf Ihre Körperempfindungen …
nehmen Sie einfach wahr, auf welchen Bereich des Körpers sich die Aufmerksamkeit richtet …
in jedem Augenblick … und bleiben Sie bei dieser Empfindung.
Vielleicht ist es ein Kribbeln in den Händen …
oder ein Zittern in den geschlossenen Augenlidern …
ein Gefühl der Entspannung im Bauch …
oder Verspannung in den Schultern …
was immer es ist, nehmen Sie die Empfindung wahr.
Nach einer Weile richtet sich die Aufmerksamkeit vielleicht auf einen anderen Teil des Körpers …
erlauben Sie sich dann, diese Empfindung wahrzunehmen.
Während Sie das tun, lassen Sie sich davon entspannen …
und tiefer nach innen führen.
Bleiben Sie einfach weiterhin bei Ihrem Körper … um tiefer in sich hineinzugelangen.
Richten Sie die Aufmerksamkeit jetzt auf den Bauch … auf die Empfindungen in Ihrem Bauch.
Ob es nun ein Gefühl der Völle ist … oder der Weichheit … oder der Festigkeit … oder auch nur die Wahrnehmung, wie die Bauchdecke sich bei jedem Atemzug hebt und senkt …
oder etwas ganz anderes.
Was es auch ist, nehmen Sie die Empfindungen in Ihrem Bauch einfach wahr …
und lassen Sie sich davon an jenen zentralen Ort in Ihrem Bewusstsein bringen …
verankert … in Ihrem Bauch … gelangen Sie zu einem ruhigen, stabilen Ort in Ihrem Innern.
So … fangen Sie jetzt allmählich an, sich aus diesem tiefen Ort, an dem Sie sind, zurückzuholen …
… atmen Sie zuerst ein bisschen tiefer …
machen Sie kleine Bewegungen … öffnen Sie die Augen …
und kehren Sie in Ihr gewohntes waches Bewusstsein zurück.